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An einem schönen Sonntagabend im Juni waren zwei Frauen in Paimpol damit beschäftigt, einen Brief zu schreiben.
Der Tisch, worauf geschrieben wurde, stand vor einem großen offenen Fenster mit breitem Sims von Sandstein, auf welchem eine Reihe von Blumenstöcken prangte.
Wie sie so über den Tisch gebeugt da saßen, schienen sie alle beide jung zu sein; die eine trug eine ungeheuer große weiße Haube von sehr altmodischem Schnitt, die andere das kleine Häubchen, wie es die Frauen von Paimpol jetzt tragen; man hätte glauben mögen es seien zwei Verliebte, die einen recht zärtlichen Brief an einen schönen Isländer zusammen verfaßten.
Die mit der großen Haube diktierte; als sie jetzt den Kopf hob, um sich auf ein Wort zu besinnen, sah man, daß sie alt war, sehr alt sogar, obwohl die Gestalt in dem braunen Shawltuch gar nicht wie die einer alten Frau aussah. Ihren siebzig Jahren zum Trotz war sie noch hübsch, mit jenen frischen roten Bäckchen, wie sie sich manche Greisinnen zu erhalten wissen. Die Haube lag auf Stirne und Kopf flach auf, und trug zwei oder drei große Tuten aus Musselin, die tief in den Nacken hinab fielen. Die weiße Umrahmung paßte gut zu dem ehrwürdigen Gesicht, aus dessen sanften Augen Rechtschaffenheit sprach. Sie hatte keinen einzigen Zahn mehr, und wenn sie lachte, sah man den Bogen des Zahnfleisches. Ungeachtet des spitzen Kinns hatte das Profil durch die Jahre nicht allzu sehr gelitten; man konnte noch erkennen, daß es einst sehr regelmäßig, schön und rein gewesen sein mußte, wie ein Heiligenbild.
Die Alte sah jetzt durchs Fenster und dachte nach, was Lustiges sie etwa noch ihrem Enkelsohn geschwind erzählen könnte. In der ganzen Gegend verstand ja niemand so drollig zu erzählen wie sie! In dem Brief standen bereits drei oder vier unbezahlbare Geschichten, die jedoch frei von aller Bosheit waren, denn in ihrem Herzen wohnte keine schlechte Regung. Während sie nachdachte, hatte die Jüngere den Briefumschlag sorgfältig adressiert:
Herrn Sylvester Moan, an Bord der »Marie,« Kapitän Guermeur, im Isländischen Meer, über Reikyawick. »Sind wir fertig, Großmutter Moan?« fragte sie.
Die Briefschreiberin war etwa zwanzigjährig und starkblond, eine Farbe, die bei den dunkelhaarigen Bewohnern der Bretagne selten ist; die hellgrauen Augen waren mit fast schwarzen Wimpern besäumt, die Brauen aber blond wie das Haar, nur zeigten sie nach der Mitte zu einen dunkleren ins rötliche gehenden Strich, was dem Gesicht einen Ausdruck von Kraft und Willensstärke verlieh. Das etwas kurze Profil hatte immerhin einen sehr edlen Schnitt, die Nase setzte die Stirnlinie in vollkommener Regelmäßigkeit fort, genau wie bei den griechischen Gesichtern. Ein tiefes Grübchen unter der Unterlippe ließ diese besonders reizvoll erscheinen; war sie mit etwas beschäftigt, so pflegte sie die Zähne fest auf die Lippe zu setzen, was zur Folge hatte, daß man auf der feinen Haut die kleinen Blutwellen stärker hingehen sah. In der ganzen zierlichen Erscheinung lag etwas Stolzes und Ernstes, das sie von ihren Vorfahren geerbt haben mußte, die kühne Islandfahrer waren. Die Augen waren zwar sanft, konnten aber auch Eigensinn ausdrücken.
Die muschelförmige Haube des jungen Mädchens ging tief auf die Stirne herab und legte sich fast wie zwei Scheitel fest an das Gesicht an. Zu beiden Seiten war sie aber stark aufgerollt und ließ die dicken Zöpfe sehen, die schneckenförmig um die Ohren gelegt waren, eine Haartracht, welche die Frauen von Paimpol von alten Zeiten her behalten haben und die ihnen ein merkwürdig altväterisches Aussehen giebt.
Man merkte, daß das junge Mädchen anders erzogen war als die arme Alte, die sie Großmutter nannte; in Wirklichkeit war sie nur eine entfernte Großtante, die viel Unglück erlebt hatte. Ihre junge Verwandte war die Tochter des Herrn Mével, der in seiner Jugend auch zu den Islandfischern gehörte; er hatte aber auch ein wenig Seeräuberei getrieben und war durch kühne Unternehmungen aus dem Meer reich geworden. Also konnte er auch etwas an seine Tochter wenden; das schöne Zimmer, in welchem der Brief geschrieben wurde, war das ihrige; eine helle Tapete verdeckte die Unregelmäßigkeiten der dicken Steinmauer, und die schweren Deckenbalken, die das Alter des Hauses verrieten, waren weiß übertüncht. Das Prachtstück des Zimmers, das bürgerlichen Wohlstand zeigte, war ein ganz neumodisches Bett mit spitzenbesetztem Musselinvorhängen, wie es die Stadtleute haben. Die Fenster gingen auf den großen Platz hinaus, wo die Märkte abgehalten wurden und von welchem aus die Bittgänge stattfanden.
»Sind wir fertig, Großmutter Yvonne? habt Ihr ihm nichts weiter zu sagen?«
»Nein, meine Tochter; sei nur so gut und schreibe noch einen Gruß an den jungen Gaos.«
Der junge Gaos – – Yann Gaos – das schöne stolze Mädchen da war sehr rot geworden, während sie den Namen schrieb. Sobald sie aber den Gruß in geläufiger Schrift noch auf den Rand des Bogens geschrieben hatte, erhob sie sich und blickte zum Fenster hinaus, als wäre draußen auf dem Platz etwas sehr Interessantes zu sehen.
Gaud Mével war ziemlich groß, ihre wohlgeformte Figur glich der einer Dame die ein gut sitzendes Korsett trägt, und ungeachtet der Haube sah sie wie ein Fräulein aus; ihre Hände waren zwar nicht so klein und blutleer, wie es bei Damen für schön gilt, aber sie waren fein und weiß, denn sie hatte niemals grobe Arbeit gethan. Als Kind war Gaud aber oft barfuß im Wasser herumgepatscht, denn sie hatte keine Mutter und war sich fast ganz selbst überlassen, ohne Aufsicht und Pflege, während der langen Monate, wo ihr Vater alljährlich zur See war; hübsch, rosig und zerzaust, eigenwillig und dickköpfig, war sie bei der kräftigenden Seeluft gesund aufgewachsen. In den Monaten ihrer Einsamkeit hatte sie dann die arme Großmutter Moan bei sich aufgenommen und ihr den kleinen Sylvester zu hüten gegeben, während sie bei den Leuten auf Tagelohn arbeitete.
Obwohl Gaud kaum anderthalb Jahre älter war als der Kleine, so liebte und hütete sie ihn doch wie ein rechtes Mütterchen. Sie war ebenso blond wie der Knabe braun, ebenso eigensinnig und launisch, wie er liebevoll und sanft war.
Sie erinnerte sich dieser Zeit ungebundener Freiheit wie eines halbvergessenen Traumes, wie einer unklaren, geheimnisvollen Zeit, wo die Bucht noch ausgedehnter und die Klippen sicher noch gewaltiger gewesen waren ...
Gaud war kaum sechs Jahre alt, als ihr Vater zu Geld kam. Er hatte sich darauf verlegt, ganze Schiffsladungen aufzukaufen und wieder zu verkaufen, und da sich das als lohnend erwies, brachte er sein Kind nach Saint-Brieue, später sogar nach Paris. Aus der kleinen Gaud ward ein großes Mädchen von gesetztem Wesen und mit ernstem Blick, das Fräulein Marguerite genannt wurde. Wenn auch anders als am heimatlichen Strand, so war sie auch hier gewissermaßen sich selbst überlassen und behielt ihren ungebrochenen Eigensinn. Wohl hatte sie zufällig dies und das davon gehört, wie es im Leben zugeht, eine angeborene Würde ihres Wesens leitete sie aber richtig. Es fiel ihr zuweilen ein, etwas keck aufzutreten und den Leuten allzu freie Dinge ins Gesicht zu sagen, auch senkte sie ihre schönen Augen nicht immer vor dem Blick junger Männer; diese Augen schauten aber so ehrenhaft in die Welt, daß die jungen Leute sich nicht darüber täuschen konnten, wie gleichgültig sie ihr waren, und daß sie es mit einem verständigen Mädchen zu thun hatten, dessen Herz ebenso unberührt und frisch war, wie ihre Wangen.
Gauds äußere Erscheinung hatte sich in der Stadt vielmehr verändert, als ihr Inneres. Ihre Haube hatte sie zwar behalten, denn von dieser trennt sich eine Bretonin schwer, sie hatte aber gelernt sich anders zu kleiden, und ihr kräftiger Körper hatte sich durch das Korsetttragen allmählich sehr schön geformt.
Alljährlich im Sommer brachte sie ihr Vater für ein paar Tage in die alte Heimat; da frischte sie die Erinnerungen ihrer Kindheit auf, und wurde von allen Leuten Gaud genannt. Sie hatte die tapferen Männer gern einmal gesehen, von denen so viel die Rede war, die waren aber im Sommer stets im hohen Norden, und Gaud hörte so viel vom fernen Island reden, daß es ihr endlich wie ein schrecklicher Schlund erschien, der Jahr für Jahr so viele verschlingt.
Eines schönen Tages kam es ihrem Vater in den Sinn, wieder ein seßhaftes Leben führen und seine Tage in der Heimat beschließen zu wollen; da nahm er seine Tochter aus der Pension in Paris weg und führte sie nach Paimpol in das massive Haus am Marktplatz.
Der Brief an Sylvester Moan war fertig, der Großmutter vorgelesen und der Umschlag zugeklebt. Die alte Frau bedankte sich vielmals und machte sich auf den Heimweg; sie wohnte ziemlich entfernt in einem Weiler, der zum Bezirk von Ploubazlanec gehört, und zwar in derselben Hütte, wo sie geboren war, so gut wie ihre Kinder und Enkel.
Als sie jetzt durch das Städtchen schritt, wurde ihr mancher respektvolle Gruß zu teil, entstammte sie doch einem tapferen und hochgeachteten Fischergeschlecht. Nur einer so großen Sorgfalt und Sauberkeit wie der ihrigen, war es möglich, beinahe gut gekleidet auszusehen, obwohl ihre armen alten Sachen gar nicht mehr zusammenhalten wollten. Das Tuch, das sie um die Schultern trug, war einst ihr Hochzeitsshawl und von blauer Farbe gewesen; zur Hochzeit ihres Sohnes Pierre war er braun gefärbt worden, und seit Jahrzehnten so geschont und nur am Sonntag getragen, daß er immer noch anständig aussah. Auch ging sie nicht gebückt, wie die meisten ihres Alters, sondern hatte sich ihre aufrechte Haltung bewahrt, und trotz des ein wenig zu spitzen Kinns mußte man sie noch hübsch nennen, denn das Profil war entschieden fein und lebhaft blickten die guten Augen aus dem freundlichen Gesicht.
In wie großer Achtung sie stand, das konnte man dem Gruß der ihr Begegnenden entnehmen, und es gab in der That nur einen, der ihr nicht wohl wollte: einen verschmähten Freier aus ihrer Jugend. Er war Tischler seines Zeichens, jetzt ein Achtziger und saß immer vor der Hausthür, während seine Söhne in der Werkstatt schafften. Es hieß, daß er sich nie darüber hätte trösten können, daß ihn die Jugendgeliebte auch nicht in zweiter Ehe hatte nehmen wollen; mit zunehmendem Alter aber hatte sich die Liebe in eine komische Art von Groll und Rachsucht verwandelt, und wenn sie des Weges kam, ließ er sie nie ungerupft vorüber.
»Guten Tag, schöne Frau Nachbarin!« rief er. »Nun, wann muß ich bei Euch Maß nehmen?«
Sie antwortete, daß es wohl noch ein wenig zu früh dazu sei; heut' wolle sie es noch nicht bestellen. Der Alte meinte mit seinem derben Spaß: das Maß zum Sarg nehmen, die letzte irdische Behausung, die der Mensch braucht.
»Wie Ihr wollt,« gab er zurück, »aber Ihr braucht Euch nicht zu genieren, laßt mir's nur sagen, wenn Ihr so weit seid.«
Diesen Scherz hatte die arme alte Frau schon mehrmals anhören müssen, heute aber mußte sie sich zu einem Lächeln darüber recht zwingen. War es, weil sie sich müde und zerschlagen von der Arbeit fühlte, die für ihr Alter viel zu schwer war, oder weil sie an Sylvester dachte? Er war ihr einziger, der letzte ihrer Enkel, der seine Dienstzeit antreten mußte, wenn er von Island kam. Fünf Jahre ... kann es nicht sein, daß er am Ende gar nach China geschickt wird, wo jetzt Krieg ist? und wird sie noch am Leben sein, wenn er wieder heim kommt? Eine große Angst überfiel sie bei dem Gedanken. Nein, sie war entschieden nicht mehr so frohsinnig als es den Anschein hatte, und jetzt arbeitete es in ihren Zügen so heftig, als wollte sie weinen.
Es war gewiß, daß sie ihren lieben Sylvester bald hergeben mußte, ihren letzten Enkelsohn! und vielleicht mußte sie einsam sterben, ohne ihn wieder gesehen zu haben. Einige angesehene Leute in Paimpol hatten zwar Schritte gethan, um Sylvester vom Militärdienst frei zu bekommen, als den einzigen Ernährer einer Großmutter, deren Arbeitskraft dem Ende zuging; das Gesuch war aber wegen Sylvesters älterem Bruder Jean abgeschlagen worden. Dieser war desertiert und man sprach in der Familie nicht mehr von ihm; er lebte irgendwo in Amerika, und seine That hatte für den jüngeren Bruder die Wohlthat der Befreiung von seiner Dienstzeit verwirkt. Auch mit der Bitte um die kleine Pension einer Seemannswitwe war sie abgewiesen worden – man fand sie noch nicht arm genug dazu. Am Abend sagte sie für ihre verstorbenen Söhne und Enkel lange Gebete her, für ihren geliebten Sylvester betete sie aber besonders inbrünstig. Sie versuchte einzuschlafen, mußte aber an das enge Bretterhaus denken, das ihr ja einmal angemessen werden mußte, und das Herz schnürte sich ihr zusammen.
Gaud Mével war an ihrem Fenster sitzen geblieben; sie beobachtete die gelblichen Reflexe, welche die Abendsonne auf den Steinsims warf, und sah den Schwalben zu, die hoch in der Luft hin und her schossen. Paimpol war selbst am Sonntag wie ausgestorben, und nur hie und da gingen ein paar junge Mädchen zu zweien oder dreien, und träumten von den jungen Burschen, die sich auf dem Meer von Island befanden.
... »Meinen Gruß an den jungen Gaos.« Gaud war rot geworden, als sie den Namen schrieb, und jetzt wollte er ihr nicht wieder aus dem Kopf.
Sie brachte manchen Abend an diesem Fenster sitzend zu. Ihr Vater hatte es nicht gern, wenn sie mit den Mädchen ihres Alters spazieren ging, die einst ihresgleichen waren; kam er aber aus dem Kaffeehaus und hatte seine Pfeife mit alten Kameraden ausgeraucht, so liebte er es, in dem steinumrahmten Fenster, hinter Blumentöpfen, seine Tochter sitzen zu sehen wie ein Fräulein.
... Der junge Gaos ... Gaud wandte den Kopf nach dem Meere zu, das man zwar nicht sah, aber ganz in der Nähe brausen hörte, am Ende der engen Gäßchen, von denen die Schiffer zum Marktplatz herauf zu kommen hatten. Und ihre Gedanken wanderten auf die unendliche See hinaus, die ewig neu bezaubert, so gut wie Opfer fordert; ihre Gedanken gingen bis in die Meere von Island und suchten einen Ruhepunkt auf der »Marie,« Kapitän Guermeur.
Ein sonderbarer Mensch, dieser junge Gaos – für den Augenblick unerreichbar, fliehend wie ein Schatten, nachdem er sich ihr auf so gewagte und zugleich liebenswürdige Art genähert hatte.
Gaud ließ die Erinnerung an ihre Rückkehr in die Heimat an ihrem Geist vorüberziehen; diese Erinnerung war noch frisch, denn erst im verflossenen Dezember war es gewesen, daß sie mit ihrem Vater in die Bretagne zurückkehrte.
Nachdem sie die Nacht hindurch gereist waren, verließen sie die Eisenbahn in Guingamp. Der Tag begann eben erst zu grauen, als sie frierend und steif die Station verließen und der kleinen alten Stadt zuschritten. Gaud war noch nie, seitdem sie erwachsen, zur Winterzeit hier gewesen, und wie sie jetzt neben ihrem Vater durch die noch halbdunklen Straßen ging, überkam sie ein Gefühl, als tauche sie tief in eine fern vergangene Zeit. Diese Stille hier im Vergleich zu Paris! Die wenigen Leute, die sie zu Gesicht bekam, schienen ihr einer anderen Welt anzugehören, einer engen, kleinbürgerlichen Welt. Da und dort öffnete eine Frühaufsteherin die Hausthür, was Gaud gestattete, einen Blick in das Innere der altersgrauen Häuser zu werfen, an deren riesigen Kamin stets schon eine Großmutter in großer weißer Haube saß. Sobald es ein wenig heller ward, begaben sich Vater und Tochter in die Kirche, um eine stille Andacht zu verrichten. Welcher Unterschied zwischen einer Pariser Kirche und diesem geheimnisvoll düsteren Kirchenschiff mit den rohen Sandsteinpfeilern, die das Alter stellenweise zernagt hatte: und welche Kellerluft herrschte hier! Modergeruch, wie in einem Grabgewölbe. Hinter Säulen in einer tiefen Nische brannte eine Kerze; eine Frau kniete davor – sicher um ein Gelübde zu thun, und der Schein dieses flackernden Lichtleins verlor sich im Dunkel der Gewölbe. Gaud erinnerte sich des Schauers, den sie jedesmal gefühlt, wenn sie als Kind in Paimpol an einem Wintermorgen in die Frühmesse geführt worden war.
Nach Paris sehnte sie sich nicht zurück, obgleich es dort schön und unterhaltsam war. Zuerst hatte sie sich beengt gefühlt, floß doch in ihren Adern das Blut der Seeleute, die in ungemessener Weite leben. Auch fühlte sie sich nicht recht an ihrem Platz; die modisch gekleideten Damen sahen ganz anders aus, hatten eine so besondere Art zu gehen und sich zu bewegen, welche nachzuahmen Gaud zu vernünftig war, da es zu ihrer bretonischen Haube schlecht gepaßt hätte. Es war ihr unbehaglich, wenn die Leute sie anstarrten oder ihr nachsahen, freilich wußte sie nicht, wie lieblich anzuschauen sie war!
Mit vornehmen Damen, deren Wesen sie anzog, hatte sie nicht Gelegenheit bekannt zu werden, und von unter ihr Stehenden hielt sie sich fern, da sie ihr nicht des Umgangs würdig schienen. So stand sie innerlich allein und blieb ohne Freundinnen.
Der feuchtkalte Wintermorgen in Guingamp brachte es ihr zu Bewußtsein daß sie in ein rauhes Land zurückkehrte, und sie fühlte sich fast bedrückt. Den ganzen Nachmittag dieses trüben Tages brachte sie mit ihrem Vater in einem alten klapperigen Wägelchen zu, das keinen Schutz gegen den Wind bot. Es ging durch armselige Dörfer, und die gespenstisch aussehenden Bäume troffen vom Niederschlag eines starken Nebels. Die Wagenlaternen mußten zeitig angezündet werden, und bald sah man nichts mehr, als das Licht dieser Laternen, deren Schein wie zwei Streifen bengalischen Feuers am Weg hin und den Pferden voraus zu laufen schienen und die Hecken am Wegrand beleuchteten. Woher kam aber das Grün im Dezember? ... Gaud beugte sich vor, um besser sehen zu können, da verstand sie auf einmal die Ursache dieser Erscheinung: der Ginster war es, der ihr so wohlbekannte Seeginster, der in der Gegend von Paimpol auch im Winter nicht gelb wird. Zugleich fühlte sie, daß eine wärmere Brise wehte, und schon meinte sie den Geruch des Meerwassers Wahrzunehmen.
Das reisemüde Mädchen war dadurch ganz munter geworden.
»Da es Winter ist, werde ich endlich einmal die schönen Islandfischer zu sehen bekommen,« dachte sie.
Allerdings waren sie da, die Väter und Brüder alle, Vettern, Liebhaber und Bräutigams, von denen sie so viel hatte reden hören, so oft sie im Sommer daheim gewesen war. Und dieser Gedanke beschäftigte sie unter den Stößen des Wagens, während ihre Füße erstarrten.
Gaud hatte die Islandfischer damals in der That gesehen – und jetzt hatte sie an einen derselben ihr Herz verloren!