Hermann Marggraff
Fritz Beutel
Hermann Marggraff

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Erstes Kapitel.

Geweiht ist die Stätte, wo ein großer Mann geboren wurde. Jedes Sandkorn schimmert im Abglanz seiner Größe wie ein Krystallberg; jedes Gänseblümchen entfaltet sich im Nachschimmer seiner Tugend zur Pracht einer Tulpe; jeder Stachelbeerstrauch rauscht im Hauche seines Geistes feierlich wie eine Ceder des Libanon; jede Schüssel mit Kartoffeln dampft seinem Andenken Mittags und Abends Wolken von Weihrauch.

Jean Paul.

Große Männer waren zu jeder Zeit selten, nie aber seltener als in der unsrigen. Den einzigen großen Mann, den sie hervorbrachte, hat sie zu ihrem eigenen Schaden verkannt und unbeachtet gelassen. Ich will diesen großen Mann, aus vielleicht tadelnswerther Bescheidenheit, nicht nennen. Es ist auch nicht nöthig, daß ich ihn nenne, denn Jeder, der dies Buch liest, wird ihn zu nennen wissen und an ihm ein Beispiel haben, dessen Befolgung ihn in Stand setzen wird, sich ebenfalls zu einem großen Manne auszubilden. Der Hauptzweck meines Buches ist, die Befähigung hierzu allgemein zu machen und zu »popularisiren«.

Der Ort, der mir seinen Weltruf und dem ich meine Entstehung verdanke, heißt Schnipphausen und liegt in einer Gegend der Mittelmark, welche sich durch noch etwas mehr Sand, durch die vielen Bauern, welche auf die Spatzen schießen, durch die vielen Spatzen, welche den Bauern in die Schoten fallen und durch diese vielen Schoten selbst vor andern mittelmärkischen Gegenden auszeichnet. Das Korn wächst dort so dünn, wie die Haare auf dem Scheitel eines Kahlköpfigen; man kann es daher auch nicht mähen, sondern muß die Halme einzeln aus dem Boden rupfen. Die Kartoffel gedeiht und trägt wie überall ihre Knollen nach unten und ihr Kraut nach oben, weshalb ich nichts weiter von ihr zu melden habe. Bei den Bewohnern dieser Gegenden ist das Verhältniß ein umgekehrtes; sie tragen, so zu sagen, das Kraut nach unten und ihre Knollen, die Köpfe, die allerdings knollenartig genug aussehen, nach oben; sie sind gewissermaßen umgekehrte Knollengewächse. Unter den Quadrupeden werden die Feldmäuse und Maulwürfe am häufigsten angetroffen, und sie sind auch als die eigentlichen Wühler der Gegend am meisten gefürchtet. Die zahlreichen Frösche gehören zur Secte der Quäker und sollen in gerader Linie von den Fröschen des Aristophanes abstammen, wie mir einmal ein solcher alter Quäker und bemooster Bursche mit nicht geringem Stolze in seiner Sprache erzählt hat. Die Bewohner dieses gesegneten Landstriches sind nicht sehr geneigt zu schwärmen, sie überlassen dies den Mücken, die ebenfalls sehr zahlreich und trotz ihrer Anlage zur Schwärmerei ziemlich boshafter Natur sind.

Das Gut gehörte damals dem Herrn von, zu und auf Schnipphausen, der sich auch Baron nannte und in einem Schlosse wohnte, welches in Schnipphausen nicht Seinesgleichen hatte. Trotz seiner Einfachheit war es in einem sehr zusammengesetzten Styl erbaut, und die Archäologen der Umgegend stritten über die Frage, ob die vorwaltenden Motive daran ägyptische, assyrische, römische oder maurische seien. Der rechte Flügel war so im Zopfstyl gehalten, daß er förmlich gedreht und geflochten aussah, während das Mittelgebäude in auffallender Weise einer Perücke glich. Im Grundriß schien mir das Schloß stets mehr Risse als Grund zu haben. Die daran stoßenden Pferdeställe trugen den reinsten modernen Charakter, auf seine einfachsten Elemente zurückgeführt. Hinter dem Schlosse befand sich eine Art Park und in dessen Mitte eine Gruppe aus Gyps, Adam und Eva darstellend, und zwar, was traurig zu sagen ist, völlig unbekleidet; denn das einzige Bekleidungsstück, das historische Feigenblatt, war vor Alter verwittert und abgefallen. Adam legte seinen rechten Arm um die Hüfte seiner Ehehälfte und Eva ihren linken Arm auf die rechte Schulter ihres Mannes; leider aber fehlten Adam's rechter und der Eva linker Arm; man erblickte von beiden nur noch die Stümpfe. Auch war die Gruppe so mit Moos überzogen, daß sie aus der Ferne völlig einem alten mit Moos bewachsenen Baumstamme glich. Ein Büschel Moos, welches von Adam's Nase herabhing, hat mir immer besondern Spaß gemacht. Ich fühlte stets ein Gelüst, Adam daran zu zupfen, aber ein gewisser biblischer Respect und eine mir angeborne Pietät vor großen Männern hielt mich davon zurück.

An der Mittagsseite des Schlosses befand sich ein langes Spalier mit Weinreben, aus denen unser Gutsherr zum Beweise, daß in der Welt nichts unmöglich sei, jährlich so und so viel Quart Wein kelterte. Ein wegen seiner vielen Schnurren bei unserm Herrn gern gesehener Weinhändler, der einmal bei ihm zu Mittag speiste und mit einer Flasche dieses Schnipphausener Cabinetsweins bewirthet wurde, goß, als er davon genippt hatte, mit den Worten »Essig erster Qualität!« den Wein zum Salat, was den Gutsherrn so verdroß, daß er ihn nie wieder zur Tafel zog. Schlimmer ging es einem benachbarten Gutsbesitzer, der wirklich eine ganze Flasche hinunter zwang und davon auf eine Zeit contract wurde. Ueber die Heilungskosten wurde ein langjähriger Proceß geführt, den aber unser Herr verlor, nachdem eine aus Weinhändlern, Naturforschern, Aerzten und Chemikern zusammengesetzte Commission ihre Entscheidung dahin abgegeben hatte, der Schnipphausener Wein enthalte wirklich Bestandtheile, welche Jedermann, außer einen gebornen Schnipphausener, contract machen, d. h. zusammenziehen müßten. Der Herr von, zu und auf Schnipphausen hatte sich durch allmäligen Genuß an den Spalierwein gewöhnt, wie Mithridates aus Gift; ja alle Schnipphausener vertrugen ihn, weil sie durchaus verträglicher Natur sind.

Mein Vater war der Schullehrer des Dorfes, Valentin Andreas mit Vornamen; meine Mutter war eine geborene Ursula Quaak und Tochter des Dorfschmieds, der auch diese übrigens glückliche Ehe zusammengeschmiedet hatte. Es waren schon elf Kinder beiderlei Geschlechts vor mir da, und ich beschloß, das Dutzend vollzumachen. Ich ließ mich daher geboren werden und trat an einem schönen Frühlingsmorgen mit den Worten: Guten Morgen, liebe Eltern! guten Morgen, liebe Geschwister! an's Licht der Welt. Die Meinigen waren gar sehr überrascht von dieser Begrüßung, erwiederten sie jedoch auf's freundlichste und herzlichste.

Ich erinnere mich ganz deutlich, wie ich sogleich nach meiner Geburt die große Familienschüssel mit dem Mehlbrei ergriff, der für meine elf Geschwister zum Frühstück bestimmt war, die Schüssel an den Mund setzte und bis zur Nagelprobe ausschlürfte. Man kann sich vorstellen, wie meine elf Geschwister auf mich losfuhren, denn so lieb ich ihnen war, so war ihnen doch der Mehlbrei noch lieber. Ich aber ergriff mit der einen Hand die Schüssel als Schild, mit der andern den Löffel als Degen, stülpte auch noch den daneben stehenden Suppentopf als Helm auf den Kopf und setzte mich in Positur, indem ich zugleich eine Serviette wie einen Feldherrnmantel malerisch um meine Schultern schlug. Meine Geschwister ihrerseits nahmen nun auch ihre Löffel zur Hand, und so lieferte ich damals meine erste Schlacht. Hier parirte ich einen Hieb, dort theilte ich einen aus und bediente mich mitunter auch der Kriegslist, mit meinem Löffel in die Schüssel meines Vaters zu fahren und meinen Geschwistern den Mehlbrei in die Augen zu spritzen, so daß sie dieselben nicht aufthun konnten. Meine Eltern waren zwar über meinen gesegneten Appetit anfänglich nicht wenig erschrocken, brachen aber zuletzt in ein herzliches Gelächter aus, und mein Vater sagte in richtiger Vorahnung meiner Größe: Dieser Junge wird einst dem Namen Beutel Ehre machen!

Acht Tage nach meiner Geburt wurde ein großes Familienconcil gehalten, um über den Namen zu berathen, den ich in der Taufe erhalten sollte. Alle Muhmen und Vettern wurden hierzu versammelt. Christian, Christoph, Christlieb, Gottlob, Gottlieb, Gottfried, Traugott, Fürchtegott, Leberecht wurden genannt und ich sollte unter diesen Namen die Auswahl haben, da ich ein so gescheidter Junge war. Ich schüttelte jedoch zu allen diesen Namen mißbilligend den Kopf, besonders zu dem Namen Leberecht, gegen den, ich weiß nicht welches Gefühl, sich in mir sträubte. Endlich begann ich: Meine verehrten Eltern! liebwerthe Vettern und Muhmen! Eigentlich hieße ich lieber gar nicht. Da dies jedoch gegen alle christpolizeilichen Bestimmungen wäre und ich nicht gleich acht Tage nach meiner Geburt als Opponent gegen Staat, Kirche und gesellschaftliche Ordnung gelten möchte, so will ich mich fügen und mich auf einen Namen taufen lassen. Nun habe ich Sie, verehrtester Herr Vater, an den letzten Tagen oft aus einem Buche vorlesen hören, worin die heldenmüthigen Thaten des großen Fritz beschrieben waren. Die Thaten dieses seltenen Mannes, den ich mir früher oder später zum Muster zu nehmen erlauben werde, haben mich immer auf's Lebhafteste interessirt, und da ich etwas vom Blute des alten Fritz in mir fühle, will ich, daß man mich auf den Namen Fritz taufe. Dieser Name soll mir stets ein Sporn sein, mich des Mannes, der ihn trug, würdig zu zeigen.

Mein Vater drückte mir gerührt die Hand oder das Händchen und sagte: Ich sehe, du bist ein echtes Preußenkind, ein Patriot wie ich; dein Wille geschehe dir; du sollst Fritz heißen!

Es mag wohl nicht gerade häufig vorgekommen sein, daß sich ein Täufling seinen Namen selbst gewählt hat, vielleicht ist es, außer in meinem Falle, niemals sonst vorgekommen. Um so mehr verdiente dieser Fall aufgezeichnet und dem Gedächtniß der Mit- und Nachwelt überliefert zu werden.

Ich benahm mich während der Taufhandlung sehr anständig; ich raisonnirte nicht dagegen, wie meine Eltern befürchtet hatten; denn ich habe vor allen heiligen Handlungen stets allen Respect gehabt. Ich weinte nicht, ich lachte nicht, aber ich blickte dem Geistlichen mit einem Ausdruck in's Auge, daß derselbe nach Beendigung des Acts verwundert äußerte: Dieses Kind scheint mir schon jetzt auf der Höhe der theologischen Erkenntniß zu stehen; der künftige Consistorialrath blickt ihm aus den Augen. Einer meiner vielen Oheime, ein gedienter Unteroffizier, bemerkte dagegen: Herr Pastor! wenn Sie jemals den alten Marschall Vorwärts in der Nähe gesehen hätten, wie ich, so würden Sie gesagt haben, dem Jungen blickt der Feldmarschall aus den Augen! Diese Voraussagung erschien mir viel schmeichelhafter, und ich drückte meinem Oheim dankend die Hand dafür.

Zu dem Taufschmause hatte unser Gutsherr aus dem Schlosse einige Flaschen seines selbstgekelterten Weines, einige Pfunde selbstfabricirten Runkelrübenzuckers und ein Dutzend verschrumpfter selbstgezogener Pomeranzen heruntergeschickt, und es wurde hiervon ein köstliches Getränk bereitet, welches ich mir vorzüglich munden ließ. Wir befanden uns schließlich in sehr aufgeräumter Stimmung, und der Herr Pastor brachte unter andern das Gespräch auf das schöne Kunstwerk Adam und Eva im herrschaftlichen Park, indem er in sehr feiner Anspielung meine Eltern mit diesem ersten Menschenpaar verglich. Ich erlaubte mir hierbei die Bemerkung: Aber, Herr Pastor, was würde aus der Menschheit geworden sein, wenn Eva sich gegen Adam spröde gezeigt und dieser in Werther'scher Verzweiflung sich am nächsten Baum, z. B. dem Baume der Erkenntniß, aufgeknüpft hätte? – Ei, erwiederte der Herr Pastor, an diesen immer doch möglichen Fall habe ich wirklich noch niemals gedacht. Wie es scheint, würde dann allerdings die Menschheit schon mit Adam und Eva ausgestorben sein, und wir säßen hier nicht so fröhlich beisammen und tränken ehrlichen Schnipphausener. Ich will aber doch diese häkliche Frage bei der nächsten Pastoralconferenz zur Sprache bringen, vielleicht weiß einer meiner würdigen Amtsbrüder Auskunft, wie es Eva in diesem traurigen Falle hätte anfangen müssen, um das Menschengeschlecht fortzupflanzen. Meine Herren Amtsbrüder wissen Rath für Alles.

Schließlich wurde auf meine Gesundheit und mein Gedeihen angestoßen, worauf ich das Glas ergriff, der Runde nach anstieß und folgende Dankrede hielt: Hochwürdigster Herr Pastor! verehrte Pathen! geliebte Eltern und theure Geschwister! Meinen herzlichsten Dank für die mir bewiesene Aufmerksamkeit! Ich werde diesen Tag stets zu den schönsten meines Lebens rechnen und mich beeifern, der Erwartungen mich würdig zu zeigen, die man von mir hegt und hegen darf. Mein körperliches Volumen berechtigt zu solchen Erwartungen, denn bei meiner Geburt hatte ich bereits die Größe eines vierjährigen Kindes und in den vierzehn Tagen, die seitdem verflossen sind, habe ich die Größe eines fünfjährigen erreicht. Indeß sehe ich ein, daß dies so nicht fortgeht, und ich bin entschlossen, von nun an mich im Wachsen zu mäßigen, um mir nicht selbst über den Kopf zu wachsen. Was meine intellectuellen Fähigkeiten betrifft, so sage ich mit Stolz, daß sie mich berechtigen würden, schon jetzt die Universität zu beziehen; doch werde ich mich auch in dieser Hinsicht dem Schnipphausen'schen Normalmaß fügen, weil mir mein gesunder Verstand sagt, daß frühreife Früchte nicht sehr genießbar sind und bald abfallen. Wir sehen dies an den Pomeranzen, die uns unser gnädiger Herr zu schicken die Güte hatte. Die sogenannten Wunderkinder gleichen solchen künstlich gereiften verschrumpften Pomeranzen. Ich mag nicht zu ihnen gehören und werde also danach streben, mich nur allmälig zu entwickeln und auszubilden; ich hoffe zugleich, daß die Lehrmethode meines verehrten Herrn Vaters ganz geeignet sein wird, die Entwickelung meiner Fähigkeiten in den gebührenden Schranken zu halten. Auf die Wissenschaften werde ich mich nicht legen, um sie durch mein Gewicht nicht zu erdrücken und sie bei meinem ungestümen Charakter nicht in Gefahr zu bringen, so über- und durcheinander geworfen zu werden, daß Keiner die, welche er sucht, aus dem Haufen der Uebrigen herauszufinden im Stande sein würde. Meine Wissenschaft wird sein, ein solches Leben zu führen, welches Wissen schafft, und zwar ein Wissen, welches das Geschaffene weiß; meine Wissenschaft soll also gewissermaßen ein Schaffwissen sein. Jene mir so nöthigen Selbstbeschränkungszwecke glaube ich aber dadurch am besten zu erreichen, daß ich mich dem in Schnipphausen vorherrschenden materiellen Verdauungsproceß möglichst accommodire, über die hiesigen Zustände möglichst wenig reflectire und in den Schulstunden, Nachmittagspredigten (mit Ihrer Erlaubniß, Herr Pfarrer!) und auch sonst möglichst viel schlafe. Denn der Schlaf ist das Einzige, was man in Schnipphausen eben so gut wie anderwärts, ja in bester Qualität und aus erster Hand haben kann, und wenn der Schlaf nirgends sonst wo erfunden wäre, in Schnipphausen würde er erfunden worden sein. Was mich betrifft, so fällt mir das Einschlafen und Schlafen immer leichter als das Wachen und Erwachen, welches in Schnipphausen stets sein Unangenehmes hat und mit vielen Enttäuschungen verbunden ist. Im Schlafe hört das Denken auf und der Traum beginnt, jene Götterdämmerung des Daseins, jenes gespenstische Zerrbild des Denkens, das sich vollendet, ohne sich zu einem sich selbst als Object gegenüberstellenden subjectiven Denken anstrengen zu müssen. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen, aber ich verstehe mich selbst sehr wohl. Und nun lassen Sie uns schlafen gehen, verehrte Anwesende! denn der Schnipphausen'sche Rebensaft wirkt auf mich wie Mohnsaft. Sie, verehrte Anwesende! werden schlafen und nicht träumen; und ich werde träumen und gewissermaßen nicht schlafen; ich werde im Traume mehr denken, als Sie sich im Denken jemals geträumt haben. Gute Nacht für einen guten Tag!

Je länger ich sprach, desto länger wurden auch die Gesichter der Taufgäste, sie wurden zuletzt so lang, daß sie von der Diele bis zur Stubendecke reichten und sich recht eigentlich nach der Decke streckten. Sie hatten dabei ganz verzerrte unheimliche Züge, die Augen traten ihnen aus dem Kopfe und starrten mich gespensterhaft an, die Haare erhoben sich borstenähnlich auf ihren Scheiteln, ihre Ohren standen fußlang vom Kopfe ab, ihre Lippen verlängerten sich zu Tiegerrachen, Hundeschnauzen und Elephantenrüsseln und ihre Nasen wurden immer länger, immer spitziger, kamen mir näher und näher, stießen zuletzt von allen Seiten auf meine Brust und schienen sich in diese einbohren zu wollen. Dieser fürchterliche Moment trat jedoch erst ein, nachdem ich mein letztes Wort gesprochen hatte. Da faßte es mich wie ein Fieber und mir vergingen die Sinne.

Ich weiß nicht, ob sich dies Alles in Wirklichkeit so verhielt, oder ob es nur eine durch den Genuß des Schnipphausener Spalierweins hervorgebrachte Sinnentäuschung war. Ich weiß auch nicht, wie ich in mein Bett gekommen bin; ich weiß nur, daß ich am andern Morgen mit starkem Kopfweh und andern Symptomen schweren Uebelbefindens erwachte und sogleich begriff, in welchem Zustande ich mich befand.

Vater, rief ich sofort, einen Häring! ein Glas Absynth! ich habe den Katzenjammer! Instinctartig fand ich das richtige Wort für meinen Zustand, denn für diesen gibt es nur das eine Wort; im ganzen Bereich der so umfangreichen deutschen Sprache findet sich kein anderes, welches ihn vollkommen ausdrückte und erschöpfte. Dennoch ist der Mensch zu bedauern, der ihn nie oder nicht zu wiederholten Malen überstanden hat; denn nur der, welcher gelernt hat, aus dem Kampfe mit diesem fürchterlichen Feind aller Weintrinker als Sieger hervorzugehen, wird auch für alle übrigen Kämpfe des Lebens gestählt und gegen alle Leiden und Gefahren hieb- und nagelfest sein. Darum, o Mensch, der du am Katzenjammer leidest, verzage nicht und bedenke, daß der Himmel selbst dir diese Prüfung auferlegt hat, um dich sittlich zu reinigen und zu kräftigen! Bedenke, daß auch der ehrwürdige Lot, von dem das Volk der Lotterbuben in directer Linie abstammt, nach jenen wein- und wonneseligen Nächten, welche das 19. Kapitel im 1. Buche Moses beschreibt, ohne Zweifel an demselben Zustande gelitten haben wird, und daß er doch ein sehr braver und sehr frommer Mann voll gesunder und natürlicher Moral war und sich nichts versagte!

Nach einigen Jahren wurde ich von meinem Vater in die Vorhallen der Wissenschaft eingeführt, indem ich auf einer jener Schulbänke Platz nahm, auf denen schon manche Beinkleider von den Buben zum Schrecken ihrer Mütter verrutscht worden waren; denn dieses junge Volk kann bekanntlich nicht still sitzen, was ihm auch nicht zu verdenken. Ach, es ist eine schwere Aufgabe, wie angenagelt zu sitzen auf diesen harten Bänken, wenn man weiß, daß der grüne Rasen der Wiese eine viel weichere Unterlage bietet, wenn die Sommersonne so verlockend durch die trüben Fensterscheiben in das dumpfe schwülige Schulzimmer blickt, wenn die Eschenbäume, durch deren Grün es sich so behaglich in das klare tiefe Blau des Himmels schauen läßt, so heimlich im Winde rauschen und in ihren Zweigen die muntern Vögel so lustig singen, zwitschern und trillern!

Meines Vaters katechetische Methode war sehr practisch. Wenn er uns unterrichten wollte, wie die Hochgebirge in der Schweiz genannt würden, so fragte er uns, wie das heiße, was uns bei überladenem Magen zuweilen im Schlafe drücke, und wir antworteten: der Alp! Nun, und in der Mehrzahl? fragte er weiter. Die Alpen! Richtig, da hatten wir das Wort. Fragte er uns, welcher Stand sich in der Schweiz am meisten auszeichne, so antworteten wir unisono: der Viehstand! und fragte er uns, welches das größte Reich in Schweden sei, so waren wir rasch mit der Antwort zur Hand: Das Mineralreich! Ich für mein Theil behandelte des Vaters Fragen am liebsten von der humoristischen Seite. Davon nur eine kurze Probe. Eines Tages fragte er uns, ob wir nicht eine kleine Stadt zu nennen wüßten, welche nicht allzuweit von der Hauptstadt entfernt liege und in der Weltgeschichte berühmt geworden sei. Wir nannten dann alle uns bekannten Städte und Städtchen, welche wie bescheidene Gänseblümchen die stolze Tulpe im Mittelpunkt, die Hauptstadt, einrahmen. Oh, ihr dummen Jungen, sagte er, ich meine das Städtchen Fehrbellin, denn dort schlug der große Kur– Antwortet: Kur– Kur–, Kurschmied, fiel ich ein. Ja, der große Kurschmied! wiederholten die Andern jubelnd. Ach was, der große Kurschmied! bemerkte mein Vater ärgerlich; es hat noch keinen Kurschmied gegeben, der groß gewesen wäre. Wißt ihr denn nicht, was auf der langen Brücke in Berlin steht? – Ei, rief ich dazwischen, ein großer Laternenpfahl! – Ja wohl, auch ein großer Laternenpfahl; aber den meine ich nicht, sondern die Bildsäule des großen Kurfürsten. Wen schlug der große Kurfürst bei Fehrbellin? Allgemeines Stillschweigen! – Die Schwe– Schwe–, begann der Vater, Schwerenöther! rief ich. Warte nur, du alter Schwede! rief herauf mein Vater, und hüte dich, daß der große Kurfürst nicht über dich kommt! wobei er drohend den Stab Wehe gegen mich erhob. Seitdem nannten wir das spanische Rohr, womit der Vater uns stockgelehrt zu machen bemüht war, scherzweise den großen Kurfürsten. Ich aber galt meinen Schulkameraden als ein Ausbund von Scherz und Spaßmacherei, und ich that mir darauf nicht wenig zu gute. Noch heutzutage weiß ich mir kein größeres Verdienst, als zur Erheiterung der Menschen beizutragen; denn der Mensch ist nie besser und tugendhafter, als im Zustande sanfter Erheiterung.

Wenn es mich später in die Welt hinaustrieb und es mich nicht eher ruhen ließ, als bis ich den Punkt erreicht hatte, wo sich meine Fußsohlen gegen meinen Geburtsort richteten, so verdanke ich diese Wanderlust demselben Mann, der die Ehre hatte, mein Vater zu sein. Eines Tages sagte er in der geographischen Stunde zu uns: Seht, ihr schlechten Buben! wenn ihr durch das Hinterpförtchen in Schulzens Gehöft hinausgeht und immer eurer Nase nach gegen Norden, links von der Planke und dann wieder rechts am Froschteich vorbei, so kommt ihr über verschiedene Dörfer endlich nach der großen Stadt Berlin, die sehr schön zu sein pflegt selbst an Wochentagen und in der sich mehr Einwohner befinden, als es in Schnipphausen Feldmäuse gibt. (Wir sperrten die Mäuler auf als hätten wir Lust, sämmtliche Berliner wie Feldmäuse hinunterzuschlucken. Der Vater fuhr fort:) Wenn ihr dann aus Berlin hinausgeht und immer wieder nordwärts, so gelangt ihr über die Festung Spandau, in der, wie ich fürchte, Mancher von euch dereinst Ansässigmachungsrecht erwerben wird, und über mehrere Städte, die sehr klein sind, nach der ebenfalls kleinen, aber dafür auch in der Priegnitz gelegenen Stadt Perleberg, die davon den Namen hat, daß es daselbst weder Perlen noch Berge gibt, wie das Leipziger Rosenthal seinen Namen davon hat, daß darin viel wilder Knoblauch wächst. Und so kommt ihr weiter und weiter und endlich nach der großen Stadt Hamburg, wo viel mehr Schiffe im Hafen liegen, als in Schnipphausen Häuser sind, die Schweine- und Hundeställe mit eingerechnet – jedes Schiff so groß, daß man den Kahn auf unserm Froschteich zwischen das Takelwerk hängen könnte und er würde gegen das Schiff nicht größer aussehen als eine Nußschale gegen unsern Kahn. (Wir öffneten unsere Mäuler noch weiter, als seien sie zur Einfahrt für sämmtliche im Hamburger Hafen liegenden Schiffe bestimmt.) In ein solches Schiff steigt ihr sammt und sonders, denn ihr habt alle darin Platz, und wenn ihr auch eure Eltern und sämmtliche Geschwister mitnehmen wolltet. Auf diesem Schiffe gelangt ihr nun in ein großes Meer, die Nordsee, gegen welche sich unser Froschteich verhält wie ein Regentropfen, der Euch auf die Nase fällt, gegen unsern Froschteich, und dann in eine große, große Stadt, London geheißen, in der es so viele Häuser gibt als in Berlin Einwohner, und nachdem ihr euch in dieser Stadt recht müde gelaufen, besteigt ihr das Schiff abermals, oder auch ein anderes noch größeres, und ihr steuert nun in ein weites, weites Meer, das sich wieder zur Nordsee verhält, wie die Nordsee zu unserm Froschteich. Wenn ihr nun nicht, woran übrigens nicht viel gelegen wäre, in diesem Meere untergeht, so kommt ihr an ein festes Land, welches darum, weil es ein Theil der Welt ist, ein Welttheil genannt wird und mit seinem Vornamen Amerika heißt. Dieser Welttheil unterscheidet sich dadurch von Schnipphausen, daß daselbst Menschen wohnen, welche, weil sie Menschen fressen, auch wohl Menschenfresser genannt werden, und ungerathenen Buben wie euch das Fell über den Kopf ziehen, was sie scalpiren nennen. Es gibt freilich auch civilisirte Einwohner in Amerika, die ihren Nebenmenschen gerade ebenso gut das Fell über die Ohren zu ziehen wissen, nur daß sie das nicht scalpiren, sondern speculiren nennen. Seid ihr nun zufälligerweise hier nicht gefressen worden, so kommt ihr auf der andern Seite von Amerika wieder in ein weites, weites Meer, welches über und über mit Inseln besäet ist, die man zusammen Australien nennt. Denkt euch eure Milchschüssel mit recht vielen Fliegen darin, und ihr werdet ungefähr wissen, wie dieses Meer mit seinen vielen Inseln aussieht. Von diesem Weltheil, in welchem es auch viele Menschenfresser gibt, gelangt man nach einem dritten Welttheil, Asien genannt, welcher mit den beiden großen Halbinseln Vorder- und Hinterindien die Gestalt jenes Schmetterlings hat, den ihr Schwalbenschwanz nennt. Hier gibt es große Katzen oder Tiger, mit Schnurrbärten, um die sie ein Husarenoffizier beneiden könnte, und mächtige Elephanten, so groß, daß sie ein ganzes Kossäthenhaus auf ihrem Rücken mit sich nehmen könnten. Beide Thiere bekämpfen einander und wenn der Tiger siegt, so geht es dem Elephanten sehr schlecht, und wenn der Elephant siegt, dem Tiger; denn der Elephant schleudert ihn in die Luft und zerstampft ihn mit den Füßen etwa wie ihr Buben eine Feldmaus. Weiter gelangt ihr übers Meer nach einem vierten Welttheil, Afrika genannt, dessen Bewohner deßhalb über und über pechschwarz sind, weil man sie Mohren nennt. Nennte man sie anders, so würden sie freilich auch nicht weißer werden. Sie unterscheiden sich außerdem noch dadurch von den Bewohnern Deutschlands, daß es bei ihnen keine Schuster und Schneider gibt, weil sie keine Kleider und Schuhwerk nöthig haben und sich nicht wie wir ihrer natürlichen Haut schämen. Im Winter heizt man in Afrika nicht ein, weil es dort immer Sommer ist, und im Sommer sucht man keinen Schatten, weil es da keinen Schatten gibt. In Afrika ist auch der grimmige Löwe zu Hause, von dem ihr schon Manches gehört haben werdet, aber man trifft ihn niemals zu Hause, denn er geht immer spazieren und brummt sich dabei Etwas in seinen dicken Bart. Von diesem merkwürdigen Welttheil, der die Gestalt einer Jungfernbirne hat, kommt ihr wieder auf eurem Schiff nach Europa zurück, welches der fünfte Welttheil und eigentlich das fünfte Rad am Wagen ist. Dieser Welttheil, auf dem unser schönes Schnipphausen liegt wie eine Brodkrume, welche in den Sand gefallen ist, trägt eine Jacke, die sich auf der Landkarte ebenso zerrissen und geflickt ausnimmt wie eure Jacken, selbst Sonntags, wo doch andere ordentliche Leute, wenn sie in die Kirche gehen, eine ganze Jacke anzuziehen pflegen. Aber die Jacke der Jungfer Europa (denn man nennt Europa eine Jungfer, weil sich wegen ihrer Abgerissenheit kein Freier zu ihr finden will) ist freilich schon so alt, daß kein Stich mehr hält, so viel man an ihr auch flicken mag, und mit dem Wenden hat es bisher auch nicht recht gelingen wollen. Und doch haben an noch keiner Jacke so viel Schneider und Flickschneider (die man Diplomaten zu nennen pflegt) herumgeflickt als an dieser.

Diese curiose Welt kennen zu lernen, machte mich des Vaters gelehrter geographischer Vortrag im hohen Grade begierig, und ich spazierte sehr häufig durch das Hinterpförtchen in Schulzens Gehöft bis zur Planke und sogar bis zum Froschteich, aber weiter wagte ich mich nicht, denn jenseits des Froschteiches lag die Welt in all ihrer Unermeßlichkeit vor mir.

Erst einer interessanten Bekanntschaft verdankte ich, daß ich gelegentlich auch über den Froschteich hinauskam und die Erfahrung machte, daß die Welt überall einen festen Boden hat. Von Zeit zu Zeit kam nämlich ein Gutsnachbar, der Baron von Piesack, zu unserm Gutsherrn auf Besuch und mit ihm sein einziger Sohn, Junker Hans von Piesack, der ein toller Bursche war und sich für die Zeit seines Aufenthalts immer sehr innig an mich anschloß. Ich muß hierbei bemerken, daß meine elf Geschwister zwar sehr gutmüthiger, aber auch sehr unbedeutender Natur waren, mit denen ein Bube von meinem Charakter nichts aufstellen konnte, weßhalb es für mich immer ein großer Augenblick war, wenn der mir ähnlich geartete, aus einer raubritterschaftlichen Familie abstammende Junker Hans von Piesack bei uns ans Fenster klopfte und mir zurief: Fritz! mach schnell, daß du herauskommst! Wir wollen wieder einmal den dummen Bauern zeigen, was wir für pfiffige Kerle sind.

Rasch war ich dann hinaus, und nun ging es mit lautem Halloh durchs Dorf. Die herrschaftlichen Hunde wurden unter die Gänse und Enten gehetzt, den Bauernjungen, die dem vornehmen Junker keinen Widerstand zu leisten wagten, die Jacken ein wenig ausgeklopft, an den Zäunen die Latten losgebrochen, den Wägen die Räder abgedreht, den Bauerpferden die Stränge abgeschnitten, und nun wurde auf diesen zum Dorfe hinausgejagt, weit weit über den Froschteich hinaus, in die Gemüsefelder, wo wir unter den Schoten und Rüben arge Verwüstungen anrichteten und unter andern sämmtliche Popanze umstürzten, welche die Bauern aus alten Kleiderfetzen und Mützen in sehr sinnreicher Weise dort aufgerichtet hatten, um die Sperlinge zu verscheuchen. Auch den Obstbäumen der Bauern wurde übel mitgespielt, denn obschon wir Birnen, Aepfel und Pflaumen in viel besserer Qualität aus dem herrschaftlichen Garten haben konnten, so schmeckte uns das Bauernobst doch viel besser, weil es gestohlen war. Wir standen damals beide instinctmäßig auf dem Standpunkte gewisser französischer Socialisten, welche der Ansicht sind, daß das Eigenthum im Grunde nichts weiter als Diebstahl sei, woraus aufs logischste folgt, daß Diebstahl nichts ist als Wiedererlangung eines mir rechtmäßig gebührenden Eigenthums. Oh, könnte ich nur einem dieser Pariser Socialisten beikommen! Ich würde ihm mit größter Gemüthsruhe seine goldene Uhr entwenden und, im Falle er mich verklagte, vor Gericht aus seinen eigenen Schriften nachweisen, daß diese Uhr von ihm ursprünglich der menschlichen Gesellschaft und mithin auch mir entwendet, durch mich aber der menschlichen Gesellschaft wieder zurückgestellt worden sei!

Die Rechte sind auf Erden sehr ungleich vertheilt, und wenn ich dasselbe thue, was ein Anderer thut, der höheren Ranges ist als ich, so thue ich nicht dasselbe. Dies mußte ich in früher Jugendzeit erfahren. Der Junker, weil er Junker war, wurde wegen dieser agrarischen Frevel nicht zur Verantwortung gezogen, während ich dafür büßen mußte.

Die Bauern wandten sich mit ihren Klagen an meinen Vater, und dieser ließ nun den Stab Wehe etwas unsanft auf mich niederfallen. Aber ich sah mich vor und brachte an dem Körpertheil, der für die tollen Streiche, welche mein Gehirn ausgebrütet hatte, bestraft werden sollte, obschon gerade er daran am unschuldigsten war, ein mit Häckerling ausgestopftes Kissen an, so daß ich nur sehr wenig oder nichts fühlte. Dennoch schrie ich ganz erbärmlich, um mich nicht zu verrathen. Hinterher lachte ich mir dann freilich ins Fäustchen.

Mit den Thieren stand ich auf einem viel vertrauteren Fuße als mit den Menschen. Jedes Thier hat eine eigene Sprache, zu deren Verständniß es ebensowohl einer besondern Organisation, als eines tiefen und ausdauernden Studiums bedarf. Ich verstand alle diese verschiedenen Thiersprachen, und das wußten diese guten Geschöpfe und klagten mir ihre Leiden und erzählten mir ihre Lebens- und Liebesgeschichten. Ueber die Menschen, ihre Verfolger und Tyrannen, äußerten sie sich sehr bitter, und es gab unter ihnen kein größeres Schimpfwort als das Wort »Mensch!« Mich aber betrachteten sie als eine Ausnahme und thaten mir Alles zu Gefallen, selbst die Gänse und Enten; denn wenn ich sie auch zuweilen, vom Junker Hans dazu verführt, mit den Hunden vom Herrenhofe hetzte, so entschuldigten sie selbst mich mit dem alten Sprüchwort, daß Jugend keine Tugend habe und sich austoben wolle. Ich bin überzeugt, daß es unter den Gänsen manche gab, die sich für mich mit Vergnügen hätte braten lassen und unter den sehr soliden Schweinen des Dorfes manches, welches es sich zur Ehre gemacht haben würde, sich für mich zu Wurst machen zu lassen. Wegen der Feldmäuse gerieth ich mit dem Gemeinderichter, der, wie alle Gemeinderichter, gerade kein sehr weiches Herz hatte, in unangenehme Auseinandersetzungen, denn ich nahm mich ihrer Privilegien mit Wärme an und behauptete, sie seien die geborenen Herren des Bodens, der Mensch nur Usurpator und dieser verletze die Animalität (welches Wort das unter den Thieren bedeutet, was unter den Menschen das Wort Humanität), wenn er sie verfolge und von ihrem eigenen Grund und Boden vertreibe. Ebenso betrachtete ich die Sperlinge als die eigentlichen Besitzer der Schotenfelder, was mir ebenfalls von den egoistischen Bauern sehr übel genommen wurde. Die Hunde bissen sich um die Ehre, mich zu begleiten; sie gingen für mich ins Wasser, und würden, ich zweifle nicht, für mich auch durchs Feuer gegangen sein. Wenn ich den bekannten Kinderspruch: »Maikäfer flieg« hersagte, so kamen die Maikäfer mehrere Tage früher aus der Erde, als sie sonst gethan haben würden. Hielt ich eine Blume in der Hand, so flogen die Schmetterlinge herbei und setzten sich darauf, denn sie wußten, daß ich ihnen nichts that. Die Bienen legten ihren Honig in meine Mütze ab, was mir sehr angenehm war, denn ich brachte die Mütze oft ganz voll Honigwaben nach Hause und bereitete mir und meinen Geschwistern damit einen Festtag. Wenn ich mich unter einen Baum hinstreckte, so spielten die Finken, Zeisige und Stieglitze ihre schönsten Flötenmelodien auf, wenn sie aber merkten, daß ich schlafen wolle, schwiegen sie sämmtlich plötzlich still, um mich nicht zu stören. Setzte ich mich an den Rand des Froschteichs, so sammelten sich die gutmüthigen Frösche zu Hunderten um mich, streckten ihre grünen Köpfe aus dem Wasser und quakten mir etwas vor. Wenn ich eine Spinne traf, die im Begriffe war, eine Fliege in ihre Fäden einzustricken und sie auszusaugen, so brauchte ich ihr nur einen strafenden Blick zuzuwerfen und sie ließ sofort ihre Beute fahren und zog sich in ihren Schmollwinkel zurück. Dieser moralischen Herrschaft, die ich über die Thierwelt ausübte, und diesem zärtlichen Verhältniß, in dem ich zu ihr stand, habe ich es, wie der Leser später noch erfahren wird, allein zu danken, daß ich noch lebe und gesund bin, was ja doch im Leben und fürs Leben die Hauptsache bleibt.


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