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Das erste, was er hörte, als er aufwachte, war wieder das Käuzchen, und es rief immer noch: »Bliw hier, bliw hier!«
Er ging in den Hof und wusch sich am Sood; als der Morgenwind ihm das Gesicht abtrocknete, machte ihm die Eule vom Speicherdache einen Diener, rief noch einmal: »Bliw hier!« und verschwand im Ulenloche.
Ein gelbbunter Schäferhund kam aus dem Hause, sah den Fremden erst mißtrauisch an und umging ihn, aber sowie er unter Wind kam, wedelte er, kam heran und ließ sich abliebeln.
Nordhoff, der gerade aus der großen Türe trat, machte runde Augen, als er das sah, denn Strom ging sonst ganz selten zu fremden Leuten, und es war dem Wirte immer ein Zeichen, wie er einen Menschen einschätzen sollte, je nachdem der Hund sich dazu stellte.
Darum machte er die Lippen auf und sagte: »Na, gut geschlafen?« Volkmann nickte, und der Krüger fuhr fort: »Denn haben Sie wohl auch Hunger; wollen Sie Kaffee oder Grütze? Wir sind hier nämlich noch von der altväterlichen Art.« Sein Gast lachte. »Ich auch; ich habe früher gar nichts anderes zur Morgenzeit gegessen«, antwortete er im Heidjerplatt. »Na, dann essen Sie mit uns«, kam es zurück.
»Er spricht platt, also gehört er zu unserer Art«, dachte Nordhoff, und als nachher Lieschen, seine jüngste Tochter, ein scheues Kind, ohne sich zu zieren dem Fremden das Händchen gab und sich auf den Schoß nehmen ließ, sah er seinen Gast mit ganz anderen Augen an als am Abend vorher.
Schlag acht war Volkmann auf Tormanns Hof. Er hatte sich den Bart abgenommen, sich gründlich abgebürstet, seine Schuhe geputzt und sah wieder ganz anständig aus. Als er auf die Deele trat, kam ihm eine riesenhafte Frau von gewaltigem Leibesumfang entgegen, die aber ein Gesicht hatte wie die liebe Güte selber.
»Herzlich willkommen«, rief sie mit einer so dünnen Stimme, daß Volkmann erst dachte, jemand anders hätte das gerufen. »Garberding kommt gleich; setzen Sie sich solange.«
Gleich darauf kam der Vorsteher, begrüßte seinen Gast und ging mit ihm in die Dönze. »Schade, daß Sie nicht etwas besser im Zeuge sind; der Hut ist ziemlich alle.« Er langte in den Schrank. »Der paßt wohl; er ist noch ganz neu. Und hier ist ein reines Halstuch; das sieht gleich ordentlicher aus, und da ist ein Handstock. Übrigens: Meiner Frau habe ich so ungefähr Bescheid gesagt; aus der kommt nichts wieder heraus. Ein bißchen frühstücken wollen wir aber erst einmal. Hier ist Feder und Tinte; da können Sie an den schreiben, der vor Gericht aussagen kann, daß Sie der richtige Erbe sind.«
Volkmann setzte sich an den Schreibtisch und überlegte. Der Rechtsanwalt Freimut fiel ihm ein. Als er am Abend vorher den Namen hörte, hatte er sich bei dem Vorsteher danach erkundigt. Er hatte mit dem Baumeister Schönewolf die Reethagener Jagd.
Volkmann kannte ihn aus einem Verein; näher war er ihm aber nicht gekommen. Das geschah erst an dem Tage, als das Urteil gesprochen wurde. Volkmann sah es noch, als wenn es erst drei Tage her gewesen wäre, wie der lange Mann quer durch den Schwurgerichtssaal storchte, daß sein blonder Bart nur so flog, und ihm mit Tränen in den Augen die Hand schüttelte.
Er wußte, wenn einer, so würde der ihm in jeder Weise beistehen, und so schrieb er ihm in diesem Sinne.
»Du lieber Himmel«, sagte Frau Garberding draußen zu ihrem Mann, »es geht doch nirgendwo toller her als auf der Welt! Was für Takelzeug läuft auf freiem Fuß herum, und diesem Manne da mußte es so gehen.«
Sie stellte das Frühstück hin, und obzwar es erst zwei Stunden her war, daß Volkmann gegessen hatte, so konnte die Bäuerin so gutherzig bitten zuzulangen, daß ihr Gast herzhaft einhieb.
Der Bauer stellte ihm Zigarren und Streichhölzer hin, zog sich die bessere Jacke an, langte seinen Stock her und sagte: »So, von mir aus kann es losgehen!«
Es war ein schöner Vormittag; die Luft war rein und der Himmel blau und weiß, die Vögel sangen, und die Hähne krähten vor Wähligkeit. Der Weg führte zwischen den Wiesen und der Heide hin, so daß Feldlerchen und Dullerchen durcheinandersangen.
Eine Viertelstunde waren sie gegangen, da machte der Vorsteher halt, zeigte auf den Graben vor ihnen und sagte: »Hier hört mein Besitz auf, und da fängt Ihrer an, und das ist der Hilgenhof.« Dabei wies er auf einen Busch, der auf dem Berge lag und aus dessen Bäumen ein weißes Fachwerkhaus mit schwarzen Balken hervorsah und auf das der Weg zulief.
»Es sind alles zusammen vierhundert Morgen ohne den Anteil am Moore; früher waren es noch mehr, aber es ist allerlei davon in andere Hände gekommen, als Ihr Urgroßvater gestorben war. Es ist aber noch mehr als genug und der drittgrößte Hof in der Gemeinde.«
Volkmann wurde die Brust eng; daß er einen so großen Besitz antreten sollte, daran hatte er nicht gedacht, denn er hatte ganz vergessen zu fragen, wieviel Morgen der Hof habe.
War es auch ein Glück zu nennen, daß er ihn erbte, er konnte dessen so recht nicht froh werden; immer und immer wieder klang ihm die Stimme des schönen Mädchens durch den Sinn, und wo er ging und stand, sah er ihr gutes Gesicht und ihr goldenes Haar.
Nicht einmal hatte er daran gedacht, daß er ihr etwas sein könnte, zumal sie ja mit einem anderen versprochen war, denn sie trug einen Ring an der Hand; sein Wunsch ging nicht weiter, als daß er mit Ehren vor ihr stehen könnte.
Immer, wenn sie ihm in den Sinn kam, in ihrem hellen Leinenkleide, frisch und rein und rosig, dann sah er sich mit kahlgeschorenem Kopf und bartlosem, blassem Gesichte, angetan mit dem grauen Linnen des Zuchthäuslers, und ihm war, er müsse sich schämen, daß er an sie dachte, er, der Mann mit dem hingerichteten Namen.
Und nun waren sie vor dem Hilgenhofe. Da lag sein Haus und lachte ihm in der hellen Sonne durch die rauhen Stämme der Hofeichen zu. Ein Hahn krähte zum Willkommen, die Finken schlugen, die Hülsenbüsche hinter der klobigen Findlingsmauer, aus der die Farne heraushingen, blitzten in der Sonne, gleich als wollten sie den angrünenden Machangeln, die sich zwischen sie quälten, und den blühenden Schlehbüschen, die sich über die Mauer rekelten, den Platz streitig machen und den Efeu von den moosigen Steinen fortdrängen und es nicht zugeben, daß die Wildrosen und die Brummelbeeren ihr Recht behielten und die Hundsveilchen, die Grasnelken, die Windröschen und die Goldnesseln, die da überall blühten. Eine Elster schnatterte in der Pappel, Dohlen lärmten hin und her, und über dem Hausbusche riefen ein paar Turmfalken. Lüder Volkmann tat einen tiefen Atemzug.
»Ja«, sagte sein Begleiter, »der Hof liegt man einmal schön. Nun wollen wir Frau Grimpe Bescheid sagen. Na, die wird Augen machen! Und passen Sie auf, die redet einem ein Loch in den Strumpf, und wenn man Kniestiefel anhat. Da ist sie ja schon!«
Eine untersetzte Frau von rundlicher Gestalt mit dicken, weißen Armen kam aus der Türe; sie mochte so in den dreißiger Jahren sein, sah freundlich und sauber aus, hatte aber einen unsteten Blick.
Sie schoß auf Garberding zu. »Guten Morgen, Herr Vorsteher; wo komme ich zu die Ehre? Wollen Sie nicht ein büschen näher treten? Sie haben doch noch nicht gefrühstückt? Doch! Schade! He, Pollo! Der Hund kann sich immer noch nicht an die Katze gewöhnen, so viele Schläge er darum auch schon gekriegt hat. Ein Glück, daß Sie erst jetzt kommen; bis Uhre sechse haben wir gewurscht; die eine Sau hat Junge gekriegt, acht Stück. Wollen Sie sie mal sehen? Das eine hat, mit Respekt zu sagen, keine Leibesöffnung. Was macht man bloßig damit? Die Ferkel haben ja jetzt gute Preise; vielleicht kann der Tierarzt da was an machen. Oder was meinen Sie, ob 'ne Opratschon Sweck hat? Das arme Tierchen! Es säuft aber trotz alledem. Ja, wer kann vor Malheur!«
»Das ist der Besitzer vom Hilgenhofe, Herr Volkmann«, mit diesen Worten hackte der Vorsteher ihr das Wort vor dem Munde ab.
»Aurelie Grimpe«, stellte sich die Frau mit einem Knickse vor, der Volkmann an den erinnerte, den seine Wirtin, die dicke Hofbäckermeisterfrau, zu machen pflegte, wenn die Herzoginmutter ihr vom Wagen aus zunickte. Einen Augenblick war Frau Grimpe verdutzt, dann aber zog sie die Schleuse wieder auf.
»Meinen ergebensten Glückwunsch, geehrter Herr! Das ist man gut, daß hier wieder ein Mann hinkommt. Soweit es ging, habe ich ja alles in Stande gehalten, aber eine schwache Frau kann nicht das, was ein Mann kann, und so 'n Pächter, na, man weiß ja!«
Der Vorsteher machte lustige Augen und sah ihre Schultern und ihre Arme an, sie aber polterte weiter durch dick und dünn: »Ihrem seligen Herrn Onkel habe ich zwei Jahre die Wirtschaft geführt; eine Seele von Mann war das. Natürlich hatte er seine Grappen; sehen Sie mal da!« Sie zeigte nach der Miststatt. »Da wachsen an die zweihundert Königskerzen, daß man fast nicht mehr heran kann. Glauben Sie, daß die wegdurften? Ordentlich verniensch ist er geworden, als ich darauf zuschlug, und er sagte: ›Das ist das Schönste am ganzen Hof.‹ Na ja, es sieht ja ganz romantisch aus, wenn sie ihre Blüten entfalten, aber die Propertät leidet darunter.
Das schlimmste war, er machte sich aus dem Essen gar nichts. Wenn ich ihn fragte: ›Herr Volkmann‹, fragte ich, ›was soll ich kochen?‹ Dann sagte er: ›Das ist meine Sache nicht.‹ So war er. Ach, du meine Güte, sind doch wahrhaftig wieder die Hühner im Garten! Hscht! Wollt ihr wohl! Ja, und wenn ein Schwein geslachtet werden sollte dann machte er, daß er wege kam, so 'n Herz hatte der Mann! Und keinmal habe ich ein Huhn vor ihm braten dürfen und eine Taube schon gar nicht.
In anderer Weise konnte er dagegen wie ein Stein sein; keinem armen Reisenden gab er auch man zwei Pfennige. ›Bleibt auf dem Lande und arbeitet bei den Bauern! ‹ sagte er einem jeden, wo hier fechten kam. Und wenn auf die Franzosen die Rede kam, denn, wenn der Herr Pastor und der Herr Doktor kamen, dann wurde sehr politisch geredet, dann sagte er: ›Kaputt getrampt muß die Bande werden!‹ Ja, so war er.
Aber nun sehen Sie sich bitte das Haus an; es ist meist allens, wie es war. Die Sammlungen sind an das Museum Bremen gekommen, Käfer und Bienen und Steine und andere Wissenschaftlichkeiten, denn darin war er groß. Denken Sie bloßig, der pflanzte allerhand wilde Blumens an, bloßig damit die wilden Bienen danach kamen. Den ganzen Tag konnte er bei seinen Büchern und Kästen sitzen, und wenn ich ihm sagte, daß das Essen da ist, dann wurde er falsch. Ischt! Ist mir das Viehzeug von Spatzen bei die jungen Erbsen. Ja, man hat seine liebe Not!«
So ging es in einem Strange fort. Volkmann hörte nur mit einem halben Ohr hin; er sah sich das alte Haus an den Garten mit den gut gepflegten Obstbäumen und Beerensträuchern, die große Alpenanlage, die zwischen dem Hause und dem Grasgarten lag, in der zwischen und auf den Tuffsteinen viele hundert Blumen und Kräuter wuchsen und sich in den kleinen und großen Wasserkübeln spiegelten, die in den Boden eingelassen waren und in denen allerlei Wasserpflanzen gediehen, die Hainbuchenlaube mit dem Steintische und der grünen Bank, von der man einen Blick über die Heide bis zu dem blauen Walde hatte, die sechs Fischteiche, die hinter dem Grasgarten lagen, die Stallungen und den Rest von dem Vieh, das noch geblieben war; er hörte auf die verständigen Worte, die Garberding an ihn richtete, und dachte, daß es vielleicht doch ein Glück wäre, daß der Hof nun sein Eigentum sei.
Vor ihm, neben ihm und hinter ihm, je nachdem, was sie zu zeigen hatte, witschte Aurelie Grimpe hin und redete Korn und Kaff durcheinander.
Er aber hörte nicht mehr darauf als auf das, was die schwarze Krähe quarrte, die über den Hof wegflog.