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Sie war zu Hause. Wer sie heimgeführt oder heraufgetragen, wer sie auf ihr Bett gelegt hatte, wußte sie nicht, auch nicht, wie viele Stunden sie schon hier liegen mochte. Das gute Kleid, vom Schlamm des Bootes zu Grunde gerichtet, hatte man ihr nicht ausgezogen, auch die Stiefel nicht, die ihr weißes Betttuch mit Straßenschmutz besudelten. An ihrer verwundeten Hand trug sie einen notdürftigen Verband, den ihr irgend jemand angelegt haben mußte, den sie aber, mit den Armen um sich schlagend, halb abgerissen hatte, so daß rote Tropfen hervorsickerten.
Die Nacht über war sie öfters eingeschlafen; ein dumpfer Schlaf, von unheimlicher Gehirnthätigkeit durchkreuzt und erhellt, die ihr immer neue Bilder des toten Sohnes vorführte. Und jedes Erwachen brachte größere Klarheit, herzzerreißenderes Weh, sobald ein paar flüchtige Sekunden die Hoffnung verscheucht hatten, es sei nur ein banger Traum gewesen. Die grauenvolle Gewißheit nahm immer deutlichere Gestalt an in dem armen Kopf, der sich allmählich aus der Betäubung des ersten Schlages aufraffte, immer klarer, immer kälter, immer unwiderruflicher stellte sich die Thatsache dar . . .
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Dieses Mal, bei diesem Erwachen, war es Tag, als sie die von etwas längerem Schlummer gestärkten Augen aufschlug. Ein jugendfrisches Licht floß um sie her, so ungerührt, als ob nichts geschehen wäre. Es mußte Morgen sein, der Morgen irgend eines flüchtigen Tages, eines Frühlingstages, der allen andern glich. Sie erwachte mit der Gleichgültigkeit einer Toten, gleichgültig gegen die Stunde, die Zeit und ihre Dauer – gegen alles. Unter dem Eindruck eines fürchterlichen, zermalmenden Schlages, dessen Art in den ersten Minuten nicht deutlich kenntlich war, betrachtete sie unter stufenweiser, matter Rückkehr des Bewußtseins ihre Umgebung. Sie sah jeden einzelnen Gegenstand, aber sie sah ihn wie von der Tiefe eines Abgrundes aus, als ob sie schon in ihrem Sarg läge. Die schmeichlerische Hoffnung, daß sie einem bösen Traum zum Opfer gefallen sei, hielt nicht mehr vor; die Erkenntnis der Thatsächlichkeit des grenzenlosen Unglücks hatte sich ihrem Gehirn jetzt eingeprägt. Eigentlicher Erinnerung ging die Beobachtung voran; mit matten Augen, innerlich von allem losgelöst, bemerkte sie gleichwohl die Unordnung, worein das sonst so sorgfältig gehaltene Zimmer geraten war. Sie sah, daß ihr Bett mit Schmutzflecken besät war, sah ihren Hut verkehrt auf einem Stuhl liegen und bemerkte, daß die graue Feder ganz danach aussah, als ob sie durch die Gosse gezogen worden wäre. Ihre kostbarste von der Provence mitgebrachte Vase lag in Scherben auf dem Kaminsims, die Blumen am Boden. Dann fiel ihr Blick auf zwei Frauen, die neben ihrem Bett saßen, Nachbarinnen, die abwechselnd die Nacht bei ihr gemacht und sie im Bett gehalten hatten, und dann zerriß auch der letzte barmherzige Nebel in ihrem Kopf, wie vom Blitz durchzuckt, und eine unerbittliche Klarheit ging ihr auf . . . ach, ihr Sohn! . . . ach, ihr Jean!
In die Höhe fahrend, wie von einer Feder geschnellt, deren Ausdehnung ihr die Eingeweide zerrissen, begann sie zu schreien und schrie lange fort, aufrecht im Bett sitzend, ihre Stirne mit den ihr noch gebliebenen Fingernägeln zerfleischend, den Kopf zwischen die Hände pressend, als ob sie den darin wühlenden Schmerz ersticken, zerdrücken wollte. Die beiden Frauen aus dem Volk, die auch Mütter waren, und denen ein angeborenes Zartgefühl Schweigen gebot, lauschten, ohne ein Trosteswort zu versuchen, den herzzerreißenden Tönen, mit feuchten Augen verständnisvolle Blicke tauschend.
Mit einemmal kam der rasende Drang nach Bewegung über sie, der Gefolterte überfallen kann, die Sucht zu fliehen, sich irgendwo hinabzustürzen, den Kopf gegen die Mauern zu schlagen, und sie stieg, sich mit zitterigen Händen an die weißen Vorhänge anklammernd, rasch aus dem Bett. Die beiden Frauen standen gleichfalls auf, angstvoll beobachtend, was sie thun würde. Das Gesicht, das jetzt ins volle Tageslicht kam, war verwandelt, um zehn Jahre gealtert, in einer Nacht durchfurcht von der ganzen Ermattung ihres armseligen Arbeiterinnenlebens, das, ach! so vergebens gewesen war. In den Augen funkelte sogar etwas Bösartiges, Gehässiges, das ganz neu an ihr war, das die Verzweiflung aus den ungeahnten, unbewußten Tiefen ihrer Seele heraufgewühlt haben mußte, und mit dem beschmutzten, zerrissenen Kleid, den wirren Haaren war auch ein gewisser tierischer Zug in ihre Erscheinung getreten, sie sah so proletarierhaft aus wie ihre Wärterinnen, sie trug den Stempel der von Armut Ueberwundenen, ein Gepräge, das ihrem Jean tiefer ins Herz geschnitten hätte als alles andre, wenn er sie noch hätte sehen können . . .
Ein Ende machen . . . freiwillig . . . das war die einzige Möglichkeit, die noch vor ihrer Seele stand! Ein Fenster aufreißen, sich hinausstürzen, auf den Pflastersteinen da unten verenden! Aber auch die Selbstvernichtung erschien ihr ungenügend, ordnete die Dinge nicht nach dem Willen ihres verzweifelten Herzens. Vor allem war es ihr Bedürfnis, der Empörung gegen das blinde Schicksal, das so etwas gewollt hatte, dem Zorn gegen Gott, Menschen und Dinge noch einige Dauer zu gönnen . . . sie mußte Zeit haben, sich aufzulehnen und zu fluchen. Und dann – so davongehen, eine selbstmörderische alte Frau, deren Leib man mit Widerwillen vom Pflaster aufheben würde, das hieß fast den Sohn erniedrigen, seinem Gedächtnis Schimpf anthun. Und nach ihr würde sich ja auf der Welt kein Mensch mehr seiner erinnern, mit ihrem Tod wäre ja das angebetete Bild ausgelöscht, das sie in der Seele trug, das Letzte, was von ihm übrig blieb. Noch unausbleiblicher, noch schneller würde er in der großen Finsternis versinken . . . sie vermochte es nicht klar zu denken, aber ein Gefühl davon hielt sie zurück. Aber was dann? Was beginnen? Woher den Mut nehmen, dieses gräßliche Leben ohne ihn durch eine langsam hinschleichende, finster gähnende Zukunft zu schleppen?
Sie ging schwankenden Schrittes im Zimmer umher, warf sich da und dort in eine Ecke, daß ihr Kopf gegen die Wand stieß.
Im Vorübergehen hatte sie unversehens ein Tischchen umgestoßen, daß verschiedenes klirrend zu Boden gefallen und zerbrochen war, und als jetzt eine von den Frauen auf sie zutrat, um ihr »zuzureden«, da wandte sie sich um und begann mit einer erschütternden Gebärde nach andern Gegenständen zu greifen und sie zu zerschmettern – es waren Dinge, woran ihr Herz am meisten hing, und die seit vielen Jahren wie Heiligtümer behandelt worden waren. Eine tolle Wut wandelte sie an gegen die gleichgültige Person, die sie in dieser Stunde zur Rücksicht auf Kleinliches mahnen wollte, und sie empfand das Bedürfnis, ihr deutlich zu beweisen, daß sie sich weder um sie, noch ihre sogenannte Vernunft, noch um irgend etwas auf der Welt kümmere, daß nichts mehr Wert habe, nichts mehr vorhanden sei – jetzt, da ihr Jean tot war . . .
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Sie weinte nicht; es waren jetzt bald vierundzwanzig Stunden her, daß der junge Matrose von der »Saône« ihr den verhängnisvollen Zettel zugesteckt hatte, aber noch keine Thräne hatte ihre Augen befeuchtet. In ihrem Ausdruck hielt die nämliche Starrheit vor, ihre Nase trat spitzig heraus, und auf ihrer Stirn grub sich eine senkrechte Falte, die bis auf die Nasenwurzel lief, immer tiefer ein. Lippen und Kehle waren ihr vertrocknet und verdorrt; sie hatte das Gefühl, als ob sie einen schweren eisernen Klumpen in ihrem Kopf stecken hätte und einen eisernen Reif um ihre Schläfen geschmiedet trüge.
Mitunter kamen Augenblicke des Stumpfsinns, wo ihr Begriffsvermögen den Dienst versagte, ganz ähnlich dem qualvollen Schlummerzustand der vergangenen Nacht, dann aber kehrte das Bewußtsein wieder und die Verzweiflung, der Drang, mit den Fäusten um sich zu schlagen und zu schreien, heisere, gellende Töne auszustoßen, die vorübergehende Erleichterung zu gewähren scheinen . . .
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In dieser Verfassung hatte sie den Morgen, fast den ganzen Tag zugebracht. Sie schob das Sterben auf, besonders weil sie sich bewacht fühlte. Die Anwesenheit der beiden Frauen, die sich verschworen hatten, nicht von der Stelle zu weichen, brachte sie außer sich. Je mehr sich ihre Gedanken klärten, desto mehr nahm die Verzweiflung an Tiefe zu, bohrte ihr den tödlichen Stachel bis ins Mark; jede Erinnerung an ihren Jean, die sie heraufbeschwor, jeder jetzt für immer zerstörte Plan, der ihr in den Sinn kam, alles diente nur dazu, ihr den unerbittlichen Griff der Schicksalsklauen tiefer ins Fleisch zu drücken.
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Was hatte er denn diesem Gott zu leide gethan, ihr Sohn, ihr Jean, ihr prächtiger, vielgeliebter Einziger? . . . Nie, nie hatte er Glück genießen dürfen! . . . Warum hatten seine Kindheit, seine Jugend so freudlos, so hilflos verlaufen müssen? Beinah verleugnet von ihrer Sippe da unten, weil sie arm waren – dann im Stich gelassen, vergessen, selbst von dieser Magdalene, von allen! . . . Und am Schluß . . . dieser elende Tod, fern von der Mutter, auf hoher See, worein sie ihn geworfen hatten wie ein Stück Unrat . . .
Ohne Unterlaß ging ihr das Fenster durch den Sinn und die Pflastersteine, woran ihr Kopf zerschellen würde; aber jedesmal war es das nämliche Schamgefühl, das sie davon zurückhielt, und auch ein noch thörichteres, kindisches Gefühl, das sich jetzt Bahn brach. Sie besann sich auf die Anhänglichkeit, die ihr Jean für all seine kleinen Andenken aus der Provence gehegt, auf die mancherlei Dinge, die er ihrer Obhut anvertraut hatte, auch auf die gemeinsamen Besitztümer des Haushalts, ihres Haushalts zu zweien . . . es that ihr jetzt leid, einige zerstört zu haben, und in wessen Hände sollte das übrige kommen, wenn sie nicht mehr da wäre, welche Entweihung würde die geliebten Gegenstände erwarten? Das mußte überlegt, darüber mußten Beschlüsse gefaßt werden, sie mußte warten. Vielleicht daß ihr morgen eine Idee kommen würde. Beim Gedanken an diese armseligen Sachen war es ihr einen Augenblick, als ob der Bleiklotz in ihrem Gehirn sich erweichen, schmelzen wollte, als ob eine Art von Auflösung einträte . . . aber nein, ihre Augen blieben heiß und vertrocknet, ihre Brust unbeweglich; ihr Schmerz war noch nicht reif für die Thränen . . .
Mit einemmal überkam sie das Verlangen, alle Bildnisse ihres Sohnes wiederzusehen, all die Photographien aus verschiedenen Lebensaltern, die sie gesammelt aufbewahrte. Seit zwei Monaten hatte sie die Bilder fast nie mehr vor Augen gehabt, weil sie nur in Erwartung lebte – in Erwartung eines Jeans, der zweifelsohne kaum einem davon mehr gleichen würde, eines Vierundzwanzigjährigen, eines vollkommen erwachsenen, vollkommenen, schönen Mannes. Sie lief eilends an ihren Schreibtisch, um sie zu holen, wobei sie den übrigen Inhalt des Schiebfaches unordentlich durcheinander warf. Es war besonders eines darunter, woran ihr Herz hing, die erste Photographie in Matrosenuniform mit dem hübschen Kinderlächeln: in diesem Bild war für eine gewisse Zeit festgehalten worden, was sichtbar werden und doch nie erklärt werden kann, was immer geheimnisvoll bleibt! ein Teil der Seele im Ausdruck; ein letzter Widerschein seiner Seele, die für immer in der großen Finsternis verschwunden war, haftete noch auf der armseligen kleinen Karte, die jetzt von Mutteraugen verschlungen wurde. Und als sie mit wahrer Gier nach Schmerzempfindung nahe darauf hinsah, entdeckte sie, daß sie nicht nur vergilbt war, sondern daß die Photographie selbst von weißen Flecken durchsetzt war, die von der feuchten Luft in Brest herrührten . . . also das war auch vergänglich, das verließ sie auch, war nicht festzuhalten, schwand dahin wie alles . . . alles . . .
Ach! Und der kleine Hut! Sie mußte ihn sofort ansehen, berühren, es war wie Wahnsinn . . . Ans Fenster tretend, weil es dort am hellsten war, riß sie mit fieberhafter Hast die alte grüne Pappschachtel auf, entfaltete den Schleier, der ihre Reliquie verhüllte – und da lag er vor ihr im kühlen, blassen Frühlingslicht des Nordens, der kleine, altmodische Filzhut, der so viel Freude bereitet hatte da unten in der heißen Provence an einem leuchtenden Osterfest, das jetzt weit, weit dahinten lag, hinter einem Berg freudloser, toter Jahre. Er hatte für ihren Jean die glücklichste Zeit seines Lebens, die Zeit der Verhätschelung und des Sonnenscheins verkörpert, er hatte ihm all seine schönen Sonntagskleider von ehedem zurückgerufen, alles Wohlleben der Familie in der Provence, in Wahrheit ein sehr bescheidenes Wohlleben, das aber dem armen Kind, dem armen Matrosen späterhin in leuchtender Erinnerung geblieben war, und das er gern mit einiger Übertreibung beschrieb. Und der hübsche Lockenkopf, der dies Hütchen mit seinem Sammetband einst so keck getragen hatte, und der so rasch jünglinghaft und männlich geworden war, er hatte nur gerade die Zeit gehabt, den wonnigen Rausch der Liebe, den mächtigen Gedanken der Fortpflanzung vor sich auftauchen zu sehen, zu ahnen, um in den unbekannten Tiefen der undurchdringlichen Wasser zu verschwinden, dahingetrieben zu werden als ein namenloses Nichts, gleichgültig und wertlos für das große All, wertloser als der geringste Kiesel am Strand . . .
Sie drehte ihn hin und her in ihren zitternden Händen, diesen kleinen Hut. Noch nie hatte er ihr einen so kläglichen, altmodischen Eindruck gemacht, noch nie so ganz den Charakter einer Reliquie vom toten Kind gezeigt. Sie entdeckte sogar ein Mottenloch in dem Sammetband, und da und dort erschienen weißliche feuchte Flecken . . . der Anfang jener Arbeit der Allerwinzigsten, die am letzten Ende die triumphierenden Sieger über alles und alle werden, die ihr Zerstörungswerk an uns mit den armseligen Gegenständen beginnen, die wir kindisch genug aufbewahren . . .
Was sollte sie jetzt beginnen mit dem Hütchen, das Jean sorgfältig aufzuheben befohlen hatte? Sich sagen müssen, daß nach ihr niemand mehr da sein würde, niemand auf der weiten Welt, der ihren Jean auch nur ein klein wenig lieb gehabt hatte, niemand, dem sie dieses Andenken an ihn hinterlassen könnte! Was damit beginnen? Es mit eigener Hand auf der Stelle vernichten, ins Feuer werfen? Nein, dazu würde sie nie den Mut finden! Aber was damit machen, mein Gott! Der kleine Filzhut mit dem Sammetband stellte für ihren armen verwirrten Kopf eine große Schwierigkeit, eine neue ernste Verwickelung dar. Er bildete ein Hindernis für die Selbstvernichtung – und gleichwohl, wenn sie sich auch dazu verurteilen würde, das Leben einer alten, einsamen Frau noch lange weiterzuschleppen, nur um mit kindischem Eigensinn die Nichtigkeiten, die von ihm zurückgeblieben, gegen die Zeit zu verteidigen – was nachher? Einmal mußte es ja doch ein Ende nehmen, und alles würde ohne Gnade und Barmherzigkeit von fremden Händen entweiht werden, zum Trödler, zum Lumpensammler würden sie wandern, diese heißgeliebten Kleidungsstücke . . .
Ach! Das Hütchen, das geliebte Hütchen von jenem sonnigen Osterfest im Sack eines Lumpensammlers, auf dem Müllkarren. Bei dieser Vorstellung war's, als ob Leib und Seele sich empörten, und dieses Mal löste sich der beklemmende, bleierne Druck in ihrem Kopf, in ihrem Herzen, überall, jetzt zerschmolz er wirklich. Erst wurde ihr Rücken von unregelmäßigen Zuckungen erschüttert, dann wurde der Atem rascher, er kam und ging stoßweise, und endlich ließ sie sich auf einen Stuhl fallen, um, den Kopf auf einen davor stehenden Tisch gelegt, in Schluchzen auszubrechen, die ersten heißen Thränen zu weinen, die Thränen der Mutter, die kein Kind mehr hat . . .
Es war ein rein körperlicher Vorgang, eine Rückkehr des Gleichgewichts, eine jener als »Rührung« bezeichneten Gegenwirkungen, womit die Natur sich hilft, und die größtenteils durch unwesentliche Kleinigkeiten, Einzelheiten, Nichtigkeiten hervorgerufen werden und dennoch den Verzweifelten vorübergehend wohlthun, indem sie die Art des Leidens verändern.
Seelische Erleichterung und Beschwichtigung hatte sie allem Anschein nach nicht, niemals zu erwarten. In seelischer Hinsicht glich sie einer jener Märtyrerinnen, die an ein Kreuz oder eine Planke geschmiedet den Tod erwarten müssen und nicht einmal Ruhepunkte im Leiden finden können, bis die Stunde kommt, wo der Todeskampf einsetzt.
Das Leben war vor ihr verschlossen worden, schwere Erzthüren, durch die kein Ton drang, an denen kein Rütteln möglich war, hatten sich hinter ihr zugethan, wie die Pforten der Hölle hinter einem Verdammten. Einsam und verlassen, eine alte Frau ohne Sohn, ohne Hoffnung, ohne Glauben, eine Elende, die man in Bälde ertrunken aus dem Wasser ziehen oder blutend vom Straßenpflaster aufheben würde . . .