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Ende November vorigen Jahres sah ich Rößler zum letzten Male: er kam aus Belgien mit einem Kommando hier durch. Er hatte den Krieg von Beginn an mitgemacht, war zum Offizier-Stellvertreter und bald darauf zum Leutnant avanciert und mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden. In unzähligen Sturmangriffen und Gefechten war er unverletzt geblieben, aber der kaum fünfunddreißigjährige, stämmige Mann schien um Jahrzehnte gealtert: tiefe Niedergeschlagenheit lag auf seinen Zügen. Er war seelisch gebrochen, und als ich vierzehn Tage später die traurige Kunde erhielt, daß er in Arys in Ostpreußen, von einem Gehirnschlag getroffen, tot hingesunken sei, wurde meine schlimme Vorahnung nur bestätigt. Den fast übermenschlichen Qualen und Leiden, denen der Körper siegreich getrotzt hatte, war seine Seele erlegen.
Der Tod des mitten auf seinem Lebenswege Dahingerafften hat die deutsche Kunst um eine ihrer schönsten Hoffnungen beraubt, und wehmutsvoll betreten wir die Ausstellung seiner Werke, die die Witwe pietätvoll im Salon Cassirer zusammengestellt hat. Aber vor der stolzen männlichen Kunst des Frühvollendeten hat Sentimentalität zu verstummen: tapfer und mutig wie der Soldat, war in Rößler auch der Künstler.
Auf der Königsberger Akademie trefflich vorgebildet, kommt er nach Berlin, schließt sich unserm Kreise an und erkämpft sich mit seinem Bilde »Landschaft im Mai« (Katalog Nr. 6), das in der Sezession von 1907 ausgestellt wurde, die Aufmerksamkeit des Publikums, der Kollegen, und der deutsche Kunstverein, im richtigen Verständnis seiner Aufgabe, das aufstrebende Talent zu fördern, kauft das Bild zur Verlosung an. Es ist trotz seiner ziemlich großen Dimensionen ein anspruchsloses Bild ohne jede Sensationslüsternheit, ein Frühlingstag in Ostpreußen, daß dem in Dresden Geborenen zur Heimat geworden war, fast ohne Motiv, nur lyrische Frühlingsstimmung, diese aber durch die feinen Abstufungen in den Valeurs frappant wiedergebend. Schon in diesem Bilde, mit dem er zuerst vor die Öffentlichkeit trat, zeigt sich die eigene ursprüngliche Naturauffassung, die den großen künftigen Künstler verrät, und als solcher malt er nicht nur, was er sieht, sondern auch was er fühlt. Nicht die verstaubte Luft des Ateliers, sondern die frische Luft der Natur atmen seine Bilder. Wenig bedacht auf den gleißenden Vortrag, alles in den Ausdruck der Stimmung legend, nicht das Zufällige, sondern das Konstruktive suchend. Er baute seine Bilder wie der Architekt seine Häuser, flächig und in großen Maßen. Freilich verliert seine Farbe oft den Reiz und die Durchsichtigkeit, aber das Bild gewinnt etwas, was unendlich mehr wert ist; die Raumwirkung. Wir können in seinen Landschaften spazieren gehen, so klar sind die Pläne gegliedert, so groß ist der Raum gesehen. Und ich möchte fast behaupten, daß das Ungelenke seines Vortrages, statt seinen Bildern zu schaden, ihnen eher zum Vorzug gereicht, indem uns das rastlose Streben des Künstlers nach seinem Ideal, sein Kampf mit der Materie deutlicher vor Augen tritt. Wir sehen das Werden des Bildes vom Grundriß an, wie es emporwächst und wie es sich vertieft, wie der Maler arbeitet, nur auf den Eindruck bedacht, ohne sich durch Details von dem, was die Hauptsache ist und sein muß, ablenken zu lassen. Er malt nicht, was er will, sondern was er muß – so und nicht anders. Ganz und gar Lyriker, nicht von der Zartheit eines Corot, sondern eher von der herben Strenge der primitiven Deutschen.
Natürlich lassen ihn die Stimmungen und Sehnsüchte der Zeit nicht unberührt: er verfolgt aufmerksam und begierig, was vor ihm gemalt worden und was um ihn herum geschaffen wird. Aber das unterscheidet ihn von den törichten Nachahmern unter seinen Mitstrebenden, daß er nicht das Äußerliche, sondern das Innerliche der Meister zu verstehen und in sich aufzunehmen sucht. Er will nicht falsche Cézannes oder Van Goghs malen, sondern er studiert in Ihren Werken, wie sie ihr Naturempfinden zum Ausdruck gebracht haben. Dadurch bleibt er immer er selbst.
Wohl war er Schwankungen ausgesetzt, und die Ausstellung zeigt in manchem späteren Bilde statt eines Fortschritts eher einen Rückschritt, aber immer wieder, und zwar wie nach überstandener Krankheit neugestärkt, führt ihn sein gesunder Instinkt auf den rechten Weg zurück.
Der Künstler unterscheidet sich vom Kitschmaler vor allem durch die Gesinnung, und Lichtwark hat sogar den Satz geprägt: Talent ist Charakter. Ob das richtig ist, darüber zu streiten ist hier nicht der Ort, auf Rößler trifft es jedenfalls zu. Sein Talent war sein Charakter, und sein Charakter war sein Talent. Gerade jetzt wird so viel über Heimatskunst geschwatzt: sie liegt nicht im Sujet, nicht darin, daß jeder nur den Kirchturm seines Dorfes malt, sie liegt in der eigenen Naturauffassung, darin, daß der Maler das Sujet mit eigenen Augen schaut und wiedergibt. Man kann wie Berliner Maler blicken und den Nordpol malen, aber nur dann – wenn man ein Künstler ist, d. h. wenn man seinen Geist dem Stoffe aufprägt.
Viele Wege führen in der Kunst nach Rom, aber jeder Künstler muß seinen eigenen gehen, um ans Ziel zu gelangen, den Weg, den seine Überzeugung ihm vorschreibt. Rößler ist sich selbst treu geblieben, was bei seiner Jugend doppelt anzuerkennen ist. Mag er malen oder zeichnen oder seine Kriegserlebnisse uns berichten, immer spricht er seine eigentümliche Sprache. Die Zeitschrift »Kunst und Künstler« hat eine Anzahl seiner Feldpostbriefe veröffentlicht. Einfach und schlicht erzählen sie die grausigen Vorgänge, deren Zeuge er war, ohne irgendwelche Blutrünstigkeit, aber auch ohne falsche Sentimentalität. Auch in der Uniform bleibt er ein empfindender Mensch und der feine Künstler, der er im Frieden war. Februar 1915 schreibt er aus Brüssel; »Meine Kompagnie ist auf Gouvernementswache, ich bin frei und ledig aller Pflicht und benutze diesen schönen Frühlingstag, um in das neue Museum zu gehen und in das Bois de la Cambre. Auf den Straßen werden Weidenkätzchen verkauft, im Bois blühn schon die Gänseblümchen, und die Brüsselerinnen, trotzdem es ihnen nun allmählich auch weich ums Herz wird, markieren Feindlichkeit, indem sie ihren König Albert an der Brust tragen und auf dem Kopf eine Art belgisches Käppi, die neue Frühjahrsmode. Aber wir sind großmütige Sieger und sehen darüber lächelnd hinweg.« Und in einem andern Briefe berichtet er lakonisch: »Für die vor Lille ausgestandenen Gefahren erhielt ich das Eiserne Kreuz.«
Die Werke, die wir in der Ausstellung sehen, umfassen die kurze Zeitspanne von 10 Jahren; wer könnte sagen, was er geleistet hätte, wenn ihn nicht ein tragisches Geschick frühzeitig dahingerafft hätte. Eins steht fest; unter seinen Altersgenossen war er nicht nur eins der hoffnungsreichsten, sondern auch eins der gediegensten Talente. Die Rechtschaffenheit gegen seine Kunst verleiht seinen Bildern dauernden Wert, und wenn all das tolle Zeug, das uns das letzte Dezennium vor dem Kriege gebracht hat, längst von der Bildfläche verschwunden sein wird, werden Rößlers Bilder bestehen bleiben: denn sie sind ehrlich.
Wenn Deutschsein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen tun, so war Woldemar Rößler ein echt deutscher Künstler. Seine Werke verdienen den kommenden Geschlechtern als Zeugnis wahrhaften Strebens nach dem Höchsten und leidenschaftlicher Liebe für die Kunst aufbewahrt zu werden. Im Jahre 1910 erwarb die Bremer Kunsthalle auf unserer Ausstellung die schöne »Abendlandschaft« (Katalog Nr. 16), und im vorigen Jahre folgte diesem Beispiel die Berliner Kunstdeputation, indem sie für die neuzugründende städtische Galerie das Bild »Saamland« (das wir leider auf der Ausstellung vermissen) ankaufte. Noch manch anderes Bild, wie das schöne »Selbstporträt« oder »Die Malerfamilie«, »Die Fohlenkoppel« oder »Der Mann, die Straße kehrend« verdienen öffentlichen Sammlungen einverleibt zu werden, denn sie zeigen nicht nur das große Talent des Malers, sondern auch in seltener Treue, was in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Krieges die deutsche Kunst erstrebte und bewegte.