Hermann Löns
Der letzte Hansbur
Hermann Löns

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Der Beifinger

Das Kind schlief und Detta Hehlmann sah es an, bis daß der gelbe Vogel draußen so laut an zu pfeifen fing, daß sie nach dem Fenster sehen mußte.

Im Garten ging der Wind; das Weinlaub war rege und ein weißer Nägelchenbusch ging immer auf und ab.

Der jungen Frau bedünkte es, als hätte sie das alles noch kein mal gesehen. Vier Tage waren es erst her, daß sie von den Füßen mußte, aber ihr war zu Mute, als wenn ein Jahr darüber hin wäre.

Noch kein mal war ihr das Weinlaub so schön vorgekommen und noch nie hatte der Wigelwagel so süß in den Hofeichen gesungen.

Ihr wurde ganz weichmütig zu Sinne und die Augen gingen ihr über. Ihr war so wunderlich, daß sie die Hände falten mußte.

Ihren Johann hatte sie, einen guten Mann, und dann dieses Kind, so schön und so gesund. Am ersten Maitage in der Frühe war es dagewesen, ein Morgenkind, ein Maikind, und darum war es wohl so schön.

Die Mutter hatte recht; heute hatte der Junge ganz andere Augen.

Detta lächelte und dachte an die Worte der alten Magd: »Am dritten Tage bekommt ein Kind die Seele. Der Adebar bringt sie ihm. Bis dahin ist es nicht mehr, als ein unvernünftiges Vieh.«

Das alte Mädchen steckte voll von Heidenglauben. Sie war manchmal nicht ganz bei sich, die alte Hermine; sie hatte auch ein trauriges Leben gehabt.

Sie war mit einem Großknecht versprochen gewesen. Da kam der Bonaparte und nahm ihr den Bräutigam.

»Ich wollte ihm etwas Gutes mitgeben«, hatte die alte Magd an Dettas Ehrentage erzählt, »und da konnte ich nicht anders, als meinem Karl zu willen sein. Und das ist mir heute noch nicht gereut.«

Der Bräutigam blieb in Rußland; es kam nie wieder eine Kunde von ihm. Sein Kind aber wuchs auf dem Hehlenhofe zu einem strammen Jungen heran und kein Mensch trug es ihm nach, daß er ein lediges Kind war. Zwei Jahre war er schon Kleinknecht, da schlug ihn der Schimmel tot.

Das arme alte Mädchen! Die junge Frau sah zu ihrem Kinde hinab. Das rechte Händchen mit dem Beifinger lag auf dem Kissen.

Ihr trat der Großvater ihres Jungen vor die Augen. Der wilde Hehlmann hatte er geheißen. Ein Kerl, wie eine Tanne war er, mit Augen, die einen hellen Blick hatten.

Der war auch mit zwölf Fingern auf die Welt gekommen und sein Haar hatte im Nacken just solchen Wirbel, wie sein Enkelkind, das er nicht mehr sehen sollte, denn er lag schon einige Jahre neben der Kirche.

Durch eigene Schuld war er mit sechzig Jahren unter die Erde gekommen, denn von Rechts wegen mußte er es auf hundert bringen. Aber seine zwölfhundert Morgen Eigenjagd waren ihm zu wenig; er hatte immer den Grenzstein in der Tasche und jagte, soweit der Himmel blau und die Heide braun war.

Als er wieder einmal im Königlichen jagte, hatten ihn die Förster spitz gekriegt und mit dem Hunde seine Spur ausgearbeitet. Aber der alte Hehlmann hatte es gemerkt und obzwar es wintertags war, hatte er sich nicht besonnen und war drei Male bis an die Brust quer durch die Beeke gegangen und hatte dann naß wie eine Katze im Bruch den Abend abgewartet, ehe er auf Umwegen nach seinem Hofe ging.

Acht Tage hinterher lag er steif und kalt auf dem Schragen; eine Lungenentzündung hatte ihn umgeworfen.

»Bis auf das Letzte ist er gegen den Tod angegangen«, hatte die alte Hermine erzählt. »Er wollte und wollte nicht sterben. Noch nicht, noch nicht, schrie er immer; es war schrecklich anzuhören. Schlecht war er nicht, aber er gehörte hier nicht her. Er hielt den Kopf höher, wie ein adeliger Herr, und es war keine Frau und kein Mädchen, das ihm in die Augen sehen konnte, ohne daß ihr das Blut in die Backen sprang. Gegen Kinder und Hunde war er von Herzen gut, aber die Mannsleute kriegten gefährliche Augen, wenn die Rede auf ihn kam. Wo ein glattes Gesicht war, da war er nicht weit; in seinem letzten Jahre mußte seinethalben noch eine Magd vom Hehlenhofe. Er war kein Mann für geruhige Zeiten; es war ein Kerl, wie man sie braucht, wenn die Kriegsvölker zu Gange sind.«

Dettas Gesicht wurde ernst. Der Beifinger ihres Jungen und der Haarwirbel im Nacken wollten ihr nicht aus dem Sinne.

Und dann dachte sie an das, was man von dem Großvater des Großvaters erzählte, von Hans Detel Hehlmann.

Mit dem hatte es ein schlimmes Ende genommen. Er hatte den Hut aufbehalten, als der adelige Herr vorüberging, denn er hatte einmal einen Ärger mit ihm gehabt. Da hatte der Herr ihn mit der Peitsche über den Hut geschlagen und gerufen: »Mach' dich bar, Bauer!« Und da war der Bauer zugesprungen, und hatte den Ritter mit der baren Faust totgeschlagen.

Bei Nacht und Nebel war er aus dem Lande gegangen und in dem Hausbuche stehen hinter seinem Namen die Worte: »Es kam niemals wieder eine Kunde von ihm. R. i. p.«

Dettas Augen wurden wieder heller. »Die Welt geht jetzt einen geruhigeren Gang«, dachte sie. »Und ist der Junge auch an der Reihe, daß das wilde Blut bei ihm hochkommt, Johann und ich, wir wollen schon dafür sorgen, daß es sich in Zucht und Sitte hält. Alle Mannsleute sind zuletzt von wilder Art, die besseren wenigstens.«

Sie dachte an ihren Jochen, der ihr anfangs fast zu gut vorgekommen war. Eines Tages jedoch hatte der Knecht den Rappen mit dem Forkenstiel über das Maul geschlagen; da hatte der Bauer aber losgelegt; wie ein Ungewitter polterten seine Worte über den Knecht her. Und da wurde der Knecht frech und machte eine ausverschämte Redensart. Es sollte ihn bald gereuen. Hehlmanns Augen wurden rund und blank; mit einem Griffe hatte er den Burschen bei der Brust und ehe der es sich versah, lag er im Entenpump. Ganz voll von Entenflott kam er wieder heraus, nahm seinen Lohn, packte seine Sachen und machte, daß er weiter kam.

Der Fink im Garten sang immer und immer wieder dasselbe Lied und der Wigelwagel flötete in einem fort auf die gleiche Art. Und immer und immer wieder gingen die grünen Blätter und die weißen Blumen hinter den kleinen Scheiben auf und ab.

Der jungen Frau fielen die Augen zu. Aber mit einem Male seufzte sie auf und sah wild um sich. Sie sah nach der Wiege und dann hinter dem Traume her, der eben bei ihr gewesen war.

Da hatten auf einmal zwei Frauen bei der Wiege gestanden. Die eine, die mit dem braunen Gesicht und den Augen, so schwarz und blank, wie der Ruß am Rehmen, war aus dem Moore gekommen, denn sie roch nach Post.

Die andere, deren Gesicht wie Milch war, mit Augen, so blau wie Bachblumen, war über die Wiesen gekommen, denn von ihren Kleidern kam der Geruch von Gras und Blumen.

Sie standen bei der Wiege und besahen das Kind. Die Frau mit dem gelben Gesicht hatte gemurmelt: »Als wie ein Herr sollst du leben.« Dann machte sie das Hexenkreuz über dem Kinde und war verschwunden.

Die andere Frau aber machte über dem Jungen das Zeichen, das die Bauern vom Hehlenhofe seit unvordenklichen Zeiten als Hausmarke hatten und flüsterte: »Und dein Knecht sollst du sein.« Dann war sie nicht mehr zu sehen.

Die junge Frau dachte nach. Träume sind Schäume, sagt der Pastor, und dann fiel ihr die alte Hermine ein, die so fest an Träume glaubte, daß sie ihr eigenes Begräbnis voraussagte.

»Mein Karl hat mich wissen lassen, ich soll Sonntag bei ihm sein«, hatte sie Freitag gesagt. Am Sonnabend Morgen lag sie tot im Bette.

»Wer hat recht?« dachte die junge Frau und sah nach dem Fenster. »Hat der Pastor recht oder Hermine? Der Pastor hat die Wissenschaft, aber das alte Mädchen hatte den Glauben.«

Wieder lächelte sie, es kam ihr in den Sinn, daß sie als Schulmädchen ein Buch gelesen hatte, in dem die Geschichte von der guten und der bösen Patenfee stand.

Dieses alte Märchen war ihr im Schlaf wieder eingefallen.


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