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Byron

Lord Byron und Lassalle

»Der große Zweck des Lebens
ist Gefühlserregung.«

Genau ein Jahr, nachdem die Kanonen von Missolunghi über der Leiche Lord Byrons, Peers von England und Dichters von überseeischem Ruhm, siebenunddreißig Schüsse gelöst hatten, öffnete Ferdinand Lassalle im Bette einer deutschen Jüdin zum ersten Male die Augen.

Diese beiden Männer waren Meister und Sklaven egozentrischen Wesens, Phänomene, deren Wirken nur zur Entwicklung ihrer Persönlichkeiten bestimmt, Männer, die ihr eigener Zweck waren; zwei Leben von leidenschaftlicher Intensität, versetzt mit einer gewissen vitalen Skepsis; große Schauspieler des Lebens durch Übertreibung eingeborener Ideen, der eine den Optimisten, der andere den Melancholiker spielend.

Über die Brücke des Unmöglichen schreitet der Nachgeborene von jenem Grabe zu dieser Wiege, er vertraut auf die Verzeihung der abgeschiedenen Geister, wenn tiefe Ähnlichkeiten und prägnante Antithesen ihn zum Irrtum verleiten. Doch die Geschichten dieser beiden Seelen fluten ineinander wie die ewig sich anders erneuernde Welle.

Lassalle

I

Lassalles mythologische Ahnen fühlten sich von Gott auserwählt unter den Völkern der Erde, Byron führte sein Geschlecht auf die nordischen Götter zurück. Aber Byrons historische Väter raubten auf abenteuernden Schiffen die Dinge, mit denen Lassalles Vorfahren Handel trieben, und der Vater des einen ging noch halb erblindet im Alter den gewohnten Weg zur Börse, der des anderen schnitt sich nach tausend Tollheiten in guten Jahren die Kehle durch. Mit zehn Jahren war Byron Peer von England, Lassalle schloß sich mit fünfzehn heimlich ein, um als Handlungsgehilfe zum Examen zu studieren.

Aber – als nähme die Entfernung erst mit den Jahren zu, wie zwischen den verlängerten Schenkeln eines Winkels – beide Geister sind sich in den Knabenjahren am ähnlichsten, beide frech, schnippisch, herrschsüchtig, ehrgeizig, kaltblütig.

Mit zwanzig Jahren war dann Lassalle etwas viel Glänzenderes, Stupenderes als Byron. Damals schrieb Heine von ihm: »Er will nichts wissen von jener Entsagung und Bescheidenheit, womit wir uns mehr oder minder heuchlerisch hindurchgelungert. Dies neue Geschlecht will genießen und sich geltend machen im Sichtbaren. Wir, die alten, beugten uns demütig vor dem Unsichtbaren, haschten nach Schattenküssen und blauen Blumengerüchen, entsagten und flennten, und waren doch vielleicht glücklicher.«

Byron war vielmehr in jenen Jahren nichts als ein originelles Tier im Salon. Im gleichen Alter, als Lassalle mit Hast die Affäre der Gräfin Hatzfeld ergriffen hatte, um seinen Genius spielen zu lassen, als er wegen Verleitung zum Raube und politischer Vergehen angeklagt saß, in vierstündiger Verteidigungsrede sich selbst befreite und als ersten Redner Deutschlands legitimierte – war Byron nur einer, den man um die eleganteste Form einer Krawatte befragte, der Trinkgelage mit Hungerkuren abwechselte und dem ein Mädchen in Pagentracht auf seinen Ausflügen folgte.

Mit Zähigkeit und Leidenschaft stürzte sich Lassalle an die gedruckten Wegzeiger zur Macht, studierte drei Wissenschaften, und bei aller Extravaganz als Jüngling war er doch ein recht zielbewußter Abenteurer. Byron tut nichts, lernt nichts, weiß doch alles, dichtet wenig, spielt Luzifer im Fauteuil. Sein erstes Werk hieß: Stunden des Müßigganges, Lassalles war jene Verteidigungsrede.

Beide erkannten früh ihre Art, begannen zeitig sich zu stilisieren und gelangten daher früh zu einer vollkommenen Ausbildung ihres Typus.

Aber wäre Lassalle in Lord Byrons Wiege erwacht, er hätte, mittels der Macht, die er als Demokrat nie erlangte, Unendliches leisten können – Byron, aus Lassalles Wiege steigend, hätte höchstens einen Genie gewordenen Heinrich Heine abgegeben.

Doch die Jugend trägt doppelte Masken.

II

Byron hatte die Absicht, Politiker zu werden. Er wurde ein romantischer Politiker, Lassalle Realpolitiker mit romantischem Pathos. Der große Zug ihrer Ähnlichkeit wird sogleich kund: die zentripetale Monomanie.

Aus dem Gegensatz ihrer Eigenliebe und Heldenverehrung zur schalen Politik ihrer nationalen Gegenwart entwickelten sich beide zu Scheinrevolutionären.

Keiner von beiden entstammte der revolutionären Sphäre, jener war Peer von England, dieser semitischer Bürgersohn. Lassalle nannte sich gern Revolutionär aus Prinzip, Byron war Revolutionär von Temperament: aber beide wünschten in Wahrheit die höchste Macht, es war die tyrannische, zumindest die absolutistische Ekstase, die ihnen vor Augen zitterte.

Byron sah, wie er sagte, durch Bonaparte den ersten Platz besetzt, deshalb wandte er sein Auge auf den andern Platz als Dichter. Lassalle träumte von seinem Einzug durchs Brandenburger Tor. Er war »ehrgeizig im großen Stile, sagte Bismarck, durchaus nicht Republikaner. Er hatte eine ausgeprägt nationale und monarchische Gesinnung; seine Idee, der er zustrebte, war das deutsche Kaisertum – ob grade mit der Dynastie Hohenzollern oder mit der Dynastie Lassalle, war freilich zweifelhaft.«

Aber Lassalle wollte Diktator werden, Byron »Washington oder Aristides, der Erste an Talent und Ehrenhaftigkeit, Franklin, Penn und dann entweder Brutus oder Cassius, ja sogar Mirabeau oder St. Just«. Sie trafen sich auf dem Namen Sulla. Lord Byrons Dämon aber hätte es ihm immer verwehrt, den Agitator zu spielen, mit welcher Rolle Lassalle sich doch begnügen mußte.

So paradox es erscheint, dem Dichter eine vollkommenere Realität in seinem Streben zu unterschieben als dem Politiker: Byron wollte das Ganze, wovon Lassalle träumte: »Wer wird wohl schreiben, sagte Byron, sobald er nur etwas Besseres vorhat? Handlung, Handlung, sagte Demosthenes.« Lassalle aber schrieb und sprach, und erschöpfte darin sein Handeln.

Byron hatte es freilich leicht, denn er dichtete politische Dithyramben: »Ich hatte gehofft, wenn Napoleon das Schicksal erreichte, er würde nur fallen, si fractus illabatur orbis, ich hoffte, dies alles wäre ein Spiel der Götter – aber wir kommen nur wieder zu dem öden verrotteten System vom Gleichgewicht Europas zurück. Wir spielen wieder mit Strohhalmen auf den Nasen der Könige, statt sie selbst an den Nasen zu zupfen.«

Lassalle zögerte lange, sich Sozialist zu nennen, und selbst im Jahre Achtundvierzig beschwor er die Arbeiter, nicht die Republik zu proklamieren.

Beide waren vaterlandslos, Lassalle im tiefen Sinne des Juden, Byron Spötter über sein Vaterland, so lange, bis es ihn verbannte und er, obwohl vollendeter Kosmopolit, vergebens suchte, England zu vergessen.

III

Ihr Stil gibt Aufschluß über den tieferen Grund ihrer politischen Anschauung.

Dies ist die dunkle Brandung Byrons, die an unser Ohr schlägt: »Die Zeit der Könige neigt sich schnell ihrem Ende zu, Blut wird fließen wie Wasser, und Tränen werden fallen wie Nebel, aber am letzten Ende werden die Völker Sieger bleiben.«

Und nach dieser biblischen Rhapsodie die Wendungen des französierenden Volksmannes Lassalle: »Nun wohl, meine Herren, ich will nicht nur die Verfassung stürzen, sondern es vergeht vielleicht nicht mehr ein Jahr, und ich habe sie gestürzt! Die starken Spiele, meine Herren, können gespielt werden, Karten auf den Tisch! Und so verkündige ich Ihnen denn an diesem feierlichen Orte (im Gerichtssaal): es wird vielleicht kein Jahr mehr vergehen, und Herr von Bismarck hat das Allgemeine Wahlrecht eingeführt!«

Ist es der nämliche Volksmann, der ausruft: »Wie? Jemand hat sich in seinem faustischen Triebe ... von der Philosophie der Griechen zur modernen Statistik durchgearbeitet, und Sie können im Ernste glauben, er wolle diese lange Bildung damit schließen, dem Proletarier die Brandfackel in die Hand zu drücken? Hat man so wenig Einsicht in die sittliche Macht der Wissenschaft?«

Und ist es der nämliche rhapsodierende Lord, der in seiner ersten Parlamentsrede ausruft: »Das große Allheilmittel, das unfehlbare Rezept aller Staatsärzte war immer: erst fühlen wir dem Kranken den Puls und schütteln weise den Kopf, dann verordnen wir warmes Wasser und einen tüchtigen Aderlaß, das warme Wasser Ihrer flauen Politik und die Aderlaß-Lanzette der Soldateska, und dann müssen natürlich die Zuckungen mit Tod enden, dem sicheren Ergebnis der Heilmethode aller politischen Blutärzte!«

Man bemerkt die Annäherung, ja, Anziehung jener scheinbar unversöhnlichen Temperamente: Skepsis ist die Küste, der sie beide zuschwimmen.

Und sind es Lassalles Worte, wenn wir hören: »Gebt mir eine Republik oder die offene Gewalt eines Einzigen, alles eher als dieses gemischte Regiment! Ja, was haben wir in Rom, Griechenland, Venedig und – eheu! unserer allzu kurzen englischen Republik vollbracht, im Vergleich mit ihren Fortschritten unter Monarchen!« Daß das Byrons Worte sind, gibt über Lassalle zu denken.

Aber freilich wird niemand des englischen Aristokraten denken, wenn er liest, was der deutsche Emporkömmling seinen Richtern zuruft: »Danken Sie den Männern, die auf Kosten ihrer eigenen geistigen Anstrengung eine Arbeit übernommen haben, deren Resultate Ihnen allen einst zugute kommen! Speisen Sie diese Männer im Prytaneion, aber stellen Sie sie nicht unter Anklage!«

Es ist etwas stark Polemisches in Byrons Temperament, und er scheut nicht die Unschönheit, Noten zu seinen poetischen Werken zu fügen, in denen er literarische Feinde vernichtet. An einem Abend sendet er einem Freunde vier Boten, um in Italien eine englische Zeitung zu bekommen, in der er angegriffen wird. In Lassalle wiederum ist zuweilen jene unagitatorische Ruhe, die er dem Studium Hegels dankt.

Beide lieben den Superlativ, bei Byron wirkt er dithyrambisch, bei Lassalle wie von einem Gascogner.

Ihre Monomanie richtet den Blick stets gegen den Spiegel. Lassalle porträtiert sich in Hutten, seinem dramatischen Helden, Byron stellt sich so oft dar wie Rembrandt, denn alle seine Helden, von Childe Harold bis Luzifer, tragen seine Züge.

Die Zwiespältigkeit ihres Temperamentes, die hohe Bildung ihrer Kunst schützt beide vor Improvisationen. Byron improvisierte nie, trug nur gelegentlich ein eben gemachtes Gedicht vor; Lassalle, der Diktator sein wollte, hätte es leidenschaftlich gern getan – doch schrieb er seine Reden sorgfältig auf, war aber Schauspieler genug, um sie dann wie Eingebungen der Stunde wirken zu lassen.

Der Stil dieser beiden Autoren scheint dennoch auf eine Unversöhnlichkeit der Charaktere zu deuten.

Aber der Stil ist eine der dichtesten Masken.

IV

Klarer wird das Antlitz durch die zartere Maske, die wir Stil des Lebens, Haltung nennen.

Lassalle, immer zum Volke blickend, ist dennoch hochmütiger Emporkömmling – Byron, den Adel verachtend, dennoch ein Abkömmling. Seine Geburt und Stellung lassen ihn federleicht in einer Welt schweben, in die Lassalle wie auf Stahlschrauben sich losschnellte.

Beide achten die Kreise gering, denen sie entstammen, beide hängen an ihnen dennoch, dieser sentimental, jener mit der Bitternis des Ausgestoßenen.

Der Emporkömmling und der Abkömmling, so gleich sie sich zu kleiden pflegen, werden doch immer durch die gewisse Absichtlichkeit des einen unterscheidbar sein. Lassalle sprach zu rußigen Arbeitern in eleganten Oberhemden, Westen, Lackstiefeln. Byron war, zumal in der Jugend, ein lässiger Dandy.

Sie waren, wie die Zeitgenossen berichten, hinreißende Wirte, Byron in Piccadilly, Lassalle in der Bellevue-Straße, und wenn er sich ein Haus im Tiergarten bauen und mit Fresken aus der Edda schmücken wollte, so schmeichelte das seinem Lebensglauben, Führer des Vierten Standes zu sein und zugleich die exquisitesten Diners an der Seite einer Gräfin in apartem Milieu zu geben. Immer aber bleibt der Eindruck: Lassalle lebte wie ein extravaganter Volksmann, Byron wie ein phantastischer Lord.

Überdies hatte Byron unendlich viel mehr Zeit. »Heute wieder eine Stunde geboxt, eine Ode auf Napoleon geschrieben, sie ins reine geschrieben, vier Flaschen Sodawasser getrunken, sechs Bisquits gegessen, bis in die Nacht gelesen, nebenbei dem armen A. einen Arm voll guter Lehren gegeben, wie er es mit seiner Geliebten machen soll.« Dies sind die Tagebuchseiten, die kein Emporkömmling kopieren kann.

Die Lordschaft war ein Teil von Byrons Seele, aber sie gab ihm auch so großen faktischen Gewinn, daß er es leicht hatte, sie zu verachten. Er ist der Liebhaber der Gräfin Guiccioli in Ravenna, der österreichischen Behörde scheinen Komplikationen aus seinem Aufenthalt zu drohen: da verbannt sie die gräfliche Familie, um den Lord zu veranlassen, ihr zu folgen. Lassalle ist der Freund der Gräfin Hatzfeld, ihren Verwandten scheinen Komplikationen daraus zu drohen: da bewirken sie Lassalles Ausweisung aus Berlin.

Daß dem Lord dergleichen nie begegnen konnte, ließ manche Kräfte in ihm ruhen, die sich sonst in wütender Gebärde getürmt hätten.

War Lassalle auch geistig ein Usurpator, so macht das seine schauspielerische Art um so sinnfälliger. Le grand oseur et le grand poseur. Er begegnet in den Bergen plötzlich seiner Geliebten: »Bei allen Göttern Griechenlands, sie ist's!« Dergleichen Fanfaren tönen nur aus dem Munde der Dilettanten. Byron dagegen amüsiert sich über die Enttäuschung, die er einem jungen Schwärmer durch seine unpoetische Haltung bereitet. Er war ein geborener, deshalb ein vollkommener Weltmann, jener war einer aus Selbstzucht, nicht immer vollkommen.

Lassalle gelang es nicht immer, jene angeborne Frechheit zu meistern, die Byron nur als Knaben anhaftete. »Sie haben das Recht, frech zu sein, wir andern usurpieren nur dieses göttliche Recht, dieses himmlische Privilegium.« Der ihm diese geistreichen Sätze schrieb, war freilich auch kein geborner Weltmann, nur Heine.

Der Rückschlag war, daß er zuweilen die Haltung verlor. »Ich bin sehr, sehr unglücklich, was noch nie jemand von mir gehört hat. Haben Sie Mitleid!«

Haben Sie Mitleid? Man setze daneben die ideale Haltung, die Byron im Abschiedsbrief an seine Gattin bewahrt, wenn er schreibt: »Der Ring hat keinen Wert durch den Edelstein, aber er birgt die Locke eines Königs und eines Vorfahren, ich wünsche ihn für meine Tochter aufgespart zu sehen.«

Natürlich hätte Byron niemals mit Lassalle verkehrt, denn er besaß gerade so viel Standesvorurteil als angemessen: mit jedermann gleichmäßig umzugehen, nur den Emporkömmling mittleren Formates abzulehnen. Dies aber wäre Lassalle für ihn gewesen, denn der spielte den aufgeklärten Aristokraten, und er spielte ihn gut.

Aber auch Lord Byron war ganz von dieser Welt, wenn er mit ihr zusammenstieß. Ein glänzender Geschäftsmann: er zählt die Stanzen eines Gesanges ab und feilscht gründlich mit dem Verleger um tausend Guineen. Ja, er erbietet sich, wenn er viel bekommt, »noch allerlei Kleinigkeiten mit in den Sack zu werfen, Übersetzungen und kleinere Originale«. Dann wieder kommen die Sprünge: heute verringert er plötzlich seinen Marstall, morgen nimmt er eine zahlreiche Familie unter Dach, gibt tausend Pfund für eine Jacht, speist für ein paar Paoli, verschwendet, wenn Freunde bei ihm speisen.

Auch Lassalle war manchmal Abenteurer in Geldsachen, aber auch er wußte sehr wohl, wo er blieb.

Überhaupt machte sich Byron, der immer zu ruhen schien, während Lassalle in steter Bewegung kreiste, Bewegung auf seine Art, und man lacht über die paradoxe Wendung: »Was hätte ich vom Leben erfahren, wäre ich ein ruhiger, auf seinen Vorteil bedachter Politiker geworden! Ein Mann muß reisen und kämpfen, – ohne das kein wahres Leben!« Die Wahrheit ist, daß Lassalle gekämpft hat, Byron aber gereist ist.

Dafür war es diesem auch unendlich schwerer, den Stil der Bewegung in der Ruhe zu gewinnen. Als er sehr jung war, sprach er im Oberhause so, daß einige Lords meinten, dieser Ton passe besser für's Unterhaus. Dennoch verließen sie ihre Sitze und hörten ihm in der Nähe zu, wie einem fremdfarbigen Vogel, und er äußerte später: »Es war, glaube ich, eine Don Juan-artige Rede!« Aber je älter und berühmter er wurde, desto mehr verstand er Lordschaft und Dichterschaft zu einem Stile zu vereinigen. Er ging hierin in gewissem Sinne den umgekehrten Weg wie Goethe.

Man darf nicht vergessen, daß Lassalle kaum am Ende seines Lebens, Ende der Dreißiger, Byron schon Ende der Zwanziger europäischen Ruhm genoß. Daß Byron verwöhnt wurde, erhöht die Schönheit seines Anstandes. Es ist höchst treffend, wie die Welt die beiden belohnte: Lassalle prügelte einige Herren, die ihm nach Ablehnung eines Duells aufgelauert, so glänzend durch, daß ihm ein Historiker Robespierres Stock schenkte. Lord Byron erhielt – ohne Prügelei – zum Geschenk eine Locke Napoleons.

Beide sind merkwürdig unsicher im Urteil über sich selber.

Wir lesen »Kain« als Mysterium. Der Dichter sitzt beim Erscheinen des Werkes auf seinem italienischen Schlosse wie in einer Redaktion: in einer Woche empfängt er hundert briefliche Meinungen, horcht auf die Liberalen, korrespondiert über die kirchlichen und Hof-Ansichten über das Werk, hält über Luzifers Selbstverteidigung ein Plaidoyer und zählt ab, mit wie vielen Versen Miltons Satan den Rekord des seinigen schlage.

Von jeder Kritik ist er aufs äußerste influenziert. Als Jüngling entflammt ihn die Ablehnung seines ersten Werkes durch eine große Zeitung zu einer bösen satirischen Streitschrift, und noch auf dem Gipfel seines Ruhmes beobachtet ihn ein Freund, wie er beim Lesen einer abfälligen Kritik die Farbe wechselt, wie seine Lippen erbleichen, wie er das Papier zu Boden wirft und daran denkt, nach England zu gehen und wie ein Edelmann Genugtuung zu fordern.

Er sendet neue Dichtungen nach Hause, fragt Thomas Moore und die andern, »ob sie schön sind, wo nicht, soll man sie verbrennen«. In Pisa fragt er Shelley über eine neue Dichtung, erhält ein abfälliges Urteil und die Meinung, zwei Verse daraus seien von seinem Feinde Southey: Byron wird bleich, erkennt die beiden Verse, wirft das Gedicht »lachend« ins Feuer. (Nachspiel: Zwei Jahre später erscheint das Gedicht im Druck, ohne die beiden Verse, und es bleibt kaum ungewiß, ob er damals sofort aus dem Kopf das Werk nochmals niedergeschrieben oder eine Abschrift besessen hat.)

Ja, er beruft sich auf andere, beweist bei jedem Vorwurf gegen sein Werk, Milton, Goethe, Dante, Äschylos, Scott hätten in diesem oder jenem Punkte noch mehr gesündigt.

Auch Lassalle, dessen Seele die Eitelkeit um vieles tiefer überschattete, suchte überall Stützpunkte für den eigenen Wert, beruft sich auf andere, ja, er rühmt sich sogar vor tausend Arbeitern, er habe einen Gegner angegriffen »unter dem rauschenden Beifall der größten Gelehrten, die mir dafür mündlich und schriftlich die Hand schüttelten«.

Die innere Unsicherheit über sich selbst und sein Werk, die sich in solchen Anrufungen preisgibt, erklärt sich bei so stolzen und bedachten Charakteren nur aus der allzu einseitigen Spiegelung des eignen Ich. Es ist eine Art Autosuggestion: wer alle Kreise um sich als Mittelpunkt schlägt, dem laufen diese Kreise so lange in gleicher Distanz und Schnelligkeit vor dem Auge, bis er sich selbst zu drehen glaubt. Das ist Rache.

Zuweilen wurde durch grausame Gedanken ihre Haltung tief erschüttert. Ist es Lassalle oder ist es Lord Byron, der dem Freunde schreibt: »Ich weiß ganz genau, was der Beifall des Volkes wert ist. Aber ich liebe euch nicht und ich fürchte euch nicht, und wenn ich mit euch Handel treibe, so esse ich doch nicht mit euch, ich trinke nicht mit euch, ich bete nicht mit euch!«

Sprach dies Lassalle oder Byron? Enthüllen sie sich? Sie spielten gut, der eine den Strahlenden, der andere den Dunklen, aber beide wußten wohl, daß man nicht das eine ist noch das andere, sondern eine Mischung.

Doch auch die Haltung ist noch eine Maske.

V

Lassalles Seele war wie ein Spiegel, der stärker glänzt, je stärker ihn das Licht bestrahlt; Byrons wie ein metallischer Schild, mehr und mehr von den unsichtbaren Schlägen des Dämons gehämmert und somit immer weniger fähig, Licht zurückzuwerfen.

Byron war im Anfang ehrgeizig, wurde aber mit steigendem Ruhm und zunehmenden Jahren immer stolzer; Lassalle machten seine Erfolge eitler.

Als Jüngling freut sich Byron, daß er mit großen Autoren zusammen genannt wird, und bewundert sein Buch in den Schaufenstern. Dann, mit 22: »Von der Schriftstellerei habe ich genug, und habe ich durch mein letztes Werk die Welt überzeugt, daß ich etwas mehr wert sei, als sie meinte, so genügt mir das, und ich will diesen Ruhm nicht durch ein neues Wagnis aufs Spiel setzen. Ich habe allerdings etwas im Manuskript bei mir, aber das hinterlasse ich meinen Nachkommen!«

In diesen Sätzen ist ein Edelstein in einer Lava glühender Schlacken gefangen.

Für Lassalle ist im Gegenteil alles nur prophetisches Vorspiel. Er war fast Vierzig, da apostrophiert er seine Braut: »Bist du ehrgeizig? Was würde mein Goldkind sagen, wenn ich es einmal im Triumphe in Berlin einführen wollte, von sechs Schimmeln durchs Brandenburger Tor gezogen, die erste Frau Deutschlands, hoch erhaben über allen? … Seh ich aus, als wollte ich mich mit einer zweiten Rolle im Staate begnügen? Sieht ein politischer Märtyrer so aus?«

In diesen Sätzen ist ein Strom von glänzendem Gestein ausgeschüttet, der verrieselt wie Blendwerk.

Dergleichen stolze Eitelkeiten sagt keiner ungestraft – er mache sie denn wahr! Wehe dem, der sie wenige Wochen vor seinem Ende ausruft!

Daß Lassalle ein Drama schrieb, war an sich ein viel dilettantischeres Unternehmen, als daß Lord Byron im Parlamente sprach. Daß er dieses Drama in vorgerückten Jahren druckt und publiziert, kann ihm kein Schwärmer verzeihen. Das Schlimmste aber ist, daß seine Verse nicht schlecht genug waren, um ein Genie von herrlicher Naivität als ihren Schöpfer zu legitimieren. Es gibt in seinem Drama »Franz von Sickingen« Stellen, die ihren Autor mit einem Male von vielen Seiten beleuchten. Hutten ruft aus:

»Wenn ein Gemüt mir eingegeben ward,
dem der gemeine Schmerz weher als andern tut,
dem mehr als andern die gemeine Not
zu Herzen geht, – ich kann's nicht ändern, Herr!«

Schreiben Männer der Tat schlechte Tragödien, so scheint sich das an ihrem Los auf sonderliche Weise zu rächen: das Tragische auch in ihrem Leben wird zweiten Ranges sein. Das hat Lassalle erfahren.

VI

Den Glanz dieser Eitelkeiten und den Kummer über ihre Grenzen deuten ihre Porträts.

Als Byron 22jährig von einem türkischen Pascha empfangen wurde, sagte ihm dieser, er sei von der hohen Abkunft des Gastes überzeugt, denn er habe kleine Ohren, lockiges Haar und kleine weiße Zähne. Und sein Leben lang war der Lord stolz auf die Gedankenlinie, die mittlere von drei Horizontalen auf seiner Stirn.

»Laß mich mit jenem Geisteslob zufrieden,« rief Lassalle, »aber ›der schönste Mann‹: das gilt, das soll man einst auf meinen Grabstein setzen!« Auch hierin zeigt sich die größere Primitivität bei Lassalle: Byron hat dergleichen nur gedacht.

Lassalle hatte ein etwas irritiertes Cäsarenprofil, Byron das eines alexandrinischen Lords. Bei jenem bestimmten Stirn und Nase, bei diesem Augen und Mund die Erscheinung. Beide liebten ihre schönen Hände.

Aber in beiden wurmte eine Kränkung über das Unvollkommene: Byron weinte eine tiefe Wut sein Leben lang in sich hinein, weil ein Fuß lahm war. Lassalle mußte lange Liegekuren durchmachen; zudem war seine Stimme im Alltag hoch und kreischend, er stotterte ein wenig. Trat er aber öffentlich auf, so überwand er die Mängel und sprach stark und schön.

Männer von solcher Erscheinung sind immer hommes aux femmes. Das Prätentiöse bei Lassalle, das naiv Strömende bei Byron tritt auch hier sogleich zutage, wenn man erst jenen hört: »Unter Erholung verstehe ich absolut nur einen Kreis schöner Frauen« – dann diesen: »Ich drille mich jetzt eifrig, um zu lernen, wie man einen Shawl zusammenlegt, und ich machte es vorzüglich, wenn ich nur nicht immer die falsche Seite nach außen legte.«

Lassalle war den Frauen gegenüber unbeständig, eroberungssüchtig, mehr eitel als sinnlich. Byron läßt sich »von Weibern leicht beherrschen, ich unterwerfe mich lange ihrer Sklaverei, denn ich hasse Szenen und besitze ein phlegmatisches Naturell.« Zu den Frauen trieb – mit einem Worte – Lassalle sein Lebensdurst, Byron seine Dämonie. So geschah es, daß der eine seine Braut sich ähnlich machte – daß des andern dunkle Triebe ihn zum Geliebten seiner Schwester machten.

VII

Diese beiden Männer waren zur Ehe untauglich, dennoch belasteten sich beide mit ihr. Sie fanden nichtebenbürtige Frauen und gingen, von außen gesehen, beide daran zugrunde.

Wer die Braut des Dichters war, ehe sie Lady Byron wurde, bezeugen diese Sätze an ihre Freundin: »Ich habe mich mit Lord Byron verlobt. Durch genaue Kenntnis und eingehende Erwägung überzeugt, daß er meine höchste Achtung verdient, während er zugleich meine stärkste Neigung besitzt, fühle ich mich durch seine Werbung geehrt, und ich erwarte, daß auch du nicht auf die leeren Vorurteile der Welt achtest.« Das ist nicht mehr zeremoniöser Stil, sondern Beschränktheit. Wie! Lord Byrons Gattin! Sie war nicht reich genug, um so zu versagen, sich so zu developpieren, wie es bald geschah. Man weiß, wie sie und die Ihren die öffentliche Meinung gegen ihn so einzunehmen wußten, bis sie ihn verbannte. Denn nur weil ihn die Meinung und nicht politische Feindschaft, Geldnot oder ein Urteil der Gesetze verfolgte, war jene Verbannung ohne Rückkehr, unerbittlich, ewig.

Diese Verbannung, die sein ganzes Schicksal aus seiner Ehe entwickelte, schenkte ihm Unendliches. Wäre Byron in England »mit Weib und Kind, Haus und Hof und seinem Namen« geblieben, so wäre er freilich nicht am Schlusse und in jungen Jahren in jene rotierende Bewegung gekommen, die rasch zur Katastrophe drängt. Aber es war ein Geschenk der Muse, daß man ihn vertrieb. Hier entsprang seine reichste Quelle, denn sein dichterischer Genius brauchte einen realen Galgen, um seine Melancholie daran aufzuhängen.

So unrecht man nun Helene von Dönniges täte, sie mit der Lady zusammenzuhalten, gewiß ist, daß sie ihrem Gatten nichts zu geben hatte, als was er an ihr fand, und nicht einmal Namen und Rang wie jene, da diese ihre ererbten Qualitäten ihm hinderlich sein mußten. Aber je mehr ihr tolles Temperament, ihre prangende Gestalt, die raffinierte Anmut ihm bedeuteten, um so weniger verzeiht man ihr, in den zwei entscheidenden Momenten ihres und seines Lebens ganz versagt und durch die schlimmsten Torheiten alles verdorben zu haben. Er feuert sie an, mit ihm nach Frankreich zu entfliehen und dort zu heiraten, um fruchtlosen Komplikationen mit ihrer adligen Familie auszuweichen: da lehnt sie ab, »in eine solche romantische Entführung zu willigen«. Und später, als alles auf einen plötzlichen Vorstoß in der Familie angelegt und sie von ihm verpflichtet worden war, durchaus zu schweigen, läßt sich die Schwache vom allgemeinen Jubel über die Verlobung einer Schwester zu einer »Beichte« an die Mutter hinreißen, zerstört alle Manöver, veranlaßt indirekt seinen Tod.

Diese beiden Geister waren, Byron wie Lassalle, zur Ehe untauglich, zumindest verfehlten sie den Weg zur Ehe. Lassalle verliebt sich in wenigen Augenblicken, trägt die Erwählte gleich drei Stiegen hoch die Treppe herunter – läßt dann aber, mit der Gebärde eines Mannes, dessen Intellekt zu feucht auf die Flamme seiner Seele drückt, die ganze Geschichte ruhen, und hätte ihn nicht nach anderthalb Jahren ein Zufall mit ihr in den Alpen zusammengeführt, war die Entscheidung um Jahre hinausgeschoben. Schließlich schreibt er einer alten Freundin die kühlen Sätze: »Erstens kann ich jetzt nicht mehr zurück, und dann wüßte ich wirklich nicht, warum ich nun zurück sollte.«

Drei Stiegen hoch? Warum keine Entführung, Verführung, die heftigere Pulse in ihm aufgeregt hätte? Und man fragt: warum eine Aristokratin, die er als solche behandelt?

Byron suchte zu seiner Zeit eine Frau, die »ihr Geld gegen sein Wappen tauschen« wollte, und man erfrischt sich an der Ehrlichkeit dieses Tones. Aber er begeht den Fehler, eine Frau zu nehmen, die erstens nicht reich genug ist, die er zweitens zu hoch achtet, die drittens ihn zu lieben beginnt.

Hätte Lord Byron eine ihm unendlich fremde Millionärin, hätte Lassalle ein Mädchen, das mit Entzücken sich ihm hingab, ohne Zögern zur Frau genommen, es wären zwar nicht zwei Ehen entstanden, aber doch zwei stilvollere, fruchtbarere, weniger halsbrecherische Zusammenschlüsse.

Ihre Blindheit, der Wille ihrer Natur hinderte sie. Denn dann wären sie auch Väter zahlreicher Kinder geworden, was ihre Berufung nicht war. Lassalle starb vor der Ehe, und hätte er Kinder gehabt, er hätte nie in ihnen seine Unsterblichkeit gefühlt. Byron kam zu seiner legitimen und zu seiner natürlichen Tochter, er wußte selbst nicht wie. Die Natur rächte sich, indem sie diese, Allegra, die er generös, doch von ferne versorgte, früh sterben, Ada aber, die eheliche, für die der mehr und mehr Vereinsamte eine wachsende Neigung aus der Verbannung zu fassen begann, in Haß wider den Vater aufwachsen ließ, vor dessen Bild ein grüner Vorhang hing und mit dessen Namen sie einen Elenden bezeichnen lernte, während Europa ihn von Mund zu Mund vergötterte.

Das ist nicht der Sinn solcher Naturen: Fruchtbarkeit. Nur zentrifugale Kräfte schleudern einen Kreis aus sich heraus.

VIII

Wie die Saumpfade nah bei einander laufen, und auf dem einen ziehen die beladenen Tiere zum Hafen, auf dem andern schreiten die Befreiten aufwärts, neuen Belastungen zu: so wandeln manche Seelen die Straßen der Romantik und der Skepsis unablässig auf und nieder.

»Der große Zweck des Lebens ist Gefühlserregung: zu fühlen, daß wir da sind,« rief Byron, das hätte auch Lassalle rufen können; aber es ist nur eine sehr äußere Romantik, wenn man hört, Lassalle habe seine Gäste mit Haschisch berauscht, Byron aus einem Totenschädel getrunken.

In Wahrheit suchte jener die Romantik, um sich zu steigern, zu erkennen; dieser, um sich zu vergessen. Es ist das Geschick des ursprünglichen Romantikers, sich sogleich zu langweilen, wo er sich nicht verlieren kann. Lassalle konnte sich niemals langweilen, dazu war er zu tätig und zu eitel, deshalb ist seine Romantik auch viel primitiver: »Soll ich nicht alles aufgeben, und wir ziehen fort und leben nur unserm Glück, unseren Studien und einigen Freunden?« Oder, in weniger elegischer Stimmung, zu seiner Braut: »Handeln und kämpfen will ich, aber den Kaufpreis auch genießen und dir das Siegesdiadem auf die Stirne drücken. Glaube mir, es ist ein ebenso stolzes Gefühl, volkserwählter Präsident zu sein, als König von Gottes Gnaden. Komm an meine Seite vor den Spiegel! – Ist es nicht ein stolzes, ein königliches Paar? Hat diese Menschen da nicht die Natur in übermütigster Sonntagslaune geschaffen? Und glaubst du nicht, daß die höchste Gewalt uns gut kleiden wird? Es lebe die Republik und ihre goldlockige Präsidentin!« In diesen peinlichen Sätzen ist Lassalles ganze Seele offenbart: simple Romantik, naive Schauspielerei, glitzernder Zukunftstraum, eine wahrhaft populäre Dämonie.

Daneben Byrons romantische Gesten, – zuerst des edlen Romantikers: »In unserer Familie sind alles einzige Kinder gewesen, und es sind die wildesten Tiere, die Löwen, Tiger, Elefanten, die nur wenige Junge werfen.« Dann den schmeichelnden Romantiker, der Goethe apostrophiert: »Sir, Sie sind glücklich, nicht nur in den Werken, die Ihren Namen unsterblich machen, auch in Ihrem Namen selbst, der musikalisch genug für die Nachwelt klingt!« Oder den Trieb des sinnenden Romantikers, der ihn auf der eiligen Fahrt zum Befreiungskampfe Griechenlands am Stromboli haltmachen und einen Tag säumen läßt, um den Vulkan ausbrechen zu sehen. Oder die Emotionen des galanten Romantikers, in denen er mit wahrhaft forcierter Lustigkeit den Abenteurer des venezianischen Karnevals spielt. Oder den Ernst des königlichen Romantikers, mit dem der verbitterte Verbannte Englands, der keine Söhne hat, ausdrücklich anordnet, jeden Anspruch des Peer bei der Krönung des neuen Königs aufrechtzuerhalten, »damit das nicht verjähre, sondern durch Geltendmachung meinen Nachfolgern bewahrt bleibe«. Schließlich die kecke Ironie des Romantikers, um Mitternacht im Kolosseum die Nemesis anzurufen, daß sie ihn an Lady Byron räche und an deren Mutter.

Die äquivalente Skepsis, die in diesen beiden Geistern lebte, ist ihre höchst gemeinsame Eigenheit.

Lord Byron trug genau soviel Skepsis in sich, als einem melancholischen Romantiker ziemt, Lassalle soviel, als einem programmatischen Enthusiasten zum Gleichgewicht nötig ist. Auf diese Quelle mag man die ergreifende Mitteilung eines Freundes zurückleiten, daß Byron, als er den »Sturm« vorlas, »in sich hineinlachte, wie er oft tat«.

Lassalle wiederum wurde zuweilen von einer tief skeptischen Niedergeschlagenheit befallen: »Ich bin todmüde, und so stark die Organisation ist, so wankt sie doch bis in das Mark hinein. Die wahnsinnige Anstrengung, die tiefen und schmerzlichen Enttäuschungen, der fressende innere Ärger, den mir die Apathie des Arbeiterstandes in seiner Masse genommen einflößt, das war selbst für mich zuviel: ich treibe ein métier de dupe und ärgere mich innerlich zu Tode, um so mehr, als ich diesem Ärger nicht Luft machen kann und ihn nach innen behaupten muß.«

Das Medaillon auf seinem Grabe (das ein listiges Geschick verschlossen hält) zeigt die Züge des Mannes, der da sprach. Es stellt ihn in den letzten Jahren dar, erst Ende der Dreißig, doch eine tiefe Falte, fast wie von Misanthropie, hat sich um seinen Mund gebogen. Viele Masken sind abgelegt.

IX

Lord Byron war Melancholiker von Temperament, Lassalle war nur zuweilen verzagt. Worunter jener litt, das war sein Stern, dieser litt unter Realitäten. Denn seine Seele war ein breiter See, Byrons ein tiefer Brunnen.

Lassalle besaß jenen Optimismus und diese Vitalität ohne Grenzen, die allein genügen, seine Rasse erraten zu lassen. Er wünschte sehr, lange zu leben. »Ich weiß genau, daß wir unser Schicksal sind, deshalb will ich unsere Sache nicht mit Eile betreiben, ein langes Leben gehört uns, also Geduld«, schreibt er seiner Braut ein paar Monate vor dem Ende. Immer ist er in Bewegung, und fast immer glaubt er an die Nützlichkeit dieser Bewegung. So sehr Optimist als Hegelianer, zerlegt er die Weltgeschichte in drei Teile, deren erste beiden Gegensätze bilden, der letzte aber die dauernden Elemente der vorhergehenden vereinigt: natürlich geht die neue Zeit, die »Synthesis«, jetzt an, 1848, mit Lassalle. Hier spricht aber nicht nur die kuriose Einbildung eines Prinzipes, sondern auch eine persönlich strahlende Blindheit.

Lassalle verstand die Journalistenkunst des Lebens, Zufälle zu Notwendigkeiten in sich umzuformen. So wurde er durch Gelegenheiten juristischer Forscher, Philolog, Anwalt, Dichter.

Lord Byron hatte die Macht (den Ruhm) im Nu – und rief doch aus: »Das Höchste, was ich hoffen kann, ist etwa, daß jemand von mir sagt: er hätte vielleicht gekonnt, hätte er nur gewollt.« So ironisiert das Geschick Sinn und Pfade wunderbarer Geister.

Das ganze Kolorit seines Temperamentes stellt Byron mit Erkenntnis und Fassung dar, wenn er schreibt: »Ich leide an einer Art erblicher Schwermut, die ich natürlich in Gesellschaft unterdrücke, die aber wider meinen Willen in meinen Schriften und wenn ich allein bin, zum Ausbruch kommt.«

Lassalle war nie allein, ihn umgaben immer Menschen oder handgreifliche Ideen – Byron war von Schattenbildern umgeben, die nicht einmal aus seiner Phantasie stammten. Auf die Zukunft war der Blick des Volksmannes, auf die Vergangenheit war mit einer Art von Trotz das Auge des Sängers gerichtet. Als daher Lassalle sich an traditioneller Vergangenheit rieb und als sich Byron an idealer Zukunft entzündete, gingen beide unter.

X

Das ist nicht tief, was alle Welt am Ende dieser Männer sagt: Byron sei für die griechische Freiheit, Lassalle für seine Eitelkeit gefallen.

Die Wahrheit ist, sie standen beide an dem Punkte, über den es nicht hinaus geht. Der höchstgespannte Bogen sehnt sich, überspannt zu werden. Sie gingen beide am Ende der dreißiger Jahre – zu jener Zeit, an der die wohlgegründete Existenz zur Blüte, die abenteuerliche zum Zerspringen kommt – Unternehmungen ein, die ihnen eine neue, äußerste Sensation bieten konnten, aber in beiden schlummerte zugleich der Gedanke, daß es nun rasch zu Ende ginge. Lassalles hochmütiger Optimismus übertäubte diesen Gedanken, Byron war viel zu viel Dichter, um nicht das Vorbewußtsein jeder Zukunft in sich zu tragen. Hier sind seine eigenen Worte: »Ich werde nach Griechenland gehen und dort sterben.« Die Form freilich mußte ihre Anlage verschieden gestalten, denn Lassalle, der sich ewig steigen fühlte, preßte am Ende das eminente Lebensgefühl noch einmal zusammen und sprühte es hoch empor; Byron, der sich ewig sinken fühlte, senkte seinen Leib auf ein Schiff, das zu den griechischen Inseln fuhr.

Bei Lassalle kündigt sich dies in den letzten zwei Jahren an. Seine Agilität verwandelt sich in ein nervöses Zittern, er arbeitet wie einer, der das Leben will und den Tod ahnt. Eine ungeheure Produktivität, die ihm das Geschick böse lächelnd grade jetzt verlieh, läßt ihn tiefer im Schleier der Maja versinken.

Nun verfaßt er zwanzig Schriften, hält Reden über Reden, konferiert mit unzähligen Deputationen, führt ein Dutzend politischer Prozesse, gründet den Deutschen Arbeiterverein. Ein letzter Triumphzug ist ihm gegönnt. Als er zum ersten Stiftungsfeste des Vereins den Rhein hinunterfährt, empfangen ihn überall Tausende von Arbeitern, bekränzen ihm Wagen und Wohnung, überreichen Ehrengaben – Guirlanden, Fahnen, Ehrenpforten, Serenaden, ein Blumenregen auf den Präsidentenwagen: dies alles dürfen seine Sinne trinken. Die Zeit steht für Sekunden still.

Aber gleich darauf schreibt er: »Ich wünsche nichts sehnlicher, als die ganze Politik los zu sein, um mich in Wissenschaft, Freundschaft und Natur zurückzuziehen, ich bin der Politik müde und satt. Zwar ich würde so leidenschaftlich wie je für sie entflammen, wenn ich die Macht hätte oder ein Mittel sähe, sie zu erobern … Zum Kinderspiel aber bin ich zu alt und zu groß.« Man fühlt, es geht nicht weiter, und es ist nur ein toller Trumpf seiner Parze, ihn das Schlußgefecht in jener bekannten Affäre kämpfen zu lassen.

Nach allen Verirrungen hat er die Braut in seiner Gewalt, sie ist bei ihm und endlich bereit, mit ihm zu fliehen. Es erscheint die rasende Mutter der Braut, beschimpft ihn, er habe ihr Kind gestohlen. Da springt noch einmal der Advokat und Schauspieler aus seiner Schale: »lächelnd« läßt er sich von seiner Braut versichern, zu tun, was immer er verlange, dann führt er sie der Mutter zu, heißt sie zurückkehren – »und jetzt, meine gnädige Frau, gebe ich Ihnen Ihr Kind zurück! Aus Ihren Händen werde ich sie empfangen, Sie werden uns zum Traualtar folgen. Sie geht mit Ihnen, weil ich es will, vergessen Sie das nie, und nun leben Sie wohl!« Ja, er erlangte den glänzenden Abgang des Demagogen, des Akteurs. Seine kurzatmige Romantik sonnte sich in ihrem eigenen glühenden Widerscheine. Drei Tage darauf war er kalt.

Sofort sieht er ein, was er getan: »Ich war der Dummkopf, die Großmuts- und Anstandskomödie zu spielen! Ich bin so unglücklich, daß ich weine, zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren ... Was mich noch mehr zermartert, ist das Verbrechen meiner Dummheit! Wohin bin ich gekommen! Der Gewissensbiß frißt mich auf! Aber wenn ich diese Dummheit nicht wieder gutmachen kann, will ich mein Haupt scheren und Mönch werden! Wenn ich meine Sache nicht durchsetze, und ich zweifle sehr daran, so bin ich für immer gebrochen und fertig mit allem!«

Findet ein Mann von fast Vierzig, eine Person des bewegten Lebens, die alle Zusammenstöße mit der Welt meistern lernte, findet ein Schauspieler wie Lassalle so ergreifende Töne – das ist nicht um eines Mädchens, nicht einmal um eines durch Widerstand zur Manie gesteigerten Wunsches willen, sondern das ist das Gefühl: ich habe mein Gesetz verletzt, es geht zum Ende.

Unmittelbar vor dem nun folgenden Duell mit dem legitimen Verlobten der Braut bietet Lassalle das Phänomen eines unbewußten Moriturus und zugleich eines unverbesserlichen Optimisten. Er, der Duellfeind, veranlaßt das Duell, nicht etwa, um sich dem Schicksal auszuliefern, sondern aus metaphysischer Blindheit: er vertraut auf den Sieg. Sein Freund rät ihm, sich im Pistolenschießen zu üben: er erklärt das für dummes Zeug, während sein Gegner, obwohl Offizier, tags zuvor 150 Probeschüsse abgibt. Seine Vitalität, wenige Stunden vor ihrem natürlichen Ende, weitet sich zur Hybris aus, ihr Träger verliert alles Augenmaß. Zu allen anderen unlogischen, also tödlichen Umständen kam, daß Lassalle zwar in einem Duell mit dem aristokratischen Prinzip sinnvoll sein Leben hätte lassen können, daß aber dies Duell höchst unpathetisch und prinzipienlos, daß die Ursache nicht eigentlich der Effekt, daß der Anlaß nicht auch der Preis, und daß der Gegner ein unpolitischer Dandy war.

Lassalle fiel, aber man darf von seinem Anblick nicht scheiden, ohne zu erzählen, daß er, zu Tode getroffen, trotz der Schmerzen herrlich aufgerichtet die Hoteltreppe emporstieg, um seine Freundin, die Gräfin Hatzfeld, nicht zu erschrecken.

Mit Lord Byron ereignete sich alles kühner und stiller. Hatte sich Lassalles Beweglichkeit in den letzten Jahren zur Hast gesteigert, so steigerte sich Byrons Ruhe zuletzt zur Trägheit, er ritt kaum mehr, trank mehr als früher – aber zugleich taumelte seine Phantasie dem Ende zu: er dachte sogar daran, in Südamerika Farmer zu werden. (Dies ist der nämliche Punkt, an dem Oscar Wilde sich den Gerichten stellte.)

Daß Byron in jenem griechischen Freiheitskampfe eine letzte Erregung für sich erblickte, läßt manche meinen, er sei nicht wahrhaft entflammt gewesen. So pflegen gewisse Köpfe zu schließen, als welche mit unergründlichem Ernst die buntesten Schmetterlinge rubrizieren.

Dieser Dichter gehörte nach Griechenland. Dort war es, wo seine poetische Phantasie zuerst erblühte, dort sprach Vergangenheit, sprach Landschaft, Stamm und Sitte ihn an. Aber sein Intellekt gab ihm auf, zuvor genau zu überlegen, welche Vorteile er dorthin bringen konnte, Erkundigungen einzuziehen, sich in Wahrheit als Praktiker zu versuchen. Nicht ein Kreuzfahrer oder Fanatiker schiffte sich in Genua ein. »Ich bin endlich entschlossen, Griechenland ist der einzige Ort, wo ich mich immer wohlgefühlt habe, ich spreche im Ernst. Alle sagen, ich könne in Griechenland von großem Nutzen sein. Ich weiß nicht, wie, aber auf jeden Fall will ich es versuchen.« Bemerkt man das Schaukeln der Seele in diesen ergreifenden Zeilen? Der Dichter wird zum romantischen Helden. Lassalle, der »Held«, war zum verteufelten Romantiker geworden.

Die Taten des kriegerisch gewordenen Lords, die nun folgten, sind beweinenswert. Er mußte sich begnügen, vierzig Stradioten zu bewaffnen und nach der Schlacht Verbände und Arzneien zu senden. Wochenlang liegt er unschlüssig vor Kefalonia, geht schließlich an Land, zieht sich in ein Dorf zurück. Das alles läßt sich politisch begründen – aber der Leser der Geschichte stöhnt. Dann nimmt Byron »die Verhandlungen beobachtend« auf der Insel seine gewohnten Beschäftigungen auf, empfängt einen, mit einer theologischen Handbibliothek beladenen methodistischen Arzt zu wiederholtem Disput, während die Geschicke Griechenlands sich zu enthüllen beginnen.

Als endlich die Stunde da ist, in der er aus seinem Zelte treten, zu Pferde steigen und eine Fahne ergreifen könnte, erkältet er sich bei einem Ritt und erkrankt tödlich.

Er konnte geheilt werden, aber er widersteht mit der Hartnäckigkeit des dem Tode Hingegebenen dem Aderlaß, den die Ärzte fordern, unter der misanthropischen Begründung: »Sie wünschen den Ruhm zu haben, daß Sie mich geheilt hätten, darum machen Sie die Krankheit so gefährlich – aber ich erlaube nicht, mir zur Ader zu lassen.«

Als der sterbende Dichter deliriert, steigt aus dem Nebel seine Tochter nieder. Er klagt und seufzt. Der Diener soll die wirren Worte verstehen. Der stockt. Byron ruft: »Jetzt ist es zu spät, alles ist vorbei – mein Kind – meine Schwester – Griechenland – du weißt alles – ich muß nun schlafen.«

Er stirbt. Athen verlangt nach seiner Asche. Sie wird zu seinen Feinden, wird nach England gebracht.

Es scheint das rächende Geschick pathetischer Naturen, daß der starke Wille zu einem großartigen Ende ins Lächerliche umgebogen wird. So sinnlos war Lassalles Duell. Und so stirbt Byron an einer Hirnhautentzündung, wie man es nennen will – vor der Schlacht, in der er fallen wollte. Und doch hatte er an seinem letzten Geburtstage jene idealen Zeilen gedichtet, die ihm ein gnädigerer Weltwille wohl hätte verwirklichen dürfen.

»Wozu noch leben? Sprich, was blieb?
Hier ist das Land, wo Tod Gewinn
und Ehre ist! Zum Kampf! Und gib
den Atem hin.
Wohlauf – wie Hellas aufersteh,
wach auf, mein Sinn!«

XI

Lord Byron und Lassalle: das waren amoralische, eigensüchtige Idealisten, aber Byron pflegte einen pathetischen, Lassalle einen hedonistischen Idealismus.

Eine großartige Selbstsucht wuchs in Lassalle, während sie in Byron abnahm, doch jener entwickelte sich vom Enthusiasmus zur Skepsis, dieser von der Skepsis zu dichterischer Melancholie.

Das tragische Epigramm, das die Nachwelt auf ihren Stirnen sieht, war Byron von Anbeginn aufgeprägt, Lassalle empfing es wider Willen am Ende.

Byron ist als Politiker, Lassalle als Dichter hervorgetreten, und ob auch in jenem ein Mehr an Gefühl, in diesem an Intellekt lebte, so findet sich in Byrons Dichtung doch ebensoviel Schärfe als in Lassalles Reden romantisches Pathos.

Beide waren große Schauspieler des Lebens, aber Byron nur so lange, als die Dissonanz mit den Geschehnissen der Wirklichkeit den Dichter zur Maskierung zwingt, während Lassalle so glänzend spielte, daß er es zu Zeiten selbst vergaß. Es war der Wille eines unsichtbaren Regisseurs, diesen Lord und Dichter Thanatos spielen zu lassen, doch eine einfältige Empirie drängte ihm die Rolle des Luzifer auf. Der Volksmann hätte Alkibiades spielen wollen, aber eine harte Jugend, eine allzu dominierende Intelligenz und ein unharmonisches Jahrhundert gaben ihm auf, einen Hutten darzustellen, der keinem Luther die Bahn bereitete.

Lassalle hatte das Zeug und den Zug zum Franzosen, wie auch sein Stil und seine Namensabwandlung andeuten, zum großen écrivain, aber er versuchte als Jude, ganz ein Deutscher zu sein. Byron gleicht in allem der Stadt, die er so sehr geliebt hat und über deren Brücken und Kanäle die Blicke seiner Seele zogen. Und doch, wäre jener in Paris, dieser als Venezianer geboren, sie wären vollkommenere, aber minder interessante Phänomene.

Anekdote und Biographik haben ihren Ruhm weitergetragen und länger erhalten als ihre Werke, die heute nur wenige lesen. Die großen Erfolge beider Geister aber kamen aus einer seltsamen Quelle: in beiden war nämlich zuweilen jene Verwegenheit des naiven Mystikers, der an die Küsten des Lebens verschlagen ward.

Beide waren so sehr Künstler des Lebens, daß sie auch noch durch ihren romantischen Tod gewannen. So groß war die Kultur ihres Ich.

Aber Lassalle war in sich selbst verliebt. Lord Byron liebte seinen Dämon.


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