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»Wenn ich Erholung von der Arbeit brauche,
so suche ich Freiheit, nicht Ehre.«
Nur Einer unter den Künstlern der Völker und Zeiten hat alle Elemente der Selbstbildnerei vereinigt; er allein gibt die Entwicklung des Menschen. Seine Selbstporträts stellen stumm ein Leben dar: Sehnsucht, Verwirrung, Kranz und Tragödie des Rembrandt van Rhyn. Rembrandts Leben liegt in der Reihe seiner Selbstbildnisse so greifbar offen, daß man alle Leiden und Ekstasen daraus ablesen kann.
Vierundachtzig Selbstporträts gelten augenblicklich für echt, davon achtundfünfzig Gemälde. Das erste malte er 21jährig, das letzte mit 63: zwischen diesen zweiundvierzig Jahren liegen genau doppelt so viele Abbilder seines Ich.
Auf seinem ersten Bildnis spürt der Jüngling mit klugen Augen in die Welt, doch die Sinne schlafen. Auf dem letzten schlafen die Sinne wieder, doch die Augen sind nun nach innen gewandt, zugleich malt er sein letztes Werk: die Heimkehr des verlorenen Sohnes. Über Rembrandts Biographie hinaus gibt die Reihe dieser Bilder die Geschichte eines Menschen.
In seinen ersten zwanziger Jahren belauscht er sich, wie verworren er Hals und Blick duckt, fest verschlossenen Mundes, treu seinem Geheimnis, nur den Blick aussendend, wie die Taube aus der verschlossenen Arche: zu sehen, ob Land auftaucht. Jener große Ernst liegt über ihm, wie ihn allein die Jugend fühlt, der Ernst, zu dem sich das Alter zurückringt. Aber auch Haltlosigkeit und Wankelmut der Jugend werden dargestellt.
Denn gleich darauf erscheint er sich als bartloser, leidenschaftlicher Knabe, mit edlen Lippen, und im selben Jahr, an einem anderen Morgen, macht er sich einen Helm von Haaren, zieht die Augenbrauen hoch, spöttelt mit den Mundwinkeln und sucht im Anflug von Bart und Schnurrbart plötzliche Reife sich und der Welt zu dokumentieren. Am nächsten Tage spielt er den grinsenden, verschlagenen Bauern und löscht mit kecker Gebärde jedes Zeichen des Genius aus. Vielleicht am selben Nachmittag erspürt die Radiernadel im Spiegel einen jungen Diplomaten mit der Allongeperücke, und ein paar Tage später entdeckt er zum erstenmale, daß goldene Ketten, auf schwarzem Samt um die Schultern gelegt, daß ein Barett mit feiner Arabeske und langer, barock geschweifter Feder, dazu die Haltung des Edelmanns nichts Äußerliches, – daß sie zumindest eine Maske machen, die nicht jedermann tragen oder abtun kann. So wetterleuchtet die 23jährige Phantasie, sprüht dem Leben voraus, kennt die Geschicke, ehe sie geschehn.
Drei Jahre später hat er das Abenteuer des Lebens aufgenommen. Da malt er sich als Türken, reich gewandet, üppig, in kecker Stellung, mit peinlich sattem, wissendem Blick. Aus Bechern hat er Lust getrunken, die sich dem Genius mit Schnelle in Melancholie verwandelt. Es war eine kurze Zeit.
Denn bald kommt Saskia zu ihm – nur einmal in der Welt mit diesem Namen, wie niemand sonst sich Rembrandt nannte. Sacht gleitet sie zu ihm nieder, der erfüllende Traum, die belebende Phantasie, das holde Gleichnis, erstaunlich jeden Tag, keusch und leidenschaftlich in den Nächten, geistig ohne Wissen, wandelbar, aber harmonisch, im Besitze jedes Reizes. Denkt man, wie der Künstler sie angeblickt hat, so denkt man auch an Othello. All ihre vielen Bildnisse, die dem Entzückten, Erhobenen, Bereicherten, die dem mit jedem Sinn gefangenen Mann der täglich neue Anblick abgewann, sind Dokumente aus Rembrandts Seele.
Er sieht das holde Wesen in seiner Gesellschaft, so malt er sie und sich zweimal in der ersten Zeit. Einmal kommt er dazu, wie sie sich schmückt, da heißt er sie die Pracht verdoppeln, setzt sie vor den Spiegel, zeigt ihr, wie schön Hände liegen und schweben können, wenn man einen Ohrring im Befestigen bewundert, und lenkt ihren Blick auf ihr Spiegelbild, um sie lächeln zu machen. Selbst stülpt er sich dann einen Hut mit langer Feder auf den Kopf, hängt manche Kette um den Hals und harrt mit einer Perlenschnur, sie ihr zu reichen. Aber unversehens entfernt sich sein Geist, er sieht nicht Saskia, sein Entzücken, mehr, noch minder den Beschauer: er sieht die Gruppe und malt. Aber auf jenem anderen Doppelbilde, das man Das Frühstück nennt und das man Mitte des Lebens nennen könnte, sitzt sie auf seinem Knie, und keck wie ein Genießender, leicht wie der König des Lebens, wendet er sich allzusehr dem Betrachter zu – zur Welt, für die auch sie das Haupt wenden muß. Da blitzen Degen und Krüge, in hohen Kelchen wankt der helle Wein, die Federn wippen, die große Hand des Bildners hält ihre Hüfte als sein Besitztum fest, und lachend ruft der Mund: Ich sehe dein Haupt nicht mehr, Gorgone!
Um diese Zeit hat er sich ein dutzendmal in einem Jahr gemalt. Der saugende Blick taucht wieder auf, doch jene Gelassenheit faßt ihn zusammen, welche Erkenntnis der Schönheit ist und Trauer über die Erfüllung. Wieder schließt sich dieser Mund, doch nur vor der Welt. Vor ihr, dem schönen Wappen seiner Phantasie, hat diese Lippe wohl Worte gesprochen – die ihr Ohr kaum vernahm, doch die sie wie den Puls des eigenen Kindes fühlte.
Nun sitzt er im Glück, wie die Menschen es nennen, im Ruhm, im Geld, und somit in den Jahren, da es gilt, der Welt ein Schauspiel zu geben. Seine Haltung ist wie eines Prinzen Haltung. So war er nicht geboren. Ketten, mit Schmuck und Sparsamkeit verteilt, nicht im wahllosen Rausch des Türken, geben ihm einen neuen Stolz.
Sein Haar ist gepflegt und gerafft, sein Bart ist zart und nach der Mode, gestickte Jacken, Pelze und Kragen trägt er nicht als Maske, sondern um des Adels willen und der Haltung. Nun wäre ich, fühlt er, ein großer, gefürchteter, ziviler oder kriegerischer Mann. Riesige Federhüte stülpt er sich auf, tauscht sie mit Helmen, legt goldene Ketten um die Brust, und einmal sieht er, wie die zwei steilen Federn seines Barettes Schatten an die Wand werfen wie von Gespenstern, und malt die Schatten mit. So malt er seine Zukunft.
Vier Jahre später, rückkehrend von der Betrachtung einer tiefen und schwärmerischen Welt, entdeckt er sich wieder, und wieder ergreift ihn die Sucht, sich zu gestalten. Er tut es viermal. Das über die Maßen schöne Bild des 32jährigen zeigt ihn mit wenig dunklem Schmuck, geraffter, repräsentativer, melancholischer. Das Genie weiß immer sein Geschick, kurz, eh' es sich abrollt.
Um dieselbe Zeit entstand in England ein Selbstporträt, wie der Text zu diesem Bilde: Hamlet.
Dann stirbt Saskia.
Mit einem Male legt er den Schmuck ab und die weltliche Maske. Die Zeit der Herausforderung, des wachen Traumes ist vorüber, wieder steht der Mensch allein. Saskia ist tot. In diesen Jahren sieht er sich als einen Bürger, klug, gediegen, hinterweltlich. Kennte man nicht diese Züge, man hielte ihn für einen Kaufmann oder zuweilen für einen Mann im Rate der Stadt. Trauernd geht er im dunklen Domino auf das Maskenfest der Welt. Sie aber malt er noch einmal nach dem Tode. Wiederum ist dies rührende Bild, dieser Gruß aus der andern Welt an den Zurückgebliebenen, den er sich selbst von ihr abnötigt, wie ein Selbstbildnis seiner Seele. Dann schweigt ein Lustrum lang das Tagebuch in Bildern.
Als er sich wieder malt, beginnt sich sein Kopf zu jenem Ausdruck hin zu entwickeln, den wir als Rembrandt fühlen, wenn wir ihn nennen; wie man sich gewöhnt hat, den letzten Goethebildern mit Ungeduld zuzueilen. Wieder kleidet er sich mit Sorgfalt, legt fremde Stoffe an, aber als Landsknecht hat er was von einem trauernden Ritter, und auf dem Selbstbildnis der Lady Rothschild liegt die Bitternis deutlich am Tage. Dann schweigt er wieder fünf Jahre.
Da, Mitte der Fünfziger, taucht der Jüngling wieder auf, mit den großen suchenden Augen, er geht auch wieder bartlos und in der Samtkappe, aber zwei lange Falten flankieren gleich Wächtern den Mund. Auf einem gleichzeitigen Bilde ist er sogar kurznackig und sehr stark, wie einer, der gut ißt und trinkt, um zu schlafen. Zugleich steigt vor ihm der himmlische Knabe auf, Titus, von Saskias Schönheit der Erbe, der Erbe frühen Wissens, voll melancholischer Anmut.
Indes hat er die zweite Frau genommen, die stumme, gute, und er reckt sich mit Bewußtsein vor der Welt, ja, der Blick ist zuweilen zielbewußt, feldherrlich. Noch hält er sich, obwohl seine Angelegenheiten sich verwirren. Ein Stoß kann den Aufgerafften vernichten. Als der Zusammenbruch seiner Finanzen eintritt, stürzt die künstliche Haltung rasch ein, und plötzlich ist er ein alter Mann.
Ein Jahr, nachdem er sich so entschlossen gesehn, sieht er einen verarmten, verbitterten Alten im Hausrock sitzen, da all die edlen Stoffe versteigert sind, er sieht, daß er unrasiert, daß sein Hemd mitgenommen, sein Gesicht magerer ist. Er nimmt einen Stock in die Linke und malt den Einsamen. Dies ist Rembrandt vor seinem letzten Gange, und das Bild ist das erste der letzten Reihe: Selbstbildnisse satanischer Melancholie. Denn nun malt er sich wieder siebenmal in einem Jahre. Das schrecklichste dieser Bilder hat das Louvre, das getragene ist in München, das rasende in Aix. Es mehren sich die Stirnfalten, der Kragen wird hochgeschlagen, um den verfallenen Hals zu decken, der Mund verliert die Zähne, hilflos blickt das große Auge.
Drei Jahre später ist er kaum mehr zu erkennen. Etwas Gedunsenes ist in seinem Antlitz, fast Blödes. Doch lockt es ihn, wie die Klänge altgewohnter Musik, immer wieder zum Spiegel, zum Tanz. Da rafft er sich noch einmal zu seiner edlen Haltung auf. Nur noch eine weiße Nachtmütze ist ihm geblieben und ein Pelz, doch er verwandelt's in den Purpur eines ungekrönten und dennoch abgesetzten Königs: so ist Haltung und Blick. Und hier zum erstenmal, am Ausgang seines Weges, nach so viel Spiegelbildern, Stellungen, Stimmungen, hier malt sich Rembrandt zum ersten und einzigen Male als Maler.
In seiner mittleren Zeit hatte er sich einmal radierend radiert, doch zeigt das kleine Blatt in nichts den Künstler, nicht den hingerissenen noch den studierenden noch den repräsentierenden; vielmehr, wir sollen möglichst nichts merken, seine Zeichnung samt dem Arbeitsblatt bleibt unsichtbar, nur ein Eckchen des Stiftes zeigt, daß er nicht liest. Nun aber, als Greis, hinter dem Leben, nimmt er, der sich achtzigmal gemalt, endlich die traditionellen Zeichen seiner Macht in die Linke: Palette, Pinsel, Malstock, die Rechte aber stützt er ein und fordert so die Welt heraus zu dem, was sie ihm gab, als er es nicht herauszufordern brauchte.
Noch zweimal lockt es ihn, seinen Kopf zu malen. Gegen frühere Gewohnheit läßt er nun den verfallenen Körper fort, er weiß, allein das Antlitz ist noch sein. Auf dem Carstanjenschen Bilde lacht er mit teuflischer Koketterie aus dem Rahmen heraus den Beschauer an und stößt mit dem Stock gegen ein mystisch kaltes, verdämmerndes Wesen. Hier hat er gewagt, seinen Dämon zu malen.
Daß er nun, nach der zweiten Frau, auch noch den Knaben begraben, den einzigen Boten des entschwundenen Traumes, hat ihn vielleicht in einer Art gefestigt, statt ihn zu erschüttern: wie ein letzter Hammerschlag des Schicksals, das er nun kennt.
Achtsam setzt er die alte Mütze auf, auf dem Antlitz sieht er mehr Bleichheit als Falten. Mund und Augen liegen tief. Fest verschlossen wie nur in der frühesten Jugend bleiben die Lippen. Erst verschwiegen sie, was sie erwartet, nun, was sie erlebt.
Aber die Hände, die all dies schufen, sind nicht mehr zu sehn.
Der größte Selbstbildner, den über die Grenzen der Malerei hinaus die allgemeine Kunst kennt, noch tiefer verloren in sein Ich als selbst Byron und andere analytische Pathetiker, beschließt den Bericht über seine Bahn und sein Werk zeichenlos, emblemelos, ein Mensch ohne Maske.
So fallen am Ende Urbild und Abbild wie in tiefem Gleichnis zusammen, und wer die psychologische Geschichte des Selbstporträts schriebe, würde zugleich eine Geschichte des Doppelgängers schreiben.
Denn immer sucht der Künstler in seinen Gestalten sich wieder zu begegnen, doch nirgends begegnet er sich leibhaftig wie in der eigenen Gestalt. Ihm ist das Spiel und Gegenspiel vertraut, stets fühlt er den Doppelgänger und wäre unfruchtbar wie dieser, zwänge ihn nicht sein Gott, ihn abzubilden.
Nur zu diesem einzigen Werk vereinen sich die großen gegnerischen Mächte: der Dämon ruft den Genius, und dieser stellt ihn dar.