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Hubb der Hüne lag und schlief. Fest und tief schlief er, denn wer sollte ihn wohl stören hier an die tausend Fuß oder mehr unter dem Moore.
Er schlief und atmete tief und langsam. Jeden Neujahrsmorgen zog er die Luft ein und am Altjahrsabend gab er sie wieder von sich, und alle zehn Jahre schnarchte er laut und kräftig, daß es oben auf der Geest zu hören war. Wenn er aber hundert Jahre geschlafen hatte, dann drehte er sich auf die andere Seite. Alle tausend Jahre jedoch wachte er auf, wischte sich die Augen aus, gähnte und machte sich murrend und knurrend an die Arbeit.
Er rückte das unterirdische Gebirge, das inzwischen hier und da aus der Kehr gekommen war, gerade, sah nach, ob die Quellen noch so liefen, wie er es wünschte, und war das nicht der Fall, so stocherte er mit dem Finger ein neues Loch in die Erde und wischte mit der Hand die Quelle dahinein, denn er hielt sehr auf Ordnung, und es war ihm durchaus nicht nach der Mütze, nahm so eine Quelle ihren Lauf über seine Salzlager, denn die brauchte er für den Haushalt, oder fiel sie in seine Ölkammern, denn das Öl hatte er zum Schmieren seiner Stiefel nötig.
Vorläufig aber tat er das alles nicht, sondern war gerade im allerbesten Anschlafen, und er träumte sehr schön, denn er träumte, daß er noch fast neunmal hundert Jahre schlafen könne, und Schlafen war seine liebste Beschäftigung. Doch auf einmal war ihm so, als müsse er aufwachen, und als so Stücke zwei bis drei oder auch vier Jahre darüber hingegangen waren, vielleicht waren es sogar fünfe, wenn nicht gar sechse, da träumte er, seine Frau wäre beim Großreinemachen und bummste in einem fort mit dem Schrubber gegen die Schlafkammertür, was er für den Donner nicht vertragen konnte, und davon wachte er gänzlich auf.
Er gähnte so herzhaft, daß das ganze Moor an zu wabbeln fing, rieb sich den Schlaf aus den Augen, sah noch etwas dösig um sich, juckte sich das Haar, buddelte sich in dem rechten Ohr, auf dem er gelegen hatte, und dann sah er nach der Uhr: »Ein Tausend neun Hundert und ölfe,« brummte er, und dann sagte er: »Hm,« schüttelte den graublonden Kopf, machte ein ganz dämliches Gesicht und rief: »Hibbe, was ist denn das für ein Duffsinn, altes Mädchen, mitten in der Nacht die alte verrückte Reinmacherei!« Aber keine Hibbe meldete sich, und so stand Hubb murrend und knurrend auf, steckte das Licht an und da sah er, daß seine liebe Frau ganz friedlich dalag, den Mund offen hatte und geruhig und leise atmete.
»Du, Alte,« sagte der Hüne und rüttelte seine Eheliebste, »wach mal auf!« Es dauerte eine ganze Weile, so. Stücke zwei bis drei Jahre, wenn nicht vier bis fünfe oder gar sechse, bis die Frau so weit war, daß sie sich vermuntert hatte, und dann wurde sie zuerst ganz falsch und sagte: »Was soll der Unsinn, alter Döllmer, einen mitten in der Nacht zu wecken? Ich war gerade im schönsten Anschlaf! Und ich träumte just, Ballermannsmutter sei all wieder die Suppe übergekocht und über das halbe Land Italia gelaufen, und sie machte den Mädchen deswegen solche Schande, daß das olle Messina oder wie das Nest da unten heißt, von neuem in den Dutten gepoltert ist. Was hast du denn, Vater, daß du so'n verbiestertes Gesicht machst? Und wie kommst du bloßig auf den dummerhaftigen Gedanken, mich vor der Zeit zu wecken, wo du doch weißt, daß ich es davon in die Nerven kriege!« Sie faßte sich nach dem linken Schlaf und stöhnte: »Ach, du lieber Himmel; da geht es schon wieder los! Noch nicht mal in der Nacht hat man seine Ruhe. Hätt' ich doch bloßig auf meine Mutter gehört und wen anders genommen, als dich ollen Hibbelhans!«
Hubb bekam es nun mit der Angst, denn wenn seine liebe Frau Migräne bekam, so dauerte es mindestens zwei- bis dreihundert Jahre, ehe sie wieder in der Reihe war, und dann konnte er Feuer machen und Suppe kochen und den Estrich fegen, und das tat er verdammt nicht gern. So strich er ihr denn ganz sachte über die Backe und sagte: »Tja, Mutter, es ist man, nämlich, weil daß ich selber zur Unzeit aufgewacht bin, indem mir träumte, du wärest beim Reinemachen und bummstest gegen die Dönzentür. Sei man nicht böse, denn mir ist auch nichts daran gelegen, mitten in der Nacht aus dem Schlaf zu kommen. Aber ich möchte man bloß wissen, was das für ein dummerhaftiges Bummsen ober uns ist, das da in einem Ende im Gange ist. Erst dachte ich, es wäre da im Keller, aber da ist es nicht, und wie es mir scheinen will, so ist es oben auf dem Dache. Hörst du es nicht, Mutter? Es ist als mehr an einer Stelle. So 'was hab' ich meinen Lebtag nicht belebt, und ich bin doch nicht von heute. Komm, Altsche, zieh dir was aufs Leib. Woll'n mal nachsehen, was da los ist!«
Hibbe sagte erst: »Sieh doch selber zu, olle Bammelbüchse!« Aber als sie genauer hinhorchte, schüttelte sie besorgt den Kopf, sprang aus dem Bett, zog sich ihre Röcke und das Leibchen an, schlug das Brusttuch um, fuhr in die Strümpfe und die Pantoffeln und dann horchte sie schärfer hin. »Wahrhaftig, Mann,« sagte sie, »da werde ich nicht aus klug, aus diesem Gebummse. Aber daß du meinen konntest, das sei ich mit dem Schrubber, na, ich möchte bloßig wissen, wo du deinen Verstand hast. Aber nun hab' ich nicht eher Ruhe, als bis daß ich weiß, was dahinter stecken tut, denn mit richtigen Dingen geht das sicher nicht zu. Das ist ja gerade, als wie damals, wo wir bei Bullerjahns zu Kindtaufe waren, du weißt doch noch, wo der große Erdpott überkochte, und nachher hieß es, daß Herkulanum und Pompeji davon in die Wicken gegangen sind, wenn das man nicht was Ekliges bedeutet. Geh du man voran!«
Hubb war das nicht so ganz recht, denn der Mutigste war er just nicht; aber da ihm nichts anderes übrigblieb, und er Bange hatte, seine Frau könne ihm das vorwerfen, so stapfte er die Bodentreppe hinauf, alle Augenblicke stehen bleibend und sich nach Hibbe umsehend, die immer drei Stufen hinter ihm war und bei jedem Schritt mächtig aufstöhnte, denn sie war recht völlig und deshalb etwas kurz von Atem. So kamen beide bis an die Bodentür; da blieben sie stehen und horchten. »Bumms,« ging es, und wieder einmal »bumms«, und alle Augenblicke »bumms« und »bumms«. Hibbe stieß ihren Mann in die kurzen Rippen: »So mach doch auf, oller Döllmer! Hast wohl Angst?« Das konnte Hubb nicht auf sich sitzen lassen, er klinkte die Tür auf und sah durch die Ritze. Erst wollte er zurück, aber dann besann er sich, machte die Tür weiter auf, steckte den Kopf hinein, horchte, schüttelte den Kopf, leuchtete mit der Ölfunzel vor sich hin, lachte dann und flüsterte seiner Frau über die Schulter und sagte: »Bloß Menschen, Mutter; nicht der Rede wert. Komm zu; wollen uns mal ansehen, was die auf unserm Boden zu tun haben. Aber erst will ich mein Augenglas aufsetzen, wo hab ich es denn nu all wieder? Ach so!«
Er putzte die großmächtige Hornbrille mit seinem roten Schnupftuche, klemmte sie sich vor die Augen, zog die Stirn in Falten und brummte: »Ist das eine verrückte Bande! Ist das eine ausverschämte Gesellschaft! So ein freches Gesindel! Sieh bloß, Mutter, da ist doch rein das Ende von weg! Ja ich sage bloß; es wird noch so weit kommen, daß das Kroppzeug uns bis in die Dönze kommt! Da soll doch gleich ein heiliges Dreidonnerwetter, sage ich, hineinschlagen! In unserem Hause, sage ich! Auf meinem Boden, sage ich! Ohne Anfrage und Erlaubnis, sage ich! Den Deuwel auch, sage ich, da will ich doch einen Sticken beistecken, sage ich! Denn was zu viel, das ist zu viel, sage ich! Ich lasse mir viel gefallen, wenn es bloß ein Ende nimmt, sage ich! Mutter, was sagst du dazu, sage ich! Ist das nicht ausverschämt, sage ich! Na, denen wollen wir es aber beibringen, sage ich! Man schnell einen Pott Wasser und den Besen her, Mutter, sage ich! Ist mir das Takelzeug schon mitten in meinem Salz, sage ich! Und wahrhaftig, über das Öljefaß ist es mir auch schon gekommen. I, da soll denn doch gleich, sage ich!«
Während die Frau hinging, um Wasser und den Besen zu holen, ging ihr Mann näher heran und sah sich an, was da vorging. Aus dem Dache kamen an mehr als einer Stelle dünne Röhren, die sich drehten und in dem Salzlager herumbohrten. Hubb nahm sie zwischen die Finger und brach sie ab. An einer anderen Stelle krimmelte und wimmelte es von Menschen, die sich wie Ameisen zwischen den Gipsschichten zu schaffen machten. Hubb blies sie fort. Wieder an einer anderen Stelle bummste es fortwährend und der Mörtel fiel herunter. Hubb drückte mit der flachen Hand dagegen und das Bummsen hörte aus. Er ging zu seinem Schmierölbottich und sah, daß auch da einige Röhren, die aus dem Dach kamen, hineingingen, und als er nachmaß, fand er, daß mehr Öl weg war, als er verbraucht hatte. Er bog die Röhren zur Seite. Inzwischen kam seine Frau, goß einen Eimer Wasser über das Gipslager und fegte die Salzvorräte ab, und dann trat sie die kleinen zweibeinigen Käfer, die auf dem Boden herumliefen, tot, wobei sie jedesmal »Brr!« oder »Igitt!« sagte. Schließlich schob Hub den Ölkump ein Ende weiter, holte sich Lehm und Wasser, kleisterte die Risse in dem Dache zu und sagte zu seiner Frau: »So, Mutter, nun wollen wir Kaffee trinken und dann zu Bette gehen. Ich denke, vorerst haben wir vor dem Unzeug Ruhe.«
Durch die Zeitungen ging aber noch selbigen Tages folgendes Telegramm: »Ein bedeutendes Grubenunglück ereignete sich heute früh in der Lüneburger Heide. Um sechs Uhr dreiundvierzig Minuten hörte man ein unterirdisches Rollen zwischen Öldorf und Kalthagen, und in demselben Augenblicke rissen die Ketten der Fallmeißel und brachen die Rohre der Diamantbohrer der Gesellschaft ›Eulalia‹ ab, während in dem Schachte der Gesellschaft ›Herkules‹ gleichzeitig ein Wassereinbruch erfolgte, dem die gesamte Belegschaft zum Opfer fiel. Nach Urteilen Sachverständiger handelt es sich um einen Zusammenbruch der Anhydritschichten, also um ein lokales Erdbeben tektonischer Art. Der Schaden wird auf elf Millionen Mark geschätzt. Mutmaßlich ist an eine Wiederaufnahme der Arbeiten nicht zu denken. Rettungsarbeiten haben bislang keinen Erfolg gehabt.«
Dieweil nun da oben Jammer und Elend war, und die Kuxe von »Eulalia« und »Herkules« wertloser waren als Packpapier, lagen Hubb und Hibbe friedlich nebeneinander und schliefen sanft und selig.