Hermann Marggraff
Fritz Beutel
Hermann Marggraff

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Drittes Kapitel.

Wer in Ermangelung eines Landwegs den Seeweg wählt, der mache sich auf alle die Widerwärtigkeiten gefaßt, die ihm zu Lande nicht zustoßen können, und trage das Unvermeidliche mit Würde.

Alexander v. Humboldt.

Um einem Seesturm mit Erfolg Widerstand leisten zu können, ist es zweckmäßig, meine Reiseschriften gelesen zu haben und ein Exemplar davon bei sich zu führen.

Friedrich Gerstäcker.

Meine Seereise ging anfangs ganz gut von statten und ich wüßte davon nicht viel zu erzählen. Wenn die Sonne auf der einen Seite niederging, stieg der Mond auf der andern Seite in die Höhe, und wenn die Sonne wieder aufgegangen war, verlor sich der Mond wieder in ihren Strahlen, was ich ziemlich langweilig fand. Die Sterne spiegelten sich freilich im Meer, aber nicht anders als sie sich im Gutsteiche von Schnipphausen spiegelten. Wasser ist Wasser und Stern ist Stern. Ich bin niemals ein Schwärmer für solche Erscheinungen gewesen. Wenn die eine Welle kam, so ging sie auch wieder, und dann kam eine andere und ging auch wieder, und so ins Unendliche fort. Ich stellte mir dabei einen Menschen vor, der Millionen Jahre lebte und die Wogen der Weltgeschichte so an sich vorüberziehen sähe. Was uns kurzlebenden Menschen schon als eine bedeutende Welle erscheinen würde, etwa so ein kleines Revolutiönchen, ein kleiner Weltkrieg, eine kleine improvisirte Belagerung gleich der von Sebastopol, würde für einen solchen Millionjährigen auch nichts weiter sein als so eine Welle, die man im nächsten Augenblick aus den Augen verloren und vergessen hat. Wie man sich für eine solche Meereswelle, die ja im Grunde gar keine Existenz hat und wie sie gekommen auch zeronnen ist, in Begeisterung versetzen und sie in pomphaften Worten beschreiben kann, ist mir noch heutzutage unbegreiflich.

An der abscheulichen Seekrankheit habe ich nicht gelitten und wenn ich daran gelitten hätte, würde ich's nicht sagen, ebensowenig wie alle Beschreiber von Seereisen, die stets das Privilegium aufrecht erhalten, von diesem Dämon verschont geblieben zu sein. Ein solcher Reisebeschreiber ist ja überall ein weit höheres Wesen als andere Menschen. Wie könnte er auch Glauben für seine Schilderungen der prachtvollen Sonnenauf- und Sonnenuntergänge, der herrlichen Mondscheinabende, des Wogengewühls, des Meerleuchtens und anderer in diese Kategorie gehörenden Phänomene fordern, wenn er eingestände, daß er die lehrreiche Leidensschule der Seekrankheit durchgemacht? Ach! wer an der Seekrankheit leidet, der beugt sein Haupt in Demuth, wie hoch er es auch sonst getragen haben mag, der sieht keine Sonne, keinen Mond mehr, der hört keinen Wellenschlag mehr. Der Mensch befindet sich im Zustande der tiefsten Erniedrigung und Hilflosigkeit, man kann ihn zusammen klappen wie ein Taschenmesser, zusammenrollen wie ein Stück zerlesenes Zeitungspapier, in die Ecke werfen wie ein Päckchen alter Kleidungsstücke. Einer der seekranken Herren am Bord sprach den Wunsch aus zu sterben. Nun so sterben Sie doch! sagte ich ihm. Aber das wollte er auch nicht; er fuhr fort zu leben und ganz eigenthümliche Lebenszeichen von sich zu geben. Eine seekranke junge Dame sank in meine Arme. Ach! rief sie, mein theuerer Bernhard! (Bernhard war ihr entlaufener Bräutigam, dem sie in Amerika eine unangenehme Ueberraschung zu bereiten gedachte) wenn du mich so leiden sähest, leiden um deinetwillen, dein Herz würde sich erbarmen! Ich hielt die Last in meinen Armen, ich würde sagen die »süße« Last, wenn sie mir in dem Augenblicke ein anderes Gefühl verursacht hätte als das der bloßen Schwere.

Was mich betrifft, so vertrieb ich mir jede Anwandlung der Krankheit durch ein ehrliches Glas Cognac, dem ich sofort ein zweites und drittes nachsandte, welche den schon gebahnten Weg noch besser zu finden wußten. Einige Male wurde mir denn auch in der That etwas schwindelig zu Muthe; es war aber nur ein ganz gewöhnlicher deutscher Landeskatzenjammer, wie er bei uns zwar nicht beliebt, aber üblich ist.

So ging die Seefahrt langweilig und gleichmäßig dahin, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Wir mußten der Küste von Amerika schon ziemlich nahe gerückt sein, und noch immer wollte die erwartete Katastrophe nicht kommen. Eine gelinde Verzweiflung erfaßte mich. Unter allen Umständen wünschte ich eine Unterbrechung, welcher Art sie auch sei, irgend etwas Ungewöhnliches, Furchtbares, Entsetzliches herbei. Eine Seereise ohne Seesturm, während es doch keinen Reisebeschreiber gibt, der nicht einen Sturm erlebt hätte und dem Rande des Todes nahe gebracht worden wäre! Nur einen ehrlichen Sturm – oder Land, Land, wenn auch ein unehrliches! Alle Idealphantasien im Robinson'schen Geschmack machten sich wieder geltend; eine Kartoffel in heißer Asche gebraten, bildete darin den glänzenden Mittelpunkt.

Des einen Morgens – wir befanden uns gerade unter einem gewissen Grade der Länge und einem gewissen Grade der Breite, über welchen der Leser in den geographischen Lehrbüchern Aufschluß erhalten wird – ging der Kapitän, Herr Krischan (Christian) Schroop, ein Cuxhavener Kind, mit übereinandergeschlagenen Armen und sehr bedenklichem Gesicht auf dem Verdecke auf und nieder. Ach, er hatte mich sehr lieb, dieser Herr Krischan Schroop, theils weil er bald erkannt hatte, daß, wenn er nirgends mehr Rath wisse, er ihn bei mir holen könne, theils weil ich der einzige unter den Passagieren war, der bei Cognac und Grog mit ihm aushielt, und das will viel sagen. Es kam ihm nicht darauf an, sich unter den Tisch und wieder von hier in die Höhe zu trinken, und mir auch nicht.

Nun, was gibts, Herr Kapitän? fragte ich.

Ich meine, ich glaube, ja ich weiß gewiß, sagte er mit sehr bedenklicher Miene, daß uns ein tüchtiger Sturm bevorsteht, ein sehr tüchtiger.

Ein Sturm? Endlich! Das ist ja prächtig! rief ich aus.

Was? sagte er verwundert, Sie lachen noch? Das Lachen könnte Ihnen wohl vergehen. Ich verliere den Muth nicht leicht, aber ein Sturm unter diesen Breiten – Herr, das ist keine Kleinigkeit!

Um so besser! erwiderte ich. Mit Kleinigkeiten will ich auch nichts zu thun haben.

Sie sind von Sinnen, fuhr er fort; ich sage, ein Sturm in dieser Breite ist keine Kleinigkeit, kein solcher Luftzug, wie er bei uns zu Lande den Leuten um die Nase fächelt und weil er einige Dachziegel beschädigt, ein Orkan genannt und in den Zeitungen des Längern und Breitern beschrieben wird. Ein solcher Sturm hier, Herr, der packt anders! Und dann liegen hier so einige verborgene Klippen umher, und wenn wir den Cours verlieren und diesen Klippen entgegengetrieben werden sollten, dann ist keine Rettung mehr und das Schiff muß mit Mann und Maus zu Grunde gehen.

Mit Mann und Maus? rief ich voller Freude. Nun wahrhaftig, das ist ja ganz charmant! Etwas Besseres kann uns ja gar nicht geschehen.

Sie haben heute einige Gläser Cognac mehr zu sich genommen, als Sie vertragen können, sagte Krischan Schroop; aber warten Sie, Sie werden schon nüchtern werden, mich aber, beim Teufel, mich soll das Meer nicht nüchtern haben!

Mich aber soll das Meer gar nicht haben, rief ich, und wenn es mich einschluckt, so will ich ihm so viel Ungelegenheiten machen, daß es mich so bald als möglich wieder auswirft, um mich nur los zu werden.

Damit trennten wir uns, ich, um mich an den Hauptmast zu stellen und die schönen Dinge, die nun kommen würden, gemüthlich abzuwarten, der Kapitän, um in allen Theilen des Schiffes die gegen einen Sturm nöthigen Vorkehrungen zu treffen.

Bald war der Sturm auch da und viel plötzlicher, als der Capitän selbst erwartet hatte. In seinen ersten Stadien war er etwa so, wie ein solches Phänomen in allen Reisebeschreibungen, die von dergleichen handeln, beschrieben wird. Ich unterlasse daher zu schildern, wie die Wogen gleich in Bewegung gesetzten Riesenbergen sich aufthürmten, um gleich darauf wieder höllenähnliche Abgründe zu bilden, wie der Himmel sich mit gewitterschwarzen Wolken bedeckte, die das Meer in eine gleiche Trauerfarbe hüllten, wie die schwefelgelben Blitze das Dunkel grell erleuchteten, damit die Schwärze von Himmel und Meer im nächsten Augenblicke nur um so gespenstischer und gräßlicher erscheine, wie der unaufhörliche, durch das von den Wogenbergen abprallende Echo hundertfach verstärkte geschützähnliche Donner, das Gepfeife und Geheul der furchtbaren Windstöße, das Flattern der Segel, das Geklapper und Geächze der Segelstangen, das Niederprasseln des entsetzlichen Regens, das wilde Gelärm, Gezisch, Gebrüll und Getose der Wogen, die Befehle des Capitäns, das Gefluch der Matrosen und das Wimmern, Jammern, Beten und herzbrechende Weherufen der Passagiere übertönten. In diesem höllischen Concerte der Elemente bewies sich die menschliche Stimme vollkommen unmächtig, selbst die Bässe der Matrosen und der Generalbaß des Capitäns verloren sich in dieser Ouvertüre, die den schrecklichsten Operntext einleiten sollte, der je von den Elementen in Musik gesetzt worden ist. Der Capitän hatte den Kampf gegen die erbosten Elemente aufgegeben und sich in die Cajüte zu seinen Rum- und Cognacvorräthen zurückgezogen, um sein Wort zu halten, nicht im nüchternen Zustande eine Beute des Meeres zu werden, das mir in diesem Augenblick auch grade in keinem sehr nüchternen Zustande zu sein schien.

Mich selbst hielt in diesem Aufruhr der Elemente eine mir jetzt noch unbegreifliche Kraft aufrecht. Das in dem einen Motto zu diesem Kapitel enthaltene Recept, Gerstäcker's Schriften gelesen haben, stand mir nicht zu Gebote, denn sie waren damals noch gar nicht erschienen; ich mußte mich also auf meine eigene Natur verlassen. Der starke Hauptmast, an den ich mich lehnte, wurde von einem der heftigsten Windstöße wie ein Rohr umgeknickt, ich blieb stehen und bildete so in der Mitte des Schiffs gewissermaßen seinen Mast. Da plötzlich fuhr ein unhöflicher, ganz häßlich blaugelblicher und weißgrünlicher, wunderlich gezackter Blitz hernieder und schlug mir die Cigarre aus der Hand, wie im Zorn, daß ich ihm die brennende Cigarre so herausfordernd entgegenhielt. Nun wurde es mir doch zu arg, denn vom Blitze erschlagen zu werden ist und war nie meine Lieblingspassion.

Zudem wurden die Windstöße jetzt so heftig und leidenschaftlich, daß ich mich selbst kaum auf den Beinen halten konnte und da kein anderer Gegenstand da war, mich an meinem eigenen Rock mit den Händen festhalten mußte. Dazu bäumten sich die Wogen förmlich über das Deck wie Ungeheuer mit gräßlich schäumendem Rachen und fürchterlichen Drachenkämmen, als ob sie es darauf abgesehen hätten, mich zu verschlingen. Ich beschloß also, mich auch in die Cajüte zu begeben, um Herrn Krischan Schroop bei der Cognacflasche, die ohnehin einige Anziehungskraft auf mich äußerte, Gesellschaft zu leisten.

Eben war ich im Begriff, dies zu thun und eben hatte ich mir an einem gerade niederfahrenden Blitz eine neue Cigarre angezündet, als ich auch von den andern Himmelsgegenden her ein Brausen vernahm, ähnlich dem, welches dem von Norden her brausenden Sturme vorangegangen war. Dieses neue Phänomen fesselte meine Aufmerksamkeit und ich beschloß, nur einen Augenblick noch auf Deck zu bleiben und abzuwarten, was es denn nun noch Neues geben solle.

Das Brausen, von allen Seiten zugleich losbrechend, kam immer näher und näher, schwoll immer mächtiger an; es war ein Geheul und Gelärm, gegen das der frühere Sturm mir nur wie ein bloßes Frühlingssäuseln erschien. Eben hatte mich ein Windstoß aus Norden gepackt und drohte mich umzuwerfen, als ich plötzlich, wie durch eine Zauberkraft, mich festgebannt fühlte, so daß ich keinen Arm, keine Hand, keinen Finger weder vorwärts noch rückwärts, weder nach rechts noch nach links bewegen konnte. Unbeweglich stand ich da. Auch das Schiff stand plötzlich still und die Wogen, hoch zu allen Seiten sich aufbäumend, bildeten rings um das Schiff eine feststehende Mauer.

Die Erscheinung war einzig in ihrer Art, ist aber sehr leicht zu erklären. Indem nämlich die Stürme jetzt von allen Seiten mit gleichmäßiger Kraft kamen und bei mir als ihrem Mittelpunkte zusammenstießen, hätte wohl jeder einzelne die Kraft gehabt, mich umzuwerfen, aber der ebenso starke Gegenwind von der andern Seite hielt mich aufrecht. In derselben Lage befanden sich auch das Schiff und die aufgethürmten Wellen; sie konnten nicht rück- und nicht vorwärts.

So erklärte ich mir das Phänomen in aller Geschwindigkeit schon damals; aber das Manöver war doch selbst für meine Natur zu stark; mir vergingen die Sinne.Ich ersuche den Setzer freundlichst, hier am Schlusse des Kapitels einige Zeilen mit Gedankenstrichen zu füllen, der nothwendigen erwartungsvollen Pause wegen; denn so etwas, wie das oben Erzählte, geschieht nicht alle Tage.

Anmerkung in Fritz Beutel's Manuscript.

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