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Könnt ich den leichten Sinn dir nehmen.
Dürft ich dich fassen an der Hand
Und dich von Ort zu Ort geleiten,
Bis du es weißt, was Not im Land.
Dürft ich nur
eine Last dir zeigen,
Dein Leichtsinn würde Edelsinn –
Du würdest in der Armut Hütte
Von Gottes Gnaden Königin!
In einem weiten luftigen Gemach des Versailler Schlosses saß die Königin Marie Antoinette mit ihrer Intendantin, der Prinzessin von Lamballe. Die Fenster waren weit geöffnet, über den herbstlichen Wipfeln glänzte in südlicher Bläue der klare Oktoberhimmel, und die Fäden des Altweibersommers schwebten in der sonnigen Luft. Astern und Reseden blühten auf den Rabatten, die letzten dunklen Rosen hingen unter goldenem Blattwerk an der Mauer, und die Trauben glühten im Laubengang. Ein strahlender Herbsttag war's, wie ihn nur der Süden hervorzaubert, eine Abschiedsfeier für den Sommer, wie sie nicht herrlicher gedacht werden kann, voller Duft und Farbenreichtum in letzter, leuchtender Blüte. –
Drinnen die beiden schönen Frauen im Gemach der Königin von Frankreich konnten als die letzten Repräsentantinnen der vergangenen sommerlichen Zeit gelten. Marie Antoinette trug ein duftiges, rosendurchwirktes Musselingewand, das die schlanken Formen wie in einer Wolke verhüllte. Durch den spinnwebartigen Stoff schimmerten die wundervollen Arme, wie aus Alabaster gemeißelt, durch das hochtoupierte Haar zog sich ein Schleiergewinde mit prachtvollen Teerosen.
Die jugendschöne Witwe des leichtsinnigen französischen Prinzen, die der Königin gegenübersaß, glich in ihrem weichen, blaßlila Seidenkleid einer Fliederblüte. »Die Rose unter dem Schnee«, »den Frühling im Hermelin« hatte man die Frau genannt, deren herbes Geschick um so mehr Mitleid erweckte, weil sie eine der sympathischsten Erscheinungen am Hofe war. Nach kurzer, unglücklicher Ehe, an der Seite eines unbeständigen, ausschweifenden Gemahls, hatte sie sich in ein Kloster zurückgezogen; später lebte sie bei ihrem Schwiegervater, dem durch seine Wohltätigkeit und seinen edlen Charakter hochangesehenen Herzog von Penthièvre, der die junge savoyische Prinzessin wie sein eigenes Kind liebte. Zu den Hoffesten nach Versailles berufen, erregte ihre Schönheit allgemeine Bewunderung, aber die Huldigungen, die man ihr entgegenbrachte, machten ihr wenig Eindruck; am liebsten wäre sie dem Treiben des Hofes ferngeblieben und hätte ihre Tage wie bisher in vornehmer Zurückgezogenheit verbracht. Die Schatten der Vergangenheit folgten ihr überall, das trübe Geschick ihrer Jugend hatte sie schwermütig gemacht. Die damalige Kronprinzessin hatte großes Interesse für die hartgeprüfte Frau. Sie halten zudem so manches gemein, ihr gleiches Alter, die Schönheit, die sie aneinander bewunderten, die hohe Abkunft, deren sich beide rühmten – und aus der Zuneigung Marie Antoinettes ward Liebe und Freundschaft. Kaum hatte sie den Thron bestiegen, als sie die Freundin dauernd an den Hof zu fesseln versuchte.
Die Prinzessin von Lamballe war durch ihre hohe Geburt verhindert, eine Stellung als Ehrendame anzunehmen, so wurde ihr die Würde der obersten Intendantin übertragen, die mit ihrem Range vereinbar war. Im September 1775 fand die Ernennung der damals sechsundzwanzigjährigen Fürstin statt. Am Hofe rief die Besetzung der hohen Stellung, die seit Maria Leszinskas Tode offengelassen war, einen Sturm des Unwillens hervor; selbst der König wollte zuerst nichts davon wissen, daß man eine Ausländerin zur obersten Intendantin erhob, doch gab er am Ende den Bitten seiner Gemahlin nach. Aber mehrere Hofdamen weigerten sich, der Intendantin unterstellt zu werden und reichten ihr Entlassungsgesuch ein. Die Gräfin von Noailles, die ihrer Gebieterin die Vernachlässigung der althergebrachten Formen nicht verzeihen konnte, erbat die Entlassung aus ihrer Stellung an dem Tage, an welchem die Prinzessin die ihre antrat, und zog sich verbittert und aufgebracht in das Privatleben zurück.
Marie Antoinette hatte eine Schwäche für schöne Frauen. Sie ließ sich leicht hinreißen, war rasch zur Freundschaft entflammt, aber dieselbe war oft nur von kurzer Dauer, und die Begünstigte ward vergessen, sobald ein neuer Stern auftauchte. Sie liebte die Prinzessin wirklich, aber so tief und treu, wie die Zuneigung der jungen Intendantin für ihre Herrin, waren Marie Antoinettes Gefühle nicht. Die Zärtlichkeit, die einst ihr Gemahl verschmäht und die sie seither unter angenommener Kälte verborgen, übertrug Marie Thérèse auf die königliche Frau, der sie mit Dankbarkeit und der innigsten Ergebenheit diente. Ihre Charaktere ergänzten sich; die sonnige Fröhlichkeit und Lebendigkeit der Königin rissen die Prinzessin aus ihrer Melancholie heraus, während der Ernst und die Ruhe derselben einen günstigen Einfluß auf die allzu große Beweglichkeit Marie Antoinettes ausübten.
Die Schwierigkeiten, die der Intendantin aus ihrer Stellung erwachsen würden, übersah die Königin, als sie den Plan machte, dieselbe an den Hof zu ziehen. Sie bemerkte es nicht, daß Marie Thérèse etwas beschränkt war, daß sie einen fast übertriebenen Wert auf die Etikette legte, und bedachte nicht, daß sie sich in diesem Punkte nicht verstehen würden. Die schöne, unglückliche Frau war ihr sympathisch, und das genügte, um ihren Willen durchzusetzen.
Die Prinzessin kam und ward mit offenen Armen von der Herrscherin empfangen, während der Hof von Versailles mit scheelen Blicken die Ausländerin musterte. Aber die beiden Freundinnen schienen es nicht zu bemerken, eine hatte für den Augenblick an der andern genug. – – – – – – – –
»Es ist elf Uhr, ich hoffe, Mademoiselle Bertin ist pünktlich,« sagte die Intendantin, sich erhebend und sehnsüchtig aus dem geöffneten Fenster über die leuchtenden Baumkronen blickend: »Wir werden nicht mehr viel solch sonniger Herbsttage haben, und fast möcht ich's beklagen, daß Eure Majestät die schönsten Stunden dem Putzminister Die Damenschneiderin Mademoiselle Bertin, von Marie Antoinette scherzweise der Putzminister genannt. opfern!«
»Es bleibt noch schön,« entgegnete die Herrscherin, eine Auswahl zartgetönter Seiden mit einer Wichtigkeit musternd, als hinge ihr Glück von der Wahl der Abendtoilette ab. »Der Putzminister ist die Hauptperson in meinem Hofstaat,« fuhr sie lachend fort, »er berät mich nicht allein in dieser Frage, sondern hält mir auch die Intriganten fern; denn solange er bei mir ist, darf mich keiner stören!«
Marie Thérèse blickte träumend in die Weite, über die Wipfel hinweg, wo fern über den Stoppelfeldern der Himmel die Erde zu berühren schien. Es lag soviel Abschiednehmen in dieser leuchtenden Oktober-Schönheit, jene weiche, wehmütige Stimmung, die keiner anderen Jahreszeit eigen.
»Wie bald werden die Blätter fallen,« sagte die Prinzessin leise vor sich hin, und eine Träne stahl sich über ihre Wange. Ihre schwermütige Stimmung kam nie mehr zum Ausdruck als in der Zeit, da das Jahr sich neigte und Welken und Vergehen in der Natur ihren Anfang nahmen.
Die Königin lehnte sich im Armstuhl zurück. »Marie Thérèse,« rief sie, »welche Robe soll ich wählen?« und sie hielt zwei Seidenproben in die Höhe, weißen, golddurchwirkten Damast und ein schillerndes Blumenmuster.
Die Intendantin wandte sich um; sie konnte die Schatten, die ihr das Leben verdunkelten, nicht so schnell verscheuchen und blickte ernst in das lebensfrohe Antlitz. »Ich finde weiße Seide königlicher, Majestät,« erwiderte sie nach kurzem Besinnen.
» Toujours le cérémoniel!« rief Marie Antoinette, das Haupt zurückwerfend. »Ich werde dich wie die Noailles Madame Etiquette Spitzname der Ehrendame Gräfin von Noailles. heißen, meine liebe Lamballe! Darf ich denn niemals nur die schöne Frau sein und statt der Krone Rosen tragen?«
»Nein,« entgegnete die Prinzessin, »Eure Majestät haben das Vorrecht vor allen anderen Frauen des Landes, Königin von Frankreich zu sein, und die Pflichten, die dieses Vorrecht mit sich bringt, müssen Eure Majestät erfüllen!«
Ehe die Königin antworten konnte, ward Mademoiselle Bertin gemeldet.
»Der Putzminister wird unseren Streit schlichten und die Entscheidung treffen,« sagte sie, »dann kannst du die Naturschönheiten von Versailles genießen, so lange es dir beliebt, chérie!«
Gleich darauf betrat die Besprochene, von einem Hoffräulein begleitet, das Gemach.
Die kleine, bewegliche Französin war das erste Mitglied der Bürgerklasse, welches gewürdigt worden war, den königlichen Palast zu betreten, und die anspruchsvolle, dezidierte Modistin gewann bald eine große Macht über die Herrscherin. Sie trat in fast vertraulicher Weise auf und machte, da die Königin sich ihre Art gefallen ließ, ihre die Mode betreffenden Vorschläge in befehlendem Ton. Bald war Fräulein Bertin ihre Garderobiere und verwarf den alten Hofbrauch, demzufolge die Königin sozusagen öffentlich Toilette machen sollte. Sie verschuldete es auch, daß die Haarfrisur der Damen jene unglaublichen Dimensionen annahm, daß der Aufbau von Locken, Gaze und Blumengewinden oft zu einer Höhe von dreißig bis vierzig Zoll anwuchs, daß lebende Bilder, Idyllen usw. darin Platz fanden. Damen mit Sonne, Mond und Sternen, mit Kriegsschiffen, ja, mit dem eigenen Kinde im Schoße der Amme in der Coiffure dargestellt, erschienen auf den Hoffesten. Die Mode wechselte fortwährend, und die Auslagen der Damen wuchsen durch die verschwenderische Pracht, die nach kurzer Dauer einer größeren das Feld räumen mußte, ins Ungeheuerliche. Ehemänner und Väter gerieten in Schulden, Uneinigkeit und Familienzwist brachen aus, und die öffentliche Meinung wies auf die schöne, lebensfrohe Frau, die ihrem Geschlecht das böse Beispiel der Eitelkeit und Verschwendung gab. In allen vornehmen Kreisen herrschte Unzufriedenheit. Die Gräfin de la Marck sagt in ihrer Beschreibung des französischen Hofes: »Die Königin rennt beständig in die Oper, macht Schulden, jagt von einem zum andern, putzt sich mit Blumen und Federn heraus und macht sich über alles mögliche lustig.« Aber weder Marie Antoinette noch ihr Putzminister fühlten ihre Schuld und lebten ihr Schmetterlingsleben weiter.
So war die Bertin auch heute nicht im entferntesten geneigt, der Intendantin in ihrem Bestreben, die Etikette des Hofes aufrechtzuerhalten, beizustehen, sie riet im Gegenteil der Königin sofort zu der Wahl jenes schillernden Stoffes, der zum Gewand einer Balletteuse bestimmt sein mochte, und machte zur Verarbeitung desselben ihre extravaganten Vorschläge.
Marie Thérèse war gekränkt. Schon nach kurzer Zeit war es ihr klar geworden, daß ihre Stellung als Intendantin mit den größten Schwierigkeiten verknüpft war. Die Königin hatte in ihrer Feindschaft wider das Zeremoniell bei der Ernennung der Prinzessin den Umfang ihrer Rechte und Pflichten unbestimmt gelassen. Nach wenigen Tagen schon waren hierdurch Uneinigkeiten zwischen der Intendantin und den Damen des Hofes entstanden, und mit Sorge blickte die erstere in die Zukunft. Überall herrschte Mißvergnügen, Unfriede und Unordnung, und schon wurden Klagen laut und nahten dem Thron. Die Prinzessin fühlte, daß sie über einem Vulkan wandelte, und trotz aller Liebe, mit welcher ihre königliche Freundin sie überschüttete, sehnte sie sich oft in die früheren Verhältnisse zurück, in jenes stille, einsame Schloß, an die Seite des alten Mannes, der den Sonnenschein seines Hauses mit schwerem Herzen hatte ziehen lassen. – –
Stunden waren vergangen; die Königin kam mit ihrem Schwager, dem Grafen Artois, von einem Ritt nach Klein-Trianon zurück, als die Sonne sank. Die Intendantin saß mit Cécile de St. Hilaire, welche ihr befreundet war und für einige Wochen die erkrankte dame d'atour der Prinzessin vertrat, am Fenster ihres Gemachs, über einen prachtvollen Teppich gebeugt, den sie für Marie Antoinette stickte.
»Die Königin kehrt soeben zurück,« sagte das junge Mädchen und ließ die ernsten Augen gedankenvoll hinabschweifen, wo Marie Antoinette mit ihrem Kavalier in den Schloßhof eintrat. Stolz ging der weiße Zelter unter der zarten Last, und der Graf neigte sich lachend und scherzend zu seiner Schwägerin.
Sie waren am Ziel; Diener eilten die Stufen hinab, aber Graf Artois hielt der Königin den Bügel.
Cécile blickte fragend auf ihre Herrin, doch der herbe, sorgenschwere Zug in ihrem Antlitz hieß sie schweigen. Sie mußte es ja auch ohnehin sehen, daß man es überall tadelte, daß die Herrscherin sich meist in Begleitung ihres Schwagers zeigte, daß der leichtsinnige und durchaus nicht einwandfreie Bruder des Königs der Tonangeber der Unterhaltungen und Vergnügungen der Majestät war. Die Intendantin erriet Céciles Gedanken.
»Es ist Zeit, Toilette zu machen, ma chère,« sagte sie, sich erhebend, »eilen Sie sich, Sie wissen, wir müssen als die ersten auf dem Posten sein,« und Cécile war entlassen.
Aber während ihr die Zofe die Locken puderte und mit Perlen und weißen Astern durchwand, weilten ihre Gedanken bei der wunderschönen Frau, die es nicht verstand, die Krone zu tragen. Durch ihre eigene aristokratische Erziehung war ihr der Blick geschärft, und es entging ihr nicht, daß die erste Frau des Landes die engbegrenzten eisernen Regeln, denen die vornehme Frau zu gehorchen hat, mit unverantwortlicher Gleichgültigkeit übertrat. Wie manche Dame der Hofgesellschaft kannte sie, die lange nicht so weit ging wie die Königin, die aber doch abfällig beurteilt wurde, der das andere Geschlecht mit jener degradierenden Freiheit und Ungeniertheit begegnete, die es nur der Frau zu bieten wagt, die sich, oft nur mit einem halben Schritt, außerhalb jener Grenzen befindet. Sie hatte einmal zufällig die Unterredung zweier junger Kavaliere auf einem Hofball mit angehört. Sie sprachen über eine Dame der höchsten Kreise, die ein großes Haus machte und besonders die Gesellschaft der Herren liebte. »Schön und hinreißend liebenswürdig,« hatte der eine der beiden Gardedukorps geäußert, »aber – un peu déclassée!« – – Ein vernichtendes Urteil – Cécile dachte, wenn man es je im Leben über sie fällen sollte, so würde sie unter die Erde sinken. – – –
Und dieses Defizit, diesen Mangel an Frauenwürde warf man dem Weibe aus königlichem Geblüt vor, der Landesmutter, die alle Tugenden einer Fürstin und Frau in sich vereinen sollte. Wäre dies junge, schöne Geschöpf von klein auf für Frankreichs Thron erzogen worden, es hätte vielleicht nach manchem Kampf und viel Irrung und Selbstüberwindung seinen Weg gefunden, aber Maria Theresia hatte sich getäuscht, als sie aus der Schar ihrer Töchter dies Kind zur Königin von Frankreich erkor – keine der Erzherzoginnen war weniger geeignet, jenen schwanken Thron zu besteigen, als Maria Antonia mit ihrem leichtherzigen, flatterhaften Wesen, ihrer sprudelnden Lebendigkeit, ihrem Mangel an Selbstbeherrschung. Jetzt konnte nur noch das Unglück einen Wandel in diesem Frauenleben schaffen, das Unglück, das ein ganzes Leben untergräbt und umgestaltet, und jene heilige, erneuernde Macht, deren Segnungen die Zeitgenossen des vierzehnten und fünfzehnten Ludwig vergessen oder nie gekannt – das Christentum. Doch ob der Enkel die Religion heilig hielt, blieb sie doch eine Nebensache am Hofe zu Versailles; sie war weder der Grund noch die Richtschnur jenes Geschlechts, dessen Ziel Genuß und Ehre war – wie konnte ein junges, schönheitstrahlendes Weib in dieser Umgebung, von allen Seiten umschmeichelt und verlockt, zur Erkenntnis seiner selbst gelangen, zur inneren Einkehr und Umkehr.
Und nicht nur die Elite der Gesellschaft war's, die Marie Antoinette verdammte – ein hungerndes, über die Verschwendung des Hofes empörtes Volk, dem seine Könige seit Jahrzehnten nichts als Enttäuschung bereitet, murrte wider sein angestammtes Herrscherhaus, und die junge Generation erbte den Haß. Mit Jubel waren Ludwig und Marie Antoinette begrüßt worden, als sie den Thron bestiegen, aber der Enthusiasmus währte nicht lange, als man sah, wie wenig Wandel in den alten Verhältnissen geschaffen wurde. Hätte die junge Herrscherin sich nur ein einziges Mal der großen Not gegenüber nicht nur mit finanzieller Hilfe, sondern mit Herz und Gewissen, durch Einschränkung der ungeheuerlichen Ausgaben für ihre Person und ihr Vergnügen als Landesmutter gezeigt, als die Königin von Gottes Gnaden, die das Wohltun im großen als ihr souveränes Vorrecht übt – das Volk hätte sie wie eine Heilige verehrt –, der leichtlebigen, verschwenderischen Frau gegenüber aber ward es bald gleichgültig, und selbst ihre Schönheit verlor ihren Reiz für die Kinder des unter dem Druck der Armut seufzenden Landes. – – –
Cécile hatte es fast vergessen, daß sie sich zum Ball ankleiden sollte, so tief war sie in Gedanken versunken. Erst als die Zofe die blaßgelbe Seidenrobe hereintrug, ward sie daran erinnert. Rasch ließ sie sich ankleiden, warf einen prüfenden Blick in den Spiegel und begab sich zu ihrer Gebieterin.
»Kommen Sie schnell, mon enfant,« rief Marie Thérèse, bei deren Anblick Cécile an die »Rose unter dem Schnee« erinnert ward, dann folgte sie der Intendantin in den Friedenssaal, wo die Herren und Damen des Hofes sich schon versammelt hatten. – – – –
Das Fest neigte sich seinem Ende zu; von den Galerien klangen die Waldhörner, ein altfranzösisches Jagdlied mahnte die Königin mit seinem jubelnden Halali zum Aufbruch. Einen kurzen Augenblick verweilte sie noch, dann verließ sie mit dem Grafen Artois den Saal. Der König folgte dem Paar mit der Gräfin von Provence; die Fürstin Guéméné, Gräfin Marsan und Graf Polignac mit seiner von der Königin bis zum Übermaß verwöhnten Gemahlin schlossen sich an. Alle wußten es, daß für Marie Antoinette, während der König die Ruhe suchte, das Leben erst begann. Mit schwermütigem Ausdruck in den schönen Augen sah die Prinzessin von Lamballe ihrer Gebieterin nach – sie hatte es selbst mit Tränen erfahren, daß weder Bitten noch Vorstellungen es vermochten, die Königin vom Spieltisch zu entfernen. – – – – – – – – – –
Der Tag brach an. Schlaflos lag Marie Thérèse in den Kissen, sie konnte nicht ruhen, solange sie ihre Herrin in jenem entlegenen Gemach des alten Schlosses wußte, das zur Spielhölle geworden. Sie wußte, daß Marie Antoinette sehr unglücklich spielte, daß sie Unsummen verlor, daß in Versailles wie in Trianon zu ihrem Nachteil gespielt worden war. Und machtlos stand sie dem Unglück gegenüber, ohne demselben steuern, ohne den gärenden Haß ersticken zu können.
Von den Türmen schlug es sechs. Sie erhob sich, schritt zum Fenster und schob den Vorhang zurück. Drüben im anderen Flügel des Riesenbaues schimmerte das Licht, das dem Laster leuchtete, durch die dicht verhangenen Scheiben. Wie von einer plötzlichen Eingebung getrieben, sank Marie Thérèse auf die Knie. »Herr Gott, erbarme dich meiner Königin!« kam's wie ein Schrei von ihren Lippen, während die Tränen unaufhaltsam über ihr Antlitz rannen.
Als sie sich erhob, war das Licht erloschen. Sie atmete auf. Leise schritt sie zur Tür und lauschte, der Weg der Königin führte an ihren Gemächern vorüber. Lachen und Scherzen weckte die Intendantin oft am frühen Morgen, wenn Marie Antoinette mit ihren Genossen vom Spiel kam. Aber heute wartete sie vergeblich auf jenes fieberhaft erregte Stimmengewirr; keine Silbe redeten die Kommenden.
An der Tür der Intendantin vorüber rauschte eine Frauenschleppe, die Trägerin des Diadems hatte das Haupt tief gesenkt – Marie Thérèse zitterte bei ihrem Anblick, trübe Ahnungen erwachten in ihrer Seele. Spät am Morgen erhob sie sich vom Lager, die erste, der sie begegnete, war Cécile de Saint Hilaire; sie sah bleich und verstört aus, auf ihren Wangen brannten rote Flecke. Marie Antoinette schlief noch, und Graf Artois suchte im Schlosse zu verbreiten, daß sie sich bei dem gestrigen Fest eine Erkältung zugezogen; die Hofleute aber flüsterten einander zu, die Königin habe dreißig Millionen Frank im Spiel verloren. Unter den vielen Verschwendern und Industrierittern, die sich an dem königlichen Spieltische bereicherten, war ein Engländer, der der Königin über fünfhunderttausend Goldstücke (über dreißig Millionen Frank) abnahm.