Hermann Löns
Dahinten in der Heide
Hermann Löns

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Der Brachvogel

Am Altjahrsabend dröhnte die Stimme Freimuts über die Deele: »Mann«, trompetete er, »die Welt ist deines Ruhmes voll, und was das beste ist, sie schimpfen sogar schon über dich in den Zeitungen, die an pikante Gerichte, wie Rollmops mit Vanillesauce, gewöhnt sind. Mann, ich werde von jetzt ab Sie zu dir sagen und dich nur noch in der dritten Person anreden.

Haben Euer Gnaden das schon gelesen?« Er holte eine Zeitung aus der Tasche. »Und das und das und das? Lasse dich schleunigst fotografieren und schaffe dir einen Mann an oder besser deren drei, die gerade solche Haarfarbe haben wie du, und leg dir einen Schreibknecht bei, denn ich sage dir, wenn die Heide blüht, wird die Wallfahrerei zum Hilgenhofe losgehen, und dann kannst du Widmungen schreiben, dein Konterfei an flötende und hold lächelnde Mägdeleins verschenken, und deine Locken wirst du sämtlich los!

Nun ergreif dein Glas; sobald die Glocke das neue Jahr ansagt, wollen wir auf das nächste Buch trinken, von dem ich hoffe, daß darin ein gewisser Jochen Freimut eine große Rolle spielt, und auf deine liebe Frau, denn ohne die wäre aus dir nichts Vernünftiges geworden.«

Lüder lachte. »Das stimmt«, sagte er und nickte seiner Frau zu.

In diesem Winter stellte er seine große naturwissenschaftliche Arbeit fertig, in der er erzählte, wie sich im Laufe von Jahrhunderten je nach der Art der Pflanzenwelt und der Kultur die wilde Tierwelt zusammensetzte, von der Zeit an, als noch mongoloide Fischer und Jäger dort hausten, bis die blonden Weidebauern sie von dannen trieben, die Fichten und Fuhren zurückdrängten und die Eiche begünstigten, wodurch eine ganz andere Tierwelt aufkam. Dann wurde aus dem Weide- ein Ackerbauer, und wieder änderte sich die Tierwelt; die Lüneburger Saline und der schreckliche Krieg nahmen die alten Eichen fort, und abermals traten Fichten und Fuhren und mit ihnen andere Tiere vorn hin; die Vorderlader, die Eisenbahn, die Vergrößerung des Landstraßennetzes, die Ablösung der Waldhutung in den Staatsforsten, die zunehmende Entwässerung und Urbarmachung gaben der Zusammensetzung der Fauna wieder ein anderes Gesicht, und so zeigte er in seiner klaren, ruhigen Schreibart, warum Blauracke und Wiedehopf verschwinden mußten und weshalb Haubenlerche und Grauammer in die Heide einwanderten, und als das Buch erschien, fand es überall Lob.

Vielerlei Leute suchten den Hilgenbauer auf, Forscher und Künstler, aber nur wenige kamen an ihn heran. Die Bäuerin hatte helle Augen, und wenn sie erkannte, daß nur Neugier oder Geschäftemacherei einen Menschen auf den Hof trieben, dann blieb ihr Mann damit verschont, denn obzwar er jetzt wußte, daß er mehr war als nur ein Bauer, so wollte er im Grunde nichts als ein Bauer sein.

Nur in der stillen Zeit, wenn das Feld und die Wiese eingeschlafen waren, nahm er die Feder in die Hand, aber auch nur dann, wenn die viele Kraft, die in ihm war, Frucht angesetzt hatte.

Da er nicht dem Ruhme nachlief und nicht hinter dem Gelde her war, mähte er seine Gedanken nicht, bevor ihr Jakobstag da war, und trieb keinen Raubbau mit seiner Seele. So wurde jedes Buch, das er schrieb, reif und nahrhaft.

An dem Tage, als sein ältester Sohn aus der Dorfschule kam, hatte er ihn gefragt, was er werden wolle, denn der Junge hatte nebenbei bei dem Pastor Unterricht in den alten Sprachen, in Geschichte und Erdkunde bekommen. »Ich will die Lateinschule besuchen«, hatte der Junge gesagt, »bis ich damit zu Ende bin.«

Lüder dünkte das sonderbar, denn Dettmer hatte viel Freude an der Landwirtschaft, und so fragte er: »Willst du denn studieren?« Da hatte der Junge ihn groß angesehen: »Studieren? Wo ich doch Hoferbe bin! Aber ich will überall mitreden können, denn der Pastor sagt, was einer lernt, ist gleich, wenn er nur etwas lernt; wer gut Latein kann, der wird auch seinen Hof gut im Stande halten.«

Am anderen Tage fuhr der Bauer mit seiner Frau nach Hülsingen; sie aßen in demselben Kruge, wo sie an dem Tage gewesen waren, als die Schlange sie zusammengeführt hatte.

Der Heidbrink, auf dem Lüder, der Landstreicher, damals gelegen hatte, als er auf Ramaker wartete, war fast noch so wie an jenem Tage, nur daß die Heide höher war und die Zweige der Birke bis auf die Erde hingen. Der Ortolan sang nicht, denn er war noch nicht wieder da, aber auf dem Brombeerbusche unten an dem Brinke saß der Goldammer und sang sein friedliches Lied, und über dem Postbruche kreiste der Brachvogel und rief laut.

Holde ging zu dem Machangelbusche, bei dem sie Lüder zuerst gesehen hatte; sie wollte sich einen Zweig zum Andenken mitnehmen. Der Bauer sah dorthin, wo der Brachvogel sich mit abnehmendem Rufe niederließ.

Die Füße fest auf der Heimaterde, aber die Gedanken darüber; so soll es sein, dachte er. Und dann sah er dorthin, wo vor dem dunklen Busche das blonde Haar der Bäuerin in der Sonne leuchtete, und er dachte daran, was er gewesen war, ehe er sie gesehen hatte, und was er jetzt war.

Er dachte an seine Verfehlung und die Strafe, die dafür über ihn gekommen war, und daß er ohne beide sich wohl niemals auf sich selber besonnen hätte, sondern mit der Zeit abgestanden und schal geworden wäre wie so mancher treffliche Mann in dem Wirrwarr der großen Stadt.

Seine Frau kam den Hügel herauf, hing sich in seinen Arm und sagte, indem sie den Geruch des Machangelzweiges einatmete, den sie in der Hand hielt: »Man sagt, Kreuzottern seien böse Tiere; die mich damals gebissen hat, war gut; Ramaker hätte sie nicht totschlagen sollen.«

»Ja, Holde«, pflichtete ihr Mann ihr bei, indem er sie an sich zog, »das ist wohl so, es sieht manches wie ein Unglück aus, und nachher wird es uns zum Segen!«


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