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Der Monat November war seinem Ende nahe, und André war mit seinen beiden Freundinnen zum letztenmal beisammen in dem ärmlichen Harem des kleinen, alten Hauses in der Sackgasse zu Sultan-Selim, im Herzen von Stambul.
Die bleiche Zeyneb mit entschleiertem Gesicht, Djenane hingegen in ihrer schwarzen Verhüllung, unterhielten sich mit ihrem Freunde ebenso ruhig, wie bei ihren früheren gewöhnlichen Zusammenkünften. Man hätte glauben sollen, daß der heutigen noch viele andere folgen würden, daß der 30. November, der allem ein Ende machen sollte, nicht so nahe sei, oder vielleicht niemals eintreffen werde! ... Wirklich, nichts deutete darauf hin, daß nach dem heutigen Tage sie nimmermehr auf Erden ihre Stimmen hören würden.
Zeyneb sprach ohne jede Erregung von den Mitteln, die anzuwenden wären, um sich gegenseitig schreiben zu können, wenn André wieder in Frankreich sein würde.
»Das Poste restante-Bureau wird jetzt zu streng überwacht; unsere Korrespondenz wird aber sehr sicher auf dem Wege befördert werden, den ich entdeckt habe; nur dürfen Sie sich nicht wundern, wenn Sie zuweilen zwei Wochen auf unsere Antwort werden warten müssen.«
Djenane setzte mit kaltem Blut ihre Pläne auseinander, um André mindestens noch einmal, am Abend seiner Abreise, sehen zu können.
»Am 30. November, um 4 Uhr nachmittags, zu welcher Stunde die Paketboote abfahren, werden Zeyneb und ich dicht am Kai vorüberfahren, und zwar absichtlich in einem ganz gewöhnlichen Mietswagen. Wir werden so dicht wie möglich am Rande vorbeikommen; beobachten Sie von Ihrem Platz auf dem Deck des Schiffes genau alle Fiaker am Kai, damit wir uns nicht verfehlen. Da die türkischen Frauen nicht das Recht haben, anzuhalten, so wird unser Gruß kaum eine Sekunde dauern.«
André, der darauf vorbereitet gewesen, seine Freundinnen bei dieser letzten Zusammenkunft schmerzlich erregt zu finden, erstaunte sehr über ihre Gelassenheit. Auch hatte er darauf gerechnet, an diesem letzten Tage noch einmal Djenanes Augen zu sehen; aber die Minuten gingen vorüber, ohne daß sich irgend etwas an der tiefen Verschleierung ihres Gesichtes regte.
Gegen halb vier Uhr, als eben ein Gespräch über das »Buch« begonnen hatte, entstand im Gemach plötzlich eine auffallende Verdunkelung, so daß alle drei betroffen schwiegen. Dann aber zeigte Zeyneb nach dem vergitterten Fenster, das bis jetzt durch den darauf gefallenen Widerschein eines von der Sonne beschienenen Fensters im gegenüberliegenden Hause beleuchtet worden war. Die Sonne war jetzt im Niedergang, und dieser Zeitpunkt war gleich anfangs zur Beendigung dieser Zusammenkunft bestimmt gewesen.
André erhob sich; es galt, Abschied zu nehmen. Und als sie sich jetzt so gegenüberstanden, dachte sich André: »Dies wäre der einzige Augenblick gewesen, ihr noch einmal in die Augen sehen zu dürfen, bevor wir für immer voneinander scheiden.« Daß Djenane dazu auch jetzt keine Miene machte, verstimmte ihn, aber er sagte kein Wort darüber; er begnügte sich damit, ihre ihm dargereichte kleine Hand respektvoll zu küssen, sich dann tief zu verbeugen und zu gehen. – Das war der ganze Abschied. – –
Als er einsam durch die Straßen wandelte, sagte er im Selbstgespräch:
»Das endete eigentlich recht gut, ... es konnte gar nicht anders enden!! ... Und ich hatte mir in meiner Eitelkeit eingebildet, der Schluß müsse dramatisch sein!«
Aber plötzlich kam er in Versuchung, umzukehren, den Klopfer an der Haustür in Bewegung zu sehen und nochmals einzutreten, da die beiden noch im Hause sein mußten. Zu Djenane würde er sagen: »Lassen Sie uns nicht in solcher Weise voneinander scheiden, liebe Freundin, bereiten Sie mir nicht diesen Schmerz! ... Lassen Sie mich noch einmal wenigstens Ihre schönen Augen sehen und erwidern Sie meinen Händedruck ein wenig fester als vorhin. Dann werde ich mich weniger betrübt entfernen! ...«
Er kehrte jedoch nicht mehr um, sondern setzte seinen Weg fort ... in tiefem Nachsinnen befangen. Und als er hernach zum Abendhimmel aufblickte, glaubte er in den leichten Wölkchen zwei weibliche Lichtgestalten schweben zu sehen, die sich zuweilen zu einer einzigen verschmolzen. War das die Seele Nedjibes? oder die Djenanes? ... oder waren es die Seelen beider? ... Er wußte es nicht ...!