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Über ein Knicktor gelehnt

(Aus »Gedichte«, 1889)

 

Muß es sein – komm zuvor, komm zuvor;
im rücksichtslosen Angriff liegt der Sieg.

 

          I

Über das Knicktor mich lehnend,
Pendelt lässig mein Stock
In den übereinandergelegten Händen.
So dicht stehn mir die nächsten Ähren
Des bald sensendurchsurrten Roggenfeldes,
Daß sie die Stirn mir kitzeln.
Schon bräunen sie sich;
Hell doch sticht ihre Farbe ab
Gegen den grünen Heckenzaun,
Gegen den umgrenzenden Wall,
Den roter Mohn,
Blaue Kaiserblumen,
Gelber Löwenzahn,
Weiße Kamillen
In bunter Malerei
Prächtig überflochten haben.
Wahrlich, ein reizender Kranz
Für das große Kornviereck;
Dankbar gewunden
– Ein wenig voreilig scheint mir –
Dem künftigen Segen.
Wie still es ist;
Wie die Lerche jubelt,
Wie die scheue Wiesenralle schnarrt.
Friede, deine Himmelsfahne
Hängt breit und ruhig
Über meinem Haupte.

Hör ich nicht plötzlich vor mir,
Weit hinter dem Getreideschlag,
Schwach, wie aus einem Tälchen steigend,
Den Vorwärtsmarsch?
Mein Stock pendelt nicht mehr;
Ich recke mich,
Um über die leis im Winde
Spielenden Halmspitzen zu schauen.
Und, keine Täuschung mehr,
Über den spielenden Halmspitzen
Glitzern blitzende Helmspitzen.
Immer deutlicher klingen
Die türkische Trommel,
Die Becken,
Die Tuben.
Voran, auf milchweißem Hengst,
Den purpurne Ziertroddeln umtanzen,
Der spanischen Schritt geht
Wie der Gaul im Kunstreiterzelt,
Führt der Oberst.
Und, eine einzige Linie,
Folgt sein Regiment:
Im Gleichschritt,
Ein wenig hörbarer
Den linken Fuß setzend,
Im Takte der Musik
Vor den Füßen
Das wachsende Brot;
Hinter den Füßen
Das zerstampfte Brot,
Die Wüste.
Schrecklich sind der Kriegsbestie
Zerkauende Kiefer;
Aber nie werden sie ruhen,
So lange der Menschen »verfluchte Rasse«
Die schöne Erde bevölkert.
Nur vorwärts, Grenadiere!
Kein Zagetreten!
Ihr verteidigt das Vaterland!
Über euren aufgepflanzten Seitengewehren,
Im rücksichtslosen Angriff,
Schwebt die Siegesgöttin,
Hinter ihnen her zieht schnell der Friede.
Doch ach, ist sein Triumph
Der Triumph ewiger Dauer?
 
II


 

Oftmals hab ich schon in ihren Armen gedichtet,
Und des Hexameters Maß leise mit fingernder Hand
Ihr auf den Rücken gezählt. Sie atmete lieblichen Schlummer.
Und es durchglüht ihr Hauch mir bis ins Tiefste die Brust.
Römische Elegien, V.

 

                Goethe, du Prachtkerl,
Wußtest du nicht,
Als du diese Doppelzeilen uns schenktest,
Daß die deutsche Schönwissenschaft
Von den Familienmüttern
Streng geprüft und überwacht wird?
Daß das Heer
Der albernen Beurteiler,
Die nicht mitfühlen können,
Elender Allerweltsschwätzer
Dich in die Hölle verdammen,
Dich gehässig begeifern würde?
Und du nanntest diese Krächzer,
Diese beschränkten, hämischen Heuler,
Diese kleinlichen Seelen,
Die deine Anmut,
Deine goldene Künstlerhand
Nicht einmal ahnen können
In ihrer geheuchelten Tugend,
In ihren gräßlichen Mathematikherzen,
In ihrer skatledernen Dürftigkeit –
Du nanntest diese Gesellschaft
Hunde?
Diese Gesellschaft:
Nüchterner als die weißen Kalkwände
Einer lutherischen Dorfkirche;
Hochmütiger als Satanas;
Die, wenn sie nicht anders kann,
Als ein Anerkennungchen
Sagen zu müssen,
Mit sauersüßen Mienen
Stets beginnt:
»Ich gebe ja zu, daß...«
Diese Gesellschaft
– Ich frage dich zum andern Mal –
Nanntest du
Hunde?
Gewaltiger! Ich lache dich aus,
Daß du einige Stunden
Dir verbittern ließest
Durch Hunde.
Einst, du Hoher,
Fingerte ich Verse wie du.
Himmlisch war es.
Gaukelnd von Holdchen zu Holdchen,
– Abwechslung verdumpft das Herz nicht –
Hatt' ich sie alle so gern.
Freilich, der Philister schaudert
Bei diesen Worten;
Annehmbarer schon klingt es der biederen Seele,
Zahmer, harmloser, erlaubt.
Ein ander Städtchen, ein ander Mädchen
Damals dacht' ich nicht an dich,
Du treues Roggenfeld.
Rosen wand ich
Der Liebsten ins Haar;
Mit Spangen und Ringen
Schmückt' ich ihr Arm und Hände,
Heute steh ich ernst am Knicktor,
Zusammengerafft,
Klarer, denkender,
Der gefällten Ähre
Unvergleichliche Wichtigkeit erkennend.
 
III

 

Das Beste

Von allem das best'
Ist ein Herz, heiter und fest,
Ein gesunder Leib,
Ein liebes Weib
Und ein kleines Eigen,
Wer das hat, mag sich freun und schweigen.

Johannes Trojan

 

        Ein kleiner Besitz,
Zwei Schweinchen und eine Kuh,
Bei meinem Hause
Ein Garten mit Kohl und Kartoffeln,
Und ist noch Raum:
Mit einem Nelkenbeet
Und einer Laube.
An schönen Sommerabenden
Stützen mein Weib und ich uns
Über das Gitter
Unsres einzigen Roggenfeldes.
Aller Fährlichkeit trotzen wir,
Mein Weib und ich.
Wie ich sie liebe, die eine nur.
Wie wir gemeinschaftlich
Des Lebens trümmertragenden Strom
Kräftig durchteilen;
Eins dem andern
Trost und Halt sind.
Nach hartem Tagesmühn
Schmauch dann ich
Das Pfeifchen der Zufriedenheit.
Und des gesundesten Schlafes uns freuend,
Beginnen mit Sonnenaufgang wieder wir
Der Pflichtstunde geregelte Arbeit.
Hüte dich, mein Herz,
Vor dieser Zufriedenheit;
Sie lullt dich ein,
Daß du selbstisch wirst,
Und selbstgefällig und protzig,
Und kleinlich und enge;
Daß du dir sagst:
Was gehn mich die andern an;
Daß du verknöcherst, verschachtelst,
Und der Deutschen furchtbare Zwingherren
Sich einnisten bei dir:
Hochmütige Spießbürgerlichkeit,
Einseitige Schulweisheit,
Eigensinnige Vorurteile.

Doch, doch! Bei dem ewigen Himmel!
Kranz und Krone, ihr winkt
In des schicksalumlauerten Lebens
Atemlosem Wettlauf:
Ein kleines Eigen,
Ein liebes, stolzes Weib.
Dann: Ein gerader Sinn,
Ruhig Überlegen,
Richtig Fühlenkönnen:
Das ist der Weg der Wahrheit,
Den ich gehe.
Und unablässig die Bitte
An die Sterne:
Daß ich ein guter, edler Mensch werde;
Daß ich dem Nachbar helfe, wo ich kann,
Daß ich ein frisches Herz behalte,
Ein fröhliches!
Trotz allem Drang und Druck der Erde.


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