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Durch das Indische Meer zog die »Circe« raschen Flugs auf sanft wiegender Welle; wie weiße Möwenflügel blinkten die Segel in dem grellen Sonnenlicht zwischen zwei blauen Unendlichkeiten, und wie eine Schleppe folgte ihr der weiße, im Sonnenschein funkelnde, rauschende Gischt. Man hatte Port-Said schon seit mehreren Tagen hinter sich, Aden desgleichen, und noch war der Brief an Magdalene nicht geschrieben. Wenn Jean sich aus eigener Selbsterkenntnis mitunter sagte, es werde mit diesem Mädchen vielleicht dasselbe Ende nehmen wie mit der andern, der lachlustigen, unbefangenen Amerikanerin, so empfand er ein heftiges Mißbehagen und große Unzufriedenheit mit sich selbst, besonders wenn er sich zurückrief, wie vertrauensvoll und zuversichtlich und wie arm sie war. Wenn er sich wiederholte, wie rührend sie ihm ihre Armut eingestanden hatte, wenn ihm auch nur zufällig gewisse Einzelheiten ihres Anzugs einfielen, das bescheidene Kleidchen, das so ängstlich vor dem Regen behütet wurde, die abgetragenen, pünktlich geflickten kleinen Handschuhe, so strömte sein Herz über von jenem unsäglich liebevollen Mitleid, das zu den Offenbarungen großer, reiner Liebe zählt, und er schwur sich, ihr gleich nach seiner Ankunft da unten zu schreiben . . . Da er aber keineswegs entschlossen war, sie zu heiraten, war dieser Brief wirklich eine heikle Aufgabe!
Er hatte auch Stunden völligen Vergessens, dank der harmlosen Lustigkeit seiner Kameraden oder dem Einfluß der berauschenden und einlullenden endlosen Oede der Umgebung . . .
Die »Circe« sollte ihn samt der übrigen auf die »Gyptis« kommandierten Mannschaft im Vorüberfahren an der Mündung des Roten Flusses, des Song-tai, absetzen. Die »Gyptis« war ein etwas veraltetes und etwas reisemüdes Kanonenboot, das noch die großen Segel von ehedem führte und als letzte Leistung im Leben in den chinesischen Gewässern stationierte.
Es traf sich, daß der größte Teil der Schiffsmannschaft von der »Resoluta« an Bord der »Circe« zusammengetroffen war und daß Jean durch diesen Zufall wieder mit seinen besten Freunden Le Marec und Joal zusammenkam nebst einigen andern, die er auch gern hatte; und so wurden die alten Beziehungen sofort erneuert und befestigt.
Le Marec, der mittlerweile Bootsmann geworden war, hatte sich acht oder zehn Tage vor der Abreise jäh verliebt und plötzlich geheiratet. Er sparte jetzt rasend und hatte nur noch ein Lebensziel: seinen Abschied erreichen und mit seinem Weib in der Nähe von Binic leben. Wohlgemerkt, das Häuschen mußte einen Garten haben! Sein Wesen wirkte schon gesetzt und ernsthaft; das Meer hatte sein Gesicht tief gebräunt und ihm, wenigstens für den ersten Blick, etwas Wildes verliehen, schon zeigten sich einige weiße Haare an den Schläfen; seine einunddreißig Jahre und seine ausnahmsweise Schulterbreite gaben ihm der grünen Jugend gegenüber fast etwas Väterliches.
Joal, jetzt in der Würde eines Feuerwerksmaaten, hatte sich zum Typus des Kommißsoldaten ohne weitere Ziele oder Gedanken entwickelt; seine schwache Eigenart war dem fortgesetzt wirkenden Joch der Disziplin unterlegen. Der Begriff des Lebens war für ihn in genaue Beobachtung der Dienstvorschriften zusammengeschnurrt – um diese Stunde diese oder jene Planke mit Sand fegen, um jene Stunde gewisse Beschläge oder Geschütze mit Putzpomade spiegelblank polieren, ohne je die Wichtigkeit und Zweckmäßigkeit seines Handelns in Frage zu ziehen. Daneben war er aber doch noch ein guter Kerl, zu warmer Zuneigung, Aufopferung und zu Thränen geneigt.
Die andern aus diesem Kreis waren harmlose Kinder, die gern lachten oder auch ihren Träumen nachhingen, ohne daß sie diesem schweigsamen Zeitvertreib einen Namen zu geben gewußt hätten.
Und jeden Abend um die zauberhafte Stunde, wo man auf dem Vorderdeck »Garne spinnt« und Gesänge anstimmt, bildeten sie eine festgeschlossene Gruppe, um schließlich dicht nebeneinander im bläulichen Mondlicht oder glänzenden Sterngefunkel zu schlafen.
Tausenderlei Dinge, von den Kameraden undeutlich oder doch nur gleichgültig beobachtet, hatten Jean während dieser Fahrt in den geheimnisvollsten Tiefen seiner Seele berührt – die Sandwüsten, die Fata Morgana auf dem Roten Meer und Abend für Abend die beängstigende apokalyptische Glut der blutroten Sonne des Sinai, der in der Ferne wie eine weißglühende Schlacke auf goldenem Himmelsgrund an ihnen vorübergezogen war. Wie deutlich fühlte er die Nähe des arabischen Stammlandes!
Und vor ihm immer noch die aufregende Lockung, das Rätsel des nie geschauten äußersten Ostens.