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Als ich ein Kind war, da glaubte ich oft,
Die Menschen spielen Komödie – –
Heut kenn ich das Leben mit seinem Schmerz,
Es ist eine große Tragödie!
Unter Angst und Sorgen war der Sommer hingegangen, die Unruhen dauerten fort. Derjenige, den man als den Urheber derselben bezeichnete, der Herzog von Orléans, war freilich im Herbst 1789 unter dem Vorwande einer diplomatischen Sendung nach England entfernt worden, selbst Mirabeau gab ihn auf. »Diesen Menschen sollte ich mir zum König wünschen? nicht als Bedienten möchte ich ihn haben,« hatte er verächtlich gerufen. Aber mit der Verbannung des Brandstifters war das Feuer des Aufruhrs nicht gelöscht – Philipp Egalité hinterließ Frankreich die Früchte seiner Taten.
Ein Lichtblick am politischen Himmel des Sommers 1790 war eine glänzende Feier am Jahrestage der Erstürmung der Bastille auf dem Marsfelde, das große Verbrüderungsfest, daran ganz Frankreich teilnahm. Aber auch dieser Tag des gemeinsamen heiligen Schwurs, der König und Volk zu neuer Liebe und Treue verbinden sollte, hatte eine düstere Folge, eine drohende Anklage für den Monarchen, die Anklage des Meineids.
Philipp von Orléans war schon vor dem Fest freigesprochen worden und kehrte in die Heimat zurück, Groll wider die königliche Familie im Herzen. Die Zahl der Freunde des Umsturzes und der Volksaufwiegler wuchs ins Riesenhafte, und mit ihr die Bluttaten und der Haß wider das Königspaar. Die einzige Hoffnung des Hofes ruhte auf dem Grafen Mirabeau, der sich demselben seit einiger Zeit genähert hatte. Er wollte nicht nur eine ungeheuerliche Zerstörung fördern, sondern an der Befestigung eines geordneten Staatslebens arbeiten, und war trotz seiner Liebe zum Volk kein Feind des Königtums, er strebte im Gegenteil für die Aufrechterhaltung des Thrones. Ludwig der Sechzehnte hatte die Bedeutung des Grafen erkannt, doch sein Plan, ihn ins Ministerium zu ziehen, scheiterte am Widerstand der Nationalversammlung. Mirabeau aber fuhr fort, für die Krone zu werben. In den Gärten von St. Cloud hatte er eine geheime Zusammenkunft mit Marie Antoinette; auf einem einsamen Platz unter den Parkbäumen grüßte der Volksfreund die Königin von Geburt. Seit letztere erfahren, daß Mirabeau an den Schreckensszenen der Oktobertage keinen Teil gehabt, hatte sie angefangen, den Volksführer mit anderen Augen zu betrachten, und gewährte ihm endlich am 3. Juli jene berühmte Audienz in den Laubengängen des königlichen Landsitzes. Mit den letzten Vorurteilen streitend, stand sie dem blatternarbigen Mann mit den leuchtenden Augen, dem kraftvollen, von unermeßlicher Haarfülle, gleich einer Löwenmähne, umgebenen Haupte gegenüber, und trotz allem, was sie über ihn gehört, gefiel er ihr, und ihr Gerechtigkeitssinn versagte ihm die Anerkennung nicht. Milde und wohlwollend redete sie ihn an. Der vergötterte Führer des französischen Volkes aber wurde von dem edlen, mutigen Auftreten der hohen unglücklichen Frau von Ehrfurcht überwältigt.
»Einem gewöhnlichen Widersacher gegenüber,« sagte sie, »einem Manne gegenüber, der dem Königtum den Untergang geschworen, ohne ein Auge für den Nutzen zu haben, den dasselbe einem großen Volke bringt, würde der Schritt, den ich heute tue, ein wenig passender sein – aber einem Mirabeau gegenüber – –«
Er aber klagte sich an, bot ihr seine Hilfe an und versprach ehrliches Handeln. In lebhaften Farben schilderte er die Lage des unglücklichen Landes. Im Herzen der Königin erwachte leise Hoffnung. Er, der sich im Zerstören so gewaltig gezeigt, mußte auch wieder erbauen können, was vernichtet war, sagte sie sich.
»Endlich höre ich wirklich Politik,« erwiderte sie, als er schwieg; »und wenn ich nicht alle Ihre Gedanken und Anschauungen zu den meinigen machen kann, soviel weiß ich jetzt: Sie sind ein wirklicher Staatsmann.«
Als er sie dann abschiednehmend um die Gunst bat, ihre Hand küssen zu dürfen, und der Mann der Revolution die zarten Finger an die Lippen führte, da brach er in die begeisterten Worte aus: »Dieser Kuß rettet das Königtum.« Voller Bewunderung und Verehrung für die schöne leiderfahrene Frau, die im Unglück soviel gelernt, verließ er sie.
Am Parkgitter erwartete ihn sein Neffe.
»Sie ist ein sehr großes, sehr edles und sehr unglückliches Weib,« rief ihm Mirabeau entgegen, »aber ich werde sie retten.«
Diesem Vorsatz fehlte die Kraft der Tat, den Lauf der Revolution konnte selbst ein Mirabeau nicht mehr aufhalten. Seine Stellung war zudem eine schwankende geworden. Er verlor die Gunst des Volkes, und der König konnte sich nicht entschließen, dem Vertreter seiner Gegner Vertrauen zu schenken. Der Graf griff heute die Revolution an und schmähte morgen, um den Pöbel zu täuschen, den König und seine Apathie, die Königin und ihren Wankelmut. Er diente vor den Augen der Welt zwei Herren, und verlor so die Gunst und das Vertrauen dessen, dem er in Wahrheit dienen wollte.
Die konstitutionelle Partei mißtraute ihm, die Demokraten verfolgten ihn mit ihrem Haß. Seine Reden verhallten im Winde, selbst die Sympathie der Königin für den Volksgrafen kühlte sich ab. Den eigentlichen Schiffbruch seiner Pläne, die er zur Rettung des unglücklichen Herrscherpaares entworfen, mit anzusehen, blieb ihm erspart. Seit längerer Zeit war seine Gesundheit geschwächt, und noch kein Jahr war vergangen, seit er dem Königtum die Treue gelobt, als man Graf Mirabeau zur letzten Ruhe geleitete. Ahnungsvoll hatte Marie Antoinette wenige Monate vorher die Worte gesprochen: »Ich bin dessen gewiß, daß ich erst nach Mirabeau untergehen werde.« – –
Kritischer noch als das verflossene hielt das Jahr 1791 seinen Einzug. Aufruhr und Straßenkampf waren an der Tagesordnung. Immer trauriger gestaltete sich das Leben der königlichen Gefangenen in den Tuilerien.
Die kirchlichen Zustände hatten die Unruhe im ganzen Lande vermehrt. Im November des vergangenen Jahres war die von der Reichsversammlung im Jahre 1789 projektierte neue Verfassung der Geistlichkeit vollendet, in welcher der Bürgereid gefordert ward. Der zum Widerstand zu schwache König bestätigte nach langem Zögern, von Gewissenszweifeln verfolgt, den Beschluß. Tausende von Geistlichen verweigerten den Eid und verloren lieber Amt und Pfründe; von den geistlichen Mitgliedern der Nationalversammlung folgte nur der dritte Teil dem Erlaß, unter ihnen Talleyrand, der bald, nachdem er die neuen Bischöfe geweiht, aus dem geistlichen Stande ausschied.
Dem König war sein eigenes Wort, zu dem er gezwungen worden, ein Greuel, und im Grunde seines Herzens verachtete er die Männer, die den Schwur geleistet hatten. Unzufrieden mit sich und seiner Nachgiebigkeit, erschienen ihm seine verlorene Herrschermacht und sein zerstörtes Glück Bagatellen gegenüber dieser Tragödie. Der Wunsch, sich der unwürdigen Unabhängigkeit zu entziehen, ward immer mächtiger in seiner Seele, und als der Pöbel seinem rohen Verhalten die Krone aufsetzte und das Königspaar mit Gewalt verhinderte, nach St. Cloud zu fahren, wo es in der Stille das Osterfest feiern wollte, als Camille Desmoulins bald nach dieser Gelegenheit von der Königswürde als der ärgsten Plage der Menschheit sprach, da riß dem nachgiebigen menschenfreundlichen Manne die Geduld, und nur die Furcht vor einem Bürgerkriege ließ ihn zaudern und immer wieder zaudern, sein Land heimlich zu verlassen. Aber endlich hatten die Bitten seiner Gemahlin und Graf Fersens eindringliche Vorstellungen ihn doch zu dem Entschluß gebracht, Paris zu verlassen.
Fersen leitete alles ein, eine Engländerin, Frau Sullivan, bestellte unter dem Namen einer Baronin Korff den umfangreichen Reisewagen und verlangte einen Paß für sich und ihre beiden Kinder, die Gouvernante und einen Kammerdiener. Trotzdem Graf Fersen die Unvorsichtigkeit beging, den ungewöhnlich großen Wagen acht Tage lang für jedermann sichtbar im Hofraum seines Hotels stehen zu lassen, schöpfte merkwürdigerweise keiner Verdacht. In diesen Tagen wollte Fersen die Brauchbarkeit der schweren Maschine erproben, ließ sechs Pferde davor spannen und fuhr in rasendem Tempo nach Vincennes hinaus. Das Unglück wollte, daß er draußen dem Herzog von Orléans begegnete, der den auf seine Pferde lospeitschenden Kutscher erkannte.
»Sind sie toll, Graf?« rief er ihm zu, »Sie spielen ein verwegenes Spiel – Sie setzen sich der Gefahr aus, den Hals zu brechen!«
»Ich fahre selbst, weil ich nicht will, daß mein Wagen in Stücke bricht,« entgegnete Fersen, die Pferde anhaltend.
»Warum ist der Wagen so groß? Wollen Sie ein ganzes Ballettpersonal expedieren?«
»Nein, das überlasse ich Eurer Hoheit.«
» Bonjour, monsieur.«
» Bonjour, bon voyage!«
Selbst diese Begegnung mit dem königsfeindlichen Manne machte Marie Antoinettes Ritter nicht besorgt, und der bewußte Wagen stand nach wie vor im Hotel Fersen zur Schau.
Endlich brach der Tag an, der das Herrscherpaar zur Freiheit führen sollte. Die Tuilerien zeigten ihr gewöhnliches Aussehen. Abends wurden die Königskinder wie sonst zum Schlafen niedergelegt, Ludwig und seine Gemahlin begaben sich zur Ruhe, die Diener wurden entlassen. Kaum hatten sich diese entfernt, als das Königspaar sich wieder erhob und die von Fersen besorgte bürgerliche Kleidung anlegte. Dem Kronprinzen ward ein Mädchenkleid angezogen, die Augen reibend, fragte er mit verschlafener Stimme: »Sollen wir Komödie spielen?« Die kleine Madame Royale war schnell in ihr ungewohntes Kostüm geschlüpft, in derben Wollstoff gekleidet, betrat die Prinzessin Elisabeth das Gemach, gefolgt von Frau von Tourzel und zwei Kammerfrauen. Als alle beisammen waren, öffnete die Königin leise die Tür und schritt, ihre Kinder an der Hand führend, an der Spitze des kleinen Zuges die Treppen hinab.
Um keine Aufmerksamkeit zu erwecken, war der Beschluß gefaßt, nacheinander die Tuilerien zu verlassen. Frau von Tourzel und die königlichen Kinder waren die ersten, welche den Hof passierten. Ohne Schwierigkeit erreichten sie den Wagen, Fersen, der als Kutscher verkleidet auf dem Bock saß, sprang herab und schloß die Flüchtlinge in die Kalesche ein.
Von den Türmen schlug es einviertel auf zwölf. Lafayette machte im Schloßhof die Runde, aber er begegnete niemand. Nach einer halben Stunde erschien Madame Elisabeth, der König folgte ihr kurz darauf, nur Marie Antoinette blieb aus.
Fast eine Stunde voll Angst und bangen Wartens war vergangen, da kam die Königin, atemlos, erschöpft. Sie hatte Lafayette auf seinem Rundgang erblickt und sich entsetzt im Schatten dunkler Gebäude an die Mauer gedrückt. Enge Gassen kreuzten ihre Wanderung, sie verlor die Richtung. In fieberhafter Erregung eilte sie planlos vorwärts. Dicht um ihr rauschte die Seine, über die Brücke fiel flackerndes Laternenlicht – sie sah, daß sie auf falschem Wege war. Nach langen Irrgängen, nach einer zweiten Begegnung mit dem von seinem nächtlichen Rundgang heimkehrenden General fand sie endlich die Ihrigen und warf sich erschöpft in Fersens Wagen. In der Eile trat sie auf den Fuß des Kronprinzen, welcher unter den Kleidern der Frau von Tourzel geschlafen hatte; das Kind hatte die Geistesgegenwart, keinen Laut von sich zu geben.
Von den Türmen schlug es Mitternacht. Der schwedische Edle sprang auf den Bock und hieb auf die Pferde ein.
Die Tuilerien lagen hinter den Fliehenden. Tiefes Dunkel verhüllte die Boulevards. An der Clichybrücke stand der große Reisewagen. Fersen lenkte sein eigenes Gefährt dicht an diesen heran; ohne die Erde zu berühren, wechselte die königliche Familie die Plätze. Dann setzte sich der Graf an die Seite des Kutschers, denselben zur Eile antreibend. Durch die Verspätung der Königin war Zeit verlorengegangen, sorgend sah er dem anbrechenden Tage entgegen.
In einer halben Stunde war Bondy, die erste Poststation, erreicht.
Sechs Pferde standen bereit, Fersen und sein Kutscher stiegen ab, ein anderer nahm die Zügel, die Peitsche knallte, der Wagen rollte davon.
»Leben Sie wohl, Frau Baronin Korff!« rief Fersen, als eine tief verschleierte Dame das schmale Antlitz einen Augenblick in der Fensteröffnung zeigte.
Mit zusammengepreßten Lippen sah er dem schweren Gefährt nach. Seine Gedanken folgten den Fliehenden, und in stillem Gebet gedachte er der hohen, unglücklichen Frau. Seine Hoffnung für ihre Rettung war gering. Am 22. Juni, morgens, schrieb er seinem Vater aus Mons, wo er seine eilige Reise ins Ausland unterbrach:
»Ich bin in diesem Augenblick hier angekommen. Der König und seine ganze Familie haben Paris verlassen; ich geleite sie zur ersten Station. Gebe Gott, daß der Rest ihrer Reise ebenso glücklich verlaufen möge ... Ich will meinen Weg längs der Grenze fortsetzen, um den König in Montmedy zu treffen – wenn er dasselbe erreicht!«
Seine Ahnung hatte ihn nicht betrogen. Der Tag, der so hoffnungsvoll, in blühender Sommerschönheit aufging, sollte der unglücklichen Königsfamilie eine der bittersten Enttäuschungen bringen. Wenige Stunden, nachdem sie in Varennes eingetroffen, war alles in Aufruhr in der kleinen Stadt, und das Volk verhinderte die Weiterreise.
»Karl,« sagte die kleine Madame Royale nach der letzten schrecklichen Szene, die sich im Hause des Postmeisters abgespielt, leise zu ihrem Bruder, »du irrtest dich, es ist doch keine Komödie!« und ebenso leise entgegnete das Kind: »Das habe ich längst eingesehen!«
Dann kam der Augenblick, wo Marie Antoinette mit tränenüberströmtem Antlitz, ihre Kinder an den Händen, aus dem Hause trat und den Wagen bestieg, der sie in brennender Sonnenhitze nach Paris zurückführen sollte. Eine Ahnung sagte ihr, daß sie dasselbe nie wieder verlassen werde.
Anderthalb Stunden, nachdem die Gefangenen Varennes verlassen hatten, verkündete eine Staubwolke der Stadt nahende Truppen – General Bouillé war's, der, sobald er von der vereitelten Flucht gehört, seine Mannschaften gesammelt und an ihrer Spitze aufgebrochen war. Als er das Königspaar nicht mehr fand, war sein erster Gedanke, demselben, alle Hindernisse durchbrechend, nachzujagen, die Nationalgarde niederzusäbeln und Ludwig den Sechzehnten zu entführen. Seine Truppen waren bereit, ihm zu folgen, aber die Pferde waren vom langen Ritt überanstrengt. Die Bevölkerung Varennes' war dem Royalisten feind, und die Nachricht, daß die Garnisonen von Metz und Verdun den Pöbel unterstützten, nahm ihm die letzte Hoffnung für die Rettung des Monarchen. Er befahl den Abmarsch.
In finsterem Schweigen führte er seine Regimenter nach Stenay zurück, von wo er in Begleitung weniger Offiziere über die Grenze flüchtete. Bouillé, Kommandeur der Truppen in Lothringen, Elsaß, Franche-Comté und Champagne, hatte dem König für die geplante Flucht seine Hilfe angeboten.