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August Gaul

Grabrede, 1921

Nichts Traurigeres kann das Geschick dem Alter auferlegen, als den um fast eine Generation jüngeren Freund dahinsterben zu sehen. Und einen Mann und einen Künstler wie August Gaul, der mir seit einem viertel Jahrhundert Mitarbeiter und Kampfgenosse gewesen! Von der Gründung der Berliner Sezession an. Aber nicht nur ein treuer Kampfgenosse, er war – was uns gerade jetzt so not tut in den schweren Zeiten, die wir durchleben, – Steuermann und Lotse zugleich, um den schwankenden Nachen der Kunst, der von Stürmen und Wellen hin- und hergeworfen wird, in den sicheren Hafen zu bugsieren. Denn sein unfehlbar sicherer Instinkt ließ ihn stets das Richtige erkennen.

In unserem dahingeschiedenen Freunde war Talent und Charakter eins. Oft ist das Genie, das die Götter dem Künstler in die Wiege legen, ein Danaergeschenk: es schwankt zwischen himmelaufjauchzend – zu Tode betrübt. Es ist der Kampf zwischen »Wollen« und »Können«, jenes faustische Unbefriedigtsein, das leider nur zu oft den Künstler verzehrt, ihn aufzehrt. Ein günstiges Geschick hat Gaul davor bewahrt. Von seinem Vater, einem Steinmetzmeister, lernte er spielend und unbewußt das Handwerkliche seiner Kunst und auf dieser einzig soliden Grundlage baute er, sicher wie ein Gebäude, seine Schöpfungen auf.

Weil Gaul nur ein vollendetes Handwerk schaffen wollte, deshalb schuf er vollendete Kunstwerke: er war – ihm natürlich unbewußt – genial, und weil er genial war, war nicht die geringste Spur von »Genialischem« in ihm. Er wollte kein Übermensch sein, sondern der einfache tüchtige Meister, wie die Dürer, die Veit Stoß und die anderen Nürnberger Künstler der Renaissance, mit denen der in dem Dörfchen Groß-Auheim unweit Hanau Geborene auch sonst manche Ähnlichkeit hat.

Derselbe liebenswürdige Humor, der in den Elsheimers und den fränkischen Meistern lebt, lebt auch in Gauls Werken. Der gesunde Instinkt der Kinder läßt sie die Tiere an dem Hardenberg-Brunnen streicheln. Jede seiner kleinen Tierplastiken möchten wir mit zärtlicher Hand liebkosen: sie gehen uns zu Herzen, weil der Meister ihnen seine Liebe eingeflößt hat, denn nur der Geist kann Geist erzeugen. Die ruhige Größe unseres verewigten Freundes drückt jeder seiner Arbeiten, jeder Zeichnung, jedem Entwürfe seinen Stempel auf, sie gibt ihnen die Harmonie, ihren vornehmen Stil. Jede, auch die kleinste Arbeit hat Stil, Gauls Stil – ohne stilvoll zu sein; – das macht die einzige Größe unseres vollendeten Freundes.

Aber, wird man mir einwerfen, er hat ja nur Tiere geschaffen. Nimmt ihm das etwas von seinem Werte? Nicht in der Wahl des Gegenstandes, sondern nur in der Auffassung des Gegenstandes liegt die Größe des Künstlers. Was uns Gaul zu sagen hatte, legte er in seine Tiere. »In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.« Aber jeder wahre Künstler ist autonom, ist sein eigener Gesetzgeber, und, indem sich Gaul an dem selbstgegebenen Gesetz mit rigoroser Strenge hielt, hat er sich zu der inneren Freiheit durchgerungen, die sich in dem winzigsten Tier, das er modelliert, ebenso zeigt wie in seinem letzten, großen Werke, dem Gorilla.

Als ich den todkranken Freund vor einigen Wochen besuchte, fand ich ihn vor seinem Atelier auf einem Ruhebett liegend, die letzten Strahlen der untergehenden Septembersonne genießend. Kaum hörbar forderte er mich auf, im Atelier den Affen anzuschauen. Als ich davorstand, konnte ich mich der Tränen nicht erwehren. Der Schöpfer dieses gewaltigen Werkes sollte uns entrissen werden? Die Entwicklung eines ganzen Lebens, die Entwicklung vom Schüler zum Meister liegt darin. Die im Jahre 1897 nach der Natur modellierte Skizze wurde erst in diesem Jahre lebensgroß in Stein übertragen, und bis in die letzten Tage vor seinem Tode hat er daran gearbeitet. Zu schwach, um selbst den Meißel zu schwingen, zeichnete er seinem Gehilfen mit Bleistift auf dem Stein vor, was er wegzuhauen hätte.

Mitten auf seinem Lebenswege und auf der Höhe seines Schaffens hat die unerbittliche Parze seinen Lebensfaden abgeschnitten. Dürfen wir deshalb mit der Vorsehung hadern? Nein! Wir dürfen nicht klagen, wir müssen dankbar sein, daß sie unserem lieben Meister vergönnt hat, sich bis zum Gipfel durchzuringen.

Treu und redlich hast Du mit dem Dir anvertrauten Pfunde gewuchert. Daher durftest Du beruhigt und sanft zum ewigen Schlaf eingehen. Trauernd – nicht wehklagend – umstehen wir Deine Bahre und rufen Dir den letzten Scheidegruß zu: heut zu Deinem 53. Geburtstage, den Du nicht erleben solltest, wir sind eines großen Künstlers, eines edlen Menschen beraubt, aber Dein Werk wird bleiben zu Deinem Ruhm, uns aber als leuchtendes Vorbild eines vom idealsten Streben erfüllten Lebens!

Und nun laßt uns Abschied nehmen von dem lieben Freunde, von dem teuren Manne mit dem stolzen Worte unseres großen Dichters: »Denn er war Unser!«


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