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15.

In einer der Gassen von Paimpol, die zum Hafen führen, lebt eine dicke Frau, Namens Tressoleur; sie hält eine Schenke, die bei den Isländern sehr beliebt ist. Bei Frau Tressoleur dingen die Kapitäne und Reeder ihre Mannschaften, suchen sich die Kräftigsten aus und begießen die Abmachung mit einem kräftigen Trunk.

In ihrer Jugend war sie schon, jetzt zwar immer noch zugänglich für die Galanterien der Fischer, ist sie aber nicht mehr hübsch, sondern breit geworden wie ein Mann, hat einen Schnurrbart und ein freches Mundwerk. Trotzdem sie eine echte Marketenderin ist, liegt etwas Nonnenhaftes in dem Gesicht mit der weißen Haube, sie ist ja eine Bretonin. Von den Matrosen des ganzen Landes hat sie die Namen im Kopf; sie kennt die guten so sicher wie die schlechten, und weiß ganz genau, wie viel sie verdienen und was sie wert sind.

Gaud war einmal im Januar zu ihr bestellt, um ihr ein Kleid zu machen, und arbeitete in einem Zimmer, das hinter der Gaststube lag.

Zu beiden Seiten der Hausthür stehen starke Steinpfeiler; sie liegt geschützt, da nach alter Bauart das erste Stockwerk vorgebaut ist; der Wind bläst aber so stark vom Meer herauf, daß man oft mehr in den Hausgang hinein gefegt wird, als daß man geht. Die tiefe und niedrige Gaststube ist weiß getüncht, und von Bildern in Goldrahmen geziert, die lauter Schiffe, eine Landung oder einen Schiffbruch, darstellen. In der Ecke steht auf einer Konsole unter künstlichen Blumen eine Madonna aus Steingut. Diese alten Mauern haben manch dröhnenden Matrosengesang gehört, mancherlei wilde und ausgelassene Fröhlichkeit mit angesehen; haben sie doch schon die bewegte Zeit der Corsaren mit erlebt. Die Isländer von heutzutage sind wenig verschieden von ihren Vorfahren, und an den massiven Eichentischen ist manches Menschen Glück oder Unglück zwischen Halbberauschten abgemacht worden.

Während Gaud an dem Kleid nähte, spitzte sie die Ohren, um durch die dünne Holzwand etwas über isländische Angelegenheiten zu vernehmen, worüber Frau Tressoleur mit zwei alten pensionierten Matrosen sprach, die ihr Gläschen tranken.

Sie redeten von einem schönen neuen Schiff, das im Hafen lag und eben aufgetakelt wurde; es wäre jedoch gar keine Möglichkeit, daß die »Leopoldine« bis zur Abfahrt der Isländer klar würde.

»Wenn ich aber sage, sie wird klar, so wird sie's!« entgegnete die Wirtin. »Gestern hat sie sich doch schon mit Mannschaften versorgt: alle die von der »Marie,« die auf Abbruch verkauft wird. Hier an meinem Tisch haben sie sich verpflichtet und mit meiner Feder unterschrieben, und fünf Prachtkerle, schwöre ich euch: der Laumec, Jugdal Caroff, Yvon Duff, der junge Keraez von Tréguier und der große Yann Gaos von Pors-Even, der ihrer drei wert ist.«

Die »Leopoldine!« ... der kaum vernommene Name prägte sich augenblicklich fest in Gauds Gedächtnis ein – das Schiff, welches Yann forttragen sollte! Und die »Leopoldine« beschäftigte ihre Gedanken auch wieder, als sie am Abend in Ploubazlanec mit der Näharbeit bei der Lampe saß. Personennamen haben so gut wie die der Schiffe ihre eigene Physiognomie, und der neue, ungewöhnliche Name Lepoldine verfolgte und peinigte sie, bis er zur Qual für sie ward. Sie hatte gedacht, Yann würde wieder auf der »Marie« Dienst nehmen, auf dem Schiff, das sie einmal besucht hatte und kannte, und welches die heilige Jungfrau während langer Jahre auf seinen Reisen beschützt hatte. Und nun wurde alles anders, Yann ging auf die »Leopoldine,« und das verursachte ihr Angst.

Bald aber sagte sie sich, daß sie das alles gar nichts anginge – nichts was Yanns Interessen irgendwie betraf – sie hatte kein Recht dazu. Was konnte es ihr schließlich auch ausmachen, ob er auf diesem oder jenem Schiff war, daheim oder draußen? Konnte sie noch unglücklicher sein, wenn er sich in Island befand, und warmer Sonnenschein über den Hütten lag, wo vereinsamte, sorgenvolle Frauen wohnten? Oder wenn der Herbst die Fischer unversehrt zurück führte, was ging sie das an, für die es weder Freude noch Hoffnung gab? Da er sogar den armen kleinen Sylvester vergessen hatte, gab es ja kein einziges Band mehr zwischen ihnen. Sie mußte begreifen lernen, daß der einzige Wunsch und Traum ihres Lebens zu Ende sei, mußte sich losreißen von diesem Yann, von allem, was mit ihm zusammenhing, selbst das Wort »Island,« das einen so schmerzlichen Reiz für sie hatte, mußte sie zu vergessen suchen, jeden Gedanken an ihn aus ihrem Kopf hinausfegen, es war ja aus, aus auf immer.

Mitleidsvoll betrachtete sie die arme alte Frau, die wieder eingeschlafen war. Die Großmutter brauchte sie ja, einmal aber würde sie doch sterben, und wozu sollte sie dann noch leben und sich plagen?

Draußen hatte sich ein Westwind aufgemacht, und bald begann wieder die monotone Musik von der Dachtraufe. Gauds Thränen begannen zu fließen, bittere Thränen einer verlassenen Waise; salzig netzten sie ihre Lippen und tropften auf die Näharbeit. Ihr schwindelte vor dem Blick ins Leere, das ihr Leben war, und da sie vor Weinen doch nichts mehr sehen konnte, legte sie die weite Taille der Frau Tressoleur zusammen und ging schlafen.

Sie fror aber in dem schönen Fräuleinsbett – alles in der Hütte wurde ja mit jedem Tag kälter und feuchter – der junge Körper wurde aber doch endlich warm und sie weinte sich in Schlaf.


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