Eugenie Marlitt
Das Eulenhaus
Eugenie Marlitt

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15.

Klaudine war mit dem jungen Erbprinzen dem letzten Teile des weiten Parkes zugeschritten. Sie war innerlich froh, fortzukommen aus dem Bereiche von Lothars Augen, die ihr weh taten. Die absichtliche Kränkung der kleinen Prinzeß hatte sie kaum verletzt, es erschien ihr so überaus kindisch, daß sie sich nicht die Mühe nahm, weiter darüber nachzudenken. Es hatten ja stets kleine Plänkeleien von jener Seite gegen ihre Person stattgefunden, warum die Prinzessin es aber heute, sogar unter den Augen des Herzogs und der Herzogin, wagte, ihre Abneigung in so herausfordernder Weise zu zeigen, begriff sie allerdings nicht. Die kleine Durchlaucht mußte sehr schlechter Laune gewesen sein, oder – sollte sie mit dem hellsehenden, ahnenden Geist der Liebe Klaudines Gefühle für den Mann, den sie begehrte, erkannt haben? Aber doch nicht! Die Prinzessin war ja ihrer Sache sicher, so sicher, daß sie sogar Beates Wirtschaftsschürze lieh und ein wenig Hausfrau spielte im künftigen Heim.

Und auch Lothar mußte dieses wetterwendischen koketten kleinen Herzens gewiß sein; sonst würde er sich kaum erlaubt haben, sie in so ironischer Weise auf ihre Unart aufmerksam zu machen.

Klaudine runzelte plötzlich die Stirn und biß sich auf die Lippen. Was ging ihn das an, wenn ihr weh geschah? Sie wußte doch wahrlich selbst, wie weit man ihr gegenüber gehen dürfte, sie wußte sich allein zu verteidigen, sie wollte keine Bevormundung, kein Mitleid, am allerwenigsten von ihm!

Sie war mit ihrem jugendlichen Begleiter in den einsamsten Teilen des Parkes angelangt, wo schon zu ihrer Kinderzeit die Büsche und Bäume wuchsen und wachsen durften, wie sie wollten. Es war eine feuchte, moosdurchduftete Wildnis, von einem kleinen Bach durchrieselt, an dem die Farnkräuter in üppigster Pracht ihre grünen Wedel enfalteten. Unter der kleinen Brücke, aus Birkenstämmchen gezimmert, gluckste und schluchzte das Wasser noch ebenso eigentümlich wie damals, als sie, ein Kind, hier umhergestreift. Dort war das halbzerfallene Mooshüttchen, das bei ihren Spielen bald als Gefängnis, bald als Ritterburg diente. Wie oft hatte sie darinnen gesessen als gefangenes Burgfräulein! Ein wehmütiges Gefühl beschlich sie, als sie dem Prinzen davon erzählte und ihm alles zeigte. Da war auch der Grabstein, unter dem Joachims Lieblingshund lag, die kleine gelbe Dachshündin, die Lola hieß und so klug war, daß sie ihn niemals verriet, wenn die Kinder Verstecken spielten.

»Wo geht es dort hinaus?« fragte der Prinz, auf eine schmale, niedere Pforte in der Mauer deutend.

»In das Dorf, Hoheit«, erwiderte Klaudine. »Die Pforte wird benutzt zum sonntäglichen Kirchgang.«

Der wißbegierige Prinz zog das schöne Mädchen immer weiter an der Mauer entlang, sie mit allerhand Fragen bestürmend. Plötzlich erblickte er einen Häher in einem der hohen Bäume und vergaß seine Dame und seine Ritterpflicht, in dem er dem Vogel nachlief, der durch die Äste streifte, als wollte er den Knaben necken, bald hier, bald dort auftauchte und verschwand, immer weiter und weiter.

Klaudine, die, in ihren wehmütigen Erinnerungen versunken, achtlos dahingegangen war, kam erst nach einer ganzen Weile zum Bewußtsein, daß sie allein sei. Sie holte tief Atem und wischte mit dem Tuch über die Augen. Was wollte sie denn eigentlich? Es war doch nicht anders, als es eben war! Mit Kopfhängen und Tränen zwingt man doch nichts verlorenes zurück, mit Weinen und Sehnen kann man nichts erringen, was einem versagt sein soll nach Gottes Ratschluß. »Es wird die Zeit kommen, wo es nicht mehr schmerzt«, tröstete sie sich, »sie muß kommen, rs wäre ja nicht möglich, zu leben mit der brennenden Wunde im Herzen!«

Sie war stehen geblieben, es hatten sich doch ein paar große Tropfen an den Wimpern gesammelt. Jetzt, wo sie allein, wollte all das Weh hervorbrechen, das sie empfand. Sie meinte in diesem Augenblick, sie würde es nicht ertragen, ihn mit lächelnder Ruhe neben jener anderen zu sehen, als das erklärte Eigentum einer oberflächlichen unartigen kleinen Frau.

»Verzeihen Sie, Cousine«, klang plötzlich seine Stimme in ihr Ohr. Sie wandte sich mit jähem Erschrecken, und blitzgeschwind fiel ein funkelnder Tropfen aus dem Auge auf ihre Hand, die sie hastig mit der anderen verdeckte.

»Ich würde nicht gewagt haben zu stören«, fuhr er fort. »Ihre Hoheit beauftragte mich aber, Ihnen zu sagen, wie leid es Hochderselben tue, Sie verletzt zu wissen.«

»Hoheit ist wie immer gütig«, scholl es kühl zurück. »Ich bin nicht verletzt, derartiges lernt man übersehen und beurteilen nach Verdienst.«

»Es scheint, Sie haben viel gelernt in der letzten Zeit, Cousine«, sagte er bitter und ging neben ihr weiter. »Ich erinnere mich der Zeit, wo Sie noch scheu vor jedem Blick flohen, und ich dächte, das ist noch gar nicht so lange her.«

»Gewiß!« erwiderte sie. »Urplötzlich erstarkt ein schwaches Herz, sobald es fühlt, es muß allein für sich einstehen. Ich bin übrigens dreiundzwanzig Jahre alt, Vetter, und in der letzten Zeit gewaltsam aufgerüttelt aus dem sorglosen Mädchenleben.«

»Es ist etwas großes um eine stolze Frauenseele«, antwortete er ironisch, »nur schade, daß dieser Stolz beim ersten Anprall des Lebens so leicht brechen kann. Mich rührt es stets«, fuhr er fort, »wenn ich sehe, wie ein Weib, das die Welt nicht kennt, mit einem Mut sondergleichen sich auf einen unmöglichen Posten stellt. Man möchte sie zurückreißen von dem schwindelnden Abgrund und wird doch nur kalt lächelnde Zurückweisung dafür ernten.«

»Vielleicht besitzt dennoch die eine oder die andere neben dem Mut auch die nötige Stärke, auf dem Posten auszuhalten«, sagte Klaudine, bebend vor innerer Erregung.

»Möglich!« erwiderte er achselzuckend. »Es gibt Naturen, die da von sich als von einer Ausnahme denken: ›Seht, das kann ich wagen, ungestraft wagen!‹ Sie sind dann plötzlich am tiefsten zu Boden geschmettert.«

»Meinen Sie?« fragte sie ruhig. »Nun, es gibt auch Naturen, die hoch genug von sich denken, um den Weg zu gehen, den ihr Gewissen und die Pflicht sie wandern heißt, ohne nach rechts oder nach links zu sehen und ohne auf unberufene Wegweiser zu achten.«

»Unberufene?«

»Ja!« rief sie, und ihre schönen Augen blitzten in leidenschaftlicher Erregung. »Wie kommen Sie dazu, Baron Gerold, mir Ihre dunklen Weisheitssprüche, Ihre rätselhaften Sarkasmen aufzutischen, sobald Sie mich erblicken? Haben wir je miteinander so gestanden, daß Sie diese Bevormundung wagen dürfen?«

»Niemals!« antwortete er tonlos.

»Und wir werden auch niemals so stehen«, fuhr sie bitter fort. »Ich kann Ihnen aber, falls es Sie beruhigt, die Versicherung geben, daß der Name ›Gerold‹ durch mich nicht leiden wird, denn – und das ist doch wohl Ihre alleinige Sorge – ich kenne meine Pflicht.«

Er war blaß geworden.

Sie eilte jetzt schneller vorwärts, er blieb etwas zurück und holte sie dann an der schmucken Gärtnerei, in der Heinemanns Tochter mit ihrem Manne wohnte, wieder ein.

»Der Platz ist verlassen«, bemerkte er jetzt, nach vorwärts deutend, »die Herrschaften scheinen im Schlosse zu sein.«

In der Tat, unter den Eichen war es einsam, ein Diener, der dort aufräumte, berichtete, die Durchlauchten seien nach Neuhaus gefahren und Ihre Hoheit erwarte Fräulein von Gerold in ihrem Zimmer. Der Wagen von Neuhaus werde zurückkommen.

Sie wandte sich dem Schlosse zu. Die Abendsonne übergoldete die Wipfel der Bäume und ließ die zahllosen Fenster in dem altersgrauen Sandsteingemäuer in Feuergarben aufsprühen. Ein rosiger Schimmer färbte die Luft, aus dem Dorfe klang die Abendglocke des Kirchleins.

»Leben Sie wohl«, sagte Lothar stehen bleibend, »ich möchte versuchen, Seine Hoheit aufzufinden, um mich bei ihm zu verabschieden. Sie wissen ja Bescheid in diesen Gängen, können ja überhaupt des Wegweisers entbehren.«

Er verbeugte sich tief vor ihr.

Stolz neigte sie den Kopf. Sie wußte ja, daß jene schwachen Fäden der verwandtschaftlichen Rücksichten, die sie in der Abgeschiedenheit des Landlebens oberflächlich aneinander gefesselt hatten, gewaltsam zerrissen waren, eben zerrissen, als sie sich unberufene Ratschläge verbat. War sie zu schroff gewesen? Ihr Fuß zögerte einen Augenblick, bevor sie weiterschritt, dann ging sie doppelt rasch in dem überschatteten Wege dahin, der zur Hauptallee führte.

Um eine Biegung trat plötzlich der Herzog. Er nahm den Hut ab und schritt, ihn in der Hand behaltend, neben ihr. Er sprach über die Parkanlage und wies auf eine Gruppe prächtiger Blutbuchen, die sich wirkungsvoll von dem lichten Grün der dahinter stehenden Lärchen abhob. »Wo haben Sie den Baron gelassen, gnädiges Fräulein?« fragte er dann.

»Eben verließ mich mein Vetter«, antwortete sie, »wenn ich nicht irre, wollte er Eure Hoheit aufsuchen, um sich zu verabschieden.«

»Ah! Nun, er wird mich zu finden wissen. Ich habe überdies ein Attentat auf ihn vor, ich will ihn festhalten heute abend; er soll eine Partie Billard mit mir spielen. Meine launische kleine Cousine muß eine Strafe haben.« Er lächelte dabei und sah Klaudine forschend an. »Sie waren hoffentlich nicht verletzt von diesem Kinderstreich?« fragte er und trat neben ihr in die große Allee, die zum Schlosse führte.

»Nein, Hoheit!« erwiderte Klaudine, indem sie mit verdüsterten Blicken dem Schlosse entgegensah. Vor der Freitreppe standen zwei Herren im Gespräch, eben wandte sich der eine.

»Bei Gott, Rittmeister«, sagte er leise, »sehen Sie – wie weiland Ludwig der Vierzehnte, wenn er der Lavalliere seine Ehrfurcht bezeigen wollte.«

Der Angeredete schwieg, aber er sah mit einem befremdeten Ausdruck auf das Paar, das scheinbar so einträchtig daherkam.

Oben, am Erkerfenster der Herzogin, aber flatterte ein weißes Tuch und das schmale Gesicht der fürstlichen Frau lächelte hinter den Scheiben.

Die Herren ließen mit tiefer Verbeugung den Herzog und Fräulein von Gerold vorbei. Sie sah merkwürdig aus, die schöne Freundin der Herzogin, ein harter Zug lag um den sonst so lieblichen Mund. Im Schlosse angelangt, stieg sie die Stufen empor, so langsam und müde, als trage sie eine schwere Last auf den Schultern. »Nun ist alles vorüber«, sagte sie noch einmal und betrat das Vorzimmer zu den Gemächern der Herzogin.

»Klaudine«, rief diese, die am Fenster nach ihrem Liebling ungeduldig ausgeschaut hatte, und schlang die Arme um den Hals des schönen Mädchens, »Sie sind so lange geblieben! Wie Sie fortgingen, wurde ich auf einmal so ungeduldig, ich wäre Ihnen am liebsten nachgegangen, ich kann wirklich nicht mehr ohne Sie sein. Hören Sie, Klaudine?«

Sie zog die Schweigende neben sich auf das kleine Polstermöbel im Schatten der roten Vorhänge und sah in die traurigen blauen Augen.

»Armes Herz, Sie wurden verletzt vorhin, die Kleine war unartig und wird ihre Strafe bekommen. Es ist die Geschichte von dem Gänschen, das neben dem Schwan sich nur durch Geschrei bemerkbar machen kann. Klaudine«, fuhr die Herzogin fort, »ich habe doch wieder recht gesehen, wer Sie sind und wer die anderen!« Sie drückte die kühle Hand des Mädchens. »Ich habe Sie so herzlich lieb, Klaudine«, flüsterte sie weiter, »ich möchte Sie so gern >du!< nennen, wenn wir unter uns sind. Ist das unbescheiden?«

»Hoheit! Bitte«, stammelte sie.

»Nicht Hoheit, Klaudine. Denkst du, ich werde ›du‹ zu dir sagen, wenn du mich ›Hoheit‹ nennst? ›Elisabeth‹ will ich heißen und ›du‹! Ach bitte, bitte! – Nicht eine einzige Seele habe ich im Leben gehabt, die so mit mir verkehren durfte. Gönne mir doch dieses reine schöne Bewußtsein, daß du meine Freundin bist. Bitte, bitte, Klaudine, sage ›ja!‹«

»Hoheit sühnen die unbedeutende Kränkung von vorhin durch allzu große Gunst«, sprach das Mädchen erregt, »ich kann, ich darf es nicht annehmen.« Und sie sprang plötzlich empor und faßte sich an die Schläfen.

»Ich hätte dich für vernünftiger gehalten, Klaudine«, sagte die fürstliche Frau, »als daß du über eine so einfache Sache außer dir gerätst! Es ist der Inbegriff alles Vertrauens, aller Liebe – das ›du!‹ Und weil ich zufällig Herzogin bin, soll ich das entbehren? So darfst du nicht denken, und so denkst du auch nicht. Komm her, Klaudine, und gib mir den Schwesterkuß!«

Klaudine kniete vor der liebenswürdigen Frau nieder, sie wollte sprechen: »Laß mich! Laß mich! Es ist besser für dich und für mich, ich gehe fort von dir, so weit mich meine Füße tragen!« Und sie brachte es doch nicht über die Lippen unter diesen fieberglänzenden Augen, die so innig bittend in die ihren blickten. Und dann schloß ein Kuß ihren Mund. Im nächsten Augenblick fühlte sie etwas kaltes an ihrem Arm, ein schmaler goldener Reifen in Gestalt eines Hufeisens, die Stellen der Nägel mit Saphiren und Brillanten geschmückt, blitzte ihr entgegen.

»Wird Eure Hoheit – wird dich –« verbesserte sie sich weinend, »dies nie gereuen?« und ihr ernstes blasses Gesicht sah fragend zu ihrer fürstlichen Freundin auf.

»Ich habe ein feines Gefühl, Klaudine, für Menschenwert. Ich weiß, ich habe keiner Unwürdigen mein Herz angeboten.«


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