Hermann Löns
Der letzte Hansbur
Hermann Löns

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Am Toten Ort

Der Tote Ort war ein alter Eichenbusch mit vielen frischen Quellen, der an der Grenze der Hehlenheide über der Hover Mühle lag, die dem Müller Beckmann zugehörte. Vom Hehlenhofe war es eine halbe Pfeife Tabak bis dahin.

Der Ort war verschrien, denn es ging die Sage von ihm, daß zu Kriegszeiten die Bauern von Ohlendorp, Lichtelohe und Krusenhagen dort ein Kesseltreiben auf Marodebrüder abgehalten und ihrer dreißig erschlagen hätten.

Die Heide bis zu dem Busche gehört noch dem Hehlenhofe, der Busch selber aber war des Müllers Eigentum, der seine kleine Eigenjagd verpachtet hatte.

Schon im dritten Jahre war Göde hinter dem großen Bocke her, der im Toten Ort seinen Hauptstand hatte und manchen tauben Gang hatte er ihm zuliebe gemacht.

An einem schönen Maitage in der Unterstunde schlumpte es. Göde saß noch keine Viertelstunde, da trat der Bock aus und stellte sich breit und blank vor ihn hin.

Der Junge nahm dem Bocke das Maß und sah, wie er im Feuer stürzte; als er ihn aber gnicken wollte, nahm der Bock sich auf und sprang in den Busch.

Göde trat an die Grenze und hörte, daß der Bock nicht weit von ihm noch ein paar Male schlug.

Der Junge sah sich um; es war kein Mensch zu sehen und zu hören. Bei der Mühle krähte ein Hahn, im Hehlloh rief der Schwarzspecht, ein Buchfink schlug und laut spielten die Quellen.

Er steckte seine Büchse unter einen Machangel, sah sich noch einmal um und trat in den Busch. Das Herz klopfte ihm im Halse und er verjagte sich, als der Markwart ihn anmeldete.

Aber dann schlich er vorwärts auf dem Schmoorboden, der laut quatschte, wenn Göde den Fuß aus dem Schlamme herauszog.

Auf einmal wurden seine Augen groß; da lag der Bock vor einem breiten Hülsenbusch. Ordentlich schön sah er aus, wie er so dalag, feuerrot in der Sonne vor dem dunklen Busche.

Er zog ihn bis an den Rand des Busches, ging dann zurück und deckte jeden Tropfen Schweiß mit altem Laube zu, und dann nahm er den Bock auf und ging damit über die Grenze bis hinter einen breiten Machangelbusch.

Als er zurückging, um seine Büchse zu holen, stand ein Mädchen da und lachte ihn an.

Göde kannte sie von Ansehen, es war Miken, die angenommene Tochter des Müllers, ein über ihr Alter großes, schönes Mädchen, die wildeste von allen, die in die Lichteloher Schule gegangen waren und von der es damals schon hieß, daß sie in manchen Sachen besser Bescheid wisse, als andere Mädchen, die schon längst aus der Schule waren.

Sie lachte, daß ihre Zähne blitzten und fragte: »Na, hast'n endlich dot? Ich habe dich schon manchen Tag hier gesehen.«

Göde murmelte etwas vor sich hin und überlegte, was er machen sollte. Hatte Miken gesehen, daß er den Bock aus dem Busche geholt hatte? Aber was wird das Mädchen wissen, wo die Grenze geht, dachte er und brach den Bock auf.

Miken kniete bei ihm nieder und sah neubegierig zu. Göde sah sie von der Seite an und ihm wurde ganz absonderlich zu Mute. So dicht war eigentlich noch nie ein Mädchen bei ihm gewesen.

Wie rot ihr Haar war, grade so wie der Bock, und kraus war es und leuchtete, wie eitel Gold. Und ihre Haut war schier und so weiß, ganz anders, wie bei den anderen Mädchen. Und was sie für einen roten Mund hatte.

Als der Bock aufgebrochen war und Göde ihn an eine Fuhre gehängt hatte, wusch er sich die Hände und Miken trocknete sie ihm mit ihrer Schürze ab. Ihm wurde der Hals eng, als sie so dicht bei ihm stand und seine Hände rieb und ein Schudder lief ihm über die Brust.

»Hast noch Zeit?« fragte sie und sah ihn mit kleinen Augen an. »Wollen uns noch was erzählen. Hier kommt meistens kein Mensch her.«

Sie zog ihn hinter den Machangelbusch. »Mich wundert bloß«, sagte sie und sah ihn verliebt an, »daß du erst zwei Jahre aus der Schule bist, so groß wie du bist. Du siehst aus, als wenn du meist schon achtzehn wärst.«

»Du auch«, lachte Göde und sah an ihrer Brust herunter und an den weißen Armen, die kaum ein bißchen verbrannt waren; »du könntest dreist für achtzehn gelten.«

Das Mädchen lachte eitel. »Was du für schönes Haar hast«, sagte sie dann und ging ihm mit den Fingern über den Kopf, »so gelb wie Haberstroh. »

»O, Junge, du hast ja zwei Wirbel«, fuhr sie fort und rückte immer näher an ihn heran, daß ihr Atem über sein Gesicht ging und ihm das Blut in die Backen sprang.

»Brauchst keine Bange zu haben, daß ich was sage«, flüsterte sie; »dem Müller ist es gleich, wer den Bock kriegt und der Hauptmann soll ihn nicht haben. Ich hab'n ihm schon zweimal weggejagt. Der tut so, als wenn ich gar nicht auf der Welt bin. Mußt aber auch mal wiederkommen. Hier ist es so langweilig. Lauter alte Leute!«

Sie seufzte und schummelte sich immer dichter an ihn heran und sah ihm in die Augen. »Was für Augen sie hat«, dachte der Junge, »solche habe ich meinen Tag noch nicht gesehen. Grün und braun durcheinander.«

Und dann ging er mit seiner Hand über ihren Arm, und wie Feuer lief es ihm über die Brust.

Das Mädchen warf ihm die Arme um den Hals: »Komm, Junge, sei nicht dumm, du bist so'n hübschen Jungen. O was du für'n hübschen Jungen bist, mein Göde, so'n hübschen Jungen.«

Mit trockenen Lippen und wildem Atem sprang Göde nach einer Weile auf, es sauste und brauste ihm in den Ohren und seine Brust flog.

Das Mädchen hing an seinem Halse: »Wann kommst du wieder? Komm morgen. Ich mache dir noch einen Bock aus; ich weiß noch einen gehen. Und wenn du kommst, dann brauchst du nur zu flötjen wie der Wigelwagel, das kannst du doch? Paß' auf!«

Sie machte den Mund spitz, pfiff wie der Pfingstvogel und gab auch das Kreischen wieder. »So mußt du es machen, Göde, dreimal schnell hintereinander und dann das olle Schreien hinterher. Dann weiß ich, daß du da bist. Du kommst doch wieder, nicht? Alle Jungens sind hinter mir her«, setzte sie hinzu, »aber du bist doch der Beste. Ich hab' schon immer nach dir ausgesehen.«

Als Göde über die Heide ging, den Bock über den Nacken geschlagen, wußte er nicht, ob er sich freuen oder schämen sollte.

Diese Miken! Also so ist das mit den Mädchen und darum stellen sich die Jungens ihretwegen so an. Mancherlei ging ihm durch den Sinn, was ihm früher dunkel geblieben war.

Auf einmal mußte er lachen: was wohl die anderen Jungens sagen würden, wenn die das wüßten! Aber dann war es ihm wieder, als wenn er sich schämen müßte. Wie Wolf das wohl aufnehmen würde?

Er erinnerte sich, was für ein Gesicht der gemacht hatte, als ihnen in der Heide die beiden Celler MascherweiberBewohner der Vorstadt an der Allermarsch bei Celle, wo früher allerlei Volk wohnte, das Zigeunerblut im Leibe hatte begegnet waren und gesagt hatten: »Deubel, was seid ihr für'n paar glatte Jungens! Fiken, was meinst'e, das wären so'n paar Äppel für'n Durst!«

Da hatte Wolf die Nase hochgehalten und leise gesagt: »Pfui Deubel!«

Als er nach Hause kam, fand er im Flett ein Mädchen vor, das beim Feuer kniete, so daß ihr Gesicht ganz rot von den Flammen war. Als er eintrat, sah sie auf.

»Gib deiner Kusine die Hand, Göde«, rief die Mutter; »das ist Meta Dettmer. Vertragen werdet ihr euch wohl.«

Meta stand auf, wischte sich die Hand an der Schürze ab und streckte sie Göde hin. Der wunderte sich, wie kühl ihre Hand war; Mikens Hände waren heiß gewesen.

Sie fegte die Asche zusammen und Göde mußte sie ansehen, denn sie war so flink und doch so ruhig dabei. Als sie nachher zusammen sprachen, sah sie nach seinem Arm und nahm ihm ein langes, rotes Haar, das an seinem Ärmel hing, fort.

Und da steckte sich Göde rot an und ging schnell fort.


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