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Elftes Kapitel.
Mutterglück

Durch die blütenschweren Zweige
Weht der junge Morgenwind,
Hebt den weißen Wiegenschleier,
Küßt mein königliches Kind!

Traumversunken blick ich nieder
Auf mein Kleinod hold und zart,
Und ich kann mein Glück nicht fassen,
Selig Weib, das Mutter ward!

Kron und Zepter sind vergessen –
Eins nur noch ist meine Lust:
Still im Kämmerlein zu sitzen
Mit dem Kindlein an der Brust!

 

Es war wenige Tage vor dem jour de l'an. Auf dem Versailler Schloß wehte das Banner der Bourbonen, fröhliche Volkshaufen sammelten sich auf der Avenue de Paris, und einer rief dem andern zu, daß die Königin ihrem ersten Kinde das Leben gegeben.

Es war nicht der heiß ersehnte Thronerbe, aber es war ein Königskind, unter dem Lilienbanner geboren, das nach langem Hoffen und Harren in die goldene Wiege gelegt ward, und die schöne, blasse Frau, die im Gemach Maria Leszinskas in den Kissen ruhte, hatte die erste Enttäuschung, die sie mit dem ganzen Volke teilte, bald vergessen und blickte still und glückselig auf das holde, blühende Töchterlein Marie Thérèse Charlotte, nachmalige Herzogin von Angoulême. an ihrem Herzen. Das Bewußtsein, Mutter zu sein, Mutter eines Königskindes, rief ein Gefühl stolzer, überwältigender Freude in ihrer Seele hervor. In den langen Stunden der Ruhe und des Alleinseins schweiften ihre Gedanken in die kommende Zeit, und ihr lebhafter Geist malte sich helle Zukunftsbilder aus, Bilder sonnigen Mutterglücks in Trianons grüner Einsamkeit, Augenblicke voll Seligkeit, die nur das Weib empfindet, das den Mutternamen trägt. Sie faltete die Hände und blickte durch die Bogenfenster hinaus über die weißen, verschneiten Wipfel – die Erkenntnis des Segens, mit welchem Gott sie begnadet, überkam sie in überströmender Fülle und mahnte ihr Herz zur Dankbarkeit. Leise bewegten sich ihre Lippen im Gebet; das Frauenherz, das so selten zu innerer Einkehr kam, dessen flatterhafter Sinn von einer Lust zur andern jagte, war in der Stunde des Schmerzes und Segens zu seinem Gott geführt worden, die Erinnerung an die königlichen Rechte der Seele ihres Kindes gemahnte sie der eigenen Gotteskindschaft, und beschämt und demütig neigte sie das Haupt in Reue um die Vergangenheit.

Die Vorstellungen, die ihre ehrwürdige Mutter ihr über ihren Leichtsinn und ihre Eitelkeit gemacht, erwachten in ihrem Herzen; sie sah es ein, sie mußte neue Wege einschlagen, ihr Leben mußte anders werden, königlicher im tiefsten und schwersten Sinne des Wortes. Aber während sie so die Vergangenheit an ihrem Geist vorüberziehen ließ, blieb sie in ihrer Selbstprüfung und inneren Einkehr oberflächlich und beurteilte ihre Fehler mit den daraus entspringenden Folgen zu milde. Sie wußte, daß man ihrer Schönheit manches verzieh, doch sie vergaß, daß dies Verzeihen seine Grenzen hat, und daß Gott, dessen Urteil sie sich eben unterstellt, ohne Ansehen der Person richtet. Aber ob manches aus dieser Segensstunde verloren ging, eine Frucht blieb, nämlich der feste Vorsatz, das Kind, das Gott ihr in die Arme gelegt, in den Geboten des Christentums zu erziehen und ihre heiligen Mutterpflichten treu zu üben, und dieser Vorsatz sollte seine Erfüllung finden: in der Tiefe des Elends und der Verlassenheit wurde ihre schlichte, strenge Erziehung den unglücklichen Königskindern zum Segen.

Sinnend blickte sie hinaus; der Tag neigte sich und die scheidende Sonne stand leuchtend am Himmel. Wie lichter Feuerschein lag's über dem Schnee, wenige Tage noch, und sie feierten daheim im deutschen Lande das Christfest. Und die Sehnsucht, die alljährlich mit dem Nahen der heiligen Zeit das Herz der deutschen Kaisertochter erfüllte, klopfte übermächtig bei ihr an und trieb ihr die Tränen ins Auge. Mitten in ihrem strahlenden Glück mußte sie daran gedenken, wie lange die grüne deutsche Tanne im Weihnachtsschmuck ihr nicht geleuchtet, ihre Heimatliebe, die sie täglich zurückdrängen mußte, ward wie so oft lebendig in ihrem Herzen und mit ihr die Erinnerung an das schlichte, klare Christentum am elterlichen Hofe, mit seinen starken, unzweideutigen Forderungen und seiner barmherzigen Liebe. Wie anders faßte man hier das Leben mit seinen inneren und äußeren Pflichten auf – wahrlich, es war kein Wunder, daß sie verflacht war, daß ihr unerfahrenes, unbefestigtes Herz oft verkehrte Wege ging. Sie drückte das Antlitz schluchzend in die Kissen.

Da öffnete sich leise die Tür; der König trat ein. Sie sah, wie er sich mit väterlicher Freude über ihr Kind neigte, und fühlte sein Auge auf sich ruhen. Mit Beschämung dachte sie daran, wie oft sie ihn vernachlässigt, wie sie seine edlen Seiten verkannt, und das Gefühl, daß sie viel wieder gutzumachen habe, erfüllte aufs neue ihre Seele. Langsam wandte sie das Haupt und blickte zu ihm auf. Er aber neigte sich über die Frau, die längst das Weib seiner Liebe geworden, und küßte sie. Sie hielt ihm still und schaute ihn mit den schönen, strahlenden Augen glücklich an. Sie fühlte, daß sie einander nähergekommen waren, daß ein neues heiliges Band sie fester und inniger vereinte, daß die gemeinsame Gottesgabe ihr Leben zu einem einheitlicheren gestalten müsse. Sie mußte an ihrem Teil, so sie zu diesem Ziel gelangen wollte, von vielem frei werden, und sie sagte es ihm. Als die Worte ihren Lippen entflohen waren, blickte sie scheu und erschrocken zu ihm auf, er aber legte die Hand auf ihr lichtes Haar, und sein Auge weilte in tiefer Liebe auf ihrem jungen Antlitz.

»Ich danke dir,« sagte er leise, dann ging er hinaus.

Sie blickte ihm nach, und eine Träne stahl sich über ihre Wange; zitternd strich sie über das blonde Kinderköpfchen an ihrer Seite. Inmitten ihres Mutterglückes, umgeben von der Liebe des Mannes, dessen Kleinod sie geworden, konnte sie den nicht vergessen, zu dem ihr Herz sie hinzog mit brennender Sehnsucht. Und doch sagte sie sich immer wieder, daß sie ihn vergessen müsse, daß die tiefe Neigung sich in ruhigere Freundschaft wandeln und als solche enden müsse, wenn sie nicht sündigen, wenn sie den Stachel nicht immer tiefer in ihr Gewissen treiben wolle. Sie hatte längst die Unmöglichkeit ihrer Liebe eingesehen und sich von ihr zu lösen gesucht; abgesehen davon, daß die Ehe sie band, trennte ihre hohe Geburt sie von dem Untertan der Krone Schwedens, und trotz allem, was sie zu ihm hinzog, sagte sie sich, daß es besser sei, daß er ging, daß sein Entschluß ihr eine Hilfe sein werde, dem Vater ihres Kindes ein treues Weib zu sein. Sie wußte, sie würde ihn noch sehen, abschiednehmend würde er kommen, im Geiste sah sie ihn vor sich hintreten, die großen ernsten Augen auf sie gerichtet und ein letztes Mal ihre Hand an die Lippen führend – jeder Zoll ein Kavalier. Die Tränen traten ihr aufs neue in die Augen, sie faltete die Hände auf der klopfenden Brust, zwei rote Flecken brannten auf ihren Wangen.

»Herr, hilf mir zur rechten Liebe,« flüsterte sie, dann schloß sie die Augen, todmüde.

Als Ludwig der Sechzehnte eine halbe Stunde später das Gemach seiner Gemahlin betrat, lagen Mutter und Kind in tiefem Schlaf. Leise winkle ihm die Amme, aber er trat sachte herzu und versenkte sich in den friedlichen Anblick. In der goldenen Wiege hinter dem Lilienschleier schlummerte das neugeborene Königskind, daneben lag wie ein Traumbild die holde, zarte Frau, die er sein eigen nannte. Eine Träne glänzte an ihrer Wange, die Hände lagen gefaltet auf der ruhig atmenden Brust. Sinnend betrachtete er das junge Weibesantlitz, das, vom Schein der Ampel matt beleuchtet, einer edlen Rose glich, welche die Knospe eben zur vollen Blüte entfaltet. Mit einem letzten Blick auf seine Schätze verließ der Herrscher das Gemach.

Sternklar ging die Winternacht, die fern in der deutschen Heimat der jungen Königin das Nahen heiliger Zeiten verkündete, über den weißen Landen auf. Schimmernd lag's auf Erker und Zinnen, und der Nachtwind summte sein Lied um die Türme; wie ein uralter Kirchenchor klang's aus weiter Ferne herüber, dann war alles still. Kein Laut ging durch das Schloß, nur die Schildwache wanderte am goldenen Gitter im Schnee auf und nieder.


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