Eugenie Marlitt
Das Eulenhaus
Eugenie Marlitt

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16.

Prinzessin Helene war in außerordentlich schlechter Stimmung nach Neuhaus zurückgekehrt. Sie hatte während der Fahrt schweigend in der einen Ecke des Landauers, Prinzeß Thekla in der anderen gelehnt, ebenso still. Komtesse Moorsleben, die in den Wagen befohlen war, wußte nur mit Mühe ein Lächeln zu unterdrücken, so ähnlich sahen sich in diesen Minuten des Verdrusses das junge und das alte Antlitz.

Erst oben, in den Gemächern des Neuhäuser Schlosses, entlud sich das Gewitter, und zwar über dem Haupt der Frau von Berg, die in das Zimmer der jungen Prinzessin befohlen ward. Die Kleine überhäufte die scheinbar schwer gekränkte Frau mit den wahnsinnigsten Vorwürfen, gerade als ob sie schuld sei, daß vor vierhundert Jahren ein alter Gerold die Idee hatte, in dieser Gegend ein festes Schloß zu bauen, das nach und nach zu diesem unausstehlichen Altenstein geworden war. Ein greulicher Aufenthalt, eine Einöde sei es, es liege ja klar am Tage, daß niemals ein vernünftiger Mensch so eine geschmacklose Erwerbung hätte machen können, wenn nicht ganz besondere Absichten damit verbunden wären.

Ob denn so etwas erhört sei, daß man öffentlich einen Verweis von Ihrer Hoheit hinnehmen müsse wegen – wegen so einer –. Sie fand in ihrem Zorn kein passendes Wort. Es habe ja gerade noch gefehlt, daß sie, Prinzeß Helene, die Hofdame Ihrer Hoheit um Verzeihung bitten solle!

»Oh!« fragte die schöne Frau, die mit gesenktem Haupt diesen Sturm über sich ergehen ließ, »um Verzeihung bitten? Durchlaucht hatten doch nichts getan?«

»Ich habe sie einfach nicht gesehen, denn ich mag sie nicht leiden«, erklärte die Prinzessin.

In Frau von Bergs Augen leuchtete es auf.

»Oh, allerdings, Durchlaucht, das war schlimm«, sagte sie sanft. »Ihre Hoheit ist wahrhaft bezaubert von dieser Freundin. Wie unangenehm mag dieser Auftritt dem Baron gewesen sein!«

»Unangenehm?« stieß die Prinzeß hervor. »Meinen Sie, Alice? Er ging nicht gerade ungern von dem Spielplatz, um auf Befehl Ihrer Hoheit seine Cousine versöhnt zurückzuführen.«

Die Prinzessin sprang nach diesen Worten aus ihrem grau und hlau geblümten Sessel empor und lief an das Fenster.

»Was sollte er denn tun, Durchlaucht?« sprach Frau von Berg. »Aber freilich, es ist nicht unmöglich, wer kennt die Männerherzen?« Und sie lächelte hinter dem Rücken der Prinzessin.

Diese wandte sich jäh, als sei sie von einer Schlange gebissen worden, sie sah noch das Lächeln um den Mund ihrer Vertrauten, im nächsten Augenblick flog etwas an dem künstlich frisierten Frauenkopf vorüber und fiel neben dem Kachelofen zur Erde. Es erwies sich zwar nur als das weiche blauseidene Arbeitsbeutelchen der Prinzessin, das eine niemals über die Anfänge hinauswachsende Stickerei Ihrer Durchlaucht enthielt, aber die Tatsache blieb bestehen: es war nach Frau von Bergs Kopf geworfen worden.

Die schöne Frau hielt sich plötzlich das Taschentuch vor die Augen und begann zu schluchzen.

»Weinen Sie nicht!« herrschte die Prinzessin sie an, »Sie wissen, daß es mich rasend macht! – Ich kenne Sie zu genau, Sie sind schadenfroh, Alice!«

»Bei Gott nicht, Durchlaucht!« beteuerte die Weinende. »Ich dachte an – man lächelt doch auch aus Mitleid.«

»Ich brauche Ihr Mitleid nicht!«

»Wer sagt denn, daß es Eurer Durchlaucht galt? Mich dauert die Herzogin! Ihre Hoheit kommt mir vor wie das Lamm, das sich den Wolf zu Gaste gebeten hat. Hoheit vergöttert ja diese Klaudine und – Durchlaucht, es ist doch traurig komisch, wenn man jemand sieht, der seinen ärgsten Feind mit Zuckerplätzchen füttert.«

Die Prinzeß antwortete nicht. Sie saß jetzt hinter dem Vorhang auf dem breiten Fensterbrett, und ihre Füße waren in hastiger Bewegung, während die Augen brennend auf die Straße starrten, die jenseits des Parkes sichtbar war.

»Was kann ich dafür, wenn die Leute blind sind«, sagte sie endlich.

»Ich glaubte, Durchlaucht liebten die Frau Herzogin?«

»Ja, sie ist gut, kindergut und hat mir immer viel Zuneigung bewiesen. Aber Mama sagt, sie ist überspannt, und das hat sie heute deutlich genug gezeigt. Ich kann ihr nicht helfen.«

Auf dem Rokokoschränkchen, dem echten alten mit blanken Messingschlössern und Henkeln, schlug die Uhr eben sieben. Die kleine Prinzessin bemerkte es ungeduldig.

»Schon so spät?« sagte sie, »der Baron vergißt, daß wir heute abend im Garten den Tanzplatz aussuchen wollten für das Fest.«

»Vielleicht befahl Ihre Hoheit ihn noch in ihren Salon«, bemerkte Frau von Berg. »Fräulein von Gerold singt jeden Abend und der Baron ist, wie Durchlaucht wissen, ein fanatischer Musikliebhaber.«

»Die Herzogin weiß aber, daß er Gäste hat!« rief die Prinzessin mit funkelnden Augen und sah ihre Peinigerin drohend an.

»Wenn aber Hoheit befehlen?« sagte diese sanft entschuldigend.

»Befehlen? Wir leben doch nicht im Mittelalter. Am Ende kann meine Cousine wohl gar noch befehlen, er soll ihren Liebling heiraten?«

Frau von Berg ging harmlos auf diesen etwas gewaltsamen Scherz ein. »Wer weiß, Durchlaucht? Wenn es der Herzenswunsch dieses Lieblings wäre?«

Das war zuviel für Prinzeß Helene. Sie lief zu Frau von Berg hinüber und faßte sie zornig an der Schulter, ihr schmales Gesicht war ganz bleich.

»Alice«, sagte sie, »Sie sind schlecht! Ich fühle es, daß Sie schlecht sind! Sie können mich bis aufs Blut peinigen, es ist entsetzlich, was Sie da sagen – aber – es ist nicht unmöglich. Alice, ich habe keine ruhige Stunde mehr, ich wollte, ich wäre tot wie meine Schwester! Die ist doch wenigstens einmal glücklich gewesen.«

»Aber, Durchlaucht, ein Scherz!«

»Nein, nein, kein Scherz – um Gottes willen, nehmen Sie es nicht als Scherz! Ich weiß nicht, was ich tun könnte vor Seligkeit, wenn sie fort wäre aus diesen Bergen! Warum ist sie nicht mit der Herzoginmutter nach der Schweiz gegangen? Warum muß sie hier sitzen?«

»Ja warum?« fragte Frau von Berg und küßte die Hand der kleinen Prinzessin.

»Armes Kind!« seufzte sie dann.

»Ach, Alice, wissen Sie keinen Weg? Nennen Sie mir einen! Ich ertrage die Zweifel nicht länger!« flüsterte das leidenschaftliche Mädchen.

»Ich, Durchlaucht? Was kann ich denn tun? Wenn da nicht ein Zufall hilft, Ihrer Hoheit die Augen zu öffnen –«

»Ein Zufall?« wiederholte die Prinzessin bitter.

»Wie denn sonst? Ihre Hoheit haben keine einzige Seele, die es gut genug mit ihr meint, um ihr einen solchen Freundschaftsdienst zu erweisen.«

»Ein schöner Freundschaftsdienst!« antwortete die Prinzeß spöttisch, »das ist schon mehr eine Henkersarbeit, denn das weiß ich, so wahr ich hier vor Ihnen stehe, Alice, daß die Kenntnis dieser Angelegenheit Elisabeths Herz brechen würde.«

»Durchlaucht würden lieber mit ansehen, wie das edelste, beste Geschöpf systematisch hintergangen wird? Ich muß gestehen, die Ansichten von Freundschaft sind sehr verschieden«, erwiderte Frau von Berg vorwurfsvoll.

»Sie haben wohl niemals einen so recht liebgehabt, Alice? So lieb, daß man eher sterben möchte, als ihn missen? Nein, das haben Sie nicht, sagen Sie es nur nicht etwa. Wo andere ein Herz haben, da haben Sie eine leere Stelle! Sehen Sie mich nicht so an, durch mich erfährt die Herzogin es nicht, Alice. Nebenbei behaupte ich nie etwas, das ich nicht zuverlässig weiß, und hier dürften vollgültige Beweise doch vorläufig fehlen.«

Frau von Berg lächelte und strich über das Haar der Prinzessin.

»Wie könnte ein so goldreines liebes Kinderherz auch an solche Schuld glauben?« sagte sie leise, »es würde selbst die Beweise nicht anerkennen.«

Die Prinzeß schüttelte die Hand ab. »Bitte, tun Sie nicht, als hätten Sie alle Taschen voll davon«, sagte sie, ärgerlich über die Berührung.

»Ich habe zwar nicht alle Taschen voll, es würde aber auch ein Beweis genügen, Durchlaucht.«

Das Gesicht des fürstlichen jungen Mädchens überzog eine flammende Röte.

»Es ist nicht wahr!« stammelte sie, »so ehrlos ist kein Weib, daß es Freundschaft heuchelt, wo es Verrat übt. Sie sind entsetzlich, Alice.«

»O Durchlaucht, Sie kennen das Leben nicht!«

Die Prinzessin faßte sich plötzlich an die Stirn und lief in ihr Schlafzimmer. Krachend flog die Tür hinter ihrer leichten Gestalt zu. Frau von Berg blieb allein in dem anmutigen einfachen Raum, sie schaute die Tür an und wieder glitt ein Lächeln über ihr Gesicht. Dann zog sie ein Notizbuch aus der Tasche und nahm ein Briefchen heraus. »Da ist es«, flüsterte sie, es liebevoll betrachtend. Einmal hatte es bereits seine Zauberkraft bewährt – da drinnen in ihrem Zimmer saß jetzt Ihre Durchlaucht Prinzeß Thekla und schrieb an Ihre Hoheit die Herzoginmutter einen Brief voll tugendhafter Entrüstung!

Nebenan erklang jetzt ein leidenschaftliches Schluchzen. Frau von Berg verließ das Zimmer und kam gleich darauf mit frischem Wasser und Himbeersaft zurück. Ohne weiteres betrat sie das Schlafgemach der Prinzessin. »Durchlaucht sollten sich fassen«, bat sie weich und mischte den kühlenden Trank. Sie kniete vor dem weinenden jungen Geschöpf nieder, das auf dem Sofa zu Füßen des Bettes saß, und sah sie wie um Verzeihung bittend an.

»Die roten Augen müssen fort«, sprach sie, »wenn ich nicht irre, fuhr soeben der Baron in den Hof. Auf dem Tische drinnen liegen die Maskenbilder für das Kostümfest und eine große Auswahl entzückender Stoffproben.«

Die Prinzessin erhob sich, ließ sich von Frau von Berg das Haar ordnen und die Augen kühlen. »Sehe ich sehr verweint aus?« fragte sie.

»Nein, nein, reizend wie immer!« klang es zurück.

Unten läutete jetzt die Tischglocke in vollen, lauten Tönen. Ein paar Minuten später flog die Prinzessin hinunter, als wollte sie keine Minute einer köstlichen Stunde versäumen, ihr Auge strahlte, ihr Mund lächelte. An den weit geöffneten Türen des Speisesaales, in welchem über dem blitzenden Tisch die Kerzen flammten, stand Beate in dem raschelnden grau und schwarz gestreiften Taftkleide, das sie jetzt regelmäßig bei den Mahlzeiten trug.

»Mein Bruder läßt Eure Durchlaucht bitten, seine Abwesenheit zu verzeihen, Seine Hoheit haben ihn für sich in Anspruch genommen, soeben kam der Wagen leer zurück«, sagte sie, sich leicht verneigend, mit ihrer zuweilen so hart klingenden Stimme.

Das Strahlende aus dem Gesichte der Prinzessin war verschwunden, sie saß still neben Beate. Die alte Prinzessin hatte sich mit plötzlich aufgetretenem Kopfweh entschuldigt.

Komtesse Moorsleben unterdrückte mühsam ein Gähnen, der Kammerherr sprach gedämpft mit Frau von Berg, sonst hörte man nichts, als das leise Klappern der Teller oder Beates Stimme, die laut und deutlich wie immer erscholl. Einmal redete sie die Prinzessin an, diese wandte auch den Kopf zu ihr herum, ohne zu antworten, aber noch ehe der Nachtisch kam, erhob sie sich, winkte der Komtesse, sie solle zurückbleiben, und lief wie ein trotziges Kind in den Garten hinaus. Als sie nach ein paar Stunden in ihr Zimmer zurückkam, war ihr Haar feucht vom Nachttau und die Augen verschwollen. Aber diese Augen sahen nicht das, was sich vor ihnen befand – sie sahen ein lauschiges Gemach und an dem Flügel ein schönes Mädchen, um dessen Blondhaar der Lichtschein eine Glorie wob, und einer lauschte den süßen, weichen Tönen, die sein Herz bestricken mußten wider Willen.

»Frau von Berg soll kommen«, sagte sie zur Kammerjungfer, »ich will kein Licht.«

Nach ein paar Minuten rauschte die Schleppe der schönen Frau über die Schwelle des dunklen Gemaches, und die kleine zitternde Hand der Prinzeß faßte nach der ihren.

»Den Beweis, Alice, geben Sie ihn mir!« flüsterte die bebende Stimme.

»Hier!« erwiderte Frau von Berg gelassen und legte den verräterischen Brief in die Rechte der Prinzessin. »Ich glaube, es lohnt der Mühe nicht. Werfen Sie den Zettel fort, Durchlaucht, wenn Sie ihn gelesen haben.«

»Es ist gut, Alice, ich danke. Sie können mich verlassen.«

Die Prinzessin ging in ihr Schlafzimmer und las beim Schein der rosa Ampel, die von der Decke herabhing. »Arme Liesel!« flüsterte sie.

Dann machte sie eine Bewegung, als wollte sie das Blättchen zerreißen, und hielt wieder inne. Eine heiße Blutwelle stieg ihr zum Kopf, sie holte schwer Atem. In dem Räume lag noch die Schwüle des Tages und durch das offene Fenster strömte der süße berauschende Duft blühender Linden, berauschend wie die Sehnsucht, die das Herz des Mädchens erfüllte. Sie wollte glücklich werden um jeden Preis, auch um den größten! Mit bebenden Fingern faltete sie den Brief so klein wie möglich zusammen und schloß ihn in eine goldene Kapsel, die sie am Halse trug.

»Nur für den Notfall!« flüsterte sie noch einmal und verbarg die Kapsel.


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