Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Als ich zum erstenmal im Leben
Dich schaut' im hellen Kerzenscheine,
Da wußt ich's, auf der ganzen Erden
Gibt es kein Antlitz wie das deine!
Und böte man mir Glanz und Schimmer,
Ich würde nach der keinem fragen -
Des Königs Page möcht ich werden
Und deine weiße Schleppe tragen!
Zwei Monate waren vergangen, seit die beiden vornehmen Häuser das Band der Liebe und Freundschaft durch das Verlöbnis ihrer Kinder noch enger geknüpft.
Im Sommer wollte Gérard seine schöne Braut heimführen, und Blanche und ihr Verlobter hatten, von Sérévan mit Bitten bestürmt, eine Doppelhochzeit zu rüsten. Aber diese war ihrem Entschluß, ihre Tochter noch nicht heiraten zu lasten, getreu geblieben. Sie sei gar zu zart und schwächlich, hatte sie Adalbert geantwortet, als er immer wieder den festgesetzten Termin zu kürzen suchte, und man dürfe die Sorgen der Vergangenheit nicht ganz vergessen, wenn auch kein Grund zu neuen Befürchtungen vorläge.
»Vorsicht ist niemals vom Übel!« schloß sie, »und das Glück läuft euch, will's Gott, nicht davon!«
So hatten sie sich endlich gefügt, aber einer andern Bitte hatte die Marquise nachgeben und versprechen müssen, Blanche bei Hofe vorzustellen. Am 10. Januar, an welchem ein glänzendes Fest in Versailles stattfand, sollte das Brautpaar der Kronprinzessin vorgestellt werden.
Es war ein eiskalter Wintertag, jener 10. Januar des Jahres 1774, dem manch schönes, lebensfrohes Kind mit klopfendem Herzen entgegensah. Die Feste Marie Antoinettes fanden, besonders bei der Jugend, viel Anklang, denn Frankreichs künftige Herrscherin liebte das steife Zeremoniell nicht und beschränkte dasselbe, soviel in ihren Kräften stand. Entgegen der Sitte der französischen Prinzessinnen, die vom frühen Morgen bis zum späten Abend in steifer Hoftoilette waren, hatte die Kronprinzessin die Gewohnheit, ihre Vormittagsbesuche in einem hellen, leichten Kleide zu machen, was besonders von den Tanten ihres Gemahls scharf gerügt wurde. Die schöne, leichtherzige Frau machte sich nichts daraus, ihr Gemahl bestärkte sie in ihrer Feindschaft wider das Zeremoniell, und ihr Ratgeber und Vertrauter, der Abt Vermont, ein Original in seiner Verachtung aller Äußerlichkeiten, war nicht die Persönlichkeit, die junge, unerfahrene Fürstin zum Maßhalten in der Entfernung der althergebrachten Formen zu ermahnen; er erinnerte Marie Antoinette vielmehr an die Einfachheit ihrer Mutter, machte sich über die Etikette der Bourbonen lustig und vergaß, daß die königliche Würde das Festhalten an alten Sitten und Bräuchen fordert. –
Die Sonne war längst hinunter, die Straßen waren erhellt, und aus den Fenstern des Königlichen Schlosses zu Versailles strahlte Kerzenglanz. Die Feste im Versailler Schloß begannen nachmittags um 5 Uhr und endigten abends um ½10 Uhr. Auf die Terrassen, auf die steinernen Gestalten an den »großen Wassern« Die Wasserkünste Ludwigs des Vierzehnten. des Sonnenkönigs rieselte der Schnee in dichten Flocken herab und umwob die Fassaden des Riesenschlosses mit seinen Schleiern. Seufzend blickte ein armes Weib, das von der Schildwache unbemerkt am goldenen Gitter vorüberschlich, zu den Fenstern der Spiegelgalerie Galerie des glaces oder galerie de Louis XIV. empor. Kalt ruhte das erloschene Auge auf der verschwenderischen Pracht, die das Kerzenlicht hervorgezaubert, als schaue es nichts Neues, sondern eine längst bekannte, verhaßte Herrlichkeit; und die Tochter des Volkes, das der Hungersnot entgegenging, drückte den blassen Säugling fester an die Brust und ballte die Faust unter dem armseligen Gewände. Dann schritt sie durch den Schnee von dannen, und die stetig fallenden Flocken verwischten bald die Spur der Bettlerin. – –
Am Portal ward's lebendig. Die vornehme Welt von Paris und Versailles nahte in Karossen und Sänften und bot, vom Kerzenglanz bestrahlt, ein schimmerndes, farbenreiches Bild in dem weiten, verschneiten Schloßhof. Fürstliche Pracht paarte sich mit der steifen Sitte der Zeit, Jugend und Schönheit gingen, von der Mode beherrscht, im gepuderten Haar und verdeckten die natürliche Frische durch Schminke und Schönheitspflästerchen. Aber trotz des strengen Zeremoniells in Sitte und Mode oder zum Teil gerade durch dasselbe hervorgerufen, lag ein eigenartiger Reiz über dem Ganzen, eine Grazie, wie sie wohl nur die Periode des Rokoko und der Zopfzeit hervorzauberte. – –
In dem berühmten Friedenssaal, der zu den Spiegelgalerien führte, versammelten sich die Gäste. Lachen und Scherzen klang gedämpft durch die Reihen der Jugend, die den Beginn des Balles sehnsüchtig erwartete. In ernstere Gespräche vertieft, standen die Alten, und besonders die treuen Royalisten unter ihnen konnten die Sorgenfalten auf der Stirn nicht so schnell verscheuchen. Aber sie alle waren der Einladung der Kronprinzessin gerne gefolgt, die junge, anmutige Frau besaß damals noch viele Sympathien, und ihre graziöse Liebenswürdigkeit bezauberte immer aufs neue aller Herzen.
Der alternde König war krank und konnte dem Feste nicht beiwohnen; aber kein Wort des Bedauerns über die Abwesenheit des leidenden Monarchen ward laut, jedermann war im stillen froh, daß Ludwig der Fünfzehnte und sein berüchtigter Anhang fehlte, und wandte die Aufmerksamkeit um so ungeteilter dem neuaufgehenden Stern des Hofes zu.
Die Türen des Friedenssaales öffneten sich, der Hofmarschall verkündete mit seinem Stabe das Nahen des Hofes. Lautlose Stille herrschte bis in den entferntesten Winkel, selbst das leiseste Flüstern verstummte, und auf der Schwelle erschien, vom Kronprinzen Ludwig geführt, jene schöne neunzehnjährige Frau im Diadem, Frankreichs künftige Königin.
Weiße Seide, von Perlen und Brillanten übersät, umschloß die wundervolle, jungfräulich zarte Erscheinung, das ungepuderte, lichte Lockenhaar schmückte ein Kranz rosa Rosen, halb verhüllt von dem golddurchwirkten Schleier, der duftig über die weißen Schultern herabfiel. Marie Antoinette war hinreißend schön, aber ihre Schönheit ward noch erhöht durch das strahlende Lächeln, damit sie jeden, der ihr nahte, empfing, durch ihre sonnige Fröhlichkeit, ihr unbefangenes graziöses Auftreten. Nach allen Seiten huldvoll grüßend, durchschritt sie an der Seite ihres Gemahls den Saal, gefolgt von den Grafen von Provence und Artois, den Brüdern des Kronprinzen, mit ihren Gemahlinnen und einer Schar Kavaliere und vornehmer Frauen, die das Gefolge bildeten.
Ein Flüstern der Bewunderung ging durch den Saal und folgte der gefeierten Fürstin, bis die Klänge der Polonaise ertönten und Marie Antoinette mit dem Grafen Artois den Ball eröffnete.
Blanche Sérévan tanzte mit ihrem Verlobten in einiger Entfernung von der Kronprinzessin. Unverwandt hingen die dunklen Augen des jungen Mädchens an dem strahlenden Antlitz, eine seltsame Unruhe machte sich in ihrem Wesen fühlbar, und doch schien sie sich derselben nicht bewußt, denn als Adalbert sich sorgend zu ihr neigte und sie leise fragte, ob sie sich nicht wohl befände, da schüttelte sie lächelnd das Köpfchen, aber der stille, melancholische Ausdruck in ihren Augen wollte nicht weichen, und mit heimlicher Angst wachte der Gardedukorps über seiner jungen Braut, die ihm seit dem Beginn des Festes wie umgewandelt erschien. Der Tanz war beendet; Marie Antoinette begann Cercle zu halten. Hinter ihr stand ihre Ehrendame, die Gräfin von Noailles, eine Frau des alten Regimes, die das leichte, vertrauliche Wesen ihrer jungen Gebieterin schon oft gerügt hatte. Sie trug die steife Hoftracht des Marquisenstils, keine Übertretung des Zeremoniells bei Hofe ward von ihr übersehen, und je mehr die Kronprinzessin die Etikette beiseitesetzte, hielt sie mit eiserner Strenge dieselbe aufrecht. Mit hochgezogenen Brauen stand sie jetzt hinter der Herrin, die sich in natürlicher Anmut und Freundlichkeit an die jungen Mädchen wandte, welche die Gräfin ihr vorgestellt. Es war eine ungewöhnlich große Schar, die an diesem Abend zum erstenmal in Versailles erschien, eine Auswahl aristokratischer Erscheinungen, die Elite unter den Töchtern des französischen Adels.
»Mademoiselle de Sérévan!« stellte die Ehrendame Blanche der hohen Frau vor und wollte eben einige Worte bezüglich ihrer Verlobung hinzufügen, als sie bestürzt auf das junge Mädchen sah. Mit geisterhaftem Blick starrte Blanche in das schöne Antlitz, von dessen strahlender Freundlichkeit sie so oft geträumt, dann sank sie mit dem Ausruf: » O mon Dieu!« besinnungslos in die Arme ihres Verlobten.
Inmitten der allgemeinen Verwirrung trug Adalbert seine Braut aus dem Saal, gefolgt von Frau von Sérévan.
Die warmherzige Kronprinzessin wäre ihnen am liebsten nachgeeilt, aber ein strenger Blick der Ehrendame gemahnte sie ihrer Pflicht, und einen Seufzer unterdrückend, wandte sie sich an den schwedischen Gesandten, welcher um die Erlaubnis bat, Marie Antoinette einen jungen Landsmann präsentieren zu dürfen.
»Graf Axel Fersen, ein Sohn jenes Geschlechtes, das seit Generationen zu den tapfersten und treusten zählt, die den schwedischen Thron umgeben!« stellte Graf Creutz den Jüngling vor.
»Ah, ein getreuer Vasall Königs Gustavs,« sagte lächelnd Marie Antoinette, während ihr Auge auf der vornehmen Erscheinung des jungen Schweden ruhte, der sich tief vor ihr verneigte; dann reichte sie ihm die Hand zum Kuß und schritt nach einigen freundlichen Worten weiter.
Versunken in ihren Anblick sah Jean Axel der hohen Frau nach. Er hatte für nichts mehr Augen, als für jene königliche Erscheinung, die wie eine Aphrodite durch die Reihen der Sterblichen schwebte. Bis zu den entferntesten Enden des Saales folgte ihr sein Auge, und als der Hof sich längst zurückgezogen und die Gäste sich zum Aufbruch rüsteten, stand der junge schwedische Kavalier noch auf seinem alten Platz in Gedanken verloren, die Augen auf die goldenen Türen gerichtet, dahinter die weiße Schleppe der Dauphine verschwunden war.