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Meta blühte immer mehr auf und wo sie ging und stand, da sang sie; die Bäuerin aber fiel immer mehr ab und man hörte sie an einem Tage mehr seufzen, als sonst in einem ganzen Monat.
Sie trug eine große Angst mit sich herum und wollte es keinen Menschen merken lassen, vorzüglich ihren Mann nicht, der sich schon Sorge genug um sie machte.
Sie konnte kaum gehen, so waren ihre Füße geschwollen, und jede Nacht hatte sie Atemnot und Herzspann.
Es war eine stürmische Nacht im Christmond, als der Bauer in die Dönze seines Sohnes kam und rief. »Gotthard, steh schnell auf, du mußt nach Lichtelohe, den Doktor holen; unsere Mutter ist mir eben weggeblieben.«
In diesem Augenblicke ging auch nebenan die Tür und Meta rief: »Ich komme auch schon.« Der Bauer nickte ihr zu: »Ja, tu' das, Mädchen.«
Als sie in die Ehedönze kamen, war die Bäuerin schon wieder bei sich. Meta machte ihr einen Umschlag und sagte: »Ohm, geht ihr man in meinem Bette schlafen; ich will hier bleiben. Ich weiß besser damit Bescheid.«
Eine halbe Stunde schlief die Bäuerin ruhig, dann schoß sie in die Höhe und flüsterte: »O, Gott, was hab' ich für'n Herzspann! »
Meta machte ihr einen frischen Umschlag und rieb ihr die Füße, aber es dauerte lange, ehe der Anfall fortging.
Nach einer Weile sagte die Bäuerin: »Steck das Licht wieder an, mir ist im Düstern angst!« Das Mädchen erschrak, denn der Krüsel brannte ganz hell.
Dann flüsterte die Kranke: »Meta, Kind, ich muß nun doch fort von euch. Sei still, ich weiß es besser! Göde und du, wenn ich das noch belebt hätte! Aber wenn ich nur weiß, daß ihr euch kriegt. Meta, du wirst ihm eine gute Frau sein. Er ist einer von der wilden Art. Alle Hehlmanns mit elf Fingern und zwei Wirbeln waren so. Sie waren alle gut, bloß so wild. Ich glaube, du und er, das ist das Richtige.«
Sie sah mit Augen, die von der Erde fort waren, das Mädchen an. »Als er drei Tage alt war, da träumte mir, es standen zwei Frauen bei der Wiege; die eine gab ihm Böses in den Sinn, aber die andere wünschte es weg. Sei geduldig mit ihm, auch wenn er über die Stränge schlägt. Niemals schimpfen, das hat bei ihm keine Art; mit Güte kann man ihn hinhaben, wo man will.«
Sie machte die Augen zu und lag eine ganze Zeit still da, bis ein neuer Anfall kam. Als der vorbei war, fing sie wieder an zu flüstern: »Ich glaube, er ist von der Art, die mehr als eine Frau brauchen. Eine Frau muß nicht immer alles sehen. Sein Großvater war auch so, und seine Frau hat immer gut mit ihm ausgekonnt.«
Die Tür ging. Meta ging dem Doktor entgegen. Der setzte sich vor das Bett, klopfte der Kranken die Backen und sagte:
»Na, Frau Hehlmann, was machen wir denn für Dummheiten! Sie sind zu sehr aus der Gewohnheit gekommen. Das erste ist schon ein Mann und nun kommt erst das zweite! Warten Sie, ich gebe Ihnen was gegen die Angst.«
Er ging auf die Deele, schüttete ein Pulver in eine Tasse und rief Meta: »So, Kind, das gib ihr«, sagte er laut und leise flüsterte er bei: »Sagt meinem Kutscher, er soll sofort nach dem Dorfe fahren und den Pastor und die Hebamme holen, aber schnell.«
Das Mädchen riß die Augen weit auf. »Ist es so schlimm?«
Der Doktor wiegte den Kopf hin und her: »Wissen kann man es nie. Da ist etwas gänzlich aus der Kehr.«
Eine knappe Stunde war weggegangen, da kam der Wagen zurück. In demselben Augenblicke, als der Pastor auf die Deele trat, wurde es so hell wie der Tag und ein Donnerschlag kam hinterher.
Die Kranke schrie auf. Der Doktor ging in die Dönze. »Vielleicht ist Ihnen nun besser, Frau Hehlmann?« fragte er und bückte sich zu ihr nieder.
»Viel, viel besser«, flüsterte sie.
Der Doktor trat an die Tür und rief leise: »Hehlmann, Göde, kommt her. Ruhig, ruhig, ihr dürft sie nicht erschrecken.«
Die Kranke lag ganz still da, kaum daß ihr Atem ging. Plötzlich schlug sie die Augen auf und sah klar nach der Türe. »Meta«, rief sie laut. Das Mädchen kam. »Gebt euch die Hände!«
Sie lächelte. »Göde, das ist deine Frau. Halte sie in Ehren. Sie hat ein Herz von Gold!«
Sie drehte sich nach der Wand und atmete so ruhig, als wenn sie schliefe.
Der Doktor horchte lange. Nach einer Weile gab er Hehlmann die Hand: »Es ist vorbei«, sagte er.
In demselben Augenblicke heulte draußen der alte Tyras auf und kratzte an der Türe.
Hehlmann ging hinaus. Er fiel so schwer in den Spinnstuhl, daß der Doktor erschrocken hinging. Er redete auf ihn ein, aber der Bauer sah ihn ohne Verstand an.
Der Pastor setzte sich neben ihn, nahm seine Hände und sprach ihm Trost ein. Hehlmann gab einen tiefen Seufzer von sich und flüsterte hohl, als wäre er ein Geist: »Es ist vorbei, es ist alles vorbei.«
Dann fiel er wieder zusammen und sah in das Herdfeuer, ohne zu sehen und zu hören, was vorging.
Am anderen Tage war er ganz vernünftig, bloß daß er aussah, als wäre er aus dem Grabe genommen, und wenn er sprach, bellte Tyras, weil es ihm eine fremde Stimme schien.
Als Meta dem Ohm sagte, daß das Kind, das die Frau erwartete, längst tot gewesen sei, hörte er kaum hin, aber er schloß das Notlaken, das seine Frau sich als Braut genäht hatte, aus dem Schranke, schnitt selbst den Namen aus dem Totenhemd, schickte den Kleinknecht nach dem Tischler, daß er aus dem schon lange zurückgelegten Notholze den Sarg mache, und nach der Totenfrau, und er aß auch die Mahlzeiten mit wie vordem.
Aber eins war allen sonderbar: als die Bäuerin aufgebahrt war, sagte Meta: »Wie schön sie aussieht; es ist ordentlich, als wenn sie lacht.« Da sagte die Totenfrau: »Das ist schlimm; sie wird einen nachholen.«
In diesem Augenblick trat der Bauer aus dem Schatten, gab der Toten die Hand und sagte: »Ja, Mutter, das wirst du. Übers Jahr bin ich bei dir.«
Dabei sah er ganz zufrieden aus.
Als die Beerdigung vorbei war, ging das Leben auf dem Hehlenhofe wieder seinen alten Gang, bloß daß das, was die Bäuerin getan hatte, Meta übernahm.
Zwischen ihr und Göde war es anders geworden. Einmal hatte der Tod einen Schatten auf sie gelegt und dann war es Göde, als sei ihnen, seitdem jeder auf dem Hofe wußte, wie es um sie stand, etwas genommen, und wenn der Vater fragte, wann sie heiraten wollten, dann wehrte er ab und Meta auch.
Das Mädchen hatte Sorgen. Ihr Bruder war aus der Vormundschaft heraus und fand sich ohne Frau auf seinem großen Hofe nicht zurecht.
Er kam so oft, bis Meta nicht anders konnte und ihm zusagen mußte, einige Wochen zu ihm zu ziehen. Sie tat es mit schwerem Herzen, aber sie durfte ihren leiblichen Bruder nicht im Stiche lassen, meinte sie.
Nun wurde es noch stiller auf dem Hehlenhofe; es ging alles nach der Reihe, weil eine ältliche Witwe vor der Hand die Wirtschaft führte, aber es fehlte die Sonne.
Der Bauer sprach nur das Nötigste; seitdem die Frau tot war, wurde er immer kleiner und lachen hatte ihn kein Mensch mehr gesehen.
Göde fror, wenn er über die Deele ging, wo es so still war, wie in einer leeren Kirche. So lange er Arbeit hatte, hielt er es noch aus, aber abends wurde es ihm unheimlich zu Sinne und ab und zu ging er nach dem Krug, wo er doch wieder eine laute Stimme und ein Lachen zu hören bekam.
So ging der Sommer hin und der Herbst kam. Der Bauer fiel immer mehr ab und hustete Tag und Nacht.
Einmal, als sie beide allein beim Feuer saßen, hatte er gesagt: »Meta bleibt aber lange fort.« Göde antwortete: »Ja, sie kann noch nicht abkommen, hat sie mich wissen lassen. Es ist da eine Luderwirtschaft auf dem Hofe gewesen. Und ihr Bruder geht ihr doch vor.«
Der Vater hatte ihn angesehen: »Ich meine, ihr seid so gut wie Mann und Frau. Und hier muß eine Frau hin, meine ich. Das ist nichts für einen jungen Kerl, das einschichtige Leben; davon wird das Geblüt hart. Wenn Meta hier wäre, würdest du nicht so oft nach dem Kruge gehen.«
Der Sohn nickte: »Wohl möglich, Vadder«, und von da ab war er nicht mehr nach dem Dorfe gegangen, außer wenn es ganz nötig war. Er lebte stumpf vor sich hin und ging ab und zu auf die Jagd.
Wenn er an Meta dachte, dann war es ihm selbst verwunderlich, wie wenig bange ihm nach ihr war, vorzüglich, wenn er bedachte, wie glücklich er mit ihr gewesen war, ehe daß die Mutter fortstarb.
Ein Gedanke war immer bei ihm, wenn er an sie dachte: wie ging es zu, daß sie nicht guter Hoffnung war? Er wußte keine, die er lieber mochte, aber eine Frau, von der er keinen Hoferben haben sollte, das wollte ihm nicht in den Sinn.
Als der Dezember kam, hustete der Vater immer hohler und eines Morgens blieb er in der Butze.
Göde schickte nach dem Doktor, aber der Bauer sagte, der könne ihm doch nicht helfen, und der Doktor gab das zu. »Dein Vater geht aus, wie ein Krüsel ohne Oel; er hat keinen Willen zum Leben mehr.«
Der alte Tyras lag den ganzen Tag vor der Butze des Bauern und fraß kaum mehr.
Hehlmann wurde immer schwächer. Er sagte Göde, er solle den Advokaten holen lassen, und als der da war, verschrieb er Göde den Hof unter der Bedingung, daß er und seine Rechtsnachfolger, solange Meta Dettmer leben sollte, eine Dönze für sie frei halten und sie kleiden und verpflegen sollten, wie es einem Mädchen von einem großen Hofe zukam.
An diesem Abend ging Tyras auf den Hof, heulte nach dem Kirchhofe und ging nicht wieder in die Dönze, sondern legte sich auf seinen alten Platz im Pferdestall; als der Großknecht ihm am anderen Morgen eine Satte Milch hinstellte, sah er, daß der Hund tot war.
Am Morgen darauf lag der Bauer tot in seiner Butze. Sein Gesicht war ernst und streng. »Der zieht keinen nach«, sagte die Totenfrau, als sie ihn in das Notlaken einnähte.
Es war eine große Leiche, denn die Hehlmanns hatten eine weitläufige Freundschaft, und die Hohenhölter waren da und sogar der Droste.
Unter den Klageweibern, die in ihren weißen Notlaken bei dem Sarge saßen und nebenher gingen, fehlte Meta; ihr Bruder lag schwer an der Lungensucht.
Göde ging hinter dem Sarge her und wunderte sich, wie wenig traurig ihm zu Mute war. Er hatte sich immer gut mit dem Vater gestanden, aber in dem letzten Jahre war dieser immer mehr von ihm abgerückt.
Es war ihm so, als wenn der alte, kranke Mann, der jetzt den Notweg fuhr, ein ganz anderer war, als der, der bis zum Tode der Mutter auf dem Hofe war, und als bei der Trauerrede des alten Pastors ihm eine Träne über die Backe lief, da weinte er nicht um den Vater, da weinte er der Mutter nach und den hellen Tagen, die damals auf dem Hansburhofe kamen und gingen.
Keinen Menschen hatte er, keinen Menschen. Mit düsterem Gesicht ging er durch das Dorf. Er dachte an Meta und wünschte, daß sie bei ihm wäre.