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»Gott erhalte Franz den Kaiser.«
Er war ein Kavalier, von der verschwindenden Art, die Lebenslust nicht mit Tatenlosigkeit erkauft, ein ganzer Mann, der das Leben liebte, auf gutem Fuße mit dem Tode war, der Leistung und Genuß auszuwägen und eins durchs andere zu steigern wußte. Je heller sie glühte, die Flamme des Lebens, um so näher rauschte der dunkle Sinn des Schicksals und gefährdete die Flamme. So und nicht anders gefiel dir das Leben, in Pflichten, in Verantwortung vollkommen, rasch im Entschluß, mutig in der Tat, doch zugleich Abenteurer der Seele, Diener der Frauen, phantastisch wie ein Dichter.
Karl Gangolph von Sendler ist der letzte eines schlesischen Geschlechtes österreichischer Offiziere gewesen, das sich oft, besonders bei Aspern, hervorgetan hat. Ein paar kalte Daten umspannen bis zum Kriege kalendermäßig dies volle Leben, in Wiener-Neustadt geboren, wo sein Vater an der Akademie lehrte, Kriegsschule, Kriegsakademie, Garnisonen in Troppau, Galizien, Ungarn, Generalstab, Leiter der Intendanzkurse: Rohstoff, aus dem ein starkes Herz sich erst das Leben formt. Welch ein durchpulstes Leben!
Da sitzt, vor einem halben Jahrhundert, irgendwo in Ungarn, eine halbe Italienerin neben dem gestrengen deutschen Gatten, der hat sie in Triest entdeckt und die Spröde erobert. Amazonenhaft, schön, die kurzen Locken lieber zu Pferde schüttelnd als in der Tollheit der Liebe, so hat sie alle abgewiesen, bis sie, schon über Dreißig, am Ende doch dem blonden Rittmeister folgte. Doch nun will sie nach ihrer Art nur einem Sohne das Leben geben und hält in der Zeit der Hoffnung Gift bereit, wenn eine Tochter aus ihr entspränge. Unter so wunderlichen Leidenschaften kommt der Knabe zur Welt – und fünfzig Jahre lang wird nun die Mutter nur dem Sohne leben und dieser ihr. Dies Dogma, von beiden Menschen beschworen, werden sie nie verletzen und noch im Tode rasch einander folgen.
Eine harte Jugend, denn der Vater muß von der Gage leben, und das kleine Vermögen der Mutter ist bald dahin. Es ist kalt in der Kadettenschule, oft friert das Wasser in der Schüssel, und noch nach Jahrzehnten kann dieser wetterfeste Offizier die Stube nicht warm genug haben, wie um die fehlende Wärme der Knabenjahre nachzuholen. Dann ist man der hübscheste Leutnant, eitel auf Stiefel und Taille, und beginnt mit der Laufbahn als Offizier die als ein Don Juan: auf beiden bringt man's rasch zu vielen Sternen. Reiz, Kunst und Lust nimmt hier nicht ab, vielmehr entwickelt sich mit den Jahrzehnten ein Kenner, der immer deutlicher in den Frauen die wahren Bilder des Lebens begreift.
Erstaunlich dies Doppelbild eines selbständigen Lebens! Hochbegabt, pflichttreu und kaiserlich, jung in den Generalstab berufen, erkennt der Offizier die Schwächen seiner Kaste, flieht früh das Kasino, wird immer einsamer im Kreise des Berufes, bald verkehrt er mit niemand mehr und wird von Kameraden Sonderling gescholten. Auch als ihm Verstand und Fleiß den innersten Kreis der Kriegsrüstungen erschließen, trennt er sich von jeder Prätention, erkennt eine schwache Stelle in der Vernachlässigung der Etappenfragen und wirft sich mit historischer Kenntnis und eigenen praktischen Ideen in den Aufbau. Da wird er wieder von manchen Spitzen als wunderlicher Kopf verspottet, den Stiefel, Mehl und Holz mehr interessieren als die hohen Probleme der Strategie. Doch läßt man ihn gewähren, und nun erzieht er durch viele Jahre die Intendanten der Armee fast frei nach seinen eigenen Plänen über Nahrung, Kleidung, Beförderung der Truppen im Kriege, bis seine Exposés grundlegend werden für die Umwandlung alter Ordnungen. Immer aber bleibt er in der Arbeit der Außenseiter wie im privaten Leben.
Denn unter Frauen und Künstlern glaubt er zugleich Geist und Seele besser zu bilden, Menschenherzen sind es, die er sucht, Erkenntnisse und Kultur, rasch rafft er mit geschmeidigen Sinnen zusammen, was eine stumpfe Erziehung ihm schuldig blieb. So zieht er ein Jahrzehnt und länger mit voller Heiterkeit und hohem Ernst in Wien seine wunderliche Bahn, meidet Adel und Hof, sucht Umgang mit modernen Köpfen und will, was Freundschaft oder Liebe schenkt, nur immer sich selber verdanken. Bezwingend liebenswürdig, bleibt er doch immer ein Dienender, Werbender vor den Frauen, und war er heut noch immer der beste Tänzer am Volkstheaterball und paradiert in ganz naiver Eitelkeit als Oberstleutnant mit der Leutnantstaille, so fordert er morgen achtzehnstündige Arbeit von sich selbst, wenns nötig ist. Immer von der Gage lebend, auch noch Schulden zahlend, und doch immer generös wie ein Fürst: ein kleines Kunstwerk solch ein Leben, in dem die Gegensätze nie zu hörbarer Reibung kommen dürfen.
Wenn er erzählt, erstaunen Dichter, die ihm zuhören, und wer versucht, seine Geschichten aufzuschreiben, darf sich zu bester Wirkung nur dicht an seine Worte halten. Völlig gegenständlich, wie ein Generalstäbler Meldungen macht, gestaltet er das Erlebte, und obwohl er weder Manöver- noch Liebesgeschichten mit Namen lokalisieren darf, sieht man die Waldlichtung oder Chaussee, das Zimmer im vierten Stock oder im Schlosse in solcher singulärer Plastik vor sich, wie sie Flaubert vom jungen Maupassant bei seinen ersten Versuchen gefordert hat.
Der Krieg entwickelt ihn zu voller Produktivität. Anfangs Dankls Generalstabschef der Ersten Armee, wurde er bald Oberquartiermeister und mußte so bis Frühjahr 17 alle Vorstöße und Rückschläge mitmachen, um in Ostgalizien unter schwierigen Umständen 40 000 Mann, 20 000 Pferde, Trains, Anstalten und Formationen aller Art zu versorgen. Die glücklichste Zeit dieses reichen Lebens beginnt, nach ein paar Monaten ist die »Quartiermeister-Abteilung 14« bei allen Stäben in der Monarchie bekannt, hier wirkt sich ein Organisator größten Stils nach jahrelangen eigenen Plänen selbständig aus und regiert, großzügig und unermüdet, in seinem Reich wie ein Diktator.
Als Erster baut er Fabriken für Leder, Glas, Holz und vieles andere, immer neue Bahnen und Brücken erzwingt sein Wille von den kopfschüttelnden Ingenieuren, und während in Baden und Teschen die Zahl seiner Feinde wächst, kann er bei steigender Macht doch immer wieder den Kampf mit der Leitung aufnehmen, von der er die Mittel zu neuen Unternehmungen mit ständiger Drohung seines Abganges zur Front ertrotzt. Erstaunliche Kenntnis der Materialien, die bis auf Knopf und Leim, auf Ofenrohre und Hufnägel sich erstrecken, läßt ihm stets die Übersicht über seine Referenten, so daß er kein Unmöglich duldet, Sachen und Menschen in riesiger Arbeit die höchste Leistung auspreßt.
Lieben konnten einen solchen Führer Untergebene und Mitarbeiter kaum, sie fürchteten ihn und hingen ihm dennoch an, weil selbst seine Feinde nur Uneigennützigkeit in ihm erkennen mußten.
So kam es, daß nach dem Fall von Bukarest, als das Leben der Monarchie an rascher und reicher Zufuhr rumänischen Getreides hing, der junge Kaiser keinen besseren Vertreter fand als diesen unbeliebten, protektionslosen Outsider, der nie ins Armeeoberkommando zum Frühstück gekommen war, niemand dienstliche Artigkeiten sagte und mit dem Kaiser selbst in dessen erster Offizierszeit einmal zusammengestoßen war. Jetzt, als dieser ihn zum Bevollmächtigten der Monarchie in Rumänien ernennt, sagt er zu ihm: »Sie müssen das Äußerste leisten, buchstäblich ist es das Schicksal meines Volkes, das jetzt von Ihrer Energie abhängt!«
Sendler, exakt und pünktlich, längst Kritiker der typischen Schwächen seiner Kameraden, hatte von Jugend auf eine wahre Anbetung des preußischen Offiziers in sich gepflegt und diesen Typus trotz seiner Fehler auch seinem Vaterlande gewünscht. Jetzt brachte ihn der Krieg mit seinen Vorbildern in scharfe Konkurrenz, die sich bis zu jenem unheimlichen Krieg im Kriege steigerte, in den die Bundesgenossen der ganzen Welt, die Hungernden besonders, gedrängt wurden. Jetzt mußte dieser Offizier zum Diplomaten werden und mit nicht immer sanfter Gewalt den rumänischen Boden schrittweise für die Monarchie zurückerobern, den die Deutschen gleich zu Beginn mit ihrem System der Landesausnützung überdeckt hatten. Eine solche Energie an ihrer Seite waren sie nicht gewohnt, und Mackensen gab seinem Unmut über den neuen Herrn aus Wien mit der unbewußten Ironie ärgerlichen Ausdruck: »Der Kerl geht ja los, als ob er ein Preuße wäre!« Ludendorff suchte ihn zu verdrängen, aber Czernin hielt ihn: denn mit Staunen sah man schon nach ein paar Wochen die Kurve des nach der Monarchie abrollenden Getreides fast senkrecht aufsteigen.
Jetzt rühmte ihn plötzlich alles, er wurde »außertourlich« General, die schönsten Orden hängte man ihm um, bis ihn anfangs 18 eine ähnliche Aufgabe nach Odessa rief. Doch hier nahmen ihm neidische Hände seinen eingerichteten Etappendienst, zugleich verschlechterte sich mit der Kriegslage das Verhältnis zur ukrainischen Regierung, persönliche Differenzen mit dem Kommando trübten die Stimmung des arbeitswütigen und genußfrohen Mannes, das Hinterland verekelte ihm seine Wirksamkeit, bis er, der Sache überdrüssig, im Oktober 18 erneut um eine Brigade bat. Diesmal sollte er sie bekommen – zu Anfang November.
Der Umsturz, der ihn in Wien auf Urlaub trifft, raubt Sendler mit einem Schlage alle Güter des Lebens und der Seele: Kaiser und Reich, Macht und Geld, Wirksamkeit und Pläne. Der Mann, der zwei Jahre lang den stärksten Verführungen ausgesetzt war, dem Rumänen und Russen für unsichtbare Gefälligkeiten alle Schätze des Orients geboten hatten, kommt wie ein Bettler zurück. In diesen Tagen völligen Zusammenbruches einer zuletzt so glänzenden Existenz tritt eine neue Frage an ihn heran. Die Revolution sucht einen demokratischen, wahrhaft fähigen General, der ihr eine neue innere Armee aufbauen könnte. Vor allen wird Sendler genannt, und der alte Dr. Adler sagt: »Von dem haben die K. und K. immer schlecht gesprochen, das ist unser Mann.« Am 7. November trägt man ihm vertraulich das neue Amt an, zu dem ihn alles zu treiben schien: seine vorurteilslose Vergangenheit wie der Wunsch des Augenblicks, aus Ohnmacht und Not in Macht und Sicherheit zu gelangen.
Da tritt ihm der Kavalier dazwischen. Sein Kaisergefühl überwiegt alle Skepsis über den letzten Herrn, und der Mann, der zwanzig Jahre lang den Generalen für zu rot gegolten, kann sich trotz persönlicher und staatlicher Not nicht entschließen, »seinen Eid zu brechen«. Er lehnt ab, schlägt einen andern vor und spielt, um sich zu ernähren, Kino. Ein alter Bursche, dem es jetzt gut geht, findet sich ein und bietet unter vielem Gestammel seinem General seine Ersparnisse an. Wie er sieht, Exzellenz läßt sich nicht helfen, greift er wenigstens zu den Stiefeln, die grade dastehen, und bittet, sie putzen zu dürfen.
Nach ein paar Wochen holt ihn ein Industrieller, der im Kriege seine Tatkraft und Unbestechlichkeit schätzen lernte, und wirklich scheint es, als ob sich dieser bewegliche Geist auch hier rasch eine Führerstellung erränge. Doch was ihn bisher nach außen mächtig gemacht hat, Rang und Titel, schadet ihm nun, bei Mitarbeitern und Beamten findet er Widerstand, erlebt Enttäuschungen oben und unten, und er schreibt: »Mein Leben in aufsteigender Linie ist gelebt.« Ein Versuch, zuletzt im Kleinsten das Große zu erneuern, auf dem Lande, wie Stanley am Ende tat, muß mißlingen: die Stütze seiner Lebenskraft, Stern und Hort seines Daseins, die uralte Mutter, stirbt. Ihr ist er rasch nachgestorben.
Er war ein Edelmann, vornehm, klug und tapfer, der die Geschenke des Lebens im Herzen trug, doch in der Brusttasche darüber aus einer Zeitungsecke ein kleines Gedicht auf seinen alten Kaiser, daneben die Madonna, an die er sich nur in äußersten Fällen wandte. Ein Arbeiter und Organisator großen Ranges, der knirschend die Fehler seiner Klasse, ein Patriot, der die seiner Landsleute erkannte und dann mit Österreichs Zerfall zusammenbrach. Ein Freund wie keiner. Ein Kavalier, der das Leben liebte und dem die schönen Frauen folgten bis ans Ende, aber keine nahm er zur Ehe.
So blieb er der Letzte seines Geschlechtes. Über seinem Grabe wurde sein Wappen zerbrochen.