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I.
Wie? Henry Thode hält ein Kolleg über moderne Malerei? Risum teneatis amici! Derselbe, über den Franz Wickhoff, Professor der Kunstgeschichte an der Wiener Universität, in Nr. 4 der Kunstgeschichtlichen Anzeigen vom Jahre 1904 schreibt: »Henry Thode, der privilegierte Entdecker, der die Welt seit langem mit falschen Dürers, Mantegnas, Correggios und so weiter überschwemmt, der einen ganzen Band mit Bildern Dürers herausgegeben, von denen jedes von anderer Hand ist. Der kennt ja nicht nur Dürer nicht, sondern auch alle die andern Schulen müssen ihm fremd sein, aus denen er all die falschen Bilder gefischt hat.« Und derselbe Gelehrte schließt seine Besprechung von Thodes Entdeckung des Kruzifixes Michel-Angelos in San Spirito mit den Worten: »Man glaubt, wenn man die Zuschreibung an Michel-Angelo hört, ein Spaßvogel habe sie gemacht. Es war aber ein unfreiwilliger.« Thodes Ankauf des sogenannten Correggio für das Städelsche Institut werden die Frankfurter wohl in guter Erinnerung haben.
Begeisterung durchbrauste nun ganz Deutschland, als eine geschäftige Presse eines schönen Tages orbi et urbi verkündete: Herr Geh. Rat Thode hat nach der Lektüre des Meier-Graefeschen Buches »Der Fall Böcklin« sich entschlossen, ein Kolleg über moderne Kunst zu lesen. Ein so gediegener und gründlicher Kenner der alten Kunst ist naturgemäß der berufenste Beurteiler der neuen Kunst. Schon die einleitenden Worte seines ersten Vortrags geben den vollgültigen Beweis dafür. Thode schildert den Einfluß des Impressionismus mit den lapidaren Worten:
»Die meinungsbildende Kraft der modernen Kunst ist ein kleiner Kreis in Berlin, der in inniger Beziehung zum Kunsthändler steht.«
Als ob ich behaupten würde, daß Richard Wagner seine Berühmtheit nur dem Umstände zu verdanken hätte, daß Henry Thode sein Schwiegersohn geworden ist. Freilich wird jede neue Kunst zuerst nur von einem kleinen Kreise verstanden, aber sämtliche Liszts, Bülows und – last not least – Thodes wären nicht imstande gewesen, Richard Wagner zu »machen«, wenn er nicht zufälligerweise ein – Wagner gewesen wäre.
Auch weiß jeder Student der Kunstgeschichte im ersten Semester, daß der böse Impressionismus, dessen Verherrlichung in den Büchern Meier-Graefes Herrn Thode so in Harnisch gebracht hat, daß er sich entschloß, ihm sein »Quos ego« zuzuschleudern, gerade so alt ist wie die Malerei. Witzig nannte mein verstorbener Freund Bayersdörfer Piero de la Francesca, von dem Geh. Rat Thode schon gehört haben dürfte, den ersten Professor für Plein-air-Malerei, und ich bin überzeugt, daß sogar Thode, wenn er sich einmal ein paar Stunden seiner kostbaren Zeit absparte, um die Bilder eines gewissen Velazquez zu betrachten, in dem Spanier eine impressionistische Anschauung »entdecken« dürfte, die über Goya zu Manet führt.
Sollte aber Herr Geh. Rat Thode auch fernerhin die ganze impressionistische Richtung in der modernen Kunst für »Unsinn, der nur aus Geschäftsrücksichten von einer gewissen Berliner Klique in die Welt posaunt wird,« erklären, – sollte er noch soviel Kollegs lesen, um Meier-Graefe-Ansichten zu widerlegen: immerhin darf man verlangen, daß er mit anständigen Waffen, das heißt mit Gründen streite.
Wenn aber ein Professor an einer der ersten Universitäten Deutschlands in einer reinkünstlerischen Angelegenheit mit persönlichen Insinuationen, wie »Mangel an nationalem Empfinden«, »Nachahmen der Franzosen«, »Poesielosigkeit« und andern aus der Rüstkammer der Antisemiten entnommenen, bereits ziemlich verrosteten Waffen den Feind zur Strecke zu bringen versucht, so beweist das nur, daß er seinen Gegner mit sachlichen Gründen nicht zu widerlegen vermag; mit anderen Worten: daß der Herr Geh. Rat Thode von neuer Kunst gerade so viel versteht wie von der alten.
*
II.
Die Veröffentlichung, mit der Herr Thoma für seinen Freund Thode vor die Bresche tritt, macht seinem Charakter alle Ehre; sie ist von echter Freundschaft und schöner Dankbarkeit diktiert. Aber diese Gefühle haben ihm den sonst so klaren Blick umnebelt. Thoma verkehrt die Sachlage und er richtet sich mit seiner Darstellung an eine falsche Adresse: seinen Zorn über die Bücher Meier-Gräfes möge er diesen entgelten lassen. Herr Meier-Gräfe wird ihm zu antworten wissen.
Nicht ich habe Thode, sondern Thode hat mich angegriffen. Nicht ich habe die Gefühle, die den Herren Thode und Thoma heilig sind, verspottet, sondern Thode hat der Kunst-Anschauung, die mich erfüllt, infamierende Beweggründe untergelegt. Freilich stellt man es jetzt so dar, als ob die Reporter, deren sich Herr Thode bedient, die Worte ihres Meisters sinnentstellend wiedergegeben hätten. Dann hätte Thode, als er vor dem Publikum den Gegenstand dieser Polemik berührte, die Pflicht gehabt, seine übereifrigen Parteigänger mit klaren Worten zu desavouieren. Denn zu meiner Erklärung veranlaßte mich einzig und allein Thodes Insinuation, der Impressionismus sei eine von einem kleinen Berliner Kreise aus Geschäftsrücksichten zur Schau getragene und zu Markt gebrachte Kunstanschauung.
Wenn Herr Thoma mir vorwirft, daß ich Professor Wickhoff in Wien als Eideshelfer gegen seinen Freund herangezogen habe, so lag der Grund darin, daß jener Gelehrte als eine erste Autorität auf dem Gebiete kunstgeschichtlicher Forschung anerkannt ist. Nicht, wie Herr Thoma zu glauben scheint, um Meinungsverschiedenheit, nicht um Ansichten handelt es sich, sondern Wickhoff hat Thode eine Reihe gröbster Irrtümer nachgewiesen. Hätte Herr Geheimrat Thode diese vernichtende Kritik seiner Kennerschaft zu entkräften vermocht, er hätte schwerlich geschwiegen.
Ich bin alt genug, um zu wissen, daß man nur seine Anhänger überzeugt: deshalb habe ich nie den vergeblichen Versuch gemacht, Widersacher zu meinen Ansichten bekehren zu wollen. Ich maße mir nicht an, dem deutschen Volke seine Ideale zu rauben, ich gestatte mir nur gegen die Unduldsamkeit Einspruch zu erheben, mit der Herr Thode das, was er für recht und gültig hält, als das Ideal des gesamten deutschen Volkes proklamiert. Malerisch und poetisch ist nicht nur »die mondbeglänzte Zaubernacht, die den Sinn gefangen hält,« sondern auch – um mich der Worte des Herrn Thoma zu bedienen – »zwischen Berlin und Buxtehude« gibt es dessen genug. Die Kraft der Darstellung, nicht die Wahl des Stoffes macht den Künstler. Durch kein Dogma, durch keine noch so volltönende Phrase, durch kein nationalisierendes Schlagwort kann das weite Reich und das freie Recht der Persönlichkeit eingeengt und beschränkt werden.
*
Zum Abschluß der Auseinandersetzung mit Herrn Thode kann ich zu meiner Freude erklären, daß mein Zweck, wenigstens teilweise, erreicht ist: durch seine Berichtigungen berichtigt sich Thode selbst. Er erklärt jetzt einen Teil der diffamierenden Äußerungen gegen die neuere Kunstrichtung nicht getan zu haben. Vielleicht entschließt er sich auch dazu, seine Worte, »die Moderne sei unkünstlerisch, sei antideutsch, sie entfessele die bösen Instinkte« (Neue badische Landeszeitung Nr. 319), als Erfindungen seiner Berichterstatter zu bezeichnen.
Herrn Thode gebührt der Ruhm, für kunstwissenschaftliche Vorlesungen auf deutschen Hochschulen den elektrischen Schnellbetrieb, wozu die Berichterstattung in den Lokalblättern als notwendige Ergänzung gehört, eingeführt zu haben. Professor Schmoller in Berlin hat die Reportage über seine Kollegien durch gerichtliches Einschreiten verwehrt, nicht etwa wegen Entstellung seiner Worte, sondern weil solche Veröffentlichungen der guten akademischen Sitte zuwider, weil er sie für unschicklich hielt. Herr Thode hingegen erklärt, er habe keine Veranlassung gehabt, seine Berichterstatter zu desavouieren. Mithin war es auch in seinem Sinne, daß sie es für notwendig hielten, die Anwesenheit des australischen Fräuleins Isadora Duncan zur Zeugenschaft für Herrn Thodes Auffassungen über deutsche Kunst heranzuziehen.
Auf Professor Wickhoffs Nachweise gedenkt Thode nicht zu antworten: »er habe seine Argumente in Aufsätzen dargelegt.« Aber auf diese Aufsätze bezogen sich ja gerade Wickhoffs Äußerungen. Thodes Schweigen trägt also die Anerkennung der ihm vorgeworfenen groben Irrtümer in sich. Steht es nun so mit seiner Autorität auf einem Gebiete, worüber er seit zwanzig Jahren schreibt und spricht: mit welchem Recht läßt er sich über den Impressionismus vernehmen, mit dem er sich, allem Anscheine nach, erst seit dem Ende dieses heißen Sommersemesters zum Zweck seines ab irato unternommenen Vorlesungszyklus beschäftigt hat?
Erfreulich ist Thodes Versicherung, er werde sich der Phrasen und der Schlagworte enthalten. Gerade diese trennen mich von ihm: ich empfange für die Beurteilung von Kunstwerken mein Gesetz vom Kunstwerk selbst, Thode schätzt es danach ein, inwieweit es seiner vorgefaßten Meinung entspricht.
Für mich gibt es gute und schlechte Kunst; ihm ersetzt das, was er für Gemüt hält, nur zu oft das mangelnde Können. Daher weise ich die Lobsprüche, die Herr Thode mir als Künstler erteilt, auf das ernsteste zurück.