Hermann Marggraff
Fritz Beutel
Hermann Marggraff

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Zweites Kapitel.

Es gibt im Menschenleben Augenblicke,
Wo man daheim sich nicht behaglich fühlt;
Dann rath' ich dir, mach' schnell dich auf die Strümpfe,
Sofern du welche hast! . . .

Schiller.

Wer auf einer Reise nicht viel Ausgaben machen kann, dem ist zu rathen, die wohlfeilste Gelegenheit zu nehmen, die sich ihm bietet.

Goethe's Italienische Reise.

Obschon ich meinen Vater, den Schulmeister, bald an gelehrten Kenntnissen übertraf, so kann ich doch versichern, daß ich alle Federfuchserei so ingrimmig haßte wie der alte Blücher, und daß die Bücher an mir einen so erbitterten Feind hatten wie an jenem Chalifen, der die alexandrinische Bibliothek verbrennen ließ. Alle Bücher, die mir in die Hände fielen, riß ich so gut herunter, wie irgend ein deutscher Recensent, bis kein guter Fetzen mehr daran war; ich verhängte über sie alle nur immer denkbaren Todesstrafen und war darin so erfinderisch wie irgend ein Criminalrichter des Mittelalters: ich zerkniff, zerriß, zerschnitt, zersägte, zertrat, verbrannte sie. Nur gegen ein Buch ließ ich Gnade walten, gegen den Campe'schen Robinson, dem ich im Grunde Alles verdanke, was ich später geworden bin. Dieses Buch bildete meine ganze Bibliothek, und zwar eine portative, indem ich es überall mit mir trug. Ich vertiefte mich darin häufig so, daß, wenn meine Mutter kam, mich von dieser Lectüre abzuziehen, sie von meiner Person ganz und gar nichts mehr erblickte; ich stack in dem Buche, ich war in ihm aufgegangen.

Robinson Crusoe wurde mein Ideal, dem ich nachstrebte. Verschlagen zu werden an ein ödes unbewohntes Eiland, wie Robinson, bis zum Tode krank und wieder gesund zu werden wie Robinson, ein gemüthliches Lama zu halten wie Robinson, Kartoffeln in heißer Asche zu braten wie Robinson, mich mit Wilden herumzuschlagen wie Robinson, einen Freitag zu finden wie Robinson, das schien mir der einzige Zweck zu sein, für den zu leben des Lebens werth sei. Nur davor graute mir, in einem stillen bürgerlichen Berufe enden zu sollen wie Robinson. Meine innerste Natur sträubte sich dagegen, mein Leben im ehrsamen Beruf eines Tischlers unter Hobelspänen hinzubringen. Den Hobelspänen entgehen wir ja zuletzt doch nicht. So war ich, immer den Robinson im Herzen, bis zum zwölften Lebensjahre gediehen und bereits ein so strammer Bursche, daß mich mein Vater eines Tages ernstlich ins Gebet nahm und an mich die Worte richtete: Fritz, ich fürchte zwar, daß aus dir nie etwas werden wird, aber wenn du etwas werden solltest, was möchtest du wohl am liebsten wünschen geworden zu sein?

Bescheidentlich, aber meiner Sache sicher antwortete ich: Lieber Vater! was ich nicht werden möchte, das will ich Euch ehrlich und aufrichtig sagen. Ich möchte kein Schulmeister werden wie Ihr; denn den Dorfkindern Tag aus Tag ein, Jahr aus Jahr ein und das ganze Leben hindurch das ABC und Einmaleins einpauken, das scheint mir beim Lichte besehen doch ein sehr langweiliges Geschäft zu sein. (Der Vater schmunzelte hier, als ob er mir vom Grunde seines Herzens sehr Recht gäbe.) Und was habt Ihr davon? fuhr ich fort. Die Hasen laufen Euch, wenn auch nicht gerade auf den Tisch, doch in den Kohlgarten, aber Ihr dürft sie nicht wegputzen, weil das der gnädige Herr nicht leiden würde. Sie werden von Eurem Kohl fett, und so verspeist im Grunde die Gutsherrschaft Euren Kohl. (Der Vater schmunzelte noch mehr und nickte beifällig.) Ihr flickt den Jungen ihren zerlöcherten Verstand, aber Niemand flickt Euch Eure Kleider, wenn Ihr es nicht selbst thut, was doch nur dann möglich ist, wenn Ihr Geld genug habt, Zwirn zu kaufen. Ach ja, Zwirn spinnt Ihr Euch wohl noch, aber niemals Seide. (Der Vater schmunzelte von neuem.) Das Consistorium und die Oberschulbehörde versichern zwar, daß Ihr Euer Brod habt, aber ich sehe leider, daß wir sehr oft kein Stück Brod im Hause haben. Wochentags Kartoffeln ohne Salz und Sonntags zur Unterbrechung Kartoffeln mit Salz! Und das nennen sie da oben Brod haben! Nun ist mir aber gesagt worden, daß im Brode 20 Procent und in der Kartoffel nur 3 Procent Nahrungsstoff enthalten ist, mithin bleibt Euch die Oberschulbehörde, die Euch ins Brod oder buchstäblicher gesagt ins Kartoffelmuß einsetzte, bei jeder Kartoffel, die Ihr eßt, 17 Procent Nahrungsstoff schuldig. (Der Vater brach in ein herzliches Gelächter aus.) Macht doch der Oberschulbehörde eine Rechnung! Auf das ganze Leben veranschlagt, müßt Ihr ja so viel Brod herausbekommen, daß Ihr von dem Verkauf bald der reichste Mann im Dorfe sein müßtet. Da haben die Nationalöconomen, wie Ihr mir neulich erzähltet, ausgerechnet, daß in unserm Lande täglich auf den Kopf im Durchschnitt ein Pfund Fleisch komme. Ei, verklagt sie doch wegen Unterschlagung des uns rechtlich gebührenden Antheils am allgemeinen Fleischconsum! Bei der großen Kopfzahl unserer Familie und bei der noch größern Freigebigkeit unserer Nationalökonomen müßte Euch so viel Fleisch nachgeliefert werden, daß Küche, Keller und Speisekammer nicht Raum genug haben würden, es zu fassen. Ach, und was für Aussichten habt Ihr in die Zukunft? Seht hinaus! das sind Eure Aussichten!

Bei diesen Worten führte ich meinen Vater an das Fenster und zeigte dabei auf einige kleine von gewissen Feuchtigkeiten umspülte Hügel, wie man sie gewöhnlich in Hofräumen ländlicher Wohnungen findet und in deren Nähe der Städter, das Taschentuch vor die feinerzogene Nase haltend, seine Schritte zu beflügeln pflegt.

Der Vater brach in ein herzliches Gelächter aus. Nun, sagte er lächelnd, die Aussichten sind doch gerade nicht so ganz schlecht und nicht ohne allen Reiz. Die Birken da vor der Hofthüre sind doch ganz stattliche Bäume, und wenn wir sie fällen ließen, so könnten wir ziemlich den ganzen Winter über eine warme Stube haben.

Ja, fiel ich lachend ein, wenn Ihr sie nicht brauchtet, um die vielen Ruthen zu ergänzen, die Ihr jährlich auf dem dazu vom Himmel besonders eingerichteten Körpertheil Eurer ungezogenen Schulkinder zerarbeitet!

Na, du Gelbschnabel, rief der Vater, aber immer lachend, da er gerade bei guter Laune war – zum Schulmeister bist du freilich verdorben, das sehe ich! Aber nun sage mir, was du am liebsten werden möchtest?

Was ich werden möchte? rief ich; und kurz und entschieden setzte ich hinzu: Robinson will ich werden! Man kann sich denken, was für Augen mein Vater bei dieser Erklärung machte.

Ja, fuhr ich fort, wenn ich nicht Robinson werden kann, so will ich lieber gar nichts werden. Schickt mich nach Hamburg, Vater! damit ich mich als Schiffsjunge verdingen kann. Alles Uebrige wird sich finden.

Wenn du drei oder vier Jahre älter sein wirst, sagte mein Vater, dann läßt sich weiter darüber reden. Bis dahin werden dir die Robinson-Gedanken wohl verflogen sein.

Mit diesen Worten brach mein Vater unser Gespräch kurz ab.

Vier Jahre älter! Der Gedanke wollte mir nicht aus dem Kopfe. Bloß vier Jahre älter, um befähigt zu sein, Schiffsjunge zu werden! Da kam mir eine prächtige Idee: Du wirst vier Geburtstage überspringen, sagte ich mir, und schnell in meinen Entschlüssen, wie ich immer bin, übersprang ich sie auch sofort. Ich war nun plötzlich in dem Alter, in welchem man nicht mehr befürchten darf, wegen zu großer Jugend zurückgewiesen zu werden, wenn man sich als Schiffsjunge meldet.

Die Rechnung war so richtig, der Schluß so logisch als möglich: wenn es Einem gelingt vier Geburtstage zu überspringen, so muß man ja dadurch nothwendig um vier Jahre älter geworden sein. Wenn das Erste gelingt, so kann das Zweite unmöglich ausbleiben, und mir gelang es, wie mir Alles gelingt, was ich mir einmal fest in den Kopf gesetzt habe.

Indeß sah ich wohl ein, daß es immer noch einen tüchtigen Strauß mit dem Vater setzen würde, wenn ich versuchen wollte ihn zu bewegen, mich meines Weges ruhig ziehen zu lassen. Ich beschloß also, mich heimlich aus dem Staube zu machen (und an Staub fehlt es in meiner heimathlichen Gegend durchaus nicht) und schon das Dunkel der nächsten Nacht zu der Ausführung meines Entschlusses zu benutzen.

Das Einzige, was mir noch am Herzen lag – obschon ich damals gewünscht hätte, sie möchte mir fester am Herzen liegen als sie that – war Beate Regina Cordula Veronica Pipermann, die Erbschulzentochter des Dorfes, für die ich, trotz meiner Jugend, schon seit meinem zehnten Jahre eine gewisse zärtliche Passion fühlte, die sie nur deßhalb nicht erwiederte, weil, wie sie sagte, ich noch ein zu junges Bürschchen sei. Jetzt war ich ihr in Folge meines kräftigen Entschlusses an Jahren wenigstens gleich, und an Verstand fühlte ich mich ihr schon längst überlegen; denn sie war damals noch sehr dumm, fast dümmer noch als sie aussah, obgleich sie ihrem Aussehen nach doch immer noch dümmer hätte sein können als sie war. Es gibt aber eine Poesie und Romantik der Dummheit, der sich nichts vergleichen läßt, und diese war es, die mich bei Beate Regina Cordula Veronica Pipermann anzog.

Wenn es dir gelänge, sie zu entführen, sie mit dir zu nehmen– dachte ich mir – mit welchem romantischen Nimbus würde deine Schiffsjungenstellung verklärt werden! Der Geist Robinson's, hoffte ich, würde mir verzeihen, wenn ich mir wenigstens diese Abweichung erlaubte und mich an den Strand der einsamen Insel aussetzen ließe in Begleitung eines weiblichen Wesens, das wenigstens die mancherlei Flickarbeiten für mich übernehmen könnte, für die ich doch im Grunde sehr wenig Beruf in mir spürte. Ich begab mich also noch im Lauf des Abends zu ihr und stellte ihr mein Anliegen vor. Ich schilderte ihr mit glühender Beredsamkeit, wie schön es sein würde, wenn sie in einsamer Hütte die Kartoffeln kochte und die zu Schaden gekommenen Beinkleider aus Lamafell flickte, wenn sie neben mir den Pfad der Tugend durch die Insel wandelte, oder, insofern meine Tugend Schaden leiden sollte, auch diese zusammenflickte, ich malte ihr die Genüsse aus, die es gewährt, in selbstverfertigten Pelzstiefeln sentimental am Meeresstrande spazieren zu gehen, zur Unterbrechung mitsammen bald Küsse bald Austern zu schlürfen, und sich dabei zärtlich ins Auge zu blicken, ich deutete auf die Möglichkeit einer durch uns mittelbar oder unmittelbar erzielten Bevölkerung der Insel hin – aber sie zeigte keinen Sinn für die Romantik eines solchen Verhältnisses, selbst nicht für die ihr eröffneten Populationsaussichten; sie lächelte nicht, sie lachte – ach, so süß einfältig, daß ich die Größe der Natur bewundern mußte, auch in der Art, wie eine Erbschulzentochter in solchen Fällen lacht. Für diesmal ist es nichts, dachte ich mir, aber entgehen wirst du mir nicht.

Ich erwähne dies Verhältniß im Vorbeigehen schon hier, weil dieses Wesen, wie man sehen wird, noch später mit meinen Geschicken in wunderbarer Weise verflochten werden sollte.

Den Meinigen ließ ich folgenden Zettel zurück:

»Theure Eltern und Geschwister! Seid nicht so sehr betrübt über meinen Weggang; ich bin es auch nicht. Bedenkt, daß ich im Begriff bin, als Robinson mein Glück zu machen. Hindert mein Lebensglück nicht durch jene öffentlichen Briefe, die auch wohl Steckbriefe genannt werden, und für die Betheiligten sehr unangenehm zu lesen sind. Bietet die polizeiliche Macht nicht gegen mich auf, obschon ich überzeugt bin, daß ich mit ihr eher fertig werden würde als sie mit mir; denn, wer gegen mich ankämpft, kämpft gegen eine Macht, die höher ist als er. Mitgenommen habe ich nichts als ein paar Speckseiten und den Wanderpaß meines Bruders Georg, der so ziemlich auf mich paßt, seit ich Georg an Jahren eingeholt habe. Es ist besser, er bleibt und ich gehe. Dafür habe ich Euch einen schönen Wildbraten zurückgelassen, den Ihr auf dem Speicher unter dem Strohe finden werdet. Lebt wohl, und besucht mich gelegentlich in meiner neuen Heimath, über die ich Euch seiner Zeit Nachricht zukommen lassen werde.«

Was den in diesen Zeilen erwähnten Wildbraten betrifft, so bedarf dieser einer Erläuterung. Ich hatte nämlich in Erfahrung gebracht, daß in einer Kammer des Försterhauses ein prächtiger Sechszehnender liege, den unser Gutsherr sammt einigen Flaschen selbstgezogenen Landweines einem ihm befreundeten Kaufmann in Hamburg mit der Post zu schicken beabsichtigte. Im Geheimen hatte ich nun das mächtige Thier mit gewohnter Geschicklichkeit so ausgeweidet, daß nur noch die Haut übrig geblieben war. In diese verkroch ich mich während der Nacht so geschickt, daß, als am anderen Morgen die Kiste zugenagelt wurde, Niemand bemerkte, welch ein ganz anderer Braten darin stak. Die Kiste wurde nun mit gehöriger Aufschrift versehen, auf einem Bauernwagen nach der Stadt gebracht, und von hier mit der Post nach Hamburg weiterbefördert. So kostete die Reise mich gar nichts. Unterwegs benutzte ich die viele Muse, deren ich genoß, dazu, mit meinem Messer einige Kuck- und Luftlöcher in die Kiste zu schneiden, denn ich kann nicht leugnen, daß ohne diese geschickt vollzogene Operation meine sehr eingepreßte Lage trotz meiner gesunden Lunge ihr Bedenkliches für mich gehabt haben würde. Zehrung gewährten mir während des Transports die mitgenommenen Speckseiten und meinen Durst stillte ich mit dem vorgefundenen Landwein von echt märkischer Qualität, von dem ich auch keinen Tropfen übrig ließ. Wenn ich nicht aß und trank, schlief ich und träumte von nichts als von Kokusnüssen und Austerschaalen, Lama's und Menschenfressern, selbstverfertigten Beilen und Kleidungsstücken und aus Pflanzenfasern bereitetem Zwirn, in den sich meine Phantasie förmlich einspann.

So kam ich ohne weitere Gefährde nach Hamburg, dem Mekka meines großen Propheten Robinson.

Die Kiste wurde im Hause des Kaufmann Schummer abgesetzt. Die ganze Familie versammelte sich um das inhaltreiche und hoffnungsvolle Poststück. Die Kinder jauchzten; die Hausfrau theoretisirte im Stillen bereits über die verschiedenen Saucen und der Mann kostete sie im Geheimen durch. Die Nagel wurden einer nach dem andern mit der Zange herausgezogen, der Deckel endlich abgeworfen. Die Köchin, die Kindsmagd, der Bediente, der Kutscher faßten das Edelwild Jeder bei einem Beine und begannen es zu heben. Es müsse ein fetter Bissen sein, sagte die Köchin, denn es sei gewaltig schwer.

Jetzt endlich hielt ich meine Zeit gekommen und steckte den Kopf aus der Wildhaut langsam hervor, mußte aber, von dem plötzlich mein Auge treffenden Tageslichte geblendet, gewaltig nießen, ein, zwei oder dreimal – ich habe es nicht gezählt – was mir meine längst einstudirte Anrede für den Augenblick leider verdarb. Niemand dachte daran, mir ein Prosit oder Helf Gott oder Gesundheit zuzurufen. Die Dienerschaft ließ die Wildhaut vor Schreck aus den Händen und mich ein wenig unsanft auf den Boden der Kiste zurückfallen; die Herrschaft stand wie versteinert mit weit aufgerissenen Augen; die Kinder liefen unter entsetzlichem Geschrei davon. Ich indeß wickelte mich allmälig aus der Wildhaut los, trat mit artiger Verbeugung vor den Herrn und die Damen des Hauses und sagte: Der Herr Baron und die Frau Baronin von, auf und zu Schnipphausen lassen sich Ihnen bestens empfehlen und sich für die ihnen im vergangenen Sommer in Ihrem gastfreien Hause zu Theil gewordene freundliche Aufnahme durch mich herzlichst bedanken.

Sehr wohl – aber was soll das bedeuten? stammelte Herr Schummer, der sich allmälig zu sammeln und Herr der Situation zu werden begann.

Frei Gut, freie Fahrt! erwiederte ich.

Herr Schummer schien bei diesen Worten eine Ahnung über den Zusammenhang der ganzen Begebenheit zu bekommen, beschränkte sich jedoch für den Augenblick auf die Frage, wer ich sei und woher ich komme?

Ich bin Fritz Beutel, erwiederte ich, und komme direct von Schnipphausen.

Also Fritz – Fritz Beutel – –

Fritz Beutel, Sohn des hochachtbaren Schulmeisters Valentin Andreas Beutel in Schnipphausen.

Eine wunderliche höchst seltsame Geschichte, sagte lachend Herr Schummer. Aber Sie sehen einen Mann in mir, der Spaß versteht, und nun kommen Sie und erzählen Sie!

Ich mußte ihm nun, dem gemüthlichen alten Herrn, in sein Zimmer folgen, erzählte ihm hier Alles der Wahrheit gemäß und fand, da Herr Schummer ein jovialer Mann war, bald Entschuldigung und Verzeihung; ja Herr Schummer dankte mir schließlich recht von Herzen dafür, daß ich die Flaschen selbstgezogenen märkischen Landweines vertilgt und ihn dadurch der schweren Prüfung überhoben habe, selbst diesen Act zu vollziehen und seinem Geschäftsfreunde, dem Baron von, auf und zu Schnipphausen, Rechenschaft über die Güte des Weines abzulegen.

Herr Schummer bewirthete mich sogar mit einem echt Hamburger soliden Frühstücke, bestehend ans einigen Dutzend Austern, einigen Taschenkrebsen und Hummern, einem mächtigen Stücke Hamburger Rauchfleisch, einigen Metwürsten, einem westphälischen Schinken und verschiedenen Sorten von Käse holsteinischer, schweizer, holländischer und englischer Abstammung, was in Verbindung mit der nöthigen Menge köstlichen Portweines meine Lebensgeister nicht wenig hob und die seinigen sogar bis zu einer gewissen Exaltation steigerte. Er begann, sich für mich lebhaft zu interessiren und fragte mich, was mich denn nun eigentlich nach Hamburg geführt habe.

Ich fühlte wohl, daß ich einem nüchtern calculirenden Hamburger Kaufmann meinen Phantasieplan nicht offenbaren dürfe, ohne Gefahr zu laufen, die gute Meinung einzubüßen, die er von mir während des Gesprächs offenbar gewonnen hatte. Ich sagte daher so im Allgemeinen, daß ich wünsche, eine Seereise zu machen, die Welt und besonders fremde Länder kennen zu lernen und dabei selbst etwas Ordentliches und Tüchtiges vor mich zu bringen.

Zu meiner großen Freude und Ueberraschung erklärte und versprach er mir nun, zur Ausführung meines Projects selbst die Hand zu bieten, indem in einigen Wochen ein Segelschiff von ihm nach Nordamerika spedirt werden würde, auf welchem ich freie Ueberfahrt haben solle. Ja, er versprach mir sogar, einiges Geld und namentlich Empfehlungsbriefe an seine Geschäftsfreunde in mehreren nordamerikanischen Handelsstädten mit auf den Weg zu geben. Viel gelernt schien ich ihm zwar nicht zu haben, fügte er hinzu, aber dafür ein offener Kopf zu sein, und das sei ein Haupterforderniß in Nordamerika, dem Lande der offenen Köpfe..

O, wie dankbar schüttelte ich Herrn Schummer die Hand für ein so großmüthiges Anerbieten.

Und nun, lieber junger Freund! sagte er, als wir vom Frühstück aufstanden – machen Sie sich die wenigen Wochen Ihres hiesigen Aufenthalts recht lustig in Hamburg. Mein Geldbeutel steht Ihnen zur Verfügung. Thun Sie, was Ihnen beliebt! Nur Eins: kümmern Sie sich fortan eben so wenig um mich, als ich mich um Ihr Thun und Lassen kümmern werde. Ich habe meine Geheimnisse, und Sie werden die Ihrigen haben. Es ist daher besser, daß Keiner den Andern genirt. Und, wie gesagt, tummeln Sie sich hier noch recht tüchtig aus (Herr Schummer hielt mich wegen meiner strammen Leibesgestalt offenbar für älter als ich war); denn eine solche Seereise ist unendlich langweiliger als so eine Landratte sich einbildet, und da ist es zweckmäßig, eine recht tüchtige Fracht lustiger Erinnerungen mit an Bord zu nehmen.

Man kann denken, daß ich mir die väterlichen Rathschläge meines Gastfreundes möglichst zu nutze machte, und als Fritz Beutel mit meinem Namensvetter, dem Beutel des Herrn Schummer, eine sehr innige Bekanntschaft schloß, die zu den angenehmsten Erinnerungen meines Lebens gehört. Ich kann versichern, daß die feinen Austerkeller und die etwas weniger feinen Matrosenkneipen am Spielbudenplatz, daß die Tanzsalons und das Silentiumspiel in St. Pauli mich und meinen Namensvetter, der nur etwas lederner war als ich, gar sehr in Anspruch nahmen, und sehr bald bemerkte ich, daß ich hier in einer Stunde mehr als in der Schenke von Schnipphausen im Laufe eines Jahres ausgeben konnte und auszugeben Versuchung hatte. Ich habe mich leider niemals mit der Bitte: »Führe uns nicht in Versuchung« befreunden können! Viel eher fühlte ich mich immer zu der Bitte aufgelegt: Führe mich nur recht tief und oft in Versuchung; wie ich mit Glück herauskomme, das laß meine Sorge sein! Dieser Versuchungen gab es hier nun freilich mehr als in meinem Heimathsort Schnipphausen, wo des Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh oder Alles was sein war, in der Regel nicht sehr einladend erschien, um darnach zu begehren. Ich will mich hier nur in das fleischliche Gebiet der Frühstückskeller verlieren, und muß bei dieser Gelegenheit bemerken, daß wenn man dem Hamburger Mangel an Geschmack nachsagt, dies mir eine sehr ehrenrührige und unverdiente Beschuldigung zu sein scheint. Was wäre denn schmackhafter als diese pfundschweren Hummern, diese höchst preiswürdigen Seezungen, Dorsche und Schellfische, diese appetitlichen, zum Einschlürfen wie gemachten Austern, von denen mindestens ein Schock auf einen wohl organisirten Menschenmagen gehen, diese kolossalen Alpenmassen Hamburger Rauchfleisches, an denen der Bratensaft wie erquickliches Gletscherwasser hinabrinnt, diese westphälischen Schinken und Lachse, die in Scheiben zerlegt sich wie durchsichtige Rosenblätter auf dem Teller ausbreiten, diese wohlgerundeten Riesenschlangen, welche den officiellen Namen Braunschweiger und Göttinger Metwürste führen? Und wie kunstmäßig und malerisch wissen die Hamburger Geschmackskünstler diese und andere Bestandtheile, die zu einem Hamburger Frühstück gehören, zu einzelnen Gruppen, und diese wieder zu einem zusammenhängenden Ganzen harmonisch zu ordnen! Ich frage, ob ein Gemälde von Raphael oder Titian, ob die Sixtinische Madonna oder die Nacht von Correggio die Geschmacksnerven in gleicher Weise zu befriedigen im Stande sind als solch ein Büffet in einem Hamburger Frühstückskeller? Nein, so lange Hamburg solche Künstler wie Wilkens und Sallier und Märtens und andere Meister ähnlichen Ranges hat, braucht es Spanien um seine Murillo, Zurbaran und Velasquez, und Italien um seine Leonardo da Vinci, Michel Angelo und Raphael nicht zu beneiden. Gegen diese Hamburger Museen von Fleisch-, Fisch- und Delicateßwaaren schwinden alle Glyptotheken und Pinakotheken der Welt in ihr verdientes Nichts. Es würde nach Prahlerei aussehen, wenn ich versichern wollte, ich hätte unter diesen Vorräthen eine solche Verwüstung angerichtet, daß, was in Hamburg gewiß viel sagen will, ein empfindlicher Mangel entstand und daß schleunigst einige Dampfboote in See gehen mußten, um zu seiner Deckung einige Ladungen frischer Austern, Taschenkrebse, Sprotten, Hummern und Seefische herbeizuholen. Indeß, es ist die Wahrheit, und die Wahrheit soll Niemand verschweigen.

Während der nöthigen Verdauungspausen pflegte ich am Hafen auf und ab zu schlendern und mit den Theerjacken der verschiedenen Nationen, die mir für meine künftigen Weltfahrten wünschenswerthen Bekanntschaften anzuknüpfen. Bei meiner schnellen Auffassungsgabe eignete ich mir so im Spazierengehen nicht blos die nöthigsten Vorbegriffe der Nautik, sondern auch die Kenntniß des Englischen, Französischen, Portugiesischen und Spanischen und unterschiedlicher afrikanischer und asiatischer Dialekte an, was mir später sehr zu Statten kam.

Der Tag der Abreise war da, und ich gestehe, daß es mir nun ordentlich schwer ums Herz wurde, den mir in einer Hinsicht und Herrn Schummer in anderer Hinsicht so theuer gewordenen Boden Hamburgs zu verlassen und einer Zukunft entgegen zu gehen, die, wie ich mir doch sagen mußte, in ziemlich unbestimmten Umrissen vor mir lag. Wenn (fing ich mich an zu fragen) das Schiff eigensinnig genug ist, nicht untergehen zu wollen? Oder wenn ein kleines unvorhergesehenes tückisches Ungefähr will, daß du mit zu Grunde gehest, wenn Grund genug dazu da wäre? War es überhaupt wahrscheinlich, daß es noch auf dem weiten Erdenrunde eine unentdeckte und unbewohnte Insel gäbe, um darauf das Leben Robinson's durch alle Stadien durchzuspielen? Und selbst angenommen, daß ich meinen Zweck durchsetze, so überrieselte mich jetzt ein kleiner Schauder bei der Vorstellung, vielleicht Jahre in gänzlicher Einsamkeit und Abgeschiedenheit hinbringen und bei spärlicher Kartoffelkost an die so appetitlich dampfenden Fleischtöpfe Hamburgs zurückdenken zu müssen. Indeß ich hatte nun keine Wahl mehr, und vorwärts hieß die Loosung, wie sie bei mir immer hieß.

Ich verabschiedete mich bei Herrn Schummer, der mir einige Dutzend Empfehlungsbriefe an seine Geschäftsfreunde in Neu-York, Philadelphia, Boston, Baltimore und andern nordamerikanischen Handelsplätzen einhändigte und, da er ein Deutscher, mithin wie alle Deutsche auch ein Stück Schulmeister war, nicht umhin konnte, mir seinen wohlgemeinten Rath mit auf den Weg zu geben.

Sie gehen in die Welt, sagte er, um Ihr Glück zu machen. Hierzu ist es aber vor Allem nöthig, daß man auch Glück habe. Verstehen Sie mich recht – Sie müssen den Schein zu gewinnen suchen, daß Sie ein Sohn des Glücks seien; alles Uebrige findet sich. Die Menschen, wie sie einmal sind, wollen nur mit dem Glücklichen verkehren; dem Unglücklichen gehen sie vorsichtig aus dem Wege; denn, sagen sie mit Recht, wer nicht fähig ist, sein eigenes Glück zu machen, wie sollte der fähig sein, Andern Glück zu bringen? Dem Hause, in welchem eine ansteckende Krankheit eingekehrt ist, geht Jedermann vorsichtig aus dem Wege; dem Hause, welches mit dem Pesthauch des Unglücks heimgesucht ist, weicht man mit demselben Rechte aus; denn unter allen Seuchen ist das Unglück die ansteckendste. Sie glauben nicht, mein lieber junger Freund, welche scharfe Witterung die Menschen in dieser Hinsicht haben. Wer fortdauernd am Schnupfen des Unglücks leidet, ist ein verlorner Mann, ein Aussätziger, den die menschliche Gesellschaft von sich verbannt. Man muß sich also hüten, diesen fatalen Katarrh des Unglücks sich auf den Hals zu ziehen; hat man ihn erst einmal, so hält es schwer ihn los zu werden, und man ist damit leicht Zeit seines Lebens geplagt. Veränderung der Luft thut dann noch am besten; d. h. hat man in Philadelphia den Schnupfen, ich will sagen Unglück, so verläßt man Philadelphia und geht nach Boston und so immer weiter, bis man an einen Ort kommt, wo man fühlt, daß die Krankheit weicht. Bleibt man aber in der ungünstigen Atmosphäre, so geht der Schnupfen nur zu leicht in Stockschnupfen, d. h. das Unglück in Stockunglück über, und dies ist ein höchst gefährlicher, radical gar nicht mehr zu heilender Krankheitszustand. Um Ihr Glück zu machen, dürfen Sie nicht allzublöde, ja in manchen Fällen sogar etwas unverschämt sein, wozu Sie mir auch ganz der rechte Mann zu sein scheinen. (Ich verbeugte mich.) Gewissenhaft müssen Sie freilich sein, jedoch nur in Ihren eigenen Contobüchern, sonst scheeren Sie sich nicht viel ums Gewissen, wenn sie eins haben. (Ich verbeugte mich abermals.) Das Gewissen ist der zudringlichste Gläubiger, der immer wieder zu mahnen kommt, wenn man ihm nicht gleich zum ersten Male die Thüre weist. Und dabei wird der Kerl bei jedem wiederholten Besuche stärker und größer. Auf Principien müssen Sie äußerst streng halten, jedoch nicht auf jene abgenutzten Principien der Christen- und allgemeinen Menschenliebe, sondern auf die gesundesten von allen, auf Geschäftsprincipien. Dabei wird es immer von Vortheil sein, wenn Sie suchen, Mitglied oder Vorstand recht vieler wohlthätiger, gemeinnütziger und christlicher Gesellschaften und Vereine zu werden; das vermehrt Ihr Ansehen und die Zahl Ihrer Kunden; nur müssen Sie es so einzurichten wissen, daß dabei die eigene Kasse nicht in Anspruch genommen wird. Besuchen Sie fleißig die Kirche, halten Sie an gewissen Abenden zu Hause sogar Conventikel – das mag einem Manne, wie Sie sind, allerdings nicht sehr zusagen, aber es ist gut fürs Geschäft, namentlich in Nordamerika, wo man diesen Standpunkt noch nicht wie bei uns überwunden hat. Es ist aber, wie gesagt, nur eine Geschäftssache und gehört zur smartness. Sie kommen in das Land des Schwindels, junger Freund! Nun, man denke davon wie man will, so viel ist gewiß, daß der Schwindel dort, wie ja auch bei uns, seinen Mann nährt und daß, wenn Alles schwindelt, im Grunde Niemand mehr schwindelt. Die Frage ist dann nur, ob man es vorzieht, selbst beschwindelt zu werden oder Andere zu beschwindeln. Nur freilich muß der Schwindel eine Form, eine anscheinend solide Basis haben; der geschäftsmäßige Charakter muß aufrecht erhalten werden. Gerade in Nordamerika können Sie auf die verschiedenste Weise Ihr Glück machen; geht es mit einem Bleistift- oder Zündhölzchenkram nicht, so legen Sie eine Dintenfabrik an; werfen Sie dabei um, so legen Sie sich auf den Handel mit Universalpillen; mißglückt Ihnen auch dies, so versuchen Sie es als Methodistenprediger, wobei Sie immer noch mit Pillen handeln, eine Barbierstube administriren, ein focialistisches Blättchen herausgeben und noch andere Zweige menschlicher Thätigkeit in Ihrer Hand vereinigen können. Und nun leben Sie wohl! Gedenken Sie meiner so wenig als möglich, wie ich auch Ihrer so wenig als möglich gedenken werde! Heirathen Sie reich, wenn es möglich sein sollte, und frühstücken Sie gut, wenn es im Grunde auch nicht möglich sein sollte. Gott erhalte Sie!

Nach dieser Standrede die ich mit übermenschlicher Geduld anhörte, versuchte ich einige Thränen der Rührung aus den Augen zu pressen; aber Herr Schummer fuhr dazwischen: Nur keine Rührung! Mit der Rührung habe ich noch niemals ein Geschäft gemacht und Sie werden damit auch keins machen! Noch ein Händedruck, und hinaus war ich.

Die Segel des Dreimasters, der mich aufnehmen sollte und Amphitrite hieß, waren gespannt und gewährten im Scheine der Mittagssonne einen prächtigen Anblick. Ein kleiner Kahn, bei dessen Besteigen ich nicht unterließ, der deutschen Erde mit dem rechten Fuße zum Abschied einen Tritt zu geben, brachte mich hinüber, und bald glitt das stolze Fahrzeug, von einem Dampfboote geschleppt, durch die spiegelglatte Fluth der Elbe, bei den impertinent ziegelrothen Dächern Altona's, den stattlichen Villen und Gärten hamburgischer Nabobs und dem hübschen kleinen Rundgebirge von Blankenese vorbei, immer dem Ocean entgegen.


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