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Zwei Holzschnitte von Manet

»Kunst und Künstler«, 1905

... einen erläuternden Text zu den wunderschönen Reproduktionen nach Manet? Cui bono? Wer Manet versteht – und ihn daher liebt – braucht keine Erläuterungen, und wer ihn nicht versteht, noch viel weniger.

Auch Holzstöcke scheinen ihr Schicksal zu haben. Während der Holzschnitt der Olympia erst wieder durch Duret ans Tageslicht gezogen wurde, ist das Porträt der Dame, die den Kopf auf die Hand stützt, verschwunden gewesen: ebenso wie die Olympia hatte Manet das Porträt für ein Journal gezeichnet, das vor der Veröffentlichung der Zeichnung einging. Der Holzstock ist verloren gegangen und nur ein Probedruck hatte sich erhalten und nach ihm hat derselbe Xylograph, der seinerzeit Manets Zeichnung geschnitten, einen zweiten Holzstock hergestellt. Beide Holzschnitte sind im Original wiedergegeben: wir haben also Manets Handschrift vor uns. –

Wenn ich früher einmal Zeichnen als die Kunst wegzulassen definiert habe, so könnte ich keine besseren Beispiele für diese Definition auswählen, als die vorliegenden beiden Holzschnitte.

Alle Kunst ist Form und alle Form: Vereinfachung.

Wie die tausend Formen und Flächen des Gegenstandes, den der Künstler darstellen will, sich in seinem Kopfe zu wenigen, charakterischen vereinfachen, während seine Hand sie niederschreibt: das bildet den Zeugungsprozeß eines jeden Kunstwerkes. Weder der Kopf allein, noch die Hand ohne Kopf können ein Kunstwerk hervorbringen; beides ist, wie die Seele mit dem Körper, verbunden. Der Kopf ist der Vater, die Hand die Mutter und nur die aus dieser Ehe hervorgegangenen Kinder sind legitim, das heißt echte Kunstwerke.

Aber in den bildenden Künsten sind Inhalt und Form nicht nur, wie in den andern Künsten, untrennbar, sie sind auch in der philosophischen Bedeutung des Wortes identisch; ihr Inhalt ist die Form.

Natürlich können Malerei, Plastik oder Architektur – die man sogar gefrorene Musik genannt hat – poetische oder musikalische Gefühle in uns hervorrufen, aber sie dürfen sie nur durch die einer jeden der bildenden Künste eignen Ausdrucksmittel hervorrufen wollen. Sonst macht der Maler oder Bildhauer bei der Poesie oder Musik Anleihen, die er mit den rechtmäßigen Mitteln seiner Kunst nicht bezahlen kann.

Manet ist »Nur-Maler«. Er malt ebensowenig Poesie wie Musik, worüber die sogenannten Gebildeten aller Nationen quittierten, indem sie ihn gleichermaßen verabscheuten, und wohl immer noch verabscheuen, wenn sie sich jetzt auch schämen, es einzugestehn.

Manet so recht verstehn kann wohl nur der Maler, und auch nur der, welcher in der Wiedergabe der Natur das A und O der Malerei sieht; was freilich der moderne Maljüngling, und noch mehr der moderne Kunstskribifax für einen überwundenen Standpunkt hält. Wie jener Maler, den einer fragte, warum er aus einem Naturalisten ein Symbolist geworden, antwortete: »nach der Natur malen ist zu leicht«. Ja! nach der Natur malen kann heutzutage fast jeder Malklassenschüler, beinahe so gut wie Manet, jedenfalls viel zu viel à la Manet.

Und sind doch keine Manets worden!

Bei der Wahl seiner Themata – er malt einen Schinken oder ein Blumenbukett, Pfirsiche oder eine Melone, Fische oder eine Brioche, Porträts, männliche und weibliche, oder einen Akt wie die Olympia – ist es klar, daß das Außergewöhnliche nicht in seinen Sujets liegt. Manets Kunst beruht also, wie die eines jeden echten Malers, in seiner neuen Auffassung. Der eigentliche Maler sucht nichts Neues zu malen, sondern das Alte neu zu malen. Überhaupt ist es ganz gleichgültig, ob der Künstler ein schon tausendmal dargestelltes Thema behandelt oder ein funkelnagelneues – was übrigens schwer zu finden sein dürfte –, da es in der Kunst nur darauf ankommt, daß das Thema in persönlicher und daher neuer Weise dargestellt wird. Wenn einer einen Rosenstrauß oder einen Schinken so persönlich wie Manet zur Darstellung bringen kann, so ist er, wie es in der Kunstgeschichte heißt, ein bahnbrechendes Genie: denn indem er neue Reize an dem Schinken entdeckt und dargestellt hat, hat er das Bereich der Malerei erweitert.

Der Maler sucht überhaupt nicht, sondern er findet. Er empfängt, wie Schiller von Goethe sagt, sein Gesetz vom Objekt. Tausend Maler haben einen liegenden Akt oder ein Damenporträt gemalt; daß Manet den Akt oder das Porträt in dieser Einfachheit sah und für diese Vereinfachung die adäquate Form fand, darin liegt sein Genie.

Nicht in seiner Malfaust, sondern in seiner malerischen Phantasie liegt seine Größe. Er sieht malerisch; er weiß aus dem Frauenkörper das Typische herauszuholen, ohne die momentanen und zufälligen Reize, die die Natur bietet, einzubüßen. Er malt nicht nur, wie der »akademische Maler«, was er gelernt hat, was er kann, sondern wie der wahre geborene Maler, was er sieht. Aber er ist auch ein Poet dazu, denn die Idee »verdichtet« sich unter seinem Pinsel zur plastischen Form. Daher das Verblüffende des Eindrucks eines jeden Striches Manetscher Kunst; die Form, die er uns zeigt, hat nur er gesehen. Es ist daher der größte Unsinn, Manets Bedeutung in seiner Technik zu sehen, wie wir's täglich zu lesen bekommen, – und welcher Unsinn würde nicht gedruckt! – als wäre er ein virtuoser Maler gewesen, nur ein äußerlicher Kopist der Natur. Man vergleiche nur einen nach der Natur photographierten Akt mit der Olympia, um – was aus dem Bilde natürlich noch viel deutlicher als aus dem Holzschnitte hervorgeht – zu erkennen, daß nie ein Maler einen Frauenkörper weniger von der Natur »abgeschrieben« hat: weder Tizian noch Rembrandt noch Velazquez hat einen Akt persönlicher aufgefaßt.

Aber ebenso wenig wie die Natur hat Manet die Alten kopiert. Die liegende Venus des Velazquez in der Sammlung Morrit hat viel mehr Verwandtschaft mit Tizian, als die Olympia mit Velazquez.

Manet hat mehr als je ein Maler vor ihm oder nach ihm die konventionelle »schöne Form« vermieden: die ganze Pose, die Linie, der Rhythmus in der Bewegung – um von der Malerei ganz zu schweigen – sind in der Olympia ebenso wie in dem Damenporträt so momentan, so ungezwungen, als hätte er das Modell in einem unbelauschten Augenblicke gesehn und gemalt. Daher das Überraschende, das Frappierende, das wir beim ersten Anblick jeder Arbeit von Manets Hand, sei es Ölbild, Pastell, Aquarell, sei's Radierung, Lithographie oder Zeichnung, die Empfindung haben, als hätten wir ähnliches nie zuvor gesehn.

Und dieses Wunder sollte die Hand vollbringen können? Nein, nur der Geist vermag Geist zu erzeugen, nicht aber die Hand oder gar der Körperteil, der uns von der Natur zum Sitzen gegeben ist. Manets Technik, weit davon entfernt, Virtuosität zu sein, ist – wie es bei jedem echten Künstler sein muß – der Ausfluß und der Ausdruck des innerlich Geschauten. Nach der Vorschrift, die der alte Hippokrates dem Arzte gibt, läßt uns Manet aus dem Sichtbaren das Unsichtbare erkennen. Wie der wahre Maler geht er stets von der Erscheinung aus, nicht aber – wie das leider nicht nur bei deutschen Künstlern geschieht – umgekehrt, sucht er für den Gedanken die plastische Form. Er will nicht große, philosophische Gedanken in Malerei umsetzen, sondern er sucht das Einfachste, was freilich das Schwerste, – die Natürlichkeit und – mit einer leichten Umschreibung der Worte Mercks an Goethe – möcht ich sagen: er sucht nicht das sogenannt »Malerische«, sondern er faßt das Leben malerisch auf: die höchste Aufgabe des malenden Künstlers.

Es versteht sich von selbst, daß der Maler desto mehr die Ausdrucksmittel seiner Kunst beherrschen muß, je mehr er sich auf die Malerei beschränkt, d. h. je mehr er auf literarischen Inhalt verzichtet und wir müssen schon bis auf Velazquez und F. Hals zurückgehen, um einen »Malermeister« wie Manet zu finden.

Aber selbst Justi, der berühmte Verfasser des Velazquez, nennt noch Manet in seinem Pamphlet gegen die moderne Kunst (das, obgleich, oder richtiger, weil es nur als Manuskript gedruckt ist, in aller Händen ist) einen geistreichen Skizzisten. Was freilich nicht geschimpft ist, wenn damit gesagt sein soll, daß Manets Bilder die Frische der Skizze, die leider im Bilde fast immer verloren geht, bewahren.

In der Skizze feiert der Künstler die Brautnacht mit seinem Werke; mit der ersten Leidenschaft und mit der Konzentration aller seiner Kräfte ergießt er in die Skizze, was ihm im Geiste vorgeschwebt hat, und er erzeugt im Rausche der Begeisterung, was keine Mühe und Arbeit ersetzen können. Im längeren Zusammenleben mit seinem Werke erkaltet die Liebe und der Künstler sieht zu seinem Schrecken, daß das Bild nicht hält, was die Skizze versprochen hat.

Aber Justi verbindet mit dem Worte »Skizze« einen Vorwurf: er meint: daß Manet – und die moderne Kunst überhaupt – keine vollendeten Werke geschaffen hat. Freilich hat Manet seine Bilder nicht vollendet wie Metsu, Mieris oder Meissonier. Aber hat er deshalb weniger vollendet? Ist etwa die berühmte Kürassier-Attacke von Meissonier durchgeführter? Allerdings sieht man jedes Hufeisen der Pferde, jedes Glanzlicht auf der Nase der Reiter, jeden Strohhalm des Kornfeldes. Nur leider fehlt die Hauptsache: das Stürmen und Dahersausen der Kürassiere, es fehlt das »hurre, hurre, hopp, hopp, hopp, ging's fort im sausenden Galopp«. Wie Manet ebenso treffend wie boshaft vor dem Bilde sagte: alles ist wie aus Erz, bis auf die – Kürasse. In einem Bildchen, nicht größer als ein viertel Quadratmeter hat Manet ein Wettrennen gemalt. Drei oder vier Jokeys, ganz von vorn gesehen, die auf den Beschauer losjagen. Man fühlt das Vorbeisausen der Pferde, wie die Jokeys sie zur höchsten Schnelligkeit im Laufe anspornen und obgleich man kaum die Beine der Pferde oder die Köpfe der Reiter sieht, ist Manets Bild im Eindruck viel vollendeter als das Meissoniers, wo jeder Pferdehuf, ja fast jeder Nagel im Hufe zu sehen ist.

Freilich malt Manet nicht wie Velazquez, und das ist ein Glück, denn sonst hätten wir ein Genie weniger und nur einen lumpigen Nachahmer mehr. Manet hat uns etwas Eignes zu sagen: daher hat er seine eigne Sprache, die zu verstehen wir erst lernen müssen, denn nur das Gemeine wird allgemein und sogleich verstanden. Er malt keine Kunststücke, sondern Kunstwerke; keine Spur von Kalligraphie.

Ausführung heißt nicht Ausführlichkeit. Kunst gibt nicht breite Bettelsuppe, sondern Extrakt. Manet macht keinen Strich zu viel, aber auch keinen zu wenig, ein jeder ist notwendig. Man betrachte die beiden Holzschnitte: jeder Strich »zieht«; er modelliert mit dem Kontur, mit der Linie weiß er das Schwellende des Körpers wiederzugeben, mit zwei dunklen Punkten das Funkelnde der Augen. Der Körper leuchtet. Und die Verteilung von Schwarz und Weiß: der ganze Raum ist angefüllt von »Licht und Luft und bewegendem Leben« – daher die Größe des Eindruckes auch bei dem kleinsten Format.

Darin beruht die Poesie der wahren Malerei: mit den ihr eignen Ausdrucksmitteln, d. h. mit der Zeichnung und Farbe das Gefühl von Licht und Luft uns vorzuzaubern; sonst ist sie vielleicht Poesie oder Musik, keinesfalls aber Malerei.

Wie jeder wahre Maler, ist Manet vom höchsten sinnlichen Reize. Die Mathematik in seiner Kunst ist völlig versteckt. Aber hinter der scheinbaren Zufälligkeit verbirgt sich die vollkommenste Kunst der Komposition und die Kultur der Holländer, Spanier und – last not least – der Japaner.

Was er macht, ist eine Freude, anzuschauen; jedem Material weiß er seinen geheimsten Zauber zu entlocken: welche Sattheit der Farbe, welche Fülle des Tons selbst in diesen kleinen Schwarz-Weiß-Blättchen; diese Kraft und dabei die Zartheit! Die wunderbaren Aktzeichnungen Rembrandts im Amsterdamer Kupferstichkabinett fallen mir ein: nur Rembrandt wußte mit so wenigem so viel zu geben!

Und das sollte keine Kunst sein? Weil die Alten es anders gemacht haben?

Wer das behauptet, beweist nur, daß er von alter Kunst ebenso wenig versteht wie von moderner.

Denn es gibt nur eine Kunst: die lebt, ob sie alt ist oder modern. Was jung geblieben an der alten Kunst, wird an der modernen Kunst jung bleiben. Das übrige veraltet.

Wer aber an der alten Kunst anderes schätzt als das Leben, läuft Gefahr, nicht das Werk der alten Meister zu schätzen, sondern in den meisten Fällen nur das Werk des Restaurators.


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