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Auch in der Chirurgie sollte man darauf sehen, daß der Eindruck, den eine Operation macht, stets ein angenehmer, den höheren Gesetzen der Aesthetik entsprechender sei.
Dieffenbach. Wenn man mich fragt, wen ich am liebsten befriedigen möchte, meinen Gaumen oder meine Gläubiger, so werde ich unbedenklich sagen: meinen Gaumen; denn dieser geht mich sehr viel an, die Gläubiger aber gehen mich gar nichts an. Graf d'Orsay. |
Die nächste Stadt, in der ich Station machte, war St. Louis, ein schon damals sehr blühender Ort, der Jedermann bekannt und auf jeder Karte der Union zu finden ist. Schnipphausionopel und Beutelfurt wird man freilich auf der Karte und in den geographischen Handbüchern vergebens suchen, entweder weil die Karto- und Geographen den Namen beider Städte aus Mißgunst gegen mich unterdrückt haben, oder weil ihnen im Laufe der Jahre aus einer oder der andern Ursache andere Namen beigelegt worden sind, was in jenem Lande des Wechsels und der Neuerungslust gar nicht so selten geschieht.
Ich bitte also den Leser, mit mir gefälligst in St. Louis einzureiten und sich mit mir, da mein Bart unterwegs sehr verwildert ist und wie ein Urwald der Klärung bedarf, nach einer Barbierstube umzusehen. Er möge also die Gefälligkeit haben, mit mir die Chesnutstreet hinaufzureiten und vor einem niedrigen Gebäude zu halten, auf dessen über der Thüre angebrachtem Schilde die Worte zu lesen sind: »Schnellste Rasiermethode! Auf beiden Seiten zugleich!«
Während ich hineingehe, möge der Leser die Geduld haben, draußen, wo ich mein Pferd an den Laternenpfahl binde, zu warten, bis ich wieder herauskomme. Sollte es ihm jedoch kein unangenehmer Anblick sein, einen Menschen rasieren zu sehen, so habe ich meinerseits auch nichts dagegen, wenn er mich in das Haus begleiten will. Er wird mich also, mit vorgebundener Serviette, auf einem Sessel Platz nehmen, und zwei junge elegant gekleidete Barbiergehilfen auf mich zuspringen sehen, die, jeder auf seiner Seite, mich einzuseifen begannen und der Eine rechts, der Andere links meine Bartforstung (den ein für allemal für unverletzlich erklärten Schnauzbart ausgenommen) mit unglaublicher Schnelligkeit abnahmen. Sie waren Beide in dieser Doppelrasiermethode so eingeübt, daß ihre Messer nicht ein einzigesmal mit einander in Berührung kamen und das Geschäft in unglaublich kurzer Frist besorgt war. Bei der sonst üblichen einseitigen Rasiermethode ist es unvermeidlich, daß auf der zuerst abrasierten Seite der Bart, wenn auch in noch so unkennbarer Weise wieder zu wachsen beginnt, während das Messer die andere Seite bearbeitet. Auch diesem Uebelstande war durch diese doppelseitige Rasiermethode vorgebeugt.
Als ich eben im Begriffe war, aufzustehen und mich mit dem Handtuch abzutrocknen, sehe ich die in ein Seitenzimmer führende Thüre aufgehen und einen feinen Mann eintreten, der kein Anderer war als mein ehemaliger Minister der Medicinalangelegenheiten, Herr Winkerle.
Die freudige Ueberraschung fand, wie vorher das Rasiren, auf beiden Seiten statt und dauerte vielleicht deßhalb kürzere Zeit als sonst der Fall gewesen sein würde. In einem ereignißreichen Leben wie das meinige gewöhnt man sich an solche Ueberraschungen so gut wie an den Gedanken, daß man überhaupt lebt. Denn gewiß gibt es keinen wunderbareren Gedanken als den, daß man existirt, und keine größere Ueberraschung als die, geboren zu werden.
Winkerle befand sich, wie er mir sagte, als Inhaber dieser Barbierstube ganz gut und hatte wegen der von ihm eingeführten zweiseitigen Rasiermethode vielen Zuspruch. Aber er brauchte viel, denn er war ein munterer Kumpan und lebte lustig in den Tag oder vielmehr in die Nacht hinein. Nun hatte er zwar manche recht niedliche Idee, wie sein Doppelrasiersystem bewies; aber es fehlte ihm doch an eigentlichem Schwung; er knauserte, wo es nicht angebracht war, versäumte aber anderseits sein chirurgisches Geschäft in den Blättern zweckmäßig annonciren zu lassen. Um ihm nun zu Hilfe zu kommen, associirte ich mich mit ihm und ließ in den nächsten Tagen folgendes Inserat in die Blätter einrücken:
»Nur wer gesunde Glieder hat, kann es zu Etwas bringen, und bringen muß es der Mensch zu Etwas. Ein krankes Glied ist immer ein Hinderniß, und wenn man es beseitigt, so hat man damit ein Hinderniß beseitigt, welches die Arbeit und Thätigkeit des Menschen hemmt. Es bleibt somit nur die Frage übrig, wie man sich am schnellsten und schmerzlosesten seiner kranken Glieder entledigt? Dies kann ohne Zweifel bei Franz Xaver Winkerle, Chesnutstreet Nr. 260 am besten geschehen. Kranke Glieder als: Zähne, Arme, Beine werden in dessen chirurgischer Anstalt auf eine so schmerzlose, ja wahrhaft wohlthuende Weise entfernt, daß es schon viele Leute gegeben hat, die sich gesunde Zähne ausreißen und gesunde Arme und Beine ablösen ließen, nur um den angenehmen Eindruck einer Operation zu haben, wie sie in dieser Annehmlichkeit einzig und allein in der chirurgischen Anstalt von Franz Xaver Winkerle und sonst nirgends ausgeführt wird. Liebhaber solcher Operationen werden daher wohlthun, sich mit Umgehung aller Charlatane an einen Operateur zu wenden, der seine Kunst nicht vom gewöhnlichen Handwerkerstandpunkte, sondern vom Standpunkte der höhern Aesthetik betreibt, wie denn auch der genannte Franz Xaver Winkerle im Begriff ist, eine Aesthetik der Gliederbeseitigungs- und Fleisch-Schneidekunst, sonst auch Chirurgie genannt, herauszugeben, wozu die berühmtesten Künstler Illustrationen zu liefern sich anheischig gemacht haben.
Es ist jedoch nicht hinreichend, sich krank gewordene Glieder auf ästhetischem Wege bloß ausreißen und ablösen zu lassen, sondern man muß vom höhern menschlichen Standpunkt, der über den ästhetischen geht, auch dafür sorgen, das kein Glied einem ungesunden Zustande verfalle. Zu diesem Zwecke hat sich Dr. med. Fritz Beutel, ehemaliger Leibarzt an einem durchaus kranken deutschen Hofe, mit Franz Xaver Winkerle zur Gründung einer chirurgisch-medicinisch-prophylaktischen Anstalt nach ästhetischen Grundsätzen verbunden. Dr. med. und Hofrath Fritz Beutel empfiehlt folgende Medicamente, die von ihm erfunden sind, deren Gebrauch jede Krankheit unmöglich macht und deren Zusammensetzung auf Negation alles unangenehm Schmeckenden und Unästhetischen beruht:
1. Universalsalbe, gegen alle Schäden, Verrenkungen, Brüche, selbst Contract- und Ehebrüche. Sie ist auch anwendbar gegen Buckel. Bei welcher Person man die Anlage zu einem solchen Auswuchs spürt, deren Buckel bestreiche man täglich vor dem Schlafengehen mit dieser Salbe bis ins fünfzehnte Jahr, und man wird alsdann unfehlbar merken, daß der betreffende Buckel noch größer geworden sein würde, wenn man die Salbe nicht gebraucht hätte. Nur lasse man sich die Mühe nicht verdrießen. Je mehr, je besser!
2. Aesthetische Pillen. Helfen gegen alle Krankheiten, welcher Art sie auch sein mögen, dadurch, daß sie alle unästhetischen Stoffe aus dem menschlichen Körper nach den Gesetzen des Schönheitssinnes gelind fortschaffen. Unterstützt wird die Wirkung durch gewählte ästhetische Lectüre, zu welchem Zwecke mit der genannten chirurgisch-medicinisch-prophylaktischen Anstalt eine Leihbibliothek verbunden ist, in welche nur die zartesten Blüthen deutscher Lyrik und Romanliteratur aufgenommen werden, mit Ausschluß alles Kritischen, weil das zu bitter schmeckt und zu stark abführt.
3. Kosmopolitisches Pflaster, so genannt, weil es nach den Grundsätzen des geläutertsten deutschen Kosmopolitismus bereitet ist, ohne Rücksicht darauf, welcher Nation der Verwundete und der Verwundende angehören, und weil es zugleich auch alle Herzens- und Seelenwunden in kürzester Zeit schließt und heilt.
4. Kronenelixir, so genannt, weil es die Krone aller Elixire ist. Wer dasselbe zu rechter Zeit braucht (aber wohlgemerkt, zu rechter Zeit!) ist sicher vor gelbem Fieber, vor der Cholera, vor der Pest, vor Alterschwäche, vor Hungersnoth bei ästhetischen Theekränzchen, vor den tödtlichen Folgen des Selbstmords, vor der Gefahr, das Bein oder den Arm zu brechen, den Knöchel zu verstauchen, vom Dache oder vom Thurme zu fallen, kurz gegen alle Schäden und Gefahrnisse Leibes oder der Seele. Wer z. B. zu ertrinken im Begriff ist, nehme schnell ein paar Tropfen dieses wunderwürdigen Elixirs auf Zucker und er wird so leicht über dem Wasser schwimmen, wie eine Hausenblase. NB. Auch Verbrechern zu empfehlen, die gehängt werden sollen. Die Tropfen sind dann 5 Minuten vor der Execution zu nehmen.
5. Cerebral- und Educations- oder Gehirn- und Erziehungspulver. Von wunderbar anregender Wirkung auf das Cerebralsystem, stärkt das Gedächtniß (in doppelter Dosis genommen auch die Fähigkeit, zu vergessen) hilft beim Auswendiglernen und ist daher namentlich Erziehungsinstituten zu empfehlen. Man gibt den Zöglingen jeden Morgen ein Pulver und mischt ihnen Mittags eins in die Suppe. Abends vor dem Schlafengehen genommen erregt es während des Schlafs die paradiesischsten Träume. Wer ein verwickeltes Rechenexempel zu lösen hat, verschlucke schnell ein solches Pulver, mit oder ohne Wasser, und das Exempel wird sich von selbst rechnen. In die Tinte gemischt, steigert es die Schnelligkeit des Schreibens aufs Doppelte. Es wird daher gut sein, wenn dieses Pulver auf Comptoirs und Bureaus massenweise in Vorrath gehalten wird. Mit schwarzem Kaffee oder chinesischem Thee vermengt, führt es dem Gehirn die großartigsten Projecte und Pläne von selbst zu und zwar nur solche, welche sich auch ausführen lassen. Wer Geld aufzunehmen oder sein Capital sicher und mit Vortheil anzubringen wünscht, wird nach dem Genusse von einem Dutzend solcher Pulver sofort wissen, wo er den rechten Mann findet, der ihm Geld leiht oder sein Geld sicher unterbringt.
6. Kosmetische oder Schönheitstinctur. Aus den seltensten und feinsten Kräutern der tropischen Zone gewonnen, tilgt nach fortgesetztem Gebrauch nicht nur alle Sommersprossen, Wärzchen und Leberflecken, macht nicht nur die Haut geschmeidig, sammetweich und lilienweiß, selbst im höchsten Alter, sondern kann auch durch jahrelangen Gebrauch wesentlich dazu beitragen, eine mißgeformte Nase oder ein verschrumpftes Ohr auf Form und Maaß normaler Schönheit zurückzuführen und z. B. eine eingedrückte Nase allmälig in eine ächt griechische zu verwandeln. Allzumagere Hände und Finger nehmen eine runde, und allzufette eine zierliche Form an, wenn man sie drei Jahre lang täglich Morgens und Abends mit dieser Tinctur bestreicht. Ja selbst gegen allzuplumpe Form der Füße hat sich diese Tinctur in einzelnen Fällen wirksam gezeigt.
7. Essige und Oele zur Erregung oder Temperirung der Leidenschaften. Jeder Mensch ist im Besitze von Leidenschaften, die er nicht, oder wenigstens nicht in diesem Grade zu besitzen wünscht, während er an andern, die ihm in gewissen Fällen von großem Nutzen sein könnten, empfindlichen Mangel leidet. Dem Hofrath Fritz Beutel ist es nun auf höchst künstlichem Wege gelungen, Essige und Oele zu bereiten, deren vorschriftsmäßiger Gebrauch jede beliebige Leidenschaft entweder erzeugt und erhöht oder temperirt und unterdrückt. Er verkauft Essige zur Erregung des Ehrgeizes, des Erwerbssinnes, des militärischen Geistes, des Muthes, des Zornes, des Hasses, der Liebe, wie anderseits Oele zur Temperirung derselben Leidenschaften. Durch verständigen abwechselnden Gebrauch des Erregungsessigs und des entsprechenden Besänftigungsöls kann man dahin gelangen, jede Leidenschaft auf ein normales Maaß zu bringen und sie so zu beherrschen, daß sie je nach Bedürfniß bald in gesteigerter, bald in geringerer Potenz die gewünschten Dienste leistet. Man kann dieses Ziel auch durch den fortgesetzten Genuß von Salaten erreichen, zu deren Bereitung sich diese Essige und Oele vorzüglich eignen. Ein gedruckter Zettel, der gratis zu haben ist, gibt hierzu die Anweisung.
8. Haarbalsam für Kahlköpfige, aus Körnern einer Pflanze bestehend, welche Fritz Beutel auf einer von ihm entdeckten oceanischen Insel angetroffen hat. So viel Körner als man auf die kahle Stelle des Kopfes streut, so viel Haare wachsen nach, blonde, braune oder schwarze, wie man sie haben will. Man fährt damit fort, bis die kahle Stelle mit dem üppigsten Haarwuchs bedeckt ist. Auch für die Erzeugung von Bärten höchst brauchbar. Hofrath Fritz Beutel verdankt seinen vielbewunderten Normal-Schnauzbart einzig und allein dem Gebrauche dieses wunderbaren Haarsamens.«
Unter dem Inserat, das mich seiner Länge wegen ein hübsches Geld kostete, prangte das Abbild meines Schnauzbarts im Holzschnitt mit der Unterschrift: »Fritz Beutel's Schnauzbart in seiner natürlichen Größe! Segen des Haarsamens!«
Meine Salben, Pillen, Pflaster, Mixturen, Essige und Oele und namentlich der Haarsamen gingen reißend ab. Auch Winkerle machte mit seinen Operationen ein glänzendes Geschäft, zumal da um jene Zeit gerade mehrere wettfahrende Mississippidampfboote in die Luft gesprungen waren, was eine Menge Brandwunden, Arm- und Beinbrüche und Verrenkungen aller Art zur Folge hatte. Freilich ist der Fall niemals vorgekommen, daß, wer sich ein erstes Mal von Winkerle operiren ließ, ein zweites Mal zu ihm seine Zuflucht genommen hätte. Klagten sie übrigens über zu große Schmerzen, so hatte er immer eine Ausrede, z. B. sie bildeten sich die Schmerzen nur ein, indem sie die Operation zu subjectiv-lyrisch auffaßten, oder: das nächste Mal werde es schon besser gehen, der Mensch müsse sich eben an Alles gewöhnen.
Die Projecte fliegen Einem in diesem Lande an. – Ich erstand ein Etablissement in der Nähe der Stadt, welches früher eine Fabrik gewesen war, und errichtete darin ein »Beuteleum«, eine Art Sanitätsanstalt, zu dem von mir in den Blättern angekündigten Zwecke, die Leidenschaften derjenigen, welche sich darin aufnehmen ließen, durch Diät, geregeltes Leben und Gebrauch meiner Arzneien zu reinigen und mit einander in Uebereinstimmung zu bringen. Die Grundlagen waren gewißermaßen communistischer Art. Jeder Aufzunehmende schoß eine gleiche Summe ein, und erhielt dafür die regelmäßige Kost und Verpflegung. Die Speisen waren für jeden dieselben und die Portionen mit größter Genauigkeit bis aufs Quentchen abgewogen und abgemessen. Corpulente Leute erhielten gewisse Arzneien, welche die Wirkung des Rhabarber hatten, so lange, bis sie zu der normalen Leibesstärke abgemagert waren, und magere Leute wurden mit fetten Substanzen so lange gefüttert, bis auch ihre Taille das vorschriftsmäßige Volumen erlangt hatte. Zu demselben Zwecke wurden in jenen durch künstlich bereiteten Aerger die mehr aufreibenden Leidenschaften genährt, während von diesen jedes Object, das sie in blut- und fettverzehrende Aufregung bringen konnte, mit zärtlichster Sorgfalt fern gehalten wurde. Man wird diesen Gedanken ohne Zweifel ebenso sinnreich als praktisch finden. Alles ging nach der Uhr, Wachen wie Schlafen, Arbeiten wie Sich erholen, Essen wie Verdauen, selbst die Strümpfe, Stiefeln, Westen u. s. w. wurden auf militärisches Commando angezogen. Abends war großer Biercomment in der Brauerei, welche ich dem Etablissement hinzugefügt hatte, doch erhielt Jeder nur eine bestimmte Anzahl Marken, die er abtrank, wollte er über dieses Maß hinausgehen, so bedurfte es einer besondern Licenz, die jedoch nur gegen eine besondere Abgabe zu erlangen war. Das Bier wurde ebenfalls auf Commando getrunken. Sprechen durfte nur, wer vorher um das Wort gebeten hatte. Es brauchte auch Niemand zu sprechen, denn ich sprach selbst genug.
Indeß komme Einer gegen die Schwachheit und Vorurtheile der Menschen auf! Meine philantropischen Absichten wurden verkannt und verdächtigt, und ehe ich noch meinen großen Zweck, alle Associirten zu einem gleichmäßigen Körpervolumen und einer vollständigen Harmonie der Leidenschaften zurückzubringen, erreicht hatte, ging die ganze Gesellschaft auseinander. Das sei ja eine Kaserne, ein Lazareth, ein Trappistenkloster, ein Alt-Weiberspittel, aber kein Verein freier Männer, sagten sie. Die phlegmatischen Dickleibigen ärgerten sich zu wenig und die Magern zu viel, und diese zehrten trotz der fetten Nahrung nur immermehr ab. Es trat Einer nach dem Andern aus dem Institut. Aber ich hatte mich für diesen Fall vorgesehen und in einem Paragraphen des Statuts bestimmt, daß der Einschuß eines Jeden, der vor Ablauf von drei Jahren aus der Anstalt schiede, dem gemeinsamen Capital anheimzufallen habe. Und doch traten sie sämmtlich aus, so daß ich mich beim Schluß der Anstalt wider Willen im Besitze aller eingeschossenen Gelder befand. Man sage nicht, daß ich darauf speculirt hätte! Die Theilnehmer durften ja nur ihre drei Jahre ausharren, und daß sie dies nicht thaten, war ihre und nicht meine Sache. Aber das Geschäft war gut und ich konnte mich als einen reichen Mann betrachten; die Capitalien, in deren Besitz ich mich sah, waren auf die redlichste Weise und noch dazu mit vielem Aerger und noch größerer Langweile erworben. Ich hatte in dieser Hinsicht der Anstalt so viele Opfer gebracht, daß mir diese Entschädigung wohl zu gönnen war.
Leider dachte ich immer nur daran, meine Mitmenschen, nicht mich zu bereichern. Das Geld unter die Leute zu bringen verstand Keiner so gut als ich. Auch war der Umgang mit dem lockern Winkerle, der für jeden Cent, den er einnahm, sechs wieder verausgabte, meiner Moralität in keiner Hinsicht förderlich. Was er von derjenigen Hälfte des menschlichen Geschlechts verdiente, welche sich rasiren läßt, verthat er sechsfach wieder an diejenige, welche aus nahe liegenden Gründen sich nicht rasiren läßt. Böses Beispiel sagt man, verdirbt gute Sitten, und so verdarb auch der böse Winkerle den guten Fritz Beutel. So viel, was die Beziehungen zu der unrasirten Hälfte des menschlichen Geschlechts betrifft; denn in dieser Hinsicht bin ich sehr discret, und die Mysterien von St. Louis zu schreiben, fällt mir nicht ein, da ich eine zu hohe Meinung von der Aufgabe des Schriftstellers habe. Ach, die guten Geschöpfe, mit denen mich Winkerle in ein ferneres oder näheres Verhältniß brachte, liegen vielleicht längst schon im Grabe; warum sollte ich ihr Gedächtniß und ihren ehrlichen Namen verunglimpfen? Gegen eine solche Undankbarkeit sträubt sich mein menschlich empfindendes Herz; dazu gehört eine so verdorbene, gemüthlose und undankbare Seele wie die Leihbibliothekenseele Eugen Sue's! Das Schlimmste war, daß die beutelländische Küche meinen Gaumen an zu seine Genüsse gewöhnt hatte, und daß diese durch den Thran der Kuxusen unterdrückten culinarischen Reminiscenzen jetzt wieder lebhafter als je in mir auftauchten. Beutelland lag im Schooße des Meeres; da war jetzt nichts mehr zu machen. Aber auch ohne Beutelland bietet die Welt bekanntlich noch Genüsse genug. Ich stellte daher an den verschiedenen Hauptpunkten der Gourmandise Agenten an, die mir die seltensten landesüblichen Gaumenerzeugnisse zukommen lassen mußten. Ich hatte solche Agenten in Berlin für Stinte, in München für Dampfnudeln, die mir telegraphisch brühwarm zugemittelt wurden, in Wien für Schnitzel und gebackene Händl, in Hamburg für hamburger Rauchfleisch, in Kiel für Sprotten, in Riga für Kaviar, in Frankfurt, Gotha und Braunschweig für Würste, in Straßburg für Gänseleberpasteten, in Neapel für Maccaroni, in Venedig für Sardellen, Austern und Polenta, in Chioggia für Kalbfleisch, in Mailand für Polpette, Vitelle alla Cassola und Stracchino, in Pesth für Gulatschfleisch und Paprikahändl, dann aber auch in Petersburg, London, Paris, Mexiko, Lima, Kalkutta, Hongkong, Ispahan, Cairo u. s. w., die mir die Kostbarkeiten des Landes umgehend, durch den elektrischen Telegraphen (der freilich dazumal noch nicht officiell, sondern blos zu meinem Handgebrauche thätig war) zuzumitteln beauftragt und dafür mit einem ansehnlichen Jahresgehalt besoldet waren. Für ein indianisches Vogelnest oder einen Havelstint, oder eine bairische Dampfnudel 100 oder 200 Dollars zu zahlen, war mir eine Kleinigkeit, und für ein Bischen Schnepfendreck, so groß wie eine Messerspitze voll, zahlte ich meine 50 Dollars, mir nichts, dir nichts, und um so zu sagen dem Schnepfendreck auch nichts.
In den vorzüglichsten Weinproductionsländern hatte ich ebenfalls meine Agenten, nicht etwa in Naumburg, Meißen oder Grüneberg, aber wohl in Köln und Mainz für die Mosel- und Rheinweine, in Epernay für die Champagnerweine, in Bordeaux für die französischen Rothweine, in Oporto für die portugiesischen und spanischen Weine, in Venedig für die Samos- Cypern- und italienischen Weine, in der Kapstadt für die Kapweine. Mit dem fürstlichen Besitzer des Johannisbergs trat ich dieserhalb in directe Beziehungen, wie ich wegen des besten Kaviars bereits mit Nesselrode in Verbindung getreten war. Die beste Sorte Falerner besorgte mir ein römischer Kardinal gegen ein angemessenes Douceur. Zwar schmeckten mir alle diese Weine gegen den beutelländischen anfangs wie Essig, indeß machte sich auch in diesem Falle meine alte Erfahrung geltend, daß sich der Mensch zuletzt an Alles gewöhnt, sogar an sich selbst. Ohne diese allmälige Gewöhnung an sich selbst, würde sich der Mensch ohne Zweifel unausstehlich finden.
Je mehr Schiffe für mich mit den Köstlichkeiten aller Länder beladen in den Neu-Yorker Hafen einliefen und je mehr der Telegraph mir bairische Dampfnudeln und leipziger Lerchen zuspielte, desto mehr nahm mein Baarvorrath ab und zuletzt auch mein Credit. Selbst Metternich und Nesselrode wollten nichts mehr pumpen und ich mußte wieder daran denken, irgend Etwas zu entriren, nicht etwa um die Mahnungen meines Gewissens, die bei mir niemals bedeutend waren, sondern die meines Magens zu beschwichtigen. Mit meinen Medicamenten war in St. Louis selbst nichts mehr anzufangen, weil, ich will nicht behaupten alle Kranken dadurch hergestellt waren, sondern weil das Publikum eingesehen haben wollte, daß die Pillen aus nichts als aus Maismehl und Wasser beständen, und daß meine Mixturen und Tincturen aus dem gewöhnlichsten Unkraut, z. B. Quecken und Nesseln, abdestillirt seien. Die Kahlköpfigen beklagten sich, daß ihnen trotz des Haarsamens keine Haare nachwachsen wollten, und es half nichts, wenn ich ihnen vorstellte, daß der Haarsamen auf unfruchtbaren Boden gefallen sei, daß mithin der Nichterfolg an ihren dicken Köpfen und nicht an dem Samen liege.
Ich beschloß daher mit meinen Medicamenten im Lande herumzureisen und vermochte meinen Freund Winkerle, mir bei der Bereitung eines Vorraths von Arzneimitteln zur Hand zu gehen, indem ich versprach, zu geeigneter Zeit wieder zurückzukehren und den Gewinn mit ihm zu theilen; denn auch ihm ging es nicht mehr zum besten, da sich jetzt alle Barbiere in St. Louis auf die Doppelrasirmethode verlegt hatten. Es wurden nun ganze Wochen mit der Präparirung von allerlei Medicamenten zugebracht und diese in Kisten verpackt, die ich, als ich schließlich St. Louis verließ, wohl zusammengebunden hinter mir auf dem Rücken des Pferdes aufbauen ließ, so hoch wie ich selber, so daß ich an ihnen zugleich eine sehr bequeme Lehne hatte. Mehrere mit Pillen gefüllte Säcke hingen an den Seiten des Pferdes herab, und ich brauchte nur hineinzugreifen, um meine Kunden, wenn sich deren auf der Landstraße finden sollten, sofort damit zu versehen. Ein mächtiges Plakat mit dem ellenlangen Verzeichniß meiner Medicamente und ihrer wunderbaren Wirkungen war vorn an der Brust des Pferdes angebracht. So ritt ich denn in Gottes Namen aus St. Louis hinaus, meinem guten Stern vertrauend.
Ich machte auch in der That sowohl unterwegs auf den Landstraßen als in den einzelnen Städten und Ortschaften, wo ich Quartier nahm und meine Arzneimittel ankündigte, sehr gute Geschäfte. Ich ritt so immer in Gedanken fort, daß ich das Umkehren nach St. Louis vergaß, obschon ich es meinem Freund Winkerle versprochen hatte. Indeß wer kann für seine Vergeßlichkeit? So kam ich, ohne es eigentlich zu wollen und zu beabsichtigen, nach Cincinnati, und hier war mein Vorrath schon so ziemlich erschöpft, wiewohl ich mich tüchtig vorgesehen hatte. Ich dachte bereits daran, mich hier wieder auf die Präparation neuer Medicamente zu legen, um die leeren Spatien in meinen Medicinkästchen und Medicinsäcken wieder zu füllen. Indeß sollte hier mein Schicksal eine ganz unerwartete Wendung nehmen, wie der Leser aus dem folgenden Kapitel ersehen wird.
Im Umgange mit Präsidenten und Staatsbeamten von Freistaaten befleißige man sich der größten Einfachheit und mache nicht viel Complimente.
Knigge's »Umgang mit Menschen«. Bei der Zusammensetzung von Freicorps sehe man nicht auf körperliche Schönheit, da sie meist doch nur Kanonenfutter sind. Am besten ist es, solche Leute zu wählen, deren Körpervolumen den feindlichen Kugeln keine große Fläche bietet. Clausewitz. |
Erst seit wenigen Tagen hatte ich mich in einem deutschen Hotel einquartirt, als mir der New York Herald mit folgendem mir sofort in die Augen fallenden Inserat zur Hand kam.
»Herr Fritz Beutel aus Schnipphausen wird hiermit freundlichst aufgefordert, seinen gegenwärtigen bisher nicht zu ermittelnden Wohnsitz dem Präsidenten der Republik anzuzeigen, der ihm eine höchst erfreuliche Mittheilung zu machen hat. Auch werden alle Bürger der Vereinigten Staaten aufgefordert, was sie von des besagten Fritz Beutel gegenwärtigen Verhältnissen wissen sollten, sofort dem Präsidenten der Republik zur Anzeige zu bringen, weil dies zu wissen bei der augenblicklichen Stellung der Union zu Frankreich von äußerster Wichtigkeit ist.«
Eben hatte ich die Stirne reibend, um die Gedanken dahinter klar zu machen, das Zeitungsblatt voll Erstaunen aus der Hand gelegt, als unter meinem Fenster ein großer Auflauf geschah. Ich öffnete das Fenster, sah hinaus und erblickte in Begleitung zweier Regierungsbeamten einen öffentlichen Ausrufer, der, nachdem er mit der Schelle Ruhe geboten, Folgendes mit sonorer Stimme ausrief:
»Im Namen des Präsidenten der Republik! Wer von den Einwohnern hiesiger Stadt etwas Näheres von dem gegenwärtigen Aufenthalt eines Mannes genannt Fritz Beutel aus Schnipphausen weiß, der habe die Güte, Näheres darüber der Regierung zu Washington mitzutheilen. Für versäumte Zeit wird eine angemessene Entschädigung zugesagt.«
Da richtete ich mich, die Arme ausbreitend, mächtig und erhaben am Fenster auf und rief herab: Meine Herren! Der, den ihr sucht, steht hier vor euch – Fritz Beutel aus Schnipphausen!
Die Menge betrachtete mich verwundert; der Ausrufer blickte mich eine Weile erstaunt an, und kam dann in Begleitung zweier Beamten der Republik zu mir ins Zimmer.
Die Regierungsbeamten gestanden mir unter den Versicherungen höchster Verehrung wie angenehmster Ueberraschung, daß sie zwar in meine Aussage keinen Zweifel setzten, und daß auch mein Aussehen und meine achtunggebietenden Manieren vollkommen der Vorstellung entsprächen, die man sich von mir in Washington gemacht habe; daß ich aber wohl nichts dagegen einzuwenden haben würde, wenn sie mich ersuchten, was ich etwa an Legitimationspapieren bei mir führe, ihnen vorzulegen. Dies geschehe nur der Ordnung wegen, und weil so vieles Lumpengesindel nach Amerika herüber komme.
Mit dem Ausdruck der Verachtung blickte ich bei diesen Worten auf sie nieder; da ich jedoch einsah, daß sie als Regierungsbeamte nicht anders handeln könnten, zeigte ich ihnen meine Papiere, die ich der größern Sicherheit wegen unter dem Brustlatz meines Hemdes trug, vor, darunter auch den auf meinen Bruder ausgestellten Paß, mit dem Bemerken, daß ich freilich nach einer längern Reihe von Jahren ganz anders aussehe, als zu der Zeit, da der Paß ausgestellt wurde, was sie auch als gebildete Männer sogleich einsahen.
Sie sagten mir nun, daß sie hiervon durch einen Courier sofort Mittheilung nach Washington machen würden, und daß ich die Gewogenheit haben möge, die Stadt nicht eher zu verlassen, als bis aus Washington die übrigens bei der Wichtigkeit der Angelegenheit umgehend zu erwartende Rückantwort eingetroffen sei. Uebrigens solle ich mir nichts abgehen lassen, da die Hotelrechnung auf Kosten der Regierung bestritten und auch sonst Alles gethan werden würde, um mir den Aufenthalt in hiesiger Stadt möglichst angenehm zu machen. Hierauf empfahlen sie sich, nachdem sie mich noch ersucht hatten, ihrer beim Präsidenten der Republik vorkommenden Falls freundlichst zu gedenken und ihnen auch sonst meine Huld angedeihen zu lassen.
Daß ich mir der mir gewordenen Weisung gemäß auf Kosten der Republik gehörig gütlich that, brauche ich wohl nicht erst zu sagen; indeß da es jetzt so viele Zweifler gibt, die vielleicht auch daran zweifeln möchten, so mag dies ausdrücklich bemerkt sein. Was ein Einzelner im Verzehren und Trinken auf Staatskosten leisten kann, das habe ich damals bewiesen und der deutschen Nation Ehre gemacht.
Nach einigen Tagen, die mir eine Ewigkeit zu sein schienen, traf das Schreiben des Präsidenten mit dem großen Regierungssiegel aus Washington ein. Es enthielt, außer einer auf das erste Handlungshaus in Cincinnati lautenden Anweisung im Betrage von 2000 Dollars, einen eigenhändigen Brief des Präsidenten, der folgendermaßen lautete:
»Dear Sir!
Es gereicht mir zur größten Genugthuung, mit einem Manne von Ihren Verdiensten in Verbindung treten und Ihnen ein Anerbieten machen zu können, das, wenn auch nicht vollkommen, doch, wie ich mir schmeichle, einigermaßen Ihren Verdiensten gemäß ist.
Indeß würde hierzu eine persönliche Besprechung nöthig sein und am schnellsten zum Ziele führen, weßhalb ich Sie ersuche, falls Sie nichts Größeres vorhaben, zu mir nach Washington herüberzukommen. Es werden Ihnen zu Ihrer Hierherbeförderung Regierungsdampfwagen zur Verfügung gestellt werden, auch erlaube ich mir, in der Voraussetzung, daß ich Sie dadurch nicht beleidige, eine Anweisung auf eine Summe von 2000 Dollars mit zu übersenden, womit Sie, wie ich hoffe, Ihre Verzehrungskosten und sonstigen Bedürfnisse zu bestreiten im Stande sein werden.
Alles ist hier zu Ihrer Aufnahme bereit. Sie werden, wenn Sie dies nicht genirt, bei mir wohnen, und ich kann Ihnen schließlich nur die Versicherung geben, daß meine Frau und meine Töchter Ihrer Ankunft mit gespanntester Erwartung entgegensehen und Alles thun werden, um Ihnen den Aufenthalt hierselbst nach Kräften angenehm zu machen.
I have the honour to be, Sir,
Your obedient servant.«
(Hier folgte die Unterschrift des damaligen Präsidenten, die aber so unleserlich war, daß ich, um nicht etwa einen Irrthum zu begehen, den Namen hier weglasse.)
Meine Spannung stieg begreiflicherweise noch nach Durchlesung dieses Schreibens. Ich beeilte mich demnach, meine Geldgeschäfte so eilig als möglich zu besorgen und mich hierauf durch einen Extrazug nach Washington befördern zu lassen.
Als ich mich dem Weichbilde dieser Stadt näherte, war ich nicht wenig überrascht, mit allen Glocken von den Kirchthürmen der Stadt läuten zu hören, was, wie ich mir mit Recht sagen durfte, nur meiner Ankunft gelten konnte. Vor der Stadt empfing mich ein Zug weißgekleideter Jungfrauen, welche mir auf einem Sammetkissen ein Gedicht überreichten und dann im Chor den Yankee-Duddle anstimmten, in den ich selbst mit meiner famosen Baßstimme einfiel, womit ich sofort Aller Herzen gewann. In der Equipage des Präsidenten fuhr ich nun durch das Thor, über welchem das Sternenbanner wehte, in die Stadt ein, während dieselben Jungfrauen vor dem Wagen einherschritten und Blumen auf den Weg streuten.
An den Stiegen, die zur Präsidentenwohnung hinaufführten, empfing mich der Präsident, von allen Ministern und hohen Beamten der Republik umgeben, drückte mir die Hand und pries die Stunde glücklich, die es ihm vergönnte, meine persönliche Bekanntschaft zu machen.
Sodann begaben wir uns, der Präsident und ich, in des Präsidenten Cabinet, und hier überreichte er mir nach einigen Bemerkungen über mein trotz der anstrengenden Reise vortreffliches Aussehen, ein an ihn gerichtetes Schreiben des französischen Generalgouverneurs von Algerien, Damremont, worin dieser dem Präsidenten meldete, daß er so eben zu einer Expedition gegen Constantine Vorbereitungen treffe. Es hieß dann weiter:
»Sie werden begreifen, Herr Präsident! daß man zu einem solchen Unternehmen viel Kanonenfutter braucht, d. h. Gesindel, mit dessen Leichen man die Gräben füllt, damit die Sturmcolonnen darüber hinwegschreiten können. Ich beabsichtige daher, die Fremdenlegion um ein neues Bataillon zu vermehren. Sie werden mir ohne Zweifel mit Vergnügen gestatten, hierzu in den Vereinigten Staaten zu werben, da ja genug Gesindel aus Europa nach der Union kommt, welches Sie gern los sein werden.
Nun dient gegenwärtig in der Fremdenlegion ein Eskimo, vom Stamme der Kuxusen, der, wenn ich nicht irre, sogar ein Prinz ist. Derselbe hat mir Wunderdinge berichtet über einen deutschen Mann Fritz Beutel aus Schnipphausen, welcher in einem Feldzuge die Gurkchusen besiegte und dabei ein Feldherrntalent entwickelte, das seines Gleichen in der Kriegsgeschichte nicht hat.
Dieser Fritz Beutel wäre mein Mann, und ihm möchte ich die Anwerbung des neu zu errichtenden Bataillons der Fremdenlegion anvertrauen. Da ich nun zu vermuthen Grund habe, daß besagter Herr Fritz Beutel sich gegenwärtig in den Vereinigten Staaten aufhält, so würden Sie, Herr Präsident! mir und Frankreich einen unschätzbaren Dienst erweisen, wenn Sie die nöthigen Schritte ergreifen wollten, um seinem jetzigen Aufenthaltsort auf die Spur zu kommen.
Ich bezweifle nicht, daß besagter Herr Fritz Beutel gern auf meinen Antrag eingehen wird, da mit der Annahme desselben der Rang und Titel eines Obersten, das Commando über das Bataillon und das Kreuz der Ehrenlegion verbunden sind, sich demselben auch in Algerien ein ausgezeichnetes Terrain zur Entwickelung seiner Feldherrntalente darbietet.
Meine Regierung wird sich Ihnen, Herr Präsident! ohne Zweifel durch das Zugeständniß bedeutender Handelsvortheile erkenntlich beweisen, mit deren Bewilligung es sonst sehr eklich aussehen würde.«
So freudig überrascht ich auch innerlich war, stellte ich mich doch möglichst gleichgiltig, machte mancherlei Einwendungen und äußerte, daß ich die Angelegenheit eigentlich doch in Erwägung ziehen müßte, da mir in diesem Augenblicke auch von anderer Seite sehr annehmbare Anträge gemacht worden seien. Unter andern hätte ich nach Liechtenstein-Vaduz den Ruf als Kriegsminister und Generalissimus der Liechtensteinschen Armee erhalten, welcher Vorschlag um so verlockender erschiene, da dieser Posten ohne Zweifel der friedlichste und gefahrloseste in der Welt sei. Der Präsident war durch diese Mittheilung betreten, gestand offen, daß, wenn ihm dieser Antrag gemacht würde, er selbst sehr in Verlegenheit kommen würde, ob es nicht besser sei, den Posten eines Präsidenten der Union gegen den Posten eines Generalissimus der Liechtensteinschen Streitkräfte zu vertauschen, bemerkte aber dann, daß die Verbindung, in die mich die Annahme des Damremontschen Antrags mit Frankreich und den Vereinigten Staaten bringen würde, die weltgeschichtliche Stellung als Miteroberer von Constantine und die Aussicht auf den französischen Marschallsstab doch auch ihr Verlockendes hätten.
Ich besann mich eine Weile und sagte dann: Topp, Herr Präsident! ich erkläre mich bereit, den Antrag des Marschalls anzunehmen, indeß hauptsächlich aus Rücksicht auf Sie und die Vereinigten Staaten, mit denen auf einem freundschaftlichen Fuß zu stehen mir von hohem Werth ist. Was an mir liegt, soll gewiß geschehen, um das gute Einvernehmen zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten ungestört aufrecht zu erhalten.
Ich danke Ihnen, sagte hierauf erfreut der Präsident, indem er mir herzlich die Hand drückte; Sie haben als mein Freund gehandelt. Vergelt's Ihnen Gott!
Er theilte mir hierauf aus einem spätern Briefe mit, daß im Hafen von Neuyork eine französische Fregatte bereit liege, bestimmt, mich und das von mir anzuwerbende Bataillon aufzunehmen und nach der afrikanischen Küste hinüberzuschaffen.
Nachdem das Hauptgeschäft hiermit erledigt war, begaben wir uns zum Diner, vor dessen Beginn mir der Präsident seine Gattin und seine sieben Töchter, die alle wie Orgelpfeifen an einander gereiht standen (ohne jedoch zu pfeifen), vorzustellen die Ehre hatte.
Die Frau Präsidentin richtete, indem sie ihre Blicke die Front ihrer Töchter entlang streifen ließ, die Frage an mich: Lieber Fritz Beutel! sind Sie verheirathet oder ledig?
Ich merkte, wohinaus sie mit dieser Frage wollte, und da ich nicht beabsichtigte, mich von neuem zu binden, antwortete ich:
Halb und halb, d. h. meine Frau ist mir unterwegs verloren gegangen; ich habe jedoch in das Leipziger Tageblatt eine Anzeige einrücken lassen und sie darin aufgefordert, mir Kunde von ihrem Aufenthaltsort zu geben.
Diese Anzeige, erwiederte sie, muß ich, die ich ja früher Ihren Namen nicht kannte, übersehen haben, sonst hätte ich eine so indiscrete Frage gewiß nicht gethan.
Ich war sehr verwundert und fragte: Halten Sie denn das Leipziger Tageblatt, Madame?
Zufällig, war ihre Antwort; mein Mann hat eine Zeitlang in Leipzig studirt und hält aus alter Gewohnheit das dortige Tageblatt, welches noch immer seine Lieblingslectüre ist, weßhalb ich es auch nicht als Maculatur und zu Wirthschaftszwecken verkaufen darf.
Sie ließ nun von ihrer Aeltesten mehrere frühere Jahrgänge des Tageblatts herbeiholen, in denen wir so lange herumsuchten, bis wir auf meine Annonce stießen, die ich selbst heute zum ersten Male las. Merkwürdigerweise befand sich in derselben Nummer gleich darunter folgende Anzeige:
»Mein geliebter Mann Fritz, der durch ein grausames Geschick von meiner Seite gerissen wurde, wird von mir, seinem tiefbetrübten Weibe, hiermit aufgefordert, mir durch dieses Organ seinen jetzigen Aufenthaltsort anzuzeigen, damit ich in seine Arme eilen kann.
Beate Regina Cordula Veronika Beutel, geb. Pipermann.«
In der Eile hatte aber das gute Geschöpf vergessen, den eigenen Aufenthaltsort beizufügen, und auch ich hatte dies in der Zerstreuung versäumt. Wir befanden uns also Beide auf dem alten Flecke der Ungewißheit.
Es ist recht schmerzlich, lieber Herr Beutel! sagte hierauf die Frau Präsidentin. Sollte jedoch das Schicksal es wollen, daß Sie Ihre Frau nicht wieder fänden, so betrachten Sie dieses als eine höhere Fügung und denken Sie daran, daß es noch Mütter genug gibt, die mehr Töchter haben, als sie an den Mann zu bringen vermögen.
Ich küßte der Frau Präsidentin hierauf die Hand und bemerkte: Ich danke für diesen, ich darf sagen, mütterlichen Trost. Ich betonte das Wort »mütterliche« in einer Weise, daß sie die Anspielung nicht mißverstehen konnte, und ein dankender Blick ihres Auges traf den meinigen.
Nachdem ich einige Tage im Hause des Präsidenten recht vergnügt zugebracht, reiste ich von Washington wieder ab, um zuvörderst in Neuyork mit dem Commandeur der französischen Fregatte Rücksprache zu nehmen. Beim Abschiede bemerkte ich der Frau Präsidentin, daß mir die Trennung sehr schwer falle und daß ich sie bäte, mich nicht zu vergessen, wie auch ich sie nicht vergessen werde, worauf sie sagte:
Ach, lieber Herr Beutel! Eine Mutter mit sieben Töchtern hat wohl Ursache an Sie zu denken. Der Präsident aber drückte mir die Hand und sprach: Vergessen Sie die Vereinigten Staaten nicht und nehmen Sie ihr Interesse auch jenseits des Oceans wahr! Schreiben Sie mir wo möglich von der Bresche von Constantine. Vielleicht gewinnen Sie dazu während des Sturmes doch einige Augenblicke Zeit. Es wäre mir dies wegen gewisser Speculationen von der äußersten Wichtigkeit.
Ich sagte ihm dies zu, wir drückten uns die Hände und einige Thränen aus den Augen und so schieden wir.
In Neuyork begann ich, nachdem ich mit dem französischen Fregattencommandeur Rücksprache genommen, sogleich meine Werbungen, und da gerade eine große Anzahl Auswandererschiffe angekommen waren und es in Neuyork von Emigranten wimmelte, die, kaum ans Land gestiegen, bereits von allen Mitteln entblößt waren und ihre Haut selbst dem Teufel verkauft haben würden, so hatte ich in kurzer Zeit mein Bataillon beisammen, ohne daß ich das Weichbild der Stadt verlassen durfte. Es befand sich darunter eine ziemlich große Anzahl ganz stattlicher martialischer Gestalten, aber noch mehr Krüppel (die ich natürlich wohlfeiler hatte), Einäugige, Säbelbeinige, Lahme, Bucklige, fürchterlich Wohlbeleibte, wahre Fleischberge, und um dies Mißverhältniß wieder auszugleichen, auch fürchterlich Magere und Ausgehungerte, wahrhaftige Gerippe. Trinken konnten sie aber alle gut, und das war die Hauptsache; denn wer einen tüchtigen Hieb nehmen kann, der wird auch im Stande sein, tüchtige Hiebe auszutheilen.
Die Ueberfahrt ging ohne weitere Störungen von statten, nur daß des einen Tages die vielbesprochene große Wasserschlange mit aufgesperrtem Rachen gegen uns losgeschwommen kam. Indem sie das Meerwasser tonnenweise in sich hineinschlürfte, erregte sie eine solche entsetzliche Strömung, daß wir gerade in ihren Rachen hinein getrieben wurden und kaum Zeit hatten, die Masten vorher zu kappen. Wir gaben uns verloren. Aber die Fregatte fuhr mitten durch ihren wohl eine englische Meile langen Leib wie durch einen Tunnel hindurch und hinten wieder heraus. Die famose Wasserschlange mochte aber doch ein gewisses Kitzeln verspürt haben, denn als das Schiff aus ihrem Bauche wieder heraus war, sah sie sich verwundert nach uns um und schüttelte den Kopf.
Bei der Ausschiffung am Quai von Algier wurden wir vom Marschall Damremont und seinem glänzenden Generalstabe empfangen. Der Marschall reichte mir die Hand und sagte: Herr Oberst! ich heiße Sie im Namen Frankreichs willkommen. Fechten Sie so unter dem französischen Banner, wie Sie unter dem Banner der Kuxusen gefochten haben, und ich trete Ihnen einen Theil meiner militärischen Unsterblichkeit mit Vergnügen ab!
Stolz erwiederte ich: Ich bedarf nicht einen Theil der Unsterblichkeit, denn ich bin die Unsterblichkeit selbst. Aber verlassen Sie sich darauf, Herr Marschall! daß ich meine Pflicht thun werde.
Nun wurden meine Leute ausgeschifft. Die ersten Mannschaften gefielen dem Marschall ungemein. Das haben Sie gut gemacht, Herr Oberst! sagte er. Prächtige Bursche! Hauptkerle!
Nun kamen aber die Krüppel, die Fettbäuche und Gerippe. Der Marschall schüttelte mißbilligend das Haupt, sah mich verwundert an und fragte: Aber, Herr Oberst! was fangen wir mit diesem krummgewachsenen Volke, diesen Schmeerbäuchen und Kirchthurmspindeln an?
Herr Marschall! sagte ich, jeder dieser Leute hat seine besondern Vortheile, die ich zu benutzen wissen werde.
Welchen Vortheil kann dieses verwahrloste Säbelbein da haben? fragte der Marschall.
Seine Beine, Herr Marschall! erwiederte ich, bilden, wie Sie sehen, ein vollkommen rundes scheibengroßes Loch, gerade wie wenn man zwei halbe Reifen an einander stellt. Das ist nicht schön fürs Auge, aber ein großer Vortheil für den Soldaten; denn er hat die Aussicht, daß die Kanonenkugeln durch die von seinen Beinen gebildete Oeffnung hindurchfahren, ohne ihn zu verletzen. Ich benutze diese Oeffnungen auch als Schießscharten für die dahinter liegenden Schützen, und habe daher eine ganze Compagnie solcher Säbelbeinigen angeworben.
Und dieser Einäugige, dem das linke Auge fehlt? fragte der Marschall.
Hat auch seinen besondern Vortheil. Andere drücken beim Anlegen der Büchse das linke Auge zu, um mit dem rechten besser zu visiren; das hat dieser Einäugige nicht nöthig. Bei andern Schützen verläßt sich zu seinem Schaden wohl auch ein Auge auf das andere, was bei diesem Manne nicht stattfindet.
Aber dort der Lahme? fragte Damremont.
Das ist erst der rechte Mann; er muß stehen wo er steht; denn da ihm seine Beine jede rasche Bewegung unmöglich machen, darf er niemals daran denken, die Flucht zu ergreifen.
Dort der Bucklige?
Vortrefflich auf dem Marsch, um ihm Tornister und anderes Gepäck aufzuladen, damit die tüchtigere Mannschaft besser marschiren kann und nicht ermüdet. Ich habe auch davon eine ganze Compagnie, die mir alle Bagagewagen, welche in der Wüste nicht einmal immer zu haben sind, und im Gebirgskrieg so manche Maulthiere ersparen wird.
Jener Schmeerbauch?
Braucht erstens nicht so viel Kost, weil er im Nothfall von seinem eigenen Fette leben kann; sodann stelle ich diese Schmeerbäuche als einen Wall auf, welcher im Gefecht meinen Schützen zur Deckung dient. Zumal in der Wüste, wo es so wenig Buschwerk gibt, werden diese Fleischschanzen vom größten Nutzen sein.
Nun aber jene Hopfenstangen?
Da liegen doch die Vortheile auf der Hand. Ich möchte den Schützen sehen, der einen solchen Bindfaden treffen will! Doch wie gesagt, Herr Marschall! jeder dieser Leute ist für sich allein genommen, ein ziemlich unnützer Patron; aber bei der Verwendung im Ganzen füllt er seinen Platz aufs zweckmäßigste aus. Lassen Sie mich nur machen!
Herr Oberst! ergriff der Marschall wieder das Wort, ich setze ein so großes Vertrauen auf Sie, und Sie haben schon so Außerordentliches mit Ihrem System geleistet, daß ich mir keine weiteren Bemerkungen gestatten will. Frankreich rechnet auf Sie, die französische Nation blickt auf Sie, die Kabylen zittern vor Ihrem Namen, die Weltgeschichte streckt ihren Arm aus, um Sie mit dem Lorbeer ewigen Ruhms zu kränzen; Sie werden daher am Besten wissen, was Sie zu thun haben. Sollte sich Ihr System bewähren, so würde ich der Erste sein, es in der französischen Armee einzuführen. Und nun, Herr Oberst, machen Sie sich's bequem in Algier! Damit sprengte er sammt seinem Stabe hinweg.
Meine Leute wurden nun in der großen Kaserne untergebracht, während ich mich nach der Kasbah hinaufbegab, wo ich die Wohnzimmer des frühern Dey von Algier im prächtigsten orientalischen Geschmack für mich eingerichtet fand.