Hermann Löns
Dahinten in der Heide
Hermann Löns

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Die Meise

Es war wie ein Gewitterregen nach dürren Wochen für den Bauern, als Ende Januar eines Vormittags Freimut auf dem Hilgenhofe auftauchte, zwei große Koffer abladen ließ und lostrompetete:

»Sintemalen und alldieweil Aurelie Grimpe, geborene Szimbowska, geschiedene Juckenack und entlaufene Grimpe durch Abwesenheit glänzt, ist ja für mich wohl auf vierzehn Tage Platz. Jetzt ist die Zeit, wo die Betze rennt, jetzt wird auf den Fuchs gepirscht und die wilde Aante beschlichen. Mann, ich bringe den Vorfrühling mit. Hört, kaum bin ich da, so singt die Speckmeise schon im sauren Appelbaum!

Und Mehls ist auf der Strecke. Ha la lit! Da ligget dat Schinneas in'n Graben! Zwei und ein halbes Jährchen wegen Qualifiziertheiten in idealer Konkurrenz mit höherer Gemeinerei.

Was gibt es zu Mittag? Weiße Bohnen mit 'nem Schinkenknochen mit was dran? Gestern habe ich mich durch acht Gänge durchgehungert, und mein Trost waren meine Nachbarinnen, die aufgebrochen jede ihre zwei Zentner wogen.«

Er legte Volkmann die Hände auf die Schultern, sah ihn an, schüttelte den Kopf und sprach: »Stark abgenommen seit dem Spätherbst! Zu eintönige Äsung! Zu regelmäßig gelebt! Ist keine Sache für unsereins, nur für das Stallvieh, die Philister; wir kriegen die Mauke, geht es uns andauernd gut.

Schönewolf läßt grüßen; elende Jagd im Pharaonenlande: Schakale nennen sie's, räudige Dorffixe sind es; Nilkrokodile gibt es bloß im Berliner Zoologischen Garten lebendig, da unten nur als Mumien, Hyänen nur im Kellnerfrack; alles Schwindel bis auf das, was Cheops und seine blassen Nachkommen mimten.

Aber, Mann, Ihr gefallt mir mies; seht ebenso bleich wie süchtig aus. Ja, man soll heiraten; ich tät's auch gern, bin bloß noch zu rüstig. Und dann, wer weiß, ob nicht das dicke Ende nachgehinkt kommt. Meine liebe Frau Mutter sagt immer: ›Jochimchen, sieh doch bloß zu, daß du von der Straße kommst!‹ Ist nicht so einfach, wie es aussieht; ist man erst aus dem Schneider, dann sieht man nicht bloß auf die Hübschigkeit. Und dann hab' ich so viel zu tun! Weiß der Deuwel, warum die Menschen sich nicht vertragen können, daß ich gar keine Zeit habe, mich zu verschießen. Hurra, da kommt die Suppe; Mutter, meinen großen Löffel!«

So redete er, indem er Aurelies Dönze mit dem Inhalte seiner Koffer verschönte. »Dieses hier wollen wir alles austrinken«, sagte er und zeigte auf eine stattliche Reihe blankhäuptiger Flaschen, »und hiervon nehme ich nichts wieder mit«, und er wies auf die Zigarrenkisten und Konservenbüchsen.

»Und mein Jagdzeug bleibt alles hier; was noch bei Vatter Nordhoff ist, das bringen wir heute abend mit. Mann, so tut doch endlich einmal das Geäse auf! Sagt nichts und grient wie ein Honigkuchenpferd! Jawollja, Frau Lembke, wir sind da!«

Er setzte sich an den Tisch, schlug eine Klinge wie ein Drescher und stöhnte, als er aufhörte, indem er seinen Barbarossabart strich: »Ein Segen, daß ich hier nicht immer esse, Frau Lembke, ich paßte sonst in keinen Sarg mehr«, und er schlug sie zwischen die Blätter, daß alles an ihr wabberte und Jochen Lembke ein Gesicht machte wie ein Hund vor der Terpentinflasche.

Aber als Volkmann sagte: »Wir wollen nach dem Kronsbruche, denn da stecken seit drei Wochen Sauen«, da juchzte der Anwalt los, daß Hund und Katz machten, daß sie aus dem Hause kamen, und im Handumdrehen hatte er das weiße Zeug übergezogen und storchte los.

Am dritten Tag schoß er einen überlaufenden Frischling und vier Tage hinterher eine grobe Sau, zwischendurch ein Dutzend Enten, eine Wildgans und drei Füchse, und da er die schlimmsten Prozesse hinter sich hatte und mit einem jungen Anwalt zusammenarbeitete, so blieb er drei Wochen, ließ den Bauern keine Stunde aus den Fingern, und als er abfuhr, rief er:

»So, nun seht Ihr doch wieder wie ein deutscher Mann und nicht wie eine anämische höhere Tochter aus, und wenn ich zur Balz und zur Murke wiederkomme, wünsche ich keinen Rückfall zu erleben, ansonsten ich Euch alle Verzierungen abdrehe.«

Seine Kur hatte angeschlagen, oder die längeren Tage hatten schuld, daß Lüder das Krächzen der Winterkrähen nicht mehr hörte; jeden Tag schlug die Speckmeise im Garten, die Stare schickten ihre Vorboten, an der Südwand des Hauses hatte der Haselbusch geflaggt und an der Beeke die Eller; es wehte eine andere Luft über dem Bauern, und wenn über seine helle Laune auch einmal dunkles Gewölk zog und Schlackerschnee auf seine Saaten fiel, im ganzen war er gut zuwege und lag nicht mehr halbe Tage da, rauchte und sah auf die Ofenplatte.

Er arbeitete sich in die höhere Tierwelt wieder hinein und schrieb aus dem Gedächtnisse alles Getier auf, das er über Sommer bei Wege angetroffen hatte; als der März kam, der Wald lebendig und die Büsche laut wurden, da hatte er genug anzumerken, so daß er, als die Feldbestellung wieder anfing und er bei Garberding mithalf, was es nur gab, einen zolldicken Stoß Papier mit Beobachtungen gefüllt hatte.

Kam er müde nach Hause, so trug er auf lose Zettel ein, was er hier und da gesehen und aus alten Leuten herausgefragt hatte über Vögel, die seitdem verschwunden oder selten geworden waren.

So war er nie müßig, und eines Tages waren die Winterkrähen nicht nur von der Straße, sondern auch aus seiner Erinnerung verschwunden. Es machte ihm Freude, daß die Pflugschar ihm immer mehr zu Willen wurde, er streute den Kunstdünger fast so ebenmäßig wie Suput, der ihm oftmals sagte: »Noch ein Jahr, dann kann ich dir nichts mehr lernen.«

Um diese Zeit reiste ein Berliner in der Gegend umher, der großartig auftrat und so viel Bier und Wein ausgab, als jeder trinken wollte; er hieß Ludwig Neumann und war Bohrunternehmer.

Von Hause aus war er Ingenieur, hatte Glück im Kauf und Verkauf von Kuxen gehabt und eine Gesellschaft zusammengebracht, die Öl und Kali in der Heide suchte.

Aus allerlei Anzeichen hatte er geschlossen, daß bei Reethagen Aussichten vorhanden wären, daß man fündig würde; so steckte er sich hinter einzelne Leute, und die bearbeiteten andere und die wieder noch welche, so daß er fast von zwei Dritteln der Gemeindemitglieder Vorverträge in den Händen hatte.

Er kam auch auf den Hilgenhof, trat sehr bescheiden auf, versprach goldene Berge, richtete aber vorläufig bei dem Bauern nichts aus, weil der den Vorvertrag nicht unterschrieb. Volkmann ging vielmehr sofort zu dem Vorsteher, bei dem der Berliner noch nicht gewesen war, weil ihm gesagt wurde, das wäre ein ganz altmodischer Mann und nicht anders für das Unternehmen zu haben, als wenn ihm das Feuer von drei Seiten käme.

»Hm«, brummte Garberding, »soll die Schweinerei hier auch losgehen? Wenn hier erst Bohrtürme stehen, dann haben wir das Leit aus der Hand gegeben. Zu leben haben wir alle, und die nichts haben, die stehen sich dann noch schlechter, dieweil das Werk doch bloß lauter Krabatten und anderes Tatternvolk heranzieht.«

Als der Unternehmer abgereist war, berief der Vorsteher eine allgemeine Gemeindeversammlung, zu der jeder seinen Vorvertrag mitbrachte, und da stellte es sich heraus, daß die Verträge sehr verschieden waren, je nachdem das Land lag und auch insofern, als Neumann mit einem hellen Manne oder mit einem zu tun hatte, der sich in die Sache nicht hineinfinden konnte.

Das ärgerte diejenigen, die dabei nicht so gut gefahren waren, ganz gewaltig; als der Berliner nun wieder ankam, merkte er bald, daß jetzt der Wind von Mitternacht wehte.

Nun hatte er den Krüger Fürbotter in Schedensen, dem ein kleines Anwesen in Reethagen gehörte, ganz auf seiner Seite, zum ersten, weil er dort viel verzehrte und oft über Nacht blieb, dann aber auch, weil der Krüger sich für seine Wirtschaft viel Gewinn aus dem Unternehmen versprach.

Dieser Mann hatte es ihm hinterbracht, daß der Hilgenbauer es war, der es herausbekommen hatte, daß die Verträge so ungleich waren. Deshalb hing sich Neumann nun an Volkmann und suchte ihn zu sich herüberzuholen; als er damit kein Glück hatte, ging er daran, ihm die Wurzeln abzugraben.

Er wohnte nämlich in Hannover, wo er sein Hauptquartier hatte, bei Aurelie Grimpe, die sich mit Abvermieten durchschlug, und die hatte ihm über die Leute in Reethagen manchen nützlichen Wink gegeben und auch über den Hilgenbauer, dessen Vorleben sie mittlerweile in Erfahrung gebracht hatte.

Volkmann merkte nach und nach, daß ihn einzelne, dann immer mehr Leute von der Seite ansahen, glaubte aber, da er seine Anforstungen im Kopfe hatte, das seien nur die Bauern, die wegen des Bohrvertrages anderer Meinung waren als der Vorsteher und er; so gab er darauf nichts.

Mit der Zeit wurde es aber doch auffällig, und schließlich rückte Nordhoff damit heraus, was im Dorfe erzählt würde.

Der Hilgenbauer war von dem Tage an, da er das Erbe antrat, darauf gefaßt gewesen, daß sein Unglück sich wieder zu ihm hinfinden werde, aber es biß ihm doch in das Herz, daß Leute, denen er vielfach gefällig gewesen, ihm aus dem Wege gingen oder die Zähne nicht auseinanderbekamen, wenn sie an ihm vorbeigingen.

Sogar Suput und seine Frau waren anders als vordem, denn als er sich dazu erbot, dem Häusling wieder Arbeit abzunehmen, wußte der immer einen Ausweg zu finden.

Lüder hatte es im Sinne behalten, daß er sich an den Vorsteher wenden sollte, wenn es soweit kam, aber den wollte er darum nicht angehen, weil es Garberding nicht gutging, indem er eine schwere Erkältung nicht loswerden konnte.

So tat er, als sei ihm alles gleich, ging an jedem, der nicht so war wie früher, ohne Gruß vorbei, plaggte Heide ab, warf im Bruche Gräben aus und sagte sich, daß die Leute schon zur Vernunft kommen würden, zumal mehrere unter ihnen waren, die auch kein reines Hemd anhatten.

Um diese Zeit kam Lembke ihm etliche Male von hintenherum mit einer Verlängerung der Pacht, doch schlug der Bauer darauf nicht zu, und nun hängte erst Lembke und dann andere Besitzer den Jagdpächtern Wildschadenklagen an den Hals, und was früher keinmal vorgekommen war, Jagdstörungen und Vergrämen des Wildes, das begab sich von da ab fortwährend.

Da aber die Jagd groß genug war, so ließen sich die Pächter in der abgelegensten Ecke eine Jagdbude bauen. Eines Tages brannte sie ab und acht Morgen Heide und Fuhren mit ihr, und obzwar es augenscheinlich war, daß böswillige Brandstiftung vorlag, setzte Fürbotter es doch durch, daß die Gemeinde Schedensen, zu der das ausgebrannte Stück Heidland gehörte, gegen Schönewolf und Freimut auf Schadenersatz klagte, wobei allerdings nichts anderes herauskam, als daß die Gemeindekasse ein gutes Stück Geld dabei zusetzte.

Da nun der Baumeister und der Rechtsanwalt, so überlegte Fürbotter, durch ihren Verkehr mit Volkmann diesem immer noch bei vielen Leuten von Nutzen waren, so mußte ihnen die Jagd auf andere Weise verekelt werden.

Im Kruge zu Schedensen, der an der Landstraße lag, kehrte allerlei Volk ein, und da der Berliner gesagt hatte: »Der Kerl muß von dem Hilgenberg herunter, und wenn es tausend Mark kostet«, so stand bald kein Hochsitz mehr, alle guten Wechsel waren verstänkert, alle Dickungen lagen voll von Zeitungspapier, und schließlich verlangte erst Schedensen, dann Breden und schließlich auch Reethagen, da Garberding in Andreasberg war, weil seine Lunge nicht so wollte, wie sie sollte, und die Kalipartei auf diese Art die Hand am Henkel hatte, die Jagdpächter sollten den Wildstand auf ein Zehntel verringern, widrigenfalls sie nicht darauf rechnen könnten, daß sie die Jagden wieder bekämen.

Volkmann tat es in der Seele weh, daß die beiden Männer seinetwegen soviel Mißgunst ausstehen mußten, und er erklärte eines Abends, er wolle wieder in die Welt.

Aber da ging Freimut in die Luft. »Das fehlte noch gerade! Nun erst recht nicht! Und wenn ich die Büchse für immer an den Nagel hängen soll; so bin ich nun doch nicht gebaut, daß ich vor dieser Berliner Quadratschnauze und diesem Pottekel von Fürbotter über den Zaun gehe.

Ihr habt mir ja einmal erzählt, wie Euer Freund Lebleu es mit den Stinktieren machte. Skunk gut, wenn Mann zu Skunk gut. So sagte er, ging hin, verrammelte den Bau mit Schnee, goß warmes Wasser darauf und ließ es überfrieren, und am anderen Tage fiel es keinem Skunk mehr ein, sich übel zu benehmen; tot waren sie alle. Stinktiere muß man sachte behandeln, damit sie erst gar nicht dazu kommen, sich penetrant zu benehmen.

Laßt mich nur machen. Wenn Euch in der nächsten Woche ein kleiner Mann, der einen roten Bart und ein Schmetterlingsnetz hat, über die Kleewiese läuft, so schnauzt ihn vor allen Leuten so grob wie möglich an, denn das ist unser Bürovorsteher, Herr Meisel, der früher Kriminalschutzmannsanwärter war, aber hinausflog, weil er einmal in Gedanken eine seltene Motte fing, unterdessen ihm ein ganz gemeiner Taschendieb unter dem Hute fortflog. Er sollte sowieso Urlaub haben; nun kann er das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden.«

Der Plan war nicht schlecht; Meisel kam, lief Volkmann durch die Kleewiese, wurde angeschnauzt, rannte nach Schedensen zu Fürbotter, bei dem er wohnte, schimpfte Mord und Brand über den groben Kerl auf dem Hilgenberg, machte die Bekanntschaft von Neumann und Lembke und von jedem, der auf Volkmann nicht gut zu sprechen war, gab fleißig Runden aus, schwatzte so viel Unsinn, daß ihn Fürbotters Gäste für dümmer als eine Kuh hielten und sich vor ihm kein bißchen in acht nahmen, steckte der Magd ab und zu einen Groschen in die Hand und reiste mit dem Versprechen, bald von sich hören zu lassen, ab.

Acht Tage später fuhr Freimut bei Fürbotter vor, ging in das Vereinszimmer, bestellte sich Rehbraten und Rotwein, aß und trank und bat den Wirt, mitzuhalten, und dann sagte er ihm: »Herr Meisel ist mein Bürovorsteher; bitte, behalten Sie gehorsamst Platz! Und Sie sind ein großer Schweinehund. Laufen Sie bitte nicht fort! Ich habe noch mehr in der Tüte.

Sie haben veranlaßt, daß gewisse Leute, die Namen habe ich alle im Taschenbuche, die Hochsitze abgerissen haben; Sie werden auch wissen, wer das Jagdhaus angesteckt hat. Nein? Na, vielleicht hilft der Staatsanwalt Ihrem Gedächtnis nach.

Sie haben ferner durch Ihre Leute uns bei Ausübung der Jagd gestört; in drei Fällen kann ich den Nachweis führen, macht summa summarum hundertachtzig Mark. Sie haben gesagt, ich sei ein Säufer und Garberding halte es mit seiner Magd, und haben von dem Baumeister erzählt, er habe übergejagt, und außerdem haben Sie seit Jahren gewilderte Rehe gekauft, und das ist Hehlerei, und darauf steht Zuchthaus!

Und wenn Sie nun nicht herumgehen und alles wieder in die Reihe bringen, erstens die Rederei über Volkmann und das mit der Jagd, dann ziehen Sie bitte gleich fünf Groschen mehr ab, damit Sie sich einen Strick kaufen können, denn so wahr ich Joachim Freimut heiße und in Kolberg an der Persante geboren bin, ich werde dafür sorgen, daß Sie auf einige Jahre auf Staatskosten in Celle verpflegt werden.

So, und nun bringen Sie mir ein Glas Bier mit, aber ein großes, denn nach solcher schönen Rede wird man durstig. Der Wein war übrigens gut und der Rehbraten auch; ich glaube, das kommt daher, weil er in meiner Jagd gewachsen ist.«

Genau so wie bei Fürbotter ging Freimut mit Lembke und noch einigen anderen Leuten um; nach einigen Tagen wehte der Wind anders in den drei Dörfern.

Als der Anwalt abfuhr, trank er bei Fürbotter ein Glas Bier, gab ihm die Hand und sagte: »Halten Sie sich munter; auf Wiedersehen!«


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