Hermann Marggraff
Fritz Beutel
Hermann Marggraff

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Achtundzwanzigstes Kapitel.

Um als religiöses Oberhaupt Erfolg zu haben, sind folgende Eigenschaften erforderlich: eine stattliche imponirende Leibesgestalt, eine sonore Stimme, Talent zur Mimik, viel Glück bei den Frauen und möglichst viel Unverschämtheit.

Macchiavelli.

Es ist der Welt schon so viel vorgemacht worden, daß man nur nachzumachen braucht, um etwas zu werden.

Napoleon

Ein Ostindienfahrer, der gerade in San Francisco zur Abfahrt bereit lag, brachte mich eines schönen Morgens auf den Gedanken, nach Calcutta zu segeln, um hier meine Ducaten als Nabob zu verzehren. Ich habe also in diesem Kapitel von meiner australiaco-indochino-tibetanischen Periode zu sprechen.

Die Fahrt ging ohne besondere Zwischenfälle von statten, und ich will nur erwähnen, daß die Königin Pomare, der ich unterwegs meinen Besuch abstattete, große Neigung zu mir faßte und mir ihre Hand anbot. Ich erklärte ihr jedoch in der nöthigen chevaleresken Form, niemals mehr eine Königin heirathen zu wollen, weil ich in diesem Geschäft bereits die bittersten Erfahrungen gemacht habe. Sie bemerkte hierauf, daß sie es nicht für möglich gehalten, von mir einen Korb zu bekommen, da ja ihr ehemaliger Freund Ludwig Philipp selbst ihr einmal unter der Hand habe sagen lassen, daß, wenn er nicht verheirathet wäre, er keine Andere als sie heirathen würde, und daß sowohl Lord Palmerston, als Lord John Russell, dessen reizendes Portrait sie aus dem Londoner »Punch« kenne, in ähnlicher Weise ihr Bedauern ausgedrückt hätten, sie nicht zur zweiten und zwar besseren Hälfte ihres Ich machen zu können. Trotzdem blieb ich fest und bemerkte nur: Beleidigen Eure Majestät mich nicht durch solche Zusammenstellungen. Ihr ehemaliger Freund Ludwig Philipp ist gestürzt, Ihre eben so edlen Freunde Palmerstonchen und Johnny sind schon mehrmals gestürzt und werden noch öfter stürzen, ohne sich freilich daraus etwas zu machen, denn sie fallen immer auf den Hosenbandorden, und der schützt sie vor Knieverletzungen; ich aber, Fritz Beutel, ein Nachkomme Teut's, ich bin immer derjenige, welcher ich war und stets sein werde. Mich bringt Niemand zu Fall, oder ich würde die Welt in meinen Fall mit niederreißen. Ich hänge nicht vom Winde der Volksgunst ab, denn ich habe meinen eigenen Wind, und der ist mächtiger als alle anderen Winde.

Diese Worte, in vollem Mannesbewußtsein ausgesprochen, konnten die Verehrung der Königin Pomare für mich nur vermehren; aber ich blieb meinem Vorsatze treu und segelte ab. Wie ich höre, ist seitdem das vierte Buch der Aeneide ihre Lieblingslectüre, jenes Buch, worin Dido dargestellt ist, wie sie ihrem Aeneas die bittersten Thränen nachweint und sich zuletzt selbst entleibt und entrumpft. Sie soll aber dieses Buch nur in der Blumauer'schen Travestie lesen, und daher mag es wohl kommen, daß sie sich noch nicht entrumpft hat, und wenn sie sich hängt – an den Hals eines Andern hängt.

Kaum war ich abgesegelt, als ein wunderbarer Gegenstand meine Blicke auf sich zog. Es flatterte Etwas über den Ocean daher, welches mir ein sehr großer fliegender Fisch zu sein schien; aber auf dem Rücken des Fisches befand sich noch ein Etwas, das einer menschlichen und zwar weiblichen Gestalt auf ein Haar ähnlich und in weiße weit nachflatternde Gazekleider eingehüllt war. Das Compositum von Fisch, Vogel und Mensch kam näher und näher, und bald erkannte ich, daß der Fisch ein wirkliches weibliches Wesen auf seinem Rücken trug. Endlich erkannte ich Züge in dem Antlitz der Reiterin, welche die Züge Beatens waren, aber durch die meinen wesentlich modificirt und idealisirt. Unwillkürlich rief ich: Guitarria Cichoria Cigarretta! und auf diesen Ruf lenkte sie, nämlich die Reiterin, ihren Fisch gerade auf unser Fahrzeug zu und ließ sich auf dem Deck mit ihm nieder. Sie stieg ab, und der Fisch blieb zappelnd liegen, worauf die Amazone sofort einen Eimer mit Wasser ergriff und den Inhalt desselben auf ihn entlud, um ihn nicht verschmachten zu lassen.

Mit der Energie, die ihrem ganzen Wesen eigen zu sein schien, sank nicht, sondern stürzte sie in meine Arme. Mein Vater! Niemand anders kann mein Vater sein als du! Und Niemand anders kann meine Tochter sein als du, Cigarrettchen! rief ich. Und aus der Umarmung ging es ans Erzählen. Doch war ihre Geschichte so lang und an wunderbaren Ereignissen so reich, daß ich sie mir auf eine Fortsetzung dieser Memoiren, die das Publikum ohne Zweifel verlangen wird, versparen muß, und ich hier nur das Nothdürftigste geben kann. Es war Cigarretta, meine erstgeborne Tochter. Sie war an einen König der Südseeinsulaner verheirathet, der eine bisher noch allen Südseefahrern unbekannte Insel beherrschte; auch hatte sie bereits einen Prinzen ans Licht der Welt gesetzt; und zwar ohne Hebamme, wie sie ausdrücklich bemerkte, denn das Ereigniß sei ihr widerfahren, als sie gerade einen kleinen Spazierflug nach Neu-Seeland gemacht habe. Als sie mir den Wunsch zu erkennen gab, daß ich sie nach ihrem Reiche begleiten solle, sagte ich: davon später! und als ich ihr meinen Wunsch ausdrückte, daß sie mich begleiten solle, sagte auch sie: davon später! Sie erklärte mir, daß es für sie kein größeres Vergnügen gäbe, als auf einem ihrer fliegenden Fische, von denen sie ganze Schaaren halte, den Ocean und die australische Inselwelt zu durchstreifen; denn daran sei sie von frühester Jugend an gewöhnt; wenn ich aber einmal in Noth kommen solle, so werde sie mit den Ihrigen zur Hand sein. Dieses Wiedersehen war so kurz als erbaulich. Cigarretta gestand, daß sie auf dem Schiffe nicht mehr auszudauern vermöge. Diese Bewegung sei ihr zu langsam; zwischen Ocean und Himmel dahin zu fliegen, das sei ein Vergnügen, und damit schwang sie sich auf ihren Fisch, gab diesem einen Klaps und schwebte mit ihm davon, mir noch aus der Ferne sehr graciös einige Kußhände zuwerfend. Die ganze Erscheinung huschte mir wie ein Traumgebild vorüber.

In Calcutta angekommen, kaufte ich mir in der Nähe der Stadt eine prächtige Villa, welche gerade feil war, und richtete mich auf den Fuß eines indischen Nabob ein. Vor allen Dingen nahm ich ein Dutzend Bayaderen, so jung und reizend ich sie bekommen konnte, in meinen Dienst, welche mir abwechselnd, wenn ich in der Veranda meine Siesta hielt, mit Palmenfächern und Pfauenwedeln Kühlung zufächeln und die Mosquitos abwehren mußten. Oefters veranstaltete ich große Jagdpartien weit ins Land, zu welchen ich die Officiere sämmtlicher in der Präsidentschaft Calcutta stationirender englischer Regimenter einlud. Häufig erlegte ich dabei mit eigener Hand Hunderte von Tigern, Leoparden, Panthern, wilden Elephanten und Riesenschlangen. Man staunte meine Thaten an, ohne sie begreifen zu können. Der Generalgouverneur und seine Stabsofficiere und höchsten Beamten wurden meine täglichen oder vielmehr nächtlichen Gäste; denn Tags wurde meist geschlafen und Nachts dafür geschwärmt. In den nie aufhörenden Streitigkeiten mit den einheimischen Hindufürsten übernahm ich nicht selten die Vermittlerrolle, und wenn es während der letzten Jahre vergleichsweise in den Besitzungen der ostindischen Gesellschaft so ruhig geblieben ist, so verdankt man dies hauptsächlich meinen weisen Rathschlägen. Die ostindische Compagnie bewies mir auch ihre Erkenntlichkeit, indem sie mir aus London ein mit höchster typographischer Pracht ausgestattetes Diplom zuschickte, durch welches ich zum Ehrenmitgliede des ostindischen Directoriums ernannt wurde.

Inzwischen hatte sich in Tibet das Gerücht verbreitet, daß der Gott Buddha abermals eine Incarnation erlebt habe und daß ich diese Incarnation sei. Ich erstaunte nicht wenig – soweit ich überhaupt noch über Etwas erstaunen konnte – als ich eines Tags sich eine unendlich lange Procession gegen meine Veranda bewegen sah, bestehend aus Hunderten tibetanischer Großen und Oberpriester, die auf Elephanten ritten oder in Palankins getragen wurden. Voran schritt der Reichselephant, der über und über mit den köstlichsten, mit Gold gestickten Teppichen behangen war.

An meiner Villa angekommen, stiegen die Abgesandten der tibetanischen Nation von ihren Elephanten oder aus ihren Sänften, fielen vor mir, der ich gerade in der Veranda saß und meine Cigarre rauchte, aufs Angesicht nieder und riefen:

Mächtiger, erhabener Gott Buddha, zertritt uns nicht mit der Elephantenschwere deiner heiligen Füße!

Mächtiger, erhabener Gott Buddha, vernichte uns nicht mit dem verzehrenden Blick deiner Augen!

Mächtiger, erhabener Gott Buddha, blase uns nicht weg mit dem Hauche deines Mundes und sei unser Dalai-Lama!

Erbärmliches Erdgewürm! Scrophulöses Gesindel! gänzlich überflüssige Bummler aus Tibet! antwortete ich. Allerdings könnte ich euch wegblasen mit einem Hauche meines Mundes, denn ihr wiegt vor mir so leicht wie eine Feder!

Damit fing ich an meine Backen aufzublasen, als wollte ich pusten, und als sie dies sahen, schlugen sie dreimal mit den Köpfen gegen den Erdboden und riefen: Gnade, Gnade! schone uns, furchtbarer Buddha! Ich aber fuhr fort:

Gnade soll euch werden, nicht weil ihr sie verdient, sondern aus Mitleid. Ich habe incognito bleiben wollen, aber ich sehe, daß ich erkannt bin. Ja, ich bin Gott Buddha, und was für einer! Rein aus Mitleid für euch Nichtsnutze habe ich mich wieder einmal so weit herabgelassen und mich in dieses Futteral gebrechlichen Menschenfleisches gesteckt; ich bin der eingefleischte Buddha. Fritz Beutel ist, Alles in Allem gerechnet, seit Beginn der Welt meine dreitausendste Incarnation. Würdigt diese Gnade, mit der ich mich zu euch herablasse, und schrumpft in euer Nichts zusammen! Ich will wieder einmal mit euch einen Versuch machen und euer Dalai-Lama sein, aber nur unter der Bedingung, daß ich meine zwölf Bayaderen mit mir nehmen darf und daß wir einen Contract schließen in Betreff des Gehalts und anderer Leistungen. Denn wer kann euch Schelmen trauen? ihr seid im Stande, Gott Buddha selbst zu betrügen. Was gebt ihr mir zu essen und zu trinken? Ich erinnere mich an den Küchenzettel eines Dalai-Lama nicht mehr; denn es ist lange Zeit her, seit ich zum letztenmal tibetanischer Dalai-Lama vor. Alle Dalai-Lamas seit dreihundert Jahren sind unechte gewesen, Lügner, Erzschelme und Betrüger! Also, ihr Rüpel, was gebt ihr mir zu essen und zu trinken? Antwortet!

Stotternd und zitternd ergriff endlich der Oberpriester das Wort und sagte: Als Getränk dient unserm Dalai-Lama nur der Thau, der allmorgentlich von gewissen Gebirgskräutern eingesammelt wird, übrigens sehr gewürzig, gesund und erfrischend ist; als Nahrung nur Reiskuchen und Früchte, diese jedoch von feinster Qualität.

Ein etwas einfacher Küchenzettel! bemerkte ich hierauf, eine halbe Hungerkur! Indeß habe ich mir in der letzten Zeit leider den Magen verdorben und leide an Kolik und Indigestionen. Diese Diät wird mir gut thun, und ich erkläre mich bereit, auf diese Vorschriften einzugehen.

Wir kamen über diesen Punkt, wie über die Bedingungen in Betreff des Gehalts und unserer sonstigen gegenseitigen Pflichten und Rechte überein, wobei die Abgesandten erklärten, daß sie in meine hohen Honorarforderungen nur willigten, um doch endlich wieder einmal einen incarnirten Buddha zum Dalai-Lama zu haben, und wir setzten darüber einen Contract auf. Nur der einen Bedingung, daß ich mich niemals einer Lüge schuldig machen dürfe, ließ ich die Klausel hinzufügen: außer in den Fällen, wenn ich Jemanden fände, der meinen Lügen auch Glauben beimesse. Nachdem dies geschehen, nahmen sie sofort einen etwas weniger demüthigen Ton gegen mich an, theils weil sie nun meiner sicher zu sein glaubten, theils weil sie dafür hielten, daß sie selbst mit einem Buddha, der sich so gut bezahlen ließe, nicht allzu respectvoll verfahren dürften.

Der Zug ging nun nach Tibet zurück, mitten durch Indien hindurch, über einen Paß des Himalaya hinweg. Ich ritt auf dem Reichselephanten, auf dem auch in langer Reihe meine zwölf Bayaderen Platz nahmen, gleich hinter mir die jüngste und schönste, die auch am Besten geeignet war, mir auf der weiten Reise die Langeweile zu vertreiben durch ihr süßes Geplauder und ihr pikantes Geklatsch über die Familiengeheimnisse und Liebesabenteuer dieses oder jenes indischen Nabob oder englischen Land- oder See-Offiziers. Denn auf dem Felde war sie zu Hause, weshalb ich ihr auch rieth, ihre jungen Erinnerungen und Erfahrungen unter dem Titel »Memoiren einer Bayadere« herauszugeben, welche unfehlbar großes Aufsehen erregen würden.

In meiner geistlichen Residenz in Tibet angekommen, sah ich mich aufs allerfestlichste empfangen. Die ganze Stadt strahlte von bengalischem Feuerwerk und dem bunten Licht chinesischer Lampen; gluthäugige und schlankgliedrige Weiber führten vor mir die verführerischsten Tänze auf, denn sie meinten wahrscheinlich, daß an einem eingefleischten Gott nichts mehr zu verführen sei, und unzählige Instrumente, Doppelpauken, Tschongs (Seemuscheln), Gongs (Flöten aus Menschenschenkeln), Trompeten, Cymbeln und Hoboen machten einen wahrhaften Höllenlärm. Wie glücklich würde sich Giacomo Meyerino Beerini schätzen, wenn er jemals über ein solches infernalisches Orchester verfügen könnte!

Im Ganzen hatte ich als Dalai-Lama ein sehr bequemes Leben. Zwar die Küche war einfach und ich hielt mein in dieser Hinsicht gegebenes Versprechen. Es wurden mir nur Reiskuchen und Früchte auf die Tafel gebracht. Doch war es mir sehr bald gelungen, den Küchenmeister in mein Vertrauen zu ziehen, und wenn ich die oft sehr kolossalen Früchte zerlegte, so fand ich darin bald ein gebratenes Täubchen, oder ein gebratenes Repphühnchen, oder eine köstliche Fisch- oder Fleischpastete und dergleichen mehr. Da ich der Vorschrift gemäß allein speiste, so sah dies Niemand. Dagegen genoß ich, so lange ich Dalai-Lama war, als Getränk in der That nichts als den von aromatischen Gebirgskräutern in Krystallflaschen eingesammelten Morgenthau, der durch Eis frisch und kühl gehalten wurde. Er übertraf jedes andere in Tibet bereitete Getränk an Wohlgeschmack und bekam mir sehr gut, so daß ich von Tag zu Tag mich mehr verjüngte. Mein Teint wurde wieder jugendfrisch, meine Runzeln und Falten glätteten sich und meine Bayaderen gestanden, daß sie noch nie einen schöneren Mann gesehen hätten. Was aber meine Bayaderen sagten, darauf konnte ich mich verlassen als sagte ich es selbst.

Meine Functionen waren sehr einfacher Art. Sie bestanden darin, daß ich alle Vierteljahre auf dem Rücken der großen Reichsschildkröte nach der allgemeinen Landespagode reiten mußte, um hier gewisse Ceremonien zu vollziehen. Da diese Pagode jedoch von meiner Residenz ziemlich entfernt lag, der Gang einer Schildkröte bekanntlich aber etwas langsam ist, so war ich genöthigt, meinen Ritt schon vier Wochen vor jedem Vierteljahresschluß anzutreten. Außerdem war es mein Amtsgeschäft, alle Feiertage, deren es in Tibet eine sehr große Zahl gibt, auf einem hierzu abgerichteten und für gewöhnlich in einem goldenen Käfig gehaltenen Himalaya-Adler über der Residenzstadt bis zu einer gewissen Höhe emporzusteigen, die heiligen Reliquien, welche ich in einem elfenbeinernen Kästchen auf meinem Schooße vor mir hatte, hervorzulangen und der andächtigen Volksmenge zu zeigen und zum Schlusse der feierlichen Handlung unter dem betäubenden Schalle von Pauken, Drommeten und Flöten die Hände segnend über die Stadt zu breiten. Ich vollzog alles dies mit einer Würde und Grazie, daß namentlich die Frauen ganz entzückt von mir waren und einmal über das anderemal ausriefen: Nein, so ein schöner Dalai-Lama muß auf der Welt nicht mehr gefunden werden!

Es that mir leid um die Weiber; denn nachdem ich ein Jahr lang Dalai-Lama gewesen war, fing mir dieses Leben mit seinem ermüdenden Einerlei an langweilig zu werden und ich beschloß, mich davon zu machen.

An einem Feiertage – ich hatte gerade Tags vorher meinen Gehalt für ein ganzes Jahr, dem Contract gemäß, pränumerando erhalten und das Reliquienkästchen statt der Reliquien damit gefüllt – stieg ich wieder mit meinem Adler in die Luft empor. Auf einer gewissen Höhe angekommen, hielt ich, wie immer, meinen Adler an, erhob meine mächtige Stimme und rief auf die nicht wenig überraschte Volksmenge herab:

Höchst einfältiges Volk von Tibet! Meinem Contracte gemäß durfte ich als Dalai-Lama nur in solchen Fällen lügen, wo ich Jemand fände, der meinen Lügen auch Glauben beimaß. Ich habe diesen Punkt des Contracts getreulich gehalten. Ich fand ein ganzes Volk, welches meinen Lügen glaubte, und darum habe ich gelogen. Ich bin nicht der eingefleischte Gott Buddha; ich bin Fritz Beutel aus Schnipphausen. Es war übrigens für euch eine große Ehre, daß ich mich dazu hergegeben habe, euer Dalai-Lama zu sein. Ich habe es jedoch satt, mich ferner unter euch zu langweilen. Verharrt in eurer Dummheit, denn wenn ihr nicht dumm wäret, so würde es unter euch vor langer Weile gar nicht auszuhalten sein. So aber ist eure Dummheit für einen gebildeten Mann ein immerhin interessantes Schauspiel, wie dasjenige euch sein wird, welches ich so eben zum Besten geben werde.

Damit gab ich meinem Adler einen Schenkeldruck in die Flanken und die Richtung nach Osten, und das edle Thier, zum Gefühl der Freiheit plötzlich wieder erwachend, durchschnitt mit mir die Luft schnell wie ein befiederter Pfeil.

Bald erblickte ich China unter meinen Füßen. Dieses ebene Land kam mir aus dieser wahrhaften Vogelperspective vor wie ein Nipptisch mit allerlei zierlich gearbeiteten Putz- und Spielsachen. Hier ein geradliniges Kanälchen, darüber ein zierliches Brückchen, dort ein Gärtchen, mit verstutzten Zwergbäumchen, hier ein Pagödchen, wie aus Pappe geschnitzt, dort ein Häuschen, mit kleinen Glöckchen daran, hier ein Haufen Chinesen, die wie gypserne Püppchen aussahen und einander mit ihren kahlen bezopften Köpfen zunickten, dort ein Mandarinchen, der einem Verbrecherchen einige Hiebe mit dem Bambusröhrchen verabreichte und dazwischen ganz gemüthlich ein Schälchen Thee schlürfte. Die in regelmäßige Quadrate getheilten Städte erschienen mir wie Schachbrette und die Menschen darin wie elfenbeinerne Schachfiguren, und ich erwartete immer, daß sich zwei Riesen, der eine an dieses, der andere an jenes Ende der Stadt setzen und das Spiel mit den Figürchen beginnen würden.

Mein Adler ließ sich endlich vor einem großen Garten nieder, der auf einer Anhöhe lag, von welcher sich mir die Aussicht auf eine unermeßliche Stadt eröffnete. Diese Stadt war keine andere als Peking, und der Garten kein anderer als des Kaisers Garten. Nachdem ich von des Adlers Rücken gestiegen, schwang er sich in die Lüfte empor und entschwand meinen Blicken. Was konnte er auch Besseres thun?

Ich trat durch den Thorweg in den Garten, ohne in diesem Augenblick zu wissen, wem der Garten gehöre. Kaum befand ich mich darin, als zwei Mandarine, der eine ein Mandarin mit dem Rubinknopf, der andere ein Mandarin mit der Pfauenfeder, auf mich zutraten, mich am Aermel faßten, und von denen der mit dem Rubinknopf zu mir sagte: Quang-Yanga, Quang-Yanga! (Fremdling, Fremdling!) dieser Eintritt in den Garten ist auch der Austritt aus deinem Leben! und der andere mit der Pfauenfeder: Quang-Yanga, Quang-Yanga! an welcher Ecke dieses Gartens willst du begraben sein? Damit schwangen sie ihre Bambusstöcke gegen mich, die mir jetzt gar nicht so zierlich vorkamen als sie mir aus der Vogelperspective erschienen waren.

Gemach, gemach! antwortete ich in chinesischer Sprache, die ich in Tibet erlernt hatte, davon wird sich ja wohl noch später sprechen lassen. Und ich warf Beiden einen Blick zu, daß sie ihre Bambusstöcke fallen ließen und dabei mehrere Goldorangen abschlugen, was sie noch bestürzter machte; denn sie sahen für diese unverzeihliche Ungeschicklichkeit selbst einer kleinen Bastonnade entgegen.

Wer ist der Herr dieses Gartens? fragte ich.

Die Sonne der Vernunft! der Mittelpunkt im Reiche der Blume der Mitte! der Sohn des Himmels! das Sein des Werdens in seiner höchsten Potenz – unser Herr der Kaiser! antwortete der Mandarin mit dem Rubinknopf.

Vertrocknest du nicht, wie eine Prise Schnupftabak, wenn sie der Sonne zu lange ausgesetzt wird? fragte der Mandarin mit der Pfauenfeder.

Nein, rief ich entschlossen, führt mich zu eurem Herrn, oder das Donnerwetter – – –

Bei diesen Worten zuckten die Mandarinen vor Schreck zusammen, als wären sie vom Blitz getroffen; sie besprachen sich heimlich und eröffneten mir dann, daß sie mich zu der »Sonne der Vernunft« führen wollten, nur müsse ich mir die Augen verbinden lassen.

Ich verstand sofort, was sie beabsichtigten; sie wollten mir die Augen verbinden, weil sie meinen Blick nicht ertragen konnten, und beabsichtigten ohne Zweifel, mir unterwegs mit ihren Bambusstöcken den Rest zu geben. Ich sagte Quod non! worauf der Mandarin mit dem Rubinknopf ausrief: Sie kennen meinen Namen? Ja, das ist etwas Anderes! Allerdings heiße ich Quod-Non-Quod, und der Mandarin mit der Pfauenfeder bemerkte: Und ich heiße Non-Quod-Non; denn wir sind Vettern.

Wir kamen hierauf überein, daß ich zwar rückwärts, aber mit unverbundenen Augen in das Palais des Kaisers geführt würde, was denn auch geschah.

Im Bereich des kaiserlichen Palais angekommen, mußte ich ziemlich lange warten, bis die beiden Mandarine wieder zurückkehrten und mir die Nachricht brachten: der Kaiser geruhe mich sprechen zu wollen, er sei so eben im Opium-Collegium und es werde ihm lieb sein, wenn ich daran Theil nehmen wolle. Nur stelle er mir die Bedingung: entweder rauche ich ihn nieder, dann solle ich sein Schwiegersohn und der Gemahl seiner fünfzigältesten Tochter werden (denn der Kaiser hatte von seinen unzähligen Gemahlinnen bereits 250 Töchter), oder er rauche mich nieder, und dann, so leid es ihm thue, müsse ich einen Kopf kürzer gemacht werden, nur um einen, da ich ja leider nicht mehr als einen besitze.

Obschon ich noch niemals Opium geraucht hatte, nahm ich diese Bedingungen doch an und setzte dadurch meine Freunde, die Mandarine, in nicht geringe Verwunderung.

Na, sagte Quod-Non-Quod, da werden Sie etwas zu thun bekommen; unser Kaiser ist ein Hauptraucher; und Non-Quod-Non sagte: Ich rauche auch wohl mal gern ein Pfeifchen, aber ins Opium-Collegium bringt mich Keiner. Einmal war ich drin, aber ich wurde gehörig ausgelacht, weil ich alles durch einander schwatzte, dem Kaiser drohte, ihm für seine vielen Dummheiten die Bastonnade geben zu lassen, mich zuletzt selbst für eine Pfeife ansah und die Opiumkörner statt in die Pfeife gleich in meinen Mund stopfte; denn ich hielt diesen für den Pfeifenkopf und meinen Leib für das Pfeifenrohr. Andern Tages glaubte ich, eine Bastonnade sei mir sicher; aber mein Herr, der Kaiser, war sehr gnädig, und gestand mir, daß er Zeit seines Lebens nicht so viel gelacht habe als gestern. Im Uebrigen dauern Sie mich, denn unmöglich werden Sie mit diesem ausgelernten Raucher Stich zu halten im Stande sein. Es ist doch sonderbar: jetzt gehen wir noch so gemüthlich zusammen hier durchs Portal, und morgen soll Ihr Kopf darauf an einer Stange ausgestellt sein. Denn so wird's kommen, und anders nicht.

Nun wir wollen es abwarten, sagte ich. Um den Kopf nicht zu verlieren, muß man ihn eben nicht verlieren; und ich verliere den Kopf niemals.

Unter diesem Geplauder waren wir beim Opium-Collegium angekommen und ich wurde hineingeführt. Es war ein längliches sehr räucheriges Gemach, an dessen Wänden hölzerne Bänke hinliefen, auf welchen der Kaiser (dieser der Thüre gegenüber) und seine Generäle, Minister und Kammerherren saßen, opiumrauchend und sämmtlich wie tactmäßig mit den Köpfen nickend. Der Kaiser, der ein langes, über und über mit Drachenköpfen gesticktes, gelbseidenes Gewand trug und glücklicherweise schon ein wenig von Opium beduselt zu sein schien, redete mich an:

Fremdling, bittest du nicht um die Gnade, daß ich dir einen Fußtritt versetze?

Nein, himmlische Majestät, das werde ich niemals thun, antwortete ich stolz, indem ich mein Kästchen mit meinem Baarvorrath auf der Bank rechts niedersetzte.

Du gefällst mir, Fremdling! Bei Opiumrauchern liebe ich diesen Freimuth; denn wir sind hier ganz entre nous. Du kennst die Bedingungen, die ich dir stellen ließ? fragte er weiter.

Ich kenne sie, und acceptire sie, antwortete ich.

Nun so setze dich hier an meine Seite und zeige was du vermagst!

Es wurde mir nun eine Pfeife gebracht; und ich rauchte wie ein Alter, indem ich wie die Uebrigen immerwährend mit dem Kopfe nickte. Gesprochen wurde sehr wenig, aber desto mehr geraucht, Pfeife auf Pfeife. Ich hielt wacker aus und blies dem Kaiser möglichst den Dampf ins Gesicht, um ihn noch mehr zu betäuben. Es war schon spät in der Nacht und bereits lag mehr als ein Opiumraucher auf der Bank und schlief oder sprach verwirrtes Zeug, was nicht von dieser Welt war. Zuletzt blieben der Kaiser und ich allein auf dem Platze.

Fremdling, du bist ein ganz famoser Kerl, sagte endlich der Kaiser zu mir, indem er mich auf die Schulter klopfte. Welcher Nation gehörst du an?

Der Schnipphausen'schen, antwortete ich kurz, immer mit dem Kopfe nickend.

Allen Respect vor der schnipphausenschen Nation! sagte der Kaiser. Mir wird bereits, ich weiß nicht wie. Ich glaube ich fliege – ich bin ein Paradiesvogel. Damit stand er auf, breitete die Arme aus und versuchte zu fliegen, fiel aber platt hin und lag am Boden. Ich richtete ihn wieder auf und nun glaubte er eine Bachstelze zu sein und hüpfte immer mit beiden Beinen zugleich, bis er wieder zu Boden stürzte. Abermals von mir aufgerichtet, bildete er sich ein, ein Frosch zu sein, indem er wie ein Frosch hin und her hüpfte und dabei quakte. Dann meinte er wieder ein Pfau zu sein, spreizte und brüstete sich, reckte und drehte Hals und Kopf so weit es ging in die Höhe und suchte mit seinem seidenen Gewande hinten ein Pfauenrad zu schlagen. Hierauf war er wieder ein Fisch, legte sich platt auf den Bauch, machte die Bewegungen eines Schwimmenden und schnappte mit dem Munde wie ein Karpfen, was sehr possierlich anzusehen war. Endlich sagte der Kaiser stammelnd: Ich glaube, die Sonne der Vernunft fängt an sich zu verdunkeln, und der Mond der Unvernunft in seinem ersten Viertel beginnt zu leuchten. Es ist Zeit zu Bette zu gehen! Jemand hat mir meine Beine gestohlen, setzt ihm nach, dem Diebe! Jemand hat meinen Kopf in die Tasche gesteckt – alle Taschen in China sollen durchsucht werden! Es ist keine Ehrlichkeit mehr in der Welt; Glauben und Treue sind an den Schandpfahl genagelt, und Ungerechtigkeit, Untreue, Bestechlichkeit und Verrath sind die Herren der Welt und gehen in purpurnen Gewändern. Das Raubthier zerreißt das Thier aus Hunger, nur der Mensch den Menschen aus bloßer Lust! Gold, Blut und Liebesdurst verwirrt die Sinne Aller! Es wachsen mehr Sünder in der Welt, als Bambusröhre, sie zu züchtigen. Wären die Gotteshäuser so voll als die Zuchthäuser, dann wäre es eine Lust, Geistlicher zu sein, und wäre die ganze Welt ein Opium-Collegium oder ein Harem, und gäbe es keine Diplomaten und orientalische Fragen, so wäre es das beste Geschäft Kaiser zu sein. Wer mir sagt, daß ich Kaiser von China sei, beleidigt mich; ich bin nichts als ein liberaler deutscher Nachtwächter! Und damit fing er an zu tuten und sich selbst in den Schlaf zu tuten, bis ich den transcendental philosophirenden Kaiser auf den Arm nahm und ihn wie ein Kind auf die Bank legte, wo er einschlief und nicht wenig schnarchte.

Aber auch bei mir fing die »Sonne der Vernunft« an sich zu verdunkeln. Ich bildete mir ein, sämmtliche schlechten Gedichte sammt allen schlechten Recensionen über sie, die seit Guttenberg gedruckt worden sind, verfaßt zu haben, und ich gab mir dafür eine kräftige Ohrfeige auf die linke Backe. Ich glaubte nun, daß mir der Kaiser den Schlag versetzt habe, und ich applicirte ihm dafür einen Backenstreich, daß er im Schlafe laut aufschrie und rief: Süßes Mädchen! wenn du mir die Backen streichelst, so streichele sie wenigstens mit deinen eigenen Sammethändchen und nicht mit einer Bürste!

Ich taumelte nun in den Garten hinaus, um die frische Nachtluft einzuathmen. Aber die Hecken und Zwergbäume, die in den chinesischen Gärten bekanntlich zu allerlei Thiergestalten zugestutzt sind, machten mir die fürchterlichsten Grimassen und die Drachenhäupter an den Dächern der Gartenhäuser sperrten ihre Mäuler gegen mich auf und streckten mir ihre Zungen entgegen und ich that gegen sie dasselbe, weil ich mir plötzlich selbst einbildete, ein Drache zu sein. Indeß kam ich allmälig im Hauche der kühlen Nachtluft zur Besinnung, und als die Morgenröthe heraufzudämmern begann, fühlte ich mich vollkommen vernünftig und nüchtern.

Als ich in die Opiumhöhle zurückkehrte, fand ich den Sohn des Himmels, den Kaiser China's, eben im Erwachen, gähnend, sich schüttelnd und streckend und mich mit gläsernen Augen anstierend. Ich ergriff alsbald meine Pfeife, schüttete mir Opiumkörner darauf, setzte sie in Brand und sagte:

Nun, Majestätchen! wie ist's? Noch ein Morgenpfeifchen?

Oh, stöhnte Se. Majestät, mir ist sehr übel zu Muthe. Lege die Pfeife bei Seite, unbegreiflicher Fremdling! Schon der bloße Anblick erregt in mir Gefühle als müßt' ich mich um meinen eigenen Zopf drehen!

Daß ich es kurz mache: Ich erhielt die Hand der Prinzessin Sitsch-Li-Fi, worin ich jedoch nur willigte, nachdem man die mir gestellte Bedingung, mir mein üppiges Kopfhaar abschneiden und mir nur einen Zopf stehen zu lassen, zurückgenommen hatte. Dafür wurde mir an meinem Rockkragen ein aufrechtstehender Zopf angenäht, der hoch und stattlich über meinen Kopf hinausragte.

Meine junge Gattin gefiel mir übrigens im Ganzen wie im Einzelnen gar nicht übel, zumal Sitsch-Li-Fi wegen ihrer kleinen Füße immer zu Hause bleiben mußte und ich dadurch dem Leiden aller europäischen Ehemänner entging, die Frau bei ihren Ausgängen immer am Arme haben zu müssen. In den Gemächern unserer Wohnung bediente sich Sitsch-Li-Fi einer Art Rollstuhl, auf dem sie mir von Zimmer zu Zimmer nachzurutschen pflegte, wenn sie das Bedürfniß fühlte, mir die Backen zu streicheln oder einen Kuß zu geben.

Zugleich wurde ich zum Minister der ästhetischen Angelegenheiten ernannt, denn diese befanden sich in einem Zustande großer Verwahrlosung und bedurften einer gründlichen Reorganisation. Es war seit langen Jahren kein großer Dichter aufgetreten, während doch in unserm gesegneten Deutschland mit jedem neuen Frühjahr neue unsterbliche Dichter zu Hunderten aus den Druckereien hervorkriechen wie Maikäfer aus ihren Erdlöchern nach einem warmen Frühlingsregen. In welchem Sinne ich meine Aufgabe erfaßte, davon wird folgendes Preisausschreiben den besten Beweis geben.

»Seit einer Reihe von Jahren ist in China ein empfindlicher Mangel an großen Tragödien und Epopöen bemerkbar gewesen. Der Grund davon liegt offenbar im Stoffmangel. Alle klassischen Tragödien haben es mit großen Verbrechen, mit erschütternden Criminalfällen, mit Blut, Mord und Raub zu thun. Nun gibt es zwar Verbrecher genug in China, so viele, daß ihnen der doch sonst so üppig wachsende Bambus nicht vollkommen gewachsen ist. Aber es fehlt an wahrhaft poetischen Verbrechern, und darum haben wir auch keine wahrhaft großen Dichter; denn beide gehen mit einander Hand in Hand, sind Nachbarsleute und Spießgesellen. Die Phantasie der Dichter ist gewissermaßen ein Ackerfeld, welches mit Blut gedüngt werden muß. Das Ministerium der ästhetischen Angelegenheiten sieht sich daher veranlaßt, Preise und Accessite auf solche großartige oder pikante complicirte Verbrechen auszuschreiben, welche dazu angethan sind, sowohl den Geschmack an ordinären Verbrechen, wie sie in China leider an der Tagesordnung sind, nach und nach zu beseitigen, als auch unsern producirenden Talente fruchtbare und für poetische Behandlung besonders gut geeignete Stoffe zu liefern.«

An diese allgemeine Einleitung schlossen sich die nähern Bedingungen und Bestimmungen.

Den Erfolg meines Preisausschreibens konnte ich leider nicht abwarten, da ein Zwischenfall eintrat, welcher mich von der Stätte meiner Wirksamkeit entfernte, die ohne Zweifel für die chinesische Poesie die allerersprießlichste zu werden versprach.

Unter allen Klassen in Peking stieg nämlich die Gährung darüber, daß ich mir das Haupthaar nicht scheeren und mir keinen Zopf wachsen lassen wollte; denn der Zopf ist das unerläßliche Requisit jedes Chinesen und das Symbol alles Chinesenthums. Wo ich mich auch sehen ließ, rief man: Nieder mit dem rothstruppigen Barbaren, der uns Alle rothstruppig machen will! Der Thron meines Schwiegervaters war ernstlich gefährdet; kein Wunder, wenn er in seiner Weise Schritte that, um mein Haupthaar auf dem Altare des Vaterlandes und des chinesischen Zopfthums niederzulegen.

Eines Abends erschienen bei mir die früher genannten Mandarine Quod-Non-Quod und Non-Quod-Non in Begleitung mehrerer anderer Mandarine, sämmtlich bewaffnet, und erklärten mir, daß sie von meinem Schwiegervater den Auftrag erhalten hätten, mich zu scheeren, worauf ich bemerkte, man verstünde in China sehr gut zu scheeren, und mich ferner bereit erklärte, mich scheeren zu lassen so viel man wolle; es schiene mir aber, als ob ein Pfeifchen Opium vor der Operation gar nicht von Uebel sei. Dies schien nun den Herren auch, und wir setzten uns und rauchten ein Pfeifchen nach dem andern. Als ich den Herren, von denen ich bereits wußte, daß sie nicht viel vertragen könnten, zu ihrem Zopfe noch einen gehörigen Zopf angehängt und sie in einen Zustand versetzt hatte, der zu meinem Zwecke nichts weiter zu wünschen übrig ließ, schlüpfte ich zum Fenster hinaus, drückte mich durch die kaiserlichen Gärten, eilte zum Fluß und bestieg hier meine Privat-Dschonke, mit der ich den Fluß hinabruderte bis zu dessen Mündung.

Am Ufer des chinesischen Meeres angekommen, war ich nicht wenig überrascht, als ich meine Tochter Guitarria Cichoria Cigarretta auf ihrem fliegenden Fische erblickte und von ihr aufgefordert wurde, hinter ihr aufzusitzen, denn der Fisch, wie sie weiter bemerkte, sei stark und breitrückig genug, um uns Beide zu tragen. Cigarrettchen! rief ich, welch ein Engel bist du, und wie glücklich machst du deinen Vater durch deine zarte Aufmerksamkeit!

Nur keine deutsche Sentimentalität! sagte sie etwas ungestüm. Aufgestiegen! ich bringe dich nach Melbourne! China, das wußte ich, war für einen Mann von deiner Genialität nicht das geeignete Land; du gehörst nicht in das Land des Zopfes und der Verkrüppelung. In den Minendistricten Australiens ist ein flottes, geniales Leben; da sind Urzustände und da findest du, was die Hauptsache ist, Gold in Hülle und Fülle.

Ich schwang mich also auf den fliegenden Fisch, den sie mit außerordentlicher Geschicklichkeit leitete, und so gelangten wir über diesen Theil des Oceans nach Australien, an dessen Küste sie mich aussetzte.

Lebe wohl! sagte sie. Du wirst noch eine große Rolle spielen und wenn du mich brauchst, werde ich da sein! Mit diesen Worten verschwand sie mit ihrem fliegenden Fische meinen Blicken und ich hatte das Nachsehen. Es ist merkwürdig, wie kurz angebunden dieses wunderbare Wesen war.

Kaum ans Land gestiegen, begab ich mich auch sofort in die Goldregion, und soweit ich Kenner bin, glaube ich, daß das australische Gold echt ist. Dafür stehen mag ich freilich nicht in einer Zeit, wo so viel Schwindel getrieben wird und es so viele Spaßvögel gibt.

Ich hatte enormes Glück; ich steckte förmlich im Golde bis über die Ohren; eine ganze Goldmauer hatte sich um mich gebildet. Dieses Glück zog mir Neider und Verfolger zu und eines Morgens sogar einen Angriff auf mich; aber ich wehrte die Angreifenden glücklich ab, indem ich ihnen Goldstücke von hundert Pfund Schwere und mehr an den Kopf warf, so daß sie sich mit blutenden Köpfen schließlich zurückzogen, leider freilich auch die Goldstücke mitzunehmen unverschämt genug waren.

Während ich so in der besten Arbeit war, erhielt ich einen Brief von einer höchsten Person in Paris, worin mir dieselbe schrieb: »Verehrter College! Vergessen Sie das Unrecht, was ohne Frankreichs Wissen und Mitwirkung ein früherer Gouverneur von Algerien an Ihnen begangen hat. Lassen Sie alles Gold, was Sie erworben haben, stehen und liegen, oder wenn es Ihnen möglich ist, so bringen Sie es mit, denn wir können es brauchen. Die westliche Civilisation appellirt an Sie: es gilt einen Kampf dieser Civilisation gegen die östliche Barbarei. Sie werden gegen diese Appellation an Ihre Sympathie für die westliche Civilisation nicht taub sein. Begeben Sie sich nach Konstantinopel, wo Sie den Ihnen schändlicher Weise unterschlagenen und aus dem Festungsgraben von Constantine geretteten Marschallsstab auf der französischen Gesandtschaft abholen können. Wir rechnen auf Sie! Rechnen Sie auch auf uns!

Napoleon

Ich hatte hierauf nichts weiter zu thun, als das nächste nach dem arabischen Meere abgehende Schiff zu besteigen, mein Gold darauf zu packen und mich über Suez nach Konstantinopel zu begeben.


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