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25.

Sie begegneten sich häufig während des ganzen köstlichen Spätsommers. An den Süßwassern Asiens kreuzten sich ihre Caiques mindestens einmal in jeder Woche, aber keiner von ihnen wagte eine Bewegung zu machen; Zeyneb und Mélek, deren Gesichtszüge ein wenig zu erkennen waren, erlaubten sich kaum ein leichtes Lächeln unter ihren schwarzen Gazeschleiern.

In Stambul, bei der ehemaligen Amme, sahen sie sich auch. Sie erfanden immer neue Vorwände, um nach der Stadt zu kommen, wo sie dann ihre Sklaven unterwegs verstreuten. Allerdings erforderte jede Zusammenkunft immer neue Gewebe von List und Verwegenheit, die immer nahe daran zu sein schienen zu zerreißen und das unschuldige Abenteuer in ein Drama zu verwandeln, die aber bisher stets wunderbar gelangen. Und jeder Erfolg gab ihnen immer größere Sicherheit und ließ sie noch viel verwegenere Unternehmungen ausführen.

Die Freundinnen sagten darüber eines Tages zu André: »Wenn Sie das in Ihren Kreisen zu Konstantinopel erzählen wollten, würde es Ihnen niemand glauben!«

Bei ihren Zusammenkünften in dem kleinen alten Hause zu Stambul, wo sie wie alte Freunde miteinander plauderten, geschah es jetzt zuweilen, daß Zeyneb und Mélek ihre Schleier erhoben und das volle Oval ihrer Gesichter zeigten, das Haar allein blieb bedeckt durch einen kleinen schwarzen Schleier; beide sahen dadurch allerliebsten jungen Nonnen ähnlich. Djenane hingegen behielt wie immer ihre volle Verschleierung bei, zu Andrés Verzweiflung. Er vermied jedoch, eine Bemerkung darüber zu machen, um sie nicht zu reizen und sich dadurch jeder Hoffnung zu berauben, ihre Augen kennen zu lernen. –

Er wagte es manchmal, nach vorheriger Verabredung mit den Freundinnen, abends ihrem Gesang und Pianospiel, im Vorüberfahren mit seinem Caique, zu lauschen; doch nur für wenige Minuten, denn seine Ruderer waren Türken und trotz ihrer sonstigen Ergebenheit wohl fähig, ihn zu verraten, wenn sie Verdacht schöpften, daß zwischen ihrem augenblicklichen Brotherrn, einem Abendländer, und den Bewohnerinnen des Harems dort oben ein Einvernehmen bestehe. Deshalb erschien er an den folgenden Abenden in einer ganz gewöhnlichen Fischerbarke, wie solche zu Tausenden die Nächte hindurch auf dem Bosporus anzutreffen find. Unter dem Anscheine, seine Netze auszuwerfen, konnte er lange Zeit vor dem Hause verweilen; er hörte Zeyneb singen, von Mélek oder Djenane auf dem Piano begleitet. Er kannte ihre schöne Stimme, die sie vorzugsweise für den ernsten Gesang befähigte, wobei der Kenner aber einen leichten Bruch der Stimme bemerken konnte, der sie nur um so interessanter machte, weil dies ein Vorzeichen frühen Todes sein soll. – – – – – –

In der Mitte des September wagten sie etwas Unerhörtes; sie wollten gemeinsam einen mit rosenrotem Heidekraut bewachsenen Hügel ersteigen und in dem dahinterliegenden Wäldchen spazieren gehen. Diese Absicht ward ohne Hindernis ausgeführt, oberhalb Beicos, eines Ortes auf der asiatischen Seite gegenüber von Therapia, wohin André jeden Abend beim Niedergang der Sonne zu kommen pflegte. Unbeschreiblich ist der Reiz dieses Punktes, der späterhin einer ihrer beliebtesten Zusammenkunftsorte, und der am wenigsten gefährliche, wurde.

Von dem so übermäßig belebten Therapia gelangt man dorthin, unter dem Schatten hundertjähriger Bäume, im erquickenden Frieden der alten Zeiten.

Eine durch nichts unterbrochene weite Ebene empfängt den Wanderer; eingeschlossen ist diese Ebene von allen Seiten durch einsame, waldige Hügel, und die Türken haben, betroffen von ihrem eigenartigen Reize, die Gegend »Das Tal des Großherrn« benannt.

Man kann sich kaum denken, daß der Bosporus mit seinem durch die vielen Schiffe erzeugten Lärm so nahe ist. Die Hügel verdecken ihn; hier ist man abgeschlossen von allem, man hört keinen Lärm; nur bei anbrechendem Abend die Schalmeien der Hirten, die in den umgebenden Bergen ihre Ziegen sammeln.

Majestätische Platanen, deren mächtige Wurzeln wie Riesenschlangen aus dem Erdboden hervorragen, bilden am Eingang der Ebene eine Art von »Heiligem Hain«; weiterhin dehnen sie sich zu einer Allee aus, um die großen Rasenflächen freizulegen, auf denen sich abends die Muselmaninnen im weißen Schleier langsam ergehen.

Auch ein Bach durchrieselt das »Tal des Großherrn«: ein Bach, in dessen frischem, klarem Wasser Schildkröten leben; einige aus Balken und Brettern gebildete anspruchslose Brücken führen über den Bach hinweg. Am Rande der Ebene, unter hohen, alten Bäumen, errichten betriebsame Kaffeewirte für die Sommerzeit Laubenhütten, unter denen spazierende Männer Platz nehmen, um ihren Nargileh zu rauchen und von dort aus die verschleierten Frauen zu betrachten, die auf dem samtweichen Rasen in Gruppen hin und her wandeln. In der Abenddämmerung erinnern diese langsam schreitenden schwarzen Gestalten lebhaft an die in den elisäischen Gefilden lustwandelnden »Schatten der Seligen« des Heidentums.

André Lhéry war ein treuer Besucher des »Tales des Großherrn«; er war dort fast täglich, seitdem er in Therapia wohnte.

Zur verabredeten Stunde war er unter den Platanen angelangt, in Gesellschaft Jean Renauds, der wieder beauftragt war, den Aufpasser zu spielen, welche Rolle ihm stets viel Spaß machte. Seine türkischen Diener, deren Anwesenheit bei dieser Gelegenheit unmöglich war, hatte André auf der europäischen Seite belassen; er begnügte sich mit seinem treuen französischen Diener, der ihm seinen Fes hierhergebracht hatte.

Er sah von weitem seine drei Freundinnen in einer Talika ankommen und sodann wie ehrsame alte Spaziergängerinnen durch die Ebene schreiten. Zeyneb und Mélek trugen die leichte Yeldirme, die man auf dem Lande gestattet, und weiße Gazeschleier, durch die man die Augen sehen konnte; Djenane dagegen war immer ganz schwarz.

Als die drei einen vorher verabredeten Fußweg erreichten, der aufwärts nach dem Berge führt, holte André sie ein und stellte ihnen Jean Renaud vor, dem sie ihre Fingerspitzen zu reichen wünschten, um sich dafür zu entschuldigen, daß sie seinen Tod vorbereitet hatten. Der dadurch hochbeglückte Jean Renaud wurde sodann als »Plänkler« vorausgeschickt. André folgte mit seinen Freundinnen auf dem Fußwege zur Höhe; unter Kastanien und Eichen wanderten sie munter und heiter fort, der Boden war mit Heidekraut bewachsen, und bald schimmerte der ganze Untergrund der Waldung rosenrot. Weiterhin enthüllte sich die Fernsicht allmählich. Auf dieser Seite des Bosporus, der asiatischen Seite, sah man nur Wälder und immer wieder Wälder; soweit das Auge reichte, auf den Hügeln und den Bergen, dehnte sich jener schöne grüne Mantel aus, unter dessen Schutz noch Räuber und Bären hausen.

Sodann war es das Schwarze Meer, das sich plötzlich in unendlicher Weite zu ihren Füßen ausbreitete, von einem blasseren, mitternächtlicheren Blau als das des Marmarameeres, obgleich beide Nachbarn sind.

Das Ziel der Promenade war eine alte Moschee im Walde, eine schon halb aufgegebene Wallfahrtskapelle. In der Nähe befand sich in einem halbverfallenen Häuschen ein kleines ärmliches Kaffeehaus, das von einem weißbärtigen Männchen gehalten wurde. Die vier Besucher setzten sich vor die Tür des Häuschens, um von da die Aussicht auf die endlosen Wasserflächen zu genießen. Sie sprachen miteinander weder von dem Buch noch von anderen wichtigen Dingen. Heute war nur Zeyneb etwas ernst gestimmt, während Mélek und auch Djenane ganz entzückt waren von diesem heimlichen Spaziergange und dem Anblick der herrlichen Wälder, Berge und Meere.

Um hier mit André zusammentreffen zu können, hatten die drei Freundinnen unterwegs in den Dörfern zwei Neger und zwei Negerinnen, deren Stillschweigen sie teuer erkauft hatten, zurücklassen müssen; aber ihre Verwegenheit, die ihnen bisher immer geglückt war, beunruhigte sie schon gar nicht mehr. Und der alte Mann im weißen Bart brachte ihnen den Kaffee in steinalten, blauen Tassen, hier draußen, im Angesicht des heute ausnahmsweise nicht grollenden Schwarzen Meeres, nicht einen Augenblick im Zweifel darüber, daß er es mit einem wirklichen Bei zu tun habe, der einen Spaziergang mit den Damen seines Harems mache.

Die Luft hier oben wurde jedoch sehr frisch im Vergleich zu der vorher empfundenen Wärme unten im Tal ... und Zeyneb ward von einem Hustenanfall belästigt, den sie zu unterdrücken versuchte. An dem Blick, den die beiden anderen auswechselten, erkannte André, daß dieser Husten schon der Gegenstand einer längeren Besorgnis sei. Man wollte die Falten ihrer Kleidung über der Brust fester zusammenziehen, aber Zeyneb sagte achselzuckend und in gleichgültigem Tone:

»Laßt doch! Was kann das mir schaden?«

Diese Zeyneb war die einzige des Trios, die André erkannt zu haben glaubte: eine Enttäuschte in den beiden Bedeutungen dieses Wortes; eine durch das Leben Entmutigte, die nichts mehr wünscht, nichts mehr erwartet, ... aber mit unerschütterlicher Sanftmut gefaßt und ergeben: ein zärtliches, abgespanntes Geschöpf; genau die Seele, die ihr so regelmäßiges, reizendes Gesicht und ihre Augen, die noch in der Hoffnungslosigkeit lächelten, ahnen ließen.

Mélek dagegen, die doch ein gutes Herz zu haben schien, hörte nicht auf, sich überaus phantastisch zu benehmen; sie war heftig, und dann wieder wie ein wahres Kind, imstande, alles zu verspotten und über alles zu lachen.

Djenane aber – wie geheimnisvoll blieb sie unter ihrem ewigen schwarzen Schleier, ... so gleichzeitig unterwürfig und hochmütig, zuzeiten nicht zögernd, sich mit einer fast verblüffenden Vertraulichkeit zu äußern, dann aber sogleich wieder in ihren Elfenbeinturm zurückkehrend, um dort noch verschlossener zu bleiben als vorher.

André dachte bei sich: »Ich kann es nicht enträtseln, weder was sie von mir will, noch weshalb sie mir schon so teuer ist? Man möchte zuweilen glauben, daß zwischen uns gemeinsame Erinnerungen bestehen aus irgendwelcher Vergangenheit! Ich werde erst anfangen sie zu entziffern, an dem Tage, wo ich endlich sehen werde, was für Augen sie hat; ... aber ich fürchte, sie wird sie mir niemals zeigen!«

Man mußte frühzeitig hinuntergehen zur Ebene von Beicos, um den drei Freundinnen Zeit zu lassen, ihre zurückgelassenen Sklaven und Sklavinnen einzusammeln und dennoch vor Einbruch der Nacht zu Hause zu sein. Sie schlugen alsbald wieder die Waldwege ein; und dann wünschten sie, daß André selbst jeder von ihnen einen Zweig des roten Heidekrauts gäbe, um diesen aus kindischem Trotz heute abend in Gesellschaft der Großmutter und des alten griesgrämigen Onkels an ihren Busenschleifen zu tragen.

Bei Ankunft in der Ebene verließ André die Freundinnen aus Vorsicht, doch folgte er ihnen in reichlicher Entfernung und ließ sie nicht aus den Augen.

Die drei Verwegenen entfernten sich gemessenen Schrittes, Zeyneb und Mélek jede an einer Seite Djenanes. Er verlor sie aus dem Gesicht, als sie bei den großen Platanen am »Heiligen Hain« anlangten, der sich am andern Ende der Ebene befand.

Die Sonne verschwand hinter den Hügeln; die anderen vermummten schwarzen Gestalten, die gruppenweise hier lange im Grase gesessen hatten, standen auf und entfernten sich sehr langsam, wie es sich für Geister gebührt. Die Flöten der Hirten begannen in der Ferne ihre eigentümlichen Melodien aus alter Zeit zur Einsammlung ihrer Ziegen, und bald wurde hier alles einsam und still, am Rande der großen Waldungen, unter dem nächtlichen Sternenhimmel.

André Lhéry trennte sich schwer von dieser Stelle, um nach dem Ufer des Bosporus zurückzukehren. Seinen Ruderern, die dort schon auf ihn warteten, befahl er, sich bei der Rückkehr nicht zu beeilen; man erreichte ohne Zwischenfall die europäische Seite. In Therapia leuchteten an den großen Hotels soeben die elektrischen Lampen auf, und man stimmte für die beginnende »Soiree« die Instrumente des angeblich verstärkten, in Wirklichkeit aber jämmerlichen Orchesters.


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