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Sei stark und still und begrabe dein Leid,
Denn Klagen ist nicht nordische Art!
Zieht der Wintersturm auch brausend ins Land,
Er stählt ja nur, doch macht er nicht hart!
Sei stark und still und klag's deinem Gott,
Was auf dir lastet mit schwerem Bann!
Laß nichts dich besiegen als Gott allein,
Das reift und stählt – das adelt den Mann!
Schon seit längerer Zeit hatten die Auswanderer einen Vereinigungspunkt in Koblenz gefunden, wo die beiden Brüder Ludwigs des Sechzehnten Hof hielten. Die Prinzen hatten von dort aus in einem Briefe an den König gegen die neue Verfassung Protest erhoben und bereits ein Heer von 20 000 Mann um sich geschart. Die auswärtigen Mächte schienen nicht abgeneigt, sie in der Unterdrückung der Revolution zu unterstützen. Die gesetzgebende Versammlung hatte daher am 9. November erklärt, daß jeder, der nicht bis zum 1. Januar 1792 zurückgekehrt sei, als Vaterlandsverräter betrachtet werden würde, und Ludwig sah sich genötigt, den Erlaß zu unterstützen, indem er seine Brüder zur Rückkehr aufforderte. Sie gehorchten nicht, sicher auf fremden Beistand hoffend. Friedrich Wilhelm der Zweite von Preußen und Kaiser Leopold hatten vor wenigen Monaten bei der Pillnitzer Zusammenkunft erklärt, sie wollten dahinwirken, daß in Frankreich die Monarchie wiederhergestellt würde. König Gustav von Schweden und Katharina von Rußland hielten Gesandte am Koblenzer Hofe. Ersterer war ein treuer Freund Ludwigs und Marie Antoinettes und rüstete eifrig gegen die französische Revolution, während die Kaiserin durch Beendigung des Türkenkrieges freie Hand für die Sache des gefährdeten Landes zu erhalten suchte. Es war Ludwig, dem in allem, was er tat, die Hände gebunden waren, also nichts anderes übriggeblieben, als die auswärtigen Mächte aufzufordern, die Emigranten bis zum 15. Januar 1792 aus ihren Ländern auszuweisen, und drei Heere an der Ostgrenze seines Reiches aufzustellen. Trotzdem dauerten die Rüstungen der Emigranten fort; der König, der wohl wußte, daß ihm nur noch vom Auslande Hilfe kommen könne, blieb in heimlicher Verhandlung mit seinen Brüdern, und die Ansicht, daß man in den Tuilerien ein doppeltes Spiel spielte, war bald im ganzen Lande verbreitet. Im März 1792 mußte Ludwig sein Ministerium entlassen; die Girondisten kamen ans Ruder mit Domouriez und Roland an der Spitze, um einige Wochen später den Feuillants ihre Plätze einzuräumen. Und dann folgte ein Unglück dem andern.
Kurz nach dem Thronwechsel in Wien traf Gustav den Dritten auf einem Maskenball in Stockholm die Mordwaffe eines Anarchisten.
»Das ist eine Kugel, welche die Jakobiner in Paris freuen wird,« sagte der sterbende König.
Mit ihm schied einer der treuesten Freunde der verlassenen Herrscherfamilie in den Tuilerien.
Indessen arbeitete Fersen weiter. Er war König Gustavs Bote gewesen; wie ein Vermächtnis bewahrte er die Pläne seines Herrn, und seine Treue zu dem Toten entwickelte sich im Verein mit der Liebe zu der Lebenden zu immer kraftvollerem Schaffen. Aber es war eine Danaidenarbeit, die er begonnen, die lange, schwere Zeit, wo er für die Königin im Auslande gewirkt, lag hinter ihm, wie ein Brachfeld, er hatte so gut wie nichts erreicht. Doch er ward nicht müde, seine Zeit, sein ganzes Leben gehörte der Frau, die er im Unglück liebte, wie im Glück; um ihretwillen begab er sich in Gefahr, ohne sich einen Moment zu besinnen, um ihretwillen rieb er sich körperlich und seelisch auf, mit Freuden hätte er den letzten Blutstropfen für sie vergossen. Und ob sie ihm hundertmal verbot, ihr zu schreiben, weil er sich der Gefahr aussetzte, sie irrte, wenn sie glaubte, Fersen zu bewegen, seine Korrespondenz aufzugeben; nach wie vor sandte der treue Kundschafter seine in ein Paket Schokolade, eine Schachtel Zuckerwerk versteckten oder in ein Kleidungsstück eingenähten Berichte, Vorschläge und Fragen. Bis zum Fall des Königtums bestand dieser Briefwechsel. Die angeblichen Adressaten trugen meist unbekannte, fremde Namen. Ein Teil der Briefe Marie Antoinettes an den Grafen wurde in dieser Weise poste restante an den Abt Bauverein adressiert.
Und noch mehr irrte die unglückliche Königin, die es in der Not verlernt, Liebe und Bewunderung zu erwarten, in dem Gedanken, er werde am Ende keine Mittel mehr finden, um sich den Weg zu ihr zu bahnen. Es gab weder Schwierigkeit noch Gefahr für den schwedischen Kavalier, wenn es galt, jenes heißgeliebte Antlitz wiederzusehen, das der Gram gealtert, dem die Not ihr hartes Zeichen aufgeprägt.
»Ich lebe nur, um Eurer Majestät zu dienen!« schrieb er ihr als Antwort auf ein warnendes Billett, und hinter diesem Wort stand in Wahrheit sein Leben; er wäre ohne den schweren Ritterdienst, den er seiner Liebe leistete, arm und einsam gewesen – die Sehnsucht, Marie Antoinette zu retten, erfüllte sein Herz Tag und Nacht. Um so mehr empörte ihn die Gleichgültigkeit anderer Freunde und einstiger Günstlinge der Königin.
In der Hofburg zu Wien und Schönbrunn hatte er um Beistand für Frankreichs Herrscherfamilie gefleht und gerungen, und der kaiserliche Bruder Leopold. hatte alles versprochen und nichts gehalten. An anderen Höfen war's ihm nicht besser gegangen. Jeder scheute sich davor, die eigene Haut in dem gefahrvollen Kampf zu Markt zu tragen.
Am schmerzlichsten berührte den Grafen die Gesinnung in Koblenz. Die Emigranten waren Royalisten im Sinne des alten Regimes. Die Sympathien für Ludwig und Marie Antoinette waren geschwunden, und man betrachtete in der deutschen Stadt fast allgemein den Grafen Artois als den Repräsentanten des Königtums. Man hielt das gefangene Herrscherpaar kaum des Bedauerns wert, und manch einer beging die Taktlosigkeit, seiner Freude darüber Ausdruck zu geben, daß das Unglück desselben der Partei des Bruders einen weiteren Spielraum gab.
Im Februar 1792 war Fersen zuletzt in Paris gewesen, eine unwiderstehliche Macht hatte ihn hingezogen. Noch lebte der Schwedenkönig, der tätigste, entschlossenste und mutigste der Souveräne, die sich für die Sache des unglücklichen Landes interessierten. Noch konnte Fersen Hoffnungen in das stille Frauengemach in den Tuilerien tragen, und das Herz schlug ihm höher, als er den Befehl seines Herrn erhielt, sich nach Paris zu begeben und dem Herrscherpaar persönlich König Gustavs Briefe einzuhändigen.
Nur wenige Menschen ahnten seine Anwesenheit in der französischen Hauptstadt, als er in der Abendstunde des 14. Februar den Tuilerien zuwanderte. Einige kurze Minuten sah er die Königin, dann mußte sie ihn entlassen, am folgenden Tage wiederholte er seinen Besuch. Das Königspaar hatte ihn gemeinsam erwartet. Ludwig war verzagt und schwach wie immer, seine Gemahlin dagegen zeigte einen Mut und eine Seelengröße, wie Fersen sie nie an ihr gesehen. Das Leid hatte diese Frau gewandelt und geadelt, alle Eitelkeit und Äußerlichkeit war von ihr abgefallen, als das, wozu sie geboren und bestimmt war, stand sie vor ihm – jeder Zoll eine Königin. Und er sagte es sich mit brennendem Weh, was ihr Los sein werde, früher oder später.
König Gustav riet Ludwig und Marie Antoinette in seinem Schreiben, einen neuen Fluchtversuch zu wagen. Er gab ihnen, denselben betreffend, Ratschläge bis ins kleinste. Wenn das Herrscherpaar glücklich über die Grenzen seines Landes entkommen wäre, würde es – meinte der Schwedenkönig nicht mit Unrecht – die Hilfe und das Dazwischentreten auswärtiger Mächte erwarten können.
Aber Ludwig der Sechzehnte wollte keinen neuen Fluchtversuch machen und wies den Vorschlag ab; doch forderte er den Grafen auf, die auswärtigen Herrscher zu verständigen, daß sie ihn nicht verurteilen möchten um der Schritte willen, die er vielleicht zu tun gezwungen sein werde. Dann sank er in sein dumpfes Brüten zurück. Mit einem herzzerreißenden Blick schaute Marie Antoinette zu dem Manne hinüber, der zu schwach war, um als Souverän zu handeln, und in ihren müden Augen flammte der alte Stolz, als sie, das Haupt erhebend, dem Freunde gegenüber die politischen Hoffnungen und Ansichten ihres Gemahls vertrat.
Sie wußte, daß nur noch vom Ausland Rettung kommen konnte, aber die mit jedem Tage wachsende Mißstimmung zwischen Koblenz und den Tuilerien erschwerte jeden Schritt, der in dieser Richtung getan werden konnte. Die Brüder des Königs arbeiteten zwar eifrig an der Bildung eines europäischen Bündnisses gegen die Revolution, maßten sich aber ein Herrscherrecht an, welches der Schein der Treue und Ergebenheit nur schwach verhüllte. Mit den Gesandten aller auswärtigen Höfe schienen sie eng liiert, aber ob sie für den gegenwärtigen Herrscher oder für sich selbst warben, blieb einem kundigen Auge zum mindesten zweifelhaft. Sie verkündeten überall einen riesenhaften Feldzug mit glänzenden Siegen, eine Gegenrevolution, aber ihre Sensationsnachrichten, denen die Grundlage fehlte, trugen nur dazu bei, die Gesamtlage zu verschlimmern. Trotzdem hielten sie an ihren Plänen fest, mit dem Schwert in der Hand die neue Verfassung in Stücke zu reißen.
Mit Recht erhebt die Geschichte dieser Zeit die schwere Anklage der Falschheit gegen Marie Antoinette. Ihre wahren Gefühle waren weit entfernt von der Rolle, die sie spielte. Um die Revolutionspartei in Schlaf zu lullen, hatte sie sich ihrem Gemahl gegenüber für die neue Verfassung erklärt, und in der Hoffnung, einen Vorteil daraus zu ziehen, schloß sie sich den Vertretern derselben an. Sie fühlte sich tiefunglücklich, während sie so handelte, vor ihrem Gewissen war ihr Tun ein unehrliches, und der Trost, daß die Not sie zur Unlauterkeit getrieben, hielt ihren Skrupeln nicht stand.
»Ich weine über meine Familie, über meine Freunde und über mich selbst,« schrieb sie der Prinzessin von Lamballe, und die Unruhe, welche in dieser Zeit ihr Wesen und ihre Handlungen beherrschte, stand im Einklang mit diesem Zeugnis. Eine furchtbare Aufgabe war ihr geworden, durch eigene und fremde Schuld, eine Aufgabe, die nach allen Seiten für eine Frau zum mindesten zweifelhaft war. Es lag ihr ob, die Pläne der Emigranten zu durchkreuzen, den König seiner Unsicherheit und Untätigkeit zu entreißen, die Feindschaft der Revolutionspartei, wie das Mißtrauen des Adels zu überwinden und endlich die Hilfe der fremden Souveräne in demselben Augenblick zu erbitten, in welchem sie dieselben am Einschreiten hindern mußte. Es war die schwere, eine ganze Manneskraft fordernde Arbeitslast eines Diplomaten, die auf ihr lag, und das Schwerste daran war das Bewußtsein: Du vollbringst sie nicht. Alle Anspannung, alle Energie waren vergeblich, sie schöpfte Wasser in ein Sieb. Trotz dieser gewissen Niederlage gönnte sie sich keine Ruhe, aber alles, was sie und Fersen bisher erreicht hatten, waren unbestimmte Zusagen, die nicht gehalten wurden.
Sie sprach mit ihm über alles, sie verhehlte ihm nicht ihre Schuld an all den Wirrsalen, an dem Mißtrauen, das ihr überall begegnete; sie fügte dann hinzu, sie habe nicht anders gekonnt, die Not habe sie gedrängt, und der treue Freund wollte ihr das Herz nicht noch schwerer machen, als es ohnehin schon war. Er war froh, durch die mündliche Unterredung mit der hohen Frau die wahren Absichten des Königspaares zu erfahren, die ihm brieflich nur angedeutet werden konnten. Er erkannte das Ziel, welches dasselbe erstrebte, und es lag ihm nicht fern – auch seine ganze Hoffnung waren die auswärtigen Mächte.
Und als alles klar war zwischen ihnen, und der Graf den vollen Inhalt der auswärtigen Mission kannte, war er gegangen. Das Scheiden war ihm diesmal noch schwerer geworden als sonst; nicht, daß er hoffnungslos gegangen wäre – Graf Fersen blieb in allem, was die Rettung der Königin von Frankreich betraf, Optimist, aber als sie ihm mit nassen Augen die Hand zum Kusse reichte, war's ihm ums Herz, als hielte er die abgezehrten Finger ein letztes Mal umfaßt. Immer wieder neigte er sich über ihre Rechte, und eine Träne stahl sich über seine Wange, als er endlich ging. In der Tür wandte er sich noch einmal um, in ihrem schlichten, weißen Hauskleid stand Marie Antoinette in der Mitte des kleinen Gemaches, das Antlitz schluchzend in den Händen verborgen.
Einen Augenblick verhielt er den Schritt, es trieb ihn zu ihr zurück mit Gewalt – aber er machte sich hart. Leise schloß er die Tür – er fühlte, der Anblick da drinnen ging über seine Kräfte. Einsamer und trauriger denn je verließ er die Tuilerien, nur ein Lichtpunkt leuchtete durch seine Verlassenheit und spornte seinen Lebensmut – der Gedanke an die Rettung der hohen, unglücklichen Frau.
Über ihm schimmerten die Sterne der Winternacht wie eine ewige Verheißung. Er blickte auf in die frostklare Weite, und durch seine Seele zog, wie so oft in seinem Leben, das schlichte Wort, das ihn einst in sonniger Jugendzeit in den deutschen Bergen gegrüßt: »Not ist Not und Gott ist Gott!«
Fest und zuversichtlich blickte der einsame Mann hinauf, er wußte, über den goldenen Sternen wohnte nicht nur die Allmacht, sondern Barmherzigkeit und ewige Liebe.