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»Doch mir fehlte der Schwung der Seele.«
Mut und die Sucht, sich durchzusetzen, Wille zur Macht und das Bewußtsein überlegener Kräfte: das sind die Elemente seines Erfolges. Es ist sinnlos, irgendeinen andern als Carl Peters als Begründer eines deutschen Kolonialreiches anzusprechen.
Aber ihm fehlte die Monomanie des Entdeckers. Er liebte nicht das Land, das vor ihm lag, noch auch das Land, für das er wirkte. Er liebte nur sich selbst und überschätzte sich so sehr, daß er nie eins für das andere glaubte aufgeben zu müssen. Das sind die Elemente seines Mißerfolges.
Beide Geschichten: die Gründung der Kolonie und das Schicksal des Begründers sind unsäglich deutsch. Ein Privatdozent der Philosophie zieht aus und erobert ein Stück Afrika für sein Land, das kaum irgend fremde Erde besitzt. Ein armer deutscher Stellensucher, der über »Willensfreiheit und Weltwille« eine Schopenhauerische Arbeit schreibt, wird plötzlich, 25jährig, in eine Londoner Villa verzaubert, wird »independent gentleman« in der ersten Nation der Welt, reich und elegant. Ein deutscher Pfarrerssohn wird englischer Weltmann, doch im selben Tempo wird er Europäer, lernt England leidenschaftlich lieben, ein Feld in Indien eröffnet sich ihm, aber er kann sich nicht entschließen, die Philosophie aufzugeben.
Als dann der reiche Onkel stirbt, wird er ein halber Kaufmann, bei Realisierung des Vermögens. Die Elemente mischen sich, er steht vor der Formel: Philosoph oder Farmer. Und sein geistlicher Verwandter entsetzt sich, daß er zweifeln kann, ob er in Berlin Erkenntnis-Theorie lesen oder in Illinois mit Schweinen handeln soll.
Er kann nichts aufgeben, immer will er beides. Er geht nach Deutschland zurück, verhandelt mit der Universität, gleichzeitig versucht er aber, gewisse Londoner Pläne zur Erschließung des Zambesi-Goldes zu verwirklichen. Sein Gedanke war glänzend, nur leider völlig Theorie. Wirklich war im Jahre 83 »der weltgeschichtliche Augenblick, wo Deutschland Afrika für sich nehmen konnte«. Es gab kein Britisch-Südafrika, die Buren waren Sieger, es gab kein Rhodesia, keinen Kongostaat, und vom Zambesi aus ließ sich nach Norden und nach Süden der Erdteil »aufrollen«; doch Deutschland hatte keine Flotte.
Aber der junge Peters will etwas leisten, gleichviel was. 28jährig gründet er als erster Deutscher einen Kolonialverein. Leider will er wieder beides machen: handeln und philosophieren. Mit großartiger Umsicht bringt er die Gesellschaft und etwas Kapital zusammen, aber er glaubt sich fähig, zugleich die Schrift zur Privatdozentur zu schreiben: »Inwiefern ist Metaphysik als Wissenschaft möglich?«
Folge: unmittelbar nach Begründung des kolonialen Gedankens in Berlin muß er fort, um Muße für die Metaphysik zu gewinnen. Inzwischen machen die Herren, was sie wollen, nicht, was er will, nämlich aus einem großen nationalen Projekt eine kleine Landspekulation. Rasch muß er zurück, sich wieder durchzusetzen.
Nun wagt er ein wildes Va-banque. Da Bismarck für überseeische Projekte nicht zu haben ist und seine Räte nur immer sagen lassen: Um Gottes willen, laßt die Hände von Afrika!, verschweigt Peters seinen neuen Plan der Regierung, die ihm den Zambesi verboten, verschweigt ihn seinen Geldgebern und fährt auf eigene Faust plötzlich nach Ostafrika. Unter den schrillen Witzen der gesamten deutschen Presse, die er zur Sicherheit irreführt, muß er auf Umwegen Triest erreichen, und der Schüler Schopenhauers fährt heimlich, im Zwischendeck, nach Zanzibar. Dort liest ihm irgendein Konsul sogleich einen Erlaß der Reichsregierung vor, die inzwischen die Wahrheit erfahren: er hätte weder Anspruch auf Schutz für eine Reichskolonie noch Garantie für sein Leben zu erwarten.
Großartige Tatkraft treibt ihn dennoch vorwärts. Auf Schnelligkeit kam es an. Auch Graf Pfeil war ein tapferer Mann; Nachtigal war durch die Regierung gedeckt. So wie Peters hat kein Deutscher vor oder nach ihm Afrika erobert.
Wer ist dieser Mann, der mit den Sultanen Verträge schließt und die Abtretung eines Landes von der Größe Süddeutschlands erlangt? Weder Soldat noch Jäger, weder Abenteurer noch Aristokrat, ein Mann, der nichts von technischen Dingen verstand, nie über England hinausgekommen, ohne Erfahrung, ohne Schutz, ohne Waffen, von einem einzigen Freund begleitet, fast ohne Geld: so legt er in fünf Wochen gegen die Warnung der Regierung und unter dem Gelächter der Presse als erster Deutscher den Grund zu einem deutschen Kolonialreich. Wie ridikül erscheinen neben solcher Erscheinung die Geheimräte, die ihn später stürzten!
Er kommt zurück, der 90jährige Kaiser übergibt dem 30jährigen Autodidakten den kaiserlichen Schutzbrief für Länder, die Deutschland zuvor nicht einmal dem Namen nach gekannt. Sein Höhepunkt.
Nun fehlt ihm Geld. Fünfzig Millionen, großer Stil: dann ginge alles. Stanley gewann den König der Belgier durch finanziell gesicherte Projekte; Rhodes gründete in Afrika selbst die Kompanie, die dann seine Pläne finanzierte. Aber Peters konnte den »Beigeschmack der nationalen Liebesgabe« nicht loswerden, die er zuerst gebraucht und nun gern mit Kapitalien der Großbanken vertauscht hätte. Er fühlt: nur Bismarck ist auch hier allmächtig, aber er kennt die Abneigung des Alten gegen Übersee.
In seinen Memoiren schreibt Peters das bedeutungsvolle Wort: »Ihn selbst, den Fürsten, mußte ich überzeugen, dann hatte ich gewonnenes Spiel. Doch mir fehlte dazu der Schwung der Seele.« Sehr tief sieht man hier in Berge und Täler dieses Charakters. Und als er zwei Jahre später für die neue Gründung Selbstverwaltung braucht, geht er wieder nicht zu Bismarck. »Ich bedaure heute, daß ich mich damals zum zweiten Male nicht entschließen konnte, zum Fürsten zu gehen und ihm offen die Vorteile darzulegen.« Die ganze schiefe Entwicklung der nächsten Jahrzehnte hätte er dadurch vielleicht verhindert, statt einer assessoralen wäre eine merkantile Verwaltung, der Haß der Bureaukratie wäre vielleicht in Wegfall gekommen.
Weil Peters nur sich liebte, nicht sein Werk, darum fehlte ihm der Schwung der Seele. Zugleich überhob er sich so sehr, daß er glaubte, sich nicht der Legitimität einordnen zu müssen, die er nun endlich für sein Werk erlangt. Wär' er ein wüster Mensch gewesen, ein wildes Genie, ein Riese mit Bärenkräften, man würde das Elementare bestaunen; aber er war ein kleiner, nicht eben angenehmer Herr mit Augenglas, Philosoph und Engländer, der sehr gut schrieb und die Konstruktion der großen Maschine genau kannte.
Zwei Jahre nach der Besitzergreifung hatte seine Gruppe, die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft, ein Land von der Größe Britisch-Indiens in ihrem Besitz. Alles kam nun darauf an, sich klug mit einer Regierung zu stellen, die letzterhand doch zu entscheiden hatte, ob sie dies Land wollte oder nicht. Peters aber reizt die Leute, indem er den Outsider betont, und, nicht Genie genug, um sie, wie Bismarck, dennoch zu überwinden, gerät er unter die Räder dieser Maschine, die bei uns immer irgend ein Geheimrat steuert.
Eine Flut von Intrigen umspült den Grünen Tisch. Die Ressorts tun das ihrige, gegen den unbequemen Neuling anzugehen, den weder ein Assessor- noch ein Offizierspatent für sein Genie entschuldigte. Hätte Peters so verstanden, mit Deutschen zu verhandeln, wie er es mit Farbigen verstand, nie wäre er gestürzt. In schwierigen diplomatischen Momenten machte er einen großartigen Vertrag mit dem Sultan von Zanzibar, wohl wissend, daß das Hauptgewicht auf seinem persönlichen Einfluß bei dem Sultan ruht. Warum nicht bei den Geheimräten?
Nun lehnt man ab, ihn zum Reichskommissar zu ernennen, was er doch brauchte. Darüber werde man sprechen, wenn er »etwas geleistet hätte«, vorläufig sollte er sich mit dem Generalkonsul gut stellen. Und unmittelbar nachdem er den entscheidenden Vertrag geschlossen, der den Grund unserer ganzen Stellung in Ostafrika bildete, berufen sie ihn ab. Eine deutsche Geschichte.
»Man hat gesagt, ich habe in diesen Jahren bewiesen, daß ich in das System unseres Bureaukratismus nicht passe. Das ist möglich, aber es ist die Frage, ob dies mehr gegen mich spricht als gegen das System.« Und der rückblickende Peters vergißt, daß an der Spitze dieses Systems ein Mann stand, der, noch viel unbezähmbarer als er, sich dennoch selber zähmte.
Nun ist er entwurzelt, nun macht er Fehler, verliert das Augenmaß. Denn da die Welt ihn nicht genügend schätzt, wird er getrieben, sich zu überschätzen. Seine ganze Haltung in der Emin-Pascha-Expedition ist großartig und zugleich toll. Ihn treibt der Wahnsinn, sich der riesigen Maschine entgegenzuwerfen, doch nicht auf Realitäten gestützt, sondern auf Luft. Vordem hatte er gegen eine Welt von Mächten seine Pläne verwirklicht. Jetzt vergißt er, daß ein ungekrönter König und ein abgesetzter in der Welt verschiedenes bedeuten; vergißt, daß sich die Legitimen rächen werden, weil er sie überflügelt; vergißt, daß Gewalt in Afrika nicht auch Gewalt in Berlin bedeutet.
Nochmals zeigt er großartige Tatkraft. Wirklich macht er im Jahre 90 Deutschland zu einer Nilmacht, begründet die Provinz am oberen Nil, vertraut, da er selbst keine Reichsautorität darstellt, auf die Unterstützung der Truppen Emins, den er sucht: da erfährt er plötzlich in Usoga, daß Emin längst, vor einem Jahr, von Stanley entsetzt und mit ihm abgezogen sei. Nun sucht er zu retten, was möglich. Am 20. Juni erklärt sich dann Emin bereit, Peters' neue Erwerbungen unter den Schutz des Kaisers zu stellen. Zehn Tage darauf wird der deutsch-englische Vertrag geschlossen: jede weitere Aktion wird wesenlos.
Konnte er sich der Reichsgewalt entgegenstellen? Was vermochte Peters mit seinen hundert Flinten, wenn Deutschland und England vor der Einigung standen? Als er von der Küste heraufziehen wollte, als ein englischer Admiral seine Waffen konfiszierte und er gewissermaßen vogelfrei war, sagte ihm Wißmann, er sollte doch das Ganze aufgeben. Darauf erwiderte Peters:
»Würdest du unter diesen Umständen auf die Expedition verzichten?«
Wißmann: »Ganz bestimmt!«
Peters kehrte sich schweigend ab. Dämonische Umnachtung.
In diesem Vertrage wurde zwar nicht, wie es allgemein heißt, Zanzibar gegen Helgoland hergegeben, da Zanzibar nie deutsch war, aber es kam aus deutschem Einfluß jetzt in englischen. Wenn indessen die deutsche Garantie der Unabhängigkeit von Zanzibar nun im Interesse Englands wieder annulliert und diese Konzession mit Helgoland bezahlt wurde, so war das nur möglich, weil Peters vier Jahre zuvor die deutsche Macht dort etabliert hatte. So machte eine wunderliche Ironie einen Mann, der gar nichts mit der Flotte zu tun hatte und am Äquator wirkte, wider Willen zum Schöpfer einer deutschen Flottenstation: der Anglomane schuf Deutschland ein Bollwerk gegen England.
Ergreifend, wie dieser tief verbitterte Mann am Ende seiner Memoiren die Bedeutung Helgolands für einen Krieg erwägt und schließt: Wenn die Fachleute in der Marine meinten, der Preis von Zanzibar und Uganda wäre nicht zu hoch für die Besitzergreifung Helgolands, »so würde ich mich mit dem Troste bescheiden, daß Jahre voll Mühen, Schmerzen und Gefahren wenigstens meinem Volke dazu verholfen haben, in Europa seine defensive Stellung zur See zu verstärken«.
Trotzdem blieb er bis zum Kriege in England. Die deutschen Missionare und die Presse, die es nicht verwinden konnten, daß irgendein diebischer Neger im Schatten des Kilimandjaro aufgehängt wurde, weil er der Nebenbuhler des deutschen Herrn gewesen, haben Peters zu einem Märtyrer gemacht, wozu er ganz und gar nicht taugt. Mitten im Kriege, den er mit zwiespältigen Gefühlen erleben mußte, starb er, verbittert, vorausschauend, da er Englands Unüberwindlichkeit und die deutschen Schwächen in den Kolonien kannte.
Als er kurz vor dem Kriege das erste Mal nach zwanzig Jahren wieder die afrikanische Küste betrat, hat ihn das Reich, für das er sie erobert, nicht begrüßt.