Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ein Ruck! – –
Klopstock's Messiade. Ein üppig grünes Land! Durch Pisangs und Bananen Freiligrath. |
Ich erwachte von einem furchtbaren Ruck, der zur Folge hatte, daß ich, stärker als mir lieb und angenehm war, auf das Deck niederfiel. Ich erhob mich mühsam, mit schmerzenden Gliedern und blickte mit großer und, alle Umstände in Betracht gezogen, sehr erklärlicher Verwunderung umher. Das Schiff war an ein mir gänzlich unbekanntes Land geworfen, das in seiner Form und in seiner Vegetation unverkennbaren tropischen Charakter unschwer wahrnehmen ließ. Ohne Zweifel hatten die Stürme aus den drei andern Himmelsgegenden plötzlich nachgelassen und der Nordwind diesen günstigen Augenblick benutzt, dem Schiffe einen gehörigen Stoß zu versetzen und es ans Land zu werfen. Wir mußten also bei jenem Orkan mit rasender Schnelligkeit sehr weit südwärts und – was man freilich bei der entsetzlichen Finsterniß nicht wahrnehmen konnte – bis hart an dieses Land herangetrieben worden sein, von dem ich freilich fürs erste nicht wußte, ob es ein Stück terra firma oder eine Insel sei.
Dies war jedoch für den Augenblick nur eine Nebenfrage; die Hauptsache war, daß ich mich gerettet, gesichert, lebend und – einige von starkem Fall verursachte blaue Flecken abgerechnet – sogar unverletzt auf festem Boden befand, in einer ähnlichen Lage wie Robinson – doch in einer unendlich vortheilhaftern. Robinson war wie ein Lump ans Land geworfen, ich aber als Besitzer eines Schiffes. Dieses hatte zwar bei dem furchtbaren Sturm so manche Beschädigungen erlitten und namentlich sein Steuerruder und seine sämmtlichen Masten verloren, im Uebrigen aber wegen seiner soliden Bauart den letzten Stoß sehr gut ausgehalten, zumal das Ufer kein felsiges, sondern mit einem leichten sammetartigen Grasteppich bedeckt war.
Im Allgemeinen wie im Besondern muß ich aber doch sagen, daß die Vorstellung, mich so plötzlich allein und auf mich selbst angewiesen zu wissen, etwas Beängstigendes für mich hatte. Seneca hat zwar einmal gesagt, er sei niemals weniger allein gewesen, als wenn er allein war, doch das ist nur eine Redensart. Wenn sich Seneca in allen seinen gesellschaftlichen Genüssen Roms satt geschwelgt hatte, dann mochte es ihm allerdings wohlthun, sich eine Zeitlang in die Einsamkeit einer Villa zurückzuziehen. Und auf seiner Villa hatte er doch seine Bücher, seine Sclaven und wenn er wollte seine Freunde und sogar Freundinnen. Hätte aber der alte Herr sich in eine Einsamkeit wie ich versetzt gesehen, mit der Aussicht, vielleicht Jahre lang keinen andern menschlichen Laut zu hören als den, welchen man selbst von Zeit zu Zeit in Monologen von sich gibt, ich glaube, er würde den Satz umgekehrt und gesagt haben: ich war nie einsamer als wenn ich mit mir allein war. Ich glaube, daß der alte blasirte römische Herr, der trotz seiner stoischen Philosophie an seinem Zöglinge Nero gerade kein Meisterwerk der Erziehungskunst geliefert hat, lange nicht so amüsant war als ich und daß, wenn er mit sich allein umging, sich in der langweiligsten Gesellschaft befand, die er überhaupt wählen konnte.
Ich war in der That sehr in Verlegenheit, womit ich nun mein einsiedlerisches Leben beginnen sollte. Ich bewegte ein Dutzendmal den Daumen der linken Hand um den Daumen der rechten und dann wieder zur Unterbrechung eben so oft den Daumen der rechten Hand um den der linken. Indeß konnte ich damit doch meine ganze Zeit nicht ausfüllen. Ich holte nun aus meinem Etui meine letzte Cigarre hervor und schlug mit Schwamm, Stein und Stahl Feuer, was, da der Schwamm so gut wie ich selbst durchnäßt war, langsam genug von statten ging und mich glücklicherweise wieder eine ziemlich lange Zeit beschäftigte. Als nur die Cigarre erst wieder mit unsäglicher Mühe in Brand gesetzt war, fühlte ich meine alte moralische Kraft wieder zurückkehren. Es fiel mir ein, daß ja noch Jemand so gut wie ich am Leben sein könne, und da ich mich jedenfalls über den Zustand des Schiffs und die etwa geretteten Vorräthe und Habseligkeiten unterrichten wollte, begab ich mich in die Kajüte und von da in das Zwischendeck. Alles lag durcheinander und war sehr durchnäßt, aber kein Mensch zu sehen; ohne Zweifel waren einige mächtige Wellen in die Kajüte und die innern Schiffsräume gedrungen, hatten die darin Befindlichen ertränkt und aus dem Schiffe wieder zurückprallend, die Leichen mit fortgenommen und über Bord geschwemmt. Das etwa noch übrig gebliebene Wasser mochte durch die sehr bedeutenden lecken Stellen des Schiffs seit seiner Landung allmälig abgeflossen sein.
Hierauf stieg ich vom Schiffe, zog meine furchtbar durchnäßten Kleider aus, bis ich, wie Vater Adam vor Erfindung des Feigenblattschurzes (der ersten menschlichen Erfindung überhaupt), erröthend und verschämt vor der Natur stand, und hing sie an einem der nächsten Bäume auf, der ein Tulpenbaum war, um sie zu trocknen. Sofort nach dem letzten Windstoße war schönes Wetter eingetreten. Der Himmel wölbte sich wie eine dunkelblaue Glaskuppel über dem üppig quellenden grünen Lande; die Sonne brannte mit wahrhaft südlicher Gluth, die jedoch durch kühlere Brisen von der See her süß gemildert wurde; die blühenden Sträucher würzten die Luft mit wahrhaft berauschendem Aroma; Papagaien in den buntesten Farben wiegten sich auf den Zweigen wunderbar geformter Bäume und schienen mit ihrem lauten Gekrächze und Gekreische den Fremdling zu begrüßen, und listig aussehende Affen und Aeffchen mit Wickelschwänzen warfen mir schäkernd allerlei schmackhafte Früchte zu und schnitten mir Gesichter, die ich in gleicher Weise zu erwiedern suchte, was ihnen sehr viel Spaß zu machen schien.
Ich schritt nun zum wichtigen Acte der Besitzergreifung des Landes, das ich nach einiger Orientirung mit dem mir eigenthümlichen richtigen Instinkt als eine Insel erkannte. Ich trieb demnach meinen Reisestock, den ich vom Schiffe mitgenommen hatte, in die Erde, befestigte mein Schnupftuch (weiß mit blauen Blümchen) als Nationalflagge daran, nahm die Insel in meinem eigenen Namen in Besitz und gab ihr den Namen Beutel-Land. Auf deutschen Karten ist die Insel freilich niemals verzeichnet worden, ohne Zweifel aus Eifersucht der deutschen Geographen, die einem Landsmanne, welcher nicht einmal Professor war, so sehr er es zu sein verdiente, den Ruhm nicht gönnen wollen, der Entdecker einer Insel gewesen zu sein, von deren Existenz sie bis dahin auch nicht die leiseste Ahnung gehabt hatten.
Ich bin überhaupt neugierig, wie lange es den deutschen Gelehrten möglich sein wird, meine Verdienste um die Erd- und Völkerkunde zu ignoriren.
Ich will gleich an dieser Stelle die Besitzergreifungs- und Verfassungsurkunde mittheilen, die ich einige Tage darauf bei größerer Muße entwarf; sie lautete:
Art. 1. Wir Fritz Beutel aus Schnipphausen haben von diesem von Uns entdeckten Lande feierlichst Besitz ergriffen, demselben den Namen Beutelland zugelegt und ihm die Ehre angethan, es zu einem Kaiserreiche zu erheben, insofern von keinem früher dazu Berechtigten, der seine Ansprüche nachzuweisen vermag, zu rechter Zeit Einspruch dagegen erhoben wird.
Art. 2. Alle umliegenden Inseln, die Wir noch entdecken und in Besitz nehmen sollten, werden als Pertinenzien zu diesem Lande geschlagen und mit ihm unter dem Namen: Beutelreichisches Kaiserthum oder Kaiserthum Beutelreich vereinigt werden.
Art. 3. Wir selbst Kraft Unseres Willens setzen Uns als Herrscher über diesen Länder und Inselcomplex und nehmen den Titel an: Fritz Beutel I., Kaiser und Selbstherrscher von Beutelreich, allezeit Förderer und Mehrer des Reichs. (Weitere Titel werden je nach Maßgabe der zu machenden Eroberungen vorbehalten.)
Art. 4. Wir vereinen in Uns alle geistliche und weltliche Autorität und verfügen über alle Streitkräfte zu Wasser und zu Lande, wie über die Leiber und Gewissen Unserer Unterthanen (sobald sich solche finden sollten) und über die Herzen Unserer Unterthaninnen.
Art. 5. Die Thronfolge ist in männlicher Linie erblich, sollten Wir Uns nun standesgemäß mit einer Prinzessin aus den benachbarten Inseln oder morganatisch mit einer unserer Unterthaninnen verehlichen.
Art. 6. Alle Unterthanen haben das Recht, in diesem Kaiserreiche zu existiren.
Art. 7. Abgaben gibt es in Unserm Reiche nicht; aber in Erwägung, wie beschränkt der Verstand aller Unterthanen zu sein pflegt und wie wenig sie selbst wissen, was ihnen gut thut, ordnen Wir an, befehlen und verfügen Wir wie folgt: Alles, was Unsere Unterthanen erwerben und verdienen, fließt in die Kasse des Kaisers, der sich vorbehält zu bestimmen, wie viel davon einem Jeden gebührt und für seinen Lebensunterhalt nothwendig ist.
Art. 8. Alle Unterthanen, welcher Confession sie auch seien, haben gleiche Rechte bis zu dem Zeitpunkte, wo es Uns gefallen sollte, eine neue Religion zu erfinden und Unsern Unterthanen zu octroyiren.
Art. 9. Eine Repräsentativ-Verfassung ist nicht nöthig, da Wir der Kaiser nicht bloß in der besten Verfassung, sondern auch die beste Verfassung sind. Wornach zu achten.
Art. 10. Die Nationalflagge ist blau mit weißen Blümchen, das Landeswappen ein Beutel (Reichssäckel), aber oben nicht zugebunden.
Art. 11. Die Person des Kaisers ist unverletzlich, die Personen der Unterthanen sind verletzlich. Was niemals zu vergessen.
Art. 12. Alle weiteren Gesetze, die dazu nöthig sein werden, ein gehorsames Volk zu haben, gehen von Uns unmittelbar aus und versprechen Wir, Uns in dieser Hinsicht durchaus keinen Zwang anzuthun.
Daß diese Reichsurkunde noch dürftig und roh und nicht viel mehr als ein bloßer Entwurf war, gebe ich zu. Ich hatte damals in der Kunst zu herrschen noch keine Erfahrung, obgleich, wie ich glaube, schon viele Anlage, die nur der Uebung und Ausbildung bedurfte. Ueber die beste Art zu herrschen habe ich dann später in den Reichen Centralafrika's ganz andere Erfahrungen gemacht, so daß mir darüber die Augen nicht blos auf-, sondern zu Zeiten auch übergingen.
Doch ich will diese Urkunde, die jetzt im britischen Nationalmuseum zu London aufbewahrt, aber ihrer großen Kostbarkeit wegen keinem Fremden vorgezeigt wird, bei Seite liegen lassen und mich zu meinen Beschäftigungen des ersten Tages zurückwenden.
Meine nächste Sorge nach der Besitzergreifung war, die auf dem Schiffe vorhandenen sehr zahlreichen Vorräthe an Kleidungsstücken, Lebensmitteln, Getränken, Waffen und selbst Luxusgegenständen in Augenschein zu nehmen und zu ordnen. Vieles davon war freilich durchnäßt und ich hatte bis Sonnenuntergang genug zu thun, es aus der Kajüte und den untern Schiffsräumen heraufzubringen und auf dem Deck auszubreiten, um es zu trocknen. Bei der außerordentlichen Dürre des Klimas und der glühenden Sonnenhitze war übrigens Alles sehr bald getrocknet, ja es trocknete mir so zu sagen unter den Händen.
Räthselhafte Menschennatur! Wie ich so auf dem Verdeck stand und meinen Reichthum überschaute, wandelte mich ein Gefühl des Stolzes an und ich begann auf den von mir einst so hochverehrten Herrn Robinson mit aufrichtiger Verachtung und Geringschätzung herabzublicken. Armer Patron, sagte ich für mich, was bist du gegen mich? ein verächtlicher Schlucker, ein vom Meere ausgespieener armseliger Bettler! Dein Ende als Hamburger Philister war eines solchen Anfangs würdig! Ich habe anders begonnen als du, und ich werde auch anders zu enden wissen als du! Ja ich schämte mich der Verehrung, die ich diesem Menschen gewidmet hatte, in dem Maße, daß ich, um nicht mehr an ihn erinnert zu werden, das Exemplar meines Campe'schen Robinson, das ich in der Tasche bis dahin mit mir geführt hatte, ergriff und ins Meer hinausschleuderte.
Abends nahm ich auf dem Verdeck ein den Umständen nach köstliches Mahl ein, bereitete mir dann einige Gläser Grog von der Sorte, die man in Hamburg »steifen« nennt, rauchte aus dem Nachlasse Krischan Schroops einige ächte Cigarren und überließ mich dabei den süßesten Träumereien über meine Zukunft. Erst spät zog ich mich in die Kajüte, die ich mir zu meiner Behausung ausersehen hatte zurück, bereitete mir ein weiches Lager und schlummerte unter dem Plätschern der nahen Meereswellen sanft und friedlich ein.
Tief in den Tag hinein mochte ich geschlafen haben, als wirre und wüste Traumbilder mich zu quälen und zu ängstigen begannen. Bald erschien mir Robinsons zürnender Geist und hielt mir die geballte Faust unter die Nase, bald schnappte nach mir ein riesiger Alligator mit offenem, schrecklich mit Zähnen besetztem Rachen, bald ringelte sich kalt und schlüpfrig eine Riesenschlange um meine zitternden Glieder und drohte mich in ihren Verknotungen zu zerdrücken und zu zermalmen; bald war ich in die Hände heißgieriger Wilden gerathen, die, nach meinem Fleische lüstern, mich von allen Seiten mit ihren Messern anfielen, um ein Beefsteak oder ein Fricassee aus mir zu bereiten; bald leckte mich ein Löwe mit seiner stachlichen Zunge an der Hand, gewissermaßen um zu untersuchen, ob mein Blut auch wohlschmeckend sei.
Doch Himmel! ich träumte nicht mehr, ich wachte oder vielmehr ich befand mich in jenem Halbschlaf, der dem vollständigen Erwachen vorher zu gehen pflegt, und ich fühlte wirklich, wie die Zunge einer zottigen Bestie sich mit meiner Hand in bedenklicher Weise beschäftigte. Man stelle sich mein Entsetzen vor! Ich war ja damals noch ein Neuling in solchen Dingen. Da ich mich jedoch erinnerte gelesen zu haben, daß es in solchen bedenklichen Lagen am gerathensten sei, sich nicht zu rühren und den Todten zu spielen, so zuckte ich kein Glied, keine Muskel, ja ich suchte selbst den Athem an mich zu halten, während mir aus allen Poren der Angstschweiß unwillkürlich hervorbrach, wie es nicht ärger in einem russischen Dampfbade der Fall sein kann. Nach einiger Zeit schien es mir jedoch, als ob das Thier in der That keine bösartigen Absichten haben könne, denn das Lecken seiner Zunge war sanft und liebevoll und ein leises Knurren, das ich vernahm, schien eine ganz besondere Liebe und Zuneigung auszudrücken. Ich wagte nun den Kopf ein wenig nach ihm zu wenden und die Augenlider zu einem ganz kleinen Spalt zu öffnen.
Wer schildert meine freudige Ueberraschung, als ich in dem Thiere, das mir so viel Bestürzung eingeflößt hatte, den treuen Begleiter Krischan Schroops, den Neufundländer Hector erkannte, der mich während der Seereise in besondere Affection genommen hatte, und wer schildert die Scene unsers von beiden Seiten so wenig erhofften Wiedersehens! Hector, rief ich, Hector! und Hector sprang mit einer Zärtlichkeit an mir in die Höhe, wie ich unter gleichen Umständen an ihm in die Höhe gesprungen sein würde, wäre ich Hector und er Fritz Beutel gewesen.
Wo kommst denn du her, alter Geselle? fragte ich, und er schüttelte sich, daß es rings um ihn her spritzte, gleich als ob er sagen wollte: Ei, siehst du nicht? ich komme aus dem Wasser! Und noch eine seltenere Ueberraschung! Zu Füßen meines Lagers befand sich das freilich sehr durchwässerte und zwar nicht blos von Campe durchwässerte Exemplar des Robinson, das ich ins Meer geworfen zu haben schon vorher bitter bereut hatte.
Ohne Zweifel war Hector bei der Sturmkatastrophe auf eine der nahen Klippen gerathen, das Exemplar des Robinson war von den Wellen bis dahin geführt worden, Hector, ein scharfsinniger Kopf, hatte das Exemplar erkannt und daraus geschlossen, daß sein Besitzer sich in der Nähe befinden müsse; er war von der Klippe gesprungen, hatte das Exemplar in die Schnauze genommen und war, seinem richtigen Instinkt folgend, zu mir herüber geschwommen. Ich war nun nicht mehr allein, ich hatte einen Freund – und welchen Freund! – ich konnte nun eine Seele mein nennen, wenn auch nur eine Hundeseele, die freilich sehr häufig mehr werth ist als eine Menschenseele.
An diesem Tage beschloß ich meine erste Excursion in das Innere der Insel zu machen. Ich belud meinen Begleiter mit Lebensmitteln, worunter eine ansehnliche Metwurst, die ausdrücklich für Hector zum Mittag bestimmt war, bewaffnete mich mit einer doppelläufigen Flinte und versah mich mit Schroop's in der Kajüte zurückgebliebener Taschenuhr und einem seidenen Schirm, der mir zugleich als Spazierstock dienen sollte. Ein Beil band ich, wie auch andere Geräthschaften, auf Hector's Rücken. Einige kräftige Schluck Cognac vertrieben die bösen Geister und Traumgesichte der Nacht, und so ging es fröhlich hinein in das grüne Land. Den Rückweg zu finden konnte ich nicht verlegen sein, da ich mich auf Hector's Spürkraft verlassen konnte. Auch behaupte ich, daß jede Himmelsgegend ihren eigenen Geruch hat. Ja, ich hatte meine Witterung dafür schon in früher Jugend so ausgebildet, daß man mich mit zugebundenen Augen mitten in eine Fläche hätte setzen können, und doch würde ich im Stande gewesen sein, sofort durch den bloßen Geruch genau anzugeben, wo Westen und Osten, Süden und Norden, ja wo Nordnordwest, Südsüdost u. s. w. sei. Diese Gabe kam mir begreiflicherweise bei meinen Excursionen durch die Insel, wie auch später bei meinen Weltreisen gar sehr zu statten, und ich rathe Jedermann zu prüfen, ob er diese Gabe besitzt, und wenn er sie besitzt, sie auszubilden.
Wenn ich nicht ein wahrheitliebender Mann wäre, so könnte ich, da ja Niemand von den Lesern Beutelland besucht hat, von fürchterlichen Abenteuern erzählen, und sie müßten mir geglaubt werden. Indeß ist mein Leben an wunderbaren Ereignissen so reich, daß ich nicht nöthig habe zu lügen und mit Abenteuern zu prahlen, die ich nicht erlebt habe.
Ich will demnach von vornherein erklären, daß mir auf meiner Entdeckungsreise durch die Insel, die mit dem sechsten Tage vollendet war, durchaus nichts besonders Merkwürdiges zugestoßen ist. Ich hatte nicht nöthig, mich wie Robinson vor abgenagten menschlichen Schädeln und Gebeinen zu entsetzen, ich hatte nicht nöthig wie andere Reisende Kämpfe mit Alligatoren, Tigern, Löwen, Nashornen, Flußpferden, Schlangen und anderem Thiergezücht und häßlichem Gewürm zu bestehen. Die Insel war gänzlich unbewohnt und beherbergte keine wilde und reißende Thiere. Sie stellte ein jungfräuliches Paradies voll Unschuld und idyllischer Anmuth dar, sie war ein blühender Garten, und die Thiere, die sie bewohnten, waren von der friedlichsten Art, wenn man die oft hämischen Affen ausnimmt, von denen ich noch später zu erzählen haben werde.
Mit den übrigen Thieren stand ich auf einem so vertrauten Fuße, wie Adam und Eva mit ihnen gestanden haben mögen, ehe sie ihre Unschuld und damit ihr Paradies verloren hatten. Die in allen Regenbogenfarben schimmernden Vögel, die noch des Menschen Raub und Mordgier nicht kennen gelernt hatten, setzten sich mir auf die Achseln, auf die Hand, ja auf den Kopf, und ich muß mich prächtig in dieser seltenen Kopfbedeckung ausgenommen haben, wie leicht zu begreifen. Dazu schützten sie mich durch ihr Gefieder und ihre oft lang herabwallenden Prachtschweife gegen die etwas zudringlichen Strahlen der tropischen Sonne. Kolibris schimmerten und flimmerten rings um mich, wie von Wind emporgehobene und in der Luft umhergetriebene glühende Kohlen oder wie bunte von ihrem Stengel losgerissene Blumen. Ein allerliebstes Kolibripärchen baute sich in meiner rechten Rocktasche sein Nest, und das Weibchen legte Eier darin, so klein wie Perlen und eben so durchsichtig, und bebrütete sie. Die Papageien, dabei possierlich Kopf und Hals bewegend, plauderten und schwatzten in einer Sprache, die sie, der Himmel weiß woher, gelernt hatten, und die ich nicht verstand. Durch ihren Schnabel erinnerten sie mich aber sehr lebhaft an Beate Regina Cordula Veronica Pipermann, die ebenfalls einen sehr tüchtigen Schnabel hatte. Die Knöpfe an meinem Rock und meiner Weste hatte ich mit wunderbar schönen, glänzenden Blumen besteckt, daß ich aussah wie ein aufrechtgestelltes wandelndes Blumenbeet, und da kamen denn die großen, zauberhaft farbigen Schmetterlinge und ließen sich mit ihren schweren Flügeln auf diesen Blumen nieder, und Käfer, größer als die Kolibris, mit grüngoldigen oder purpurnen Flügeldecken, umschwirrten mich und flimmerten in den Strahlen der Sonne wie Bruchstücke gediegenen Goldes, und das Schwirren ihrer Flügel klang so harmonisch wie das Zusammenschlagen von feinen Silberstäbchen und Glasglöckchen. Die wildpretartigen Thiere, eine kleine Hasenart von ungemein zierlichem Bau, und eine Gattung kleiner Hirsche, deren Gehörn wie aus Elfenbein gedrechseltes Spielzeug aussah, blickten mich seitwärts aus blühendem Gebüsch klug und vertraulich an. Diese niedlichen Geschöpfe kamen mir häufig so nah, daß ich sie greifen und mit den Händen streicheln konnte, was ihnen ein sehr angenehmes Gefühl zu sein schien, denn sie hielten ganz still und rührten sich nicht. Eichkatzen, so groß wie bei uns die Kälber, schwangen sich auf den breitästigen majestätischen Ceybabäumen hin und her und knackten an den Kokosnüssen, die so groß waren wie ausgewachsene Menschenköpfe. Sie machten mir dabei allerhand Männchen, was bei ihrer ansehnlichen Leibesgröße sich nur um so sonderbarer ausnahm.
Auch mit den Affen stand ich während dieser Wanderung noch auf ganz gutem Fuße. Sie verursachten mir mit ihren greisen Gesichtern, die sie zu einem grinsenden Lachen verzerrten, vielen Spaß. Zuweilen setzten sie sich, von den Bäumen herabspringend, auf meine Schultern und krauten und zerrten mich an den Haaren, was mir gar nicht sehr gefallen wollte. Ich schüttelte sie dann nicht ohne Mühe ab, worauf sie davoneilend und rückwärts blickend mir fürchterliche Fratzen zu machen pflegten – namentlich die alten Jungfern, die ich sehr bald aus ihnen herauserkannte. Zuweilen krallte sich einer an meinen Rockschoß fest, und an ihn wieder ein anderer Affe, an diesen zweiten ein dritter und so fort, oft hundert hinter einander, die ich denn auch lange Strecken Weges mit mir schleppte, während sie allerlei Capriolen machten, wunderliche Grotesksprünge nach rechts und links vollführten und sich dabei mit ihren langen Schwänzen in höchst komischer Weise im Gleichgewicht erhielten. Manche fuhren wie am Tage meiner Ankunft fort, mir die köstlichsten, saftigsten und gewürzreichsten Früchte, welche ich mit dem besten Appetit verspeiste, von den Wipfeln hoher Bäume zuzuwerfen. Da jedoch Schadenfreude ein Hauptzug im Charakter des Affen wie des Menschen ist, so erlaubten sie sich auch wohl den schlechten Spaß, mir gewichtige Kokosnüsse zu meinem empfindlichsten Schmerze und Aerger ins Gesicht zu werfen oder auch Eier, die sie aus den Vogelnestern hervorlangten, was mir noch unangenehmer war, denn da die Eier begreiflicherweise auf meiner Stirn zerplatzten, floß ihr Inhalt über meine Augen und meine Backen, und ich hatte dann immer genug zu thun, um den unwillkommenen Brei mit meinem Schnupftuch wieder abzuwischen. Dann brachen sie alle in ein wildes, wüstes und unangenehm anzuhörendes Gewieher aus, was wohl das Lachen der Schadenfreude und des Triumphes bedeuten sollte.
Mein Hector, eine empfindende Seele, knurrte dann gewaltig, bellte an den Bäumen hinauf und zeigte den Bösewichtern grimmig seine Zähne, was sie damit erwiederten, daß auch sie ihm ihre Zähne mit boshafter Grimasse entgegenfletschten. Ganz besonders zeichnete sich ein alter Affe mit langem grauen Barte aus, der wohl der Affenkönig sein mochte. Ohne Zweifel hatte er sich bis dahin als den Herrn der Insel betrachtet, und glaubte nun in mir Denjenigen zu erblicken, der gekommen war, ihm die Herrschaft zu schmälern oder ganz zu entreißen. Kurz, dieser tückische Bursche hatte es besonders auf meine Nase abgesehen, und er traf so geschickt, daß er niemals fehlte, und die Nase mir mehrmals zu bluten anfing. Er war es offenbar, der die andern gegen mich aufwiegelte, und er verfolgte mich, sich vermittelst seines langen haarigen Wickelschwanzes von Baum zu Baum schwingend, so weit er konnte, bis der Wald zu Ende war. Mich auf das offene Feld zu verfolgen, war der langhaarige häßliche Gesell viel zu klug; aber noch weithin hörte ich das widerlich kreischende Spott- und Triumph-Gelächter des Affenvolks, aus dem seine rauhere tiefere Baßstimme vernehmlich heraustönte. Freilich hätte ich ihm eine Kugel auf den Pelz brennen können; aber ich hatte mir vorgenommen, für jetzt noch so lange als möglich den Frieden aufrecht zu erhalten und ihm mein Ultimatum erst zu stellen, wenn alle Friedensversuche und Vergleichsvorschläge von ihm abgewiesen werden sollten.
Der Wald, den ich, um mit Otto Ludwig's »Erbförster« zu sprechen, so eben »durchforstet« hatte, war zum größten Theil mit Palmen aller Art bestanden, deren Stämme so glatt, schlank und hoch und selbst höher waren als Mastbäume. Man denke sich den Mastenwald im Hamburger Hafen unmittelbar aus dem Erdboden hervorragend und jeden einzelnen Mast oben mit einer grünen Perrücke versehen, und man hat das vollständigste Bild solchen Palmenwaldes vor Augen. Will man seine Phantasie noch mehr in Bewegung setzen, so denke man sich die Schiffstaue in jene Schlinggewächse verwandelt, welche sich wie Seile an diesen Palmen hinauf oder von einer zur andern ziehen und so stark, fest und dick sind, daß ich, um mir den Weg durch sie hindurch zu bahnen, sie nicht selten mit dem mitgenommenen Schiffsbeil mühsam durchhauen mußte. Untermischt waren diese Palmen mit Magnolien, Pisangs, Cedern, Cacao-, Gummi-, Orangen- und Tulpenbäumen und andern, welche dieser Zone eigenthümlich sind, dann aber auch solchen, die sich nur auf dieser Insel finden und noch keinen Namen hatten, zum Theil mit Früchten belastet, welche groß wie Kürbisse waren, deren Fleisch wie Honig auf der Zunge zerschmolz und deren Saft etwa so schmeckte wie das Veilchen duftet. Thurmhohe Farrnkräuter standen dazwischen mit Stämmen, so dick daß die Affen daran auf und nieder krochen und mit Blätterwerk so zierlich, wie mit der Scheere aus grünem feinen Papiere geschnitten.
Jenseits des Waldes gelangte ich auf eine Wiese, deren armdickes Gras so hoch stand, daß es über meinem Kopfe zusammenschlug und mir den Anblick des Himmels und der Sonne entzog. Glücklicherweise hatte ich in einem Bache riesengroße Krebse angetroffen, und mit deren mächtigen fußlangen Scheeren mähte ich das Gras vor meinen Füßen im Geschwindschritt nieder, um mir einen Weg zu bahnen. Weiter gelangte ich in einen Wald, der aus baumhohen Ananas, Cactus- und Aloepflanzen gebildet war, in deren Schatten sich allerliebste buntschillernde Schlangen wie aus funkelnden Edelsteinen gebildete Ketten hin- und herwanden. Ich sah ihnen sehr bald an, daß sie nicht giftiger Art waren, und schlang mir einige derselben um meinen Kopf, was mir eine höchst angenehme Kühlung verursachte. Kenner der Mythologie, wenn welche dagewesen wären, würden mich für die wiedererstandene Meduse gehalten haben.
Inmitten dieses Aloe- und Cactushaines befand sich ein spiegelklarer, stahlblauer See, der mit den wunderbarsten Wasserpflanzen bedeckt war. Auf ihren riesengroßen Blättern, die auf die Wasserfläche hingelegt schienen wie kolossale Teller auf ein sauberes Tischtuch, sonnten sich Schaaren allerliebst geformter Wassereidechsen, deren glitzernde Augen eingefügten Diamanten glichen, und auf ihren schneeweißen Blumen, deren gelber Kern allein wohl so groß war wie ein halb Dutzend an einander gestellte Vollmondscheiben, standen in philosophischer Ruhe, das eine Bein an den Leib gezogen, mächtige Kraniche, oder brüteten schwanengleiche Vögel, die sich mit den Blumen auf und ab wiegten und schaukelten, bald mit ihnen in's Wasser tauchten, bald sich mit ihnen wieder in die Luft schnellten, und so immer regelmäßig auf und nieder. An den Ranken, welche diese Pflanzen nach allen Richtungen über den See hinaussandten, hingen wie kostbares Geschmeide die seltsamsten Muscheln und Schnecken von wunderbarster Form und in allen metallischen Farben so prächtig schillernd, daß daran alle Schilderung erlahmt und das Auge von den glänzenden Farbenspielen fast geblendet wurde. Hin und her fuhren in der krystallischen Fluth größere und kleinere Fische, deren Schuppenpanzer von gediegenem Golde zu sein schienen und die wie glänzende Metallplatten durch die klaren Wellen dahinschossen. Ich streute ihnen Schiffszwieback in den See und sie verzehrten ihn mit großem Appetit, worauf sie sich mit halbem Leibe aus dem Wasser erhoben und dann sich nach vorwärts wieder hinabließen, gleichsam als wollten sie mir durch einen Bückling für meine Gabe danken.
Inzwischen war die Sonne gesunken und mit jener Plötzlichkeit, wie in diesen Zonen immer der Fall ist, die Nacht herangebrochen. Dafür stieg der Mond am unbewölkten Himmel empor und durchdrang die Fluthen, die Blumen, die saftig durchsichtigen Blätter der Cactus und Aloe mit seinem silbernen Licht. In seinem Schimmer badete ich meine erhitzten Glieder in der weichen Fluth, wobei mir Hector Gesellschaft leistete, und richtete mich dann zur Nacht auf der großen Wasserblume ein, welche den Mittelpunkt des Sees bildete und zu der mir und meinem Hector eine der fußbreiten balkenähnlichen Ranken der Wasserpflanze den bequemen Uebergang bot. Von Tausenden von Leuchtkäfern, die mich förmlich in einen Brillantfeuerregen hüllten, rings umschwärmt, nahm ich hier meinen Abendimbiß, und streckte mich dann – Hector zur Seite – in den Kelch der Blume nieder, deren Blumenblätter sich auch sofort wie zu einem Himmelbett über mir schlossen.
Ich habe in einem Daunenbett nie weicher geschlafen, nur waren wir, Hector und ich, als sich bei den ersten Strahlen der Morgensonne die Blume wieder erschloß und wir uns von unserm Lager erhoben, von dem Blumenstaub etwas gelb gepudert.