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Einundzwanzigstes Kapitel
Chapelle expiatoire

Nun ist die gebundene Seele frei!
Nun sind die Gedanken all zur Ruh!
Verschließ dein Auge der Flut der Schuld –
Es gibt eine Gnade, die deckt sie zu!
Und wenn übers Jahr der Sommer naht,
Wenn Trianons Rosen wieder blühn,
Dann leg die schönste, die du erspähst,
Auf das einsame Grab meiner Königin!

Und wenn der Haß dir die Seele schwillt,
Wenn der Zorn dir die Ader zerspringen will,
Dann blick auf das Kreuz in ihrem Verlies
Und beuge dich, bis dein Herze still:
Geh hinein in den düsteren Kerkerraum
Und schließ die Türe hinter dir zu,
Und dann knie nieder und danke Gott:
Nun sind die Gedanken all zur Ruh!

 

Vierundvierzig Jahre waren vergangen, seit Marie Antonia von Lothringen und Österreich französischen Boden betreten, da landeten die vertriebenen Bourbonen in Calais, und am 3. Mai 1814 zog die Tochter Ludwigs des Sechzehnten Herzogin von Angouléme. an der Seite ihres Onkels Ludwig der Achtzehnte (Graf von Provence). feierlich in Paris ein. Die Begeisterung und Rührung war unbeschreiblich, als die jugendschöne Frau langsam in der von acht weißen Pferden gezogenen Karosse durch die blumengeschmückten Straßen fuhr. Zart und schlank wie ihre Mutter neigte sie sich nach allen Seiten, das schmale Gesichtchen marmorweiß, wie das Festkleid, das sie trug, ein wehmütiges Lächeln um die Lippen.

Als das Kind des hingerichteten Königspaares die Tuilerien betrat, welche sie seit dem 10. August 1792 nicht wiedergesehen, kamen ihr zweihundert weißgekleidete Frauen entgegen, Lilien in den Händen. Vor ihr niederkniend, legten sie die Blume der Bourbonen zu ihren Füßen und baten: »Tochter Ludwigs des Sechzehnten, segne uns!«

Zitternd streckte Marie Thérèse die Hände aus, aber die Erinnerung an die erschütternde Vergangenheit der bekannten glänzenden Räume überwältigte sie – ohnmächtig sank sie zu Boden. – –

Bald nach jenem Tage schwanden die Hoffnungen der Bourbonen aufs neue dahin, Napoleons Aufbruch von Elba, sein Regiment der hundert Tage vertrieben die Herzogin von Angoulême aus Paris und jagten die Thronprätendenten in die Verbannung. Bald war ihre letzte Spur wieder verschwunden, und das alte Königsgeschlecht aufs neue vergessen. Eine einzige Stätte nur zeugte davon, daß es heimischen Boden betreten, daß es alte Erinnerungen wachgerufen und an den Gräbern seiner Liebsten gestanden. Auf dem Madeleine-Friedhof, über der öden Stätte, wo man die Leichen des unglücklichen Königspaares gefunden, erhob sich ein Kirchlein, die von Ludwig dem Achtzehnten erbaute Chapelle expiatoire. So oft der 16. Oktober Marie Antoinettes Todestag. wiederkehrte, sollte daselbst eine Trauerfeier gehalten werden. – – –

Es war am Einweihungstage. Golden schimmerte die Herbstsonne durch die Zypressen, ein südlich blauer Himmel glänzte über der Stadt der Toten. Die letzten Rosen rankten am Portal der Versöhnungskapelle, Astern und Zeitlose und eine Fülle von südlichen Herbstblüten dufteten um das stille, steinerne Heiligtum, das die große Sünde und das große Herzleid zudeckte.

Die Frühglocken riefen. Da kam ein langer Zug über den Madeleine-Friedhof, Männer und Frauen in Trauergewändern, die Repräsentanten des alten Pariser Adels.

Drinnen vor dem Marmorbilde der schönen Königin, welche, gestützt von der Religion, schmerzerfüllt zum Himmel blickte, begann der Trauergottesdienst. Weich und melodisch zog der Chorgesang in den Oktobermorgen hinaus – der erste Friedenslaut an der Stätte des Grauens.

Freundlich blickte die Sonne durch die efeuumsponnenen Fenster, und ihr heller Glanz umwob die Gestalt der königlichen Dulderin wie mit einem Glorienschein.

Die Bischöfe zelebrierten die Messe, und das flackernde Licht der Kerzen fiel auf manches edle, verweinte Antlitz, auf manche Mannesträne im Auge alter Royalisten.

Der Segen war gesprochen. Langsam leerte sich die Kapelle. Unter den letzten, die vor dem Marmorbilde Marie Antoinettes ihre Andacht verrichteten, stand ein vornehm aussehender Mann, anfangs der Sechziger, neben einer hochgewachsenen Dame, deren dunkles Haar gleich dem seinen fast ergraut war. Sie hatten Rosen und Palmen am Fuße des Sockels, in welchen der letzte Brief der Königin an Madame Elisabeth eingraviert worden, niedergelegt. In Gedanken versunken, blickte die Dame auf die Religion, welche die königliche Dulderin stützte, das klare, friedvolle Antlitz schien ihr bekannt.

»Madame Elisabeth,« Die Statue der Religion trägt die Züge der Prinzessin Elisabeth. sagte sie leise.

Der Kavalier an ihrer Seite nickte ihr stumm die Antwort, dann zog er eine Kapsel aus der Brusttasche und nahm vorsichtig eine längst vergilbte Rose daraus hervor.

Fragend sah die schöne Frau zu ihm auf.

»Es ist Fersens letzter Gruß an die Königin,« sagte er mit gedämpfter Stimme. »Nun ruhen sie beide!« Er legte die blasse Rose an der Marmorgruppe nieder, wo die dürren Blätter zerfielen.

Sie stand und blickte darauf hin, und während ihr die Tränen ins Auge stiegen, zog es durch ihren Sinn, daß der schönen Königin unter all den duftenden Edelrosen die welke Zentifolie gewiß die liebste gewesen wäre.

Die Bewegung übermannte sie, sie drückte ihr Spitzentuch an die Augen.

»Komm, Cécile,« sagte ihr Gemahl, »wir wollen gehen!«

Sie nahm seinen Arm und schritt an seiner Seite hinaus.

Da klangen noch einmal die Knabenstimmen vom Chor, weich und voll, in fast überirdischer Schönheit schwebten die Töne durch den stillen Raum, immer mächtiger anschwellend, zu dem jauchzenden Chore sich einend, der der Welt den Ostersieg Gottes verkündet:

»Der Tod ist verschlungen in den Sieg! Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? – Gott sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unseren Herrn Jesum Christum!«

Langsam waren sie zwischen den Gräbern dahingegangen. Wieder und immer wieder wandte Cécile Sérévan sich um und blickte zu der Stätte hinüber, wo Marie Antoinette von Frankreich und Navarra einst geruht. Im Jahre 1815 waren die Königsleichen nach Saint Denis überführt worden.

Die klare Herbstluft trug die Klänge des Kirchenchors herüber, ein letztes Mal hörte sie das jauchzende »Gott sei Dank!« dann tönte der Triumphgesang in seinem anbetenden Bekenntnis aus. Leiser und leiser wurden die hellen Stimmen, über welkende Wipfel klang die ewige Antwort auf die große Frage des Menschenherzens nach Leben und Seligkeit: »Durch unseren Herrn Jesum Christum.«

*


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