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Aus fahler Heide erhebt ein einsamer Heidhügel seinen braunen Kopf.
Kurzgeschoren haben Schnuckenmäuler seine braunen Locken, die Nagelschuhe der Bauern haben darüber einen weißen Scheitel gezogen.
Am Grunde des Hügels, rechts und links von dem hellen, schmalen Fußpfade, liegen zwei große, mannshohe, von den grünen Ranken der Krähenbeere am Grunde umsponnene, mit grauen Flechten bedeckte Steinblöcke, einer licht, einer düster.
Zwischen ihnen und der Kuppe des Hügels, mitten in dem Fußpfade, steht eine hohe, dicke, zerzauste Hängebirke.
Um den Hügel breitet sich ein ebenes Feld aus, von Heide und kurzem, büscheligem Grase bedeckt, bestockt mit Hunderten und Hunderten struppiger Wacholdersträucher.
Weit und breit ist kein Hügel, wie dieser Hügel, keine Birke, wie diese Birke, kein Wacholderfeld, wie dieses hier, kein Findlingspaar, wie dieses.
Wenn ich auf dem Hügel im kurzen Heidkraut lag nach dem Frühanstand mit Hund und Büchse und die steif gefrorenen Glieder sonnte, dann habe ich mich immer gefragt, warum es weit und breit nichts Ähnliches gibt; ich konnte es mir nicht erklären.
Der Lehrer im Dorfe da unten, der Steine und Blumen sammelt, sagte mir, früher hätten hier mehr Birken gestanden, wären hier mehr große Wandersteine gewesen; die Bauern hätten die Birken geschlagen und die Steine für die Wegebauten zerschossen.
Jetzt liege ich wieder auf dem Hügel und träume hinaus; Nordwestwind schleudert scharfe Tropfen über die Moorebene, graue Wolken drängen sich am Himmel und hängen tief hinab, kein blaues Fleckchen schaut aus ihnen hervor.
Unter mir schwenkt die alte Birke mit stummem Wehklagen die langen, dünnen Zweige, langt in herzzerreißend sehnsuchtsvollen Bewegungen damit nach den Wacholderbüschen, die in wildem Sturme zucken und zappeln, als wollten sie sich losreißen aus dem blaugrauen Grase.
Das langt und greift mit dürren Händen so jammervoll hoffnungslos hinab, das ringt und drängt mit grünen Leibern so willig folgsam hinauf.
Wütender wird der Sturm. Die Birkruten fahren hoch in die Luft und fallen auf die Spitze des Baumes nieder, wie die Hände eines Menschen, der sich das Haar ausraufen will.
Und jetzt beugt sich der Baum, als wollte er hinab zu den Wacholdern; die Äste reiben sich, daß es gellend pfeift, so gellend, so grell, wie der Pfiff des Heidschäfers durch zwei Finger.
Dieser gelle, grelle, schneidende Pfiff gibt mir Antwort auf meine stumme Frage.
*
Es war einmal ein reicher Schäfer, dem gehörte weit und breit hier alles Land.
Süßes Gras bedeckte statt der dürren Heide und des sauren Rischs das Gelände.
Tausende von Schafen waren sein, nicht magere, ärmliche Schnucken, nein, hohe, feinwollige, stolze Tiere, mit Vließen wie von Seide.
Hier, wo der Hügel sich erhebt, stand sein Haus, aus behauenen Steinen festgefügt, nicht ärmlicher Art aus Ortstein und rohen Stämmen, wie der übrigen Bauern Hütten. Darum hießen sie ihn den Schäferkönig.
Sein Reichtum aber tötete seine Seele und härtete sein Herz.
Wenn die anderen Bauern und Schäfer an den heiligen Tagen den Göttern im Schatten der Eichkämpe auf heiligem Stein Pferdeopfer brachten oder mit lodernden Holzstößen die Erhabenen priesen, dann lachte er und schalt sie Toren und Tröpfe.
Als seine Knechte von den Opferstätten die heiligen Mährenschädel heimtrugen und sie an die Giebel seines Hauses hingen, stieß er mit seinem silberbeschlagenen Hütestock die Opfergedenken herab und schleuderte sie in die Herdflamme.
Wenn Wode Wodan. in stürmischen Herbstnächten in den Wolken weidwerkte mit Hussa und Horridoh und Hu und Hatz, dann schloß der Schäferkönig nicht Tor und Luke und legte sich zur Ruhe, sondern frech trat er in das Tor und lauschte dem Gejaid der Himmlischen.
Die klugen Männer, die weisen Frauen warnten ihn, doch er lachte über ihre Warnworte.
Einst stand er an einem heißen Sommertage vor seinem Steinhause; zu seinen Füßen lagen seine Lieblingshunde Donner und Blitz, weiß der eine, schwarz der andere. Da zog es schwarz herauf mit weißen Wetterköpfen in Ost und West, Süd und Nord.
Der Schäferkönig setzte seine silberne Pfeife an den Mund und pfiff in alle vier Winde, daß es gellend nach Ost und West, Süd und Nord hinausklang; da trieben seine Knechte die Herden von allen Richtungen heran, daß es krimmelte und wimmelte wie ein Meer.
Immer schwärzer wurden die Wolken, immer gelber die Flecke darin, immer lauter der Donner; die Knechte fielen ihrem Herrn zu Füßen und flehten ihn an: »Herr, opfere dem Thor, daß er seinen Steinhammer nicht nach uns werfe!«
Der Schäferkönig aber lachte und schalt.
Da knallte es, als wäre die Erde geborsten, da lohte es, als wäre das unterirdische Feuer hervorgebrochen, nach allen Richtungen hin stoben die Herden auseinander, stürzten in Gräben, sanken in die Tränken, stolperten über Heck und Steg.
Der Schäferkönig schrie nach seinen Knechten; die aber murrten, ließen die Herden im Stich und rannten zum heiligen Hain, dem zürnenden Gotte zu opfern.
Da winkte der Schäferkönig seinen Lieblingshunden Donner und Blitz, daß sie die Herden in die Ställe trieben; aber winselnd umkrochen sie seine Füße und rührten sich nicht vom Fleck.
Schwarz wie die Nacht ward es ringsumher, unhell wie der Tag dazwischen; Blitz um Blitz fuhr grell von Ost und West, Süd und Nord herab, vier Donnerschläge zugleich ertönten jedesmal dabei.
Wie Spreu im Winde stoben die Herden auseinander.
Der Schäferkönig stieß einen schrecklichen Fluch aus; er drohte mit seinem silberbeschlagenen Hütestock zum Himmel hinauf und rief: »Thor, bist du kein Unhold, so banne mir die Schafe! Aber das vermagst du nicht, du Segenvernichter!«
Das Dunkel verschwand, licht wurde der Himmel, still der Donner; stolz wie ein Sieger schaute der Schäferkönig um sich, aber Grauen verzerrte sein hartes Gesicht: vor seinen Augen schlugen seine Schafe Wurzel, ihr seidenes Vließ wuchs aus zu struppigem Grün; Tausende von Wacholderbüschen, eine grüne Herde, bedeckten das Land.
Da schwand des harten Mannes Stolz; er brach in die Knie, raufte sein Haar, streckte seine Arme nach seinen Herden aus und schrie und weinte und lachte.
Und dann riß er vom Ledergurt das blanke Schlachtmesser und zückte es verzweifelt gegen seine Kehle.
Aber sein Arm blieb starr, wandelte sich um in einen krummen Ast, seine Finger in dünne Ruten, seine Füße schlugen Wurzeln; eine mächtige Birke erhob sich an Stelle des Schäferkönigs.
Donner und Blitz, seine Lieblingshunde, wurden verzaubert in zwei Riesensteine, hell der eine, düster der andere.
Das steinerne Haus polterte zusammen, ein Trümmerhaufen, den Heide überwuchs.
*
Zum Heidhügel ist des Schäferkönigs Heim geworden, zur Birke der stolze Mann, zu Steinblöcken seine Hunde, zu Wacholderbüschen seine Herde.
Wenn der Sturm über die Heide fährt, dann ringt die Birke die Zweige, rauft mit ihren Ruten ihr Haar, langt und greift verzweifelt um sich und pfeift gellend den Steinen, die an ihren Wurzeln liegen.
Und die grüne Herde hört den Pfiff und will ihm folgen und ruckt und zerrt an ihren Wurzeln.