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Motto: Mit dem Genius steht die Natur in ewigem Bunde;
Was der eine verspricht, leistet die andere gewiß.
Es ist ein unbestrittenes und unbestreitbares Axiom der Ästhetik, daß jeder Form, jeder Linie, jedem Strich die Idee vorausgehen muß, sonst kann die
Form korrekt, kalligraphisch schön sein, aber sie ist nicht als künstlerisch anzusprechen, denn künstlerisch ist nur die lebendige Form, die vom schöpferischen Geist gezeugt ist.
Daher ist jede künstlerische Form per se idealistische Form, und von einer naturalistischen Form zu sprechen, kann nur insoweit einen Sinn haben, als damit der die Form ausdrückende Stoff bezeichnet wird. Statt idealistisch-naturalistisch sollten wir nach Schillers Vorgang naiv und sentimental setzen. Denn wenn es nur eine idealistische Form gibt, d. h. eine Form, der die Idee vorausgegangen ist, kann es im Gegensatz zu ihr nicht eine naturalistische Form geben. Wenn die Termini idealistisch und naturalistisch das verschiedene Verhältnis des Künstlers zur Natur ausdrücken sollen, daß das Streben des einen Künstlers mehr auf die Wiedergabe der Natur als das des andern gerichtet ist, so kommen die Bezeichnungen naivsentimental dem, was darin ausgedrückt werden soll, viel näher. Denn, um uns Schillers wundervoller Worte zu bedienen, »der Künstler ist entweder Natur, oder er wird sie suchen. Jenes macht den naiven, dieses den sentimentalen Künstler«. Jeder Künstler ist naiv, daher ist zwischen dem sentimentalen und dem naiven Künstler nur ein Grad-, nicht aber wie zwischen dem idealistischen und naturalistischen Künstler ein Art-Unterschied.
Ich spreche von der Form des Genies, also von der Form, die nicht gelernt werden kann. Daher übergehe ich die korrekte, akademische Form, die gelernt werden kann und gelernt werden muß, wie die Grammatik gelernt werden muß. Es leuchtet von selbst ein, daß die Form die Grundlage aller bildenden Kunst ist. Aber sie ist viel mehr: sie ist auch das Letzte und Höchste. Ohne sie wären – um die spezifischen Maler zu nennen – Tizians oder Tintorettos, Rubens' oder Rembrandts, Goyas oder Manets Bilder – persische Teppiche. Es wären lebende Bilder, aber keine Bilder, die leben. Denn sie hätten keine Seele.
Was aber flößt der Form die Seele ein? was bewirkt, daß ein paar Hieroglyphen auf einem Stück Papier, oder ein paar farbige Flecken auf der Leinwand uns höchstes seelisches Empfinden suggerieren können?
Was anderes als der Geist, der dem Stift, dem Pinsel Leben eingeflößt hat! Nur der Geist schafft die Wirklichkeit.
Diese Erkenntnis, die seit unsren klassischen Kunstschriftstellern, seit den Lessing, Schiller, Schelling zum eisernen Bestand der Kunstästhetik gehört, wird in neuester Zeit ebenso mißverstanden wie mißbraucht, um mit ihr auch das Dümmste und Albernste nicht nur zu entschuldigen, sondern sogar als vorbildlich hinzustellen. Lesen wir doch in Büchern von Professoren (oder solchen, die es werden wollen, ganz zu schweigen von den sensationslüsternen Skribifaxen), daß die bisherige Kunst das Sehen zu einer »mechanischen Aufnahme« herabgewürdigt hätte, während erst der Expressionist an die Stelle des Wahrnehmungsbildes das Vorstellungsbild gestellt hätte. Ist denn nicht jedes Bild, sobald es ein Kunstwerk ist, ein Vorstellungsbild? Ein Wahrnehmungsbild wäre nur eine farbige Photographie. Die Wirklichkeitsmaler ?áô' Ýîï÷Þõ. Courbet oder Leibl, Menzel oder Manet malen die Vorstellung von der Wirklichkeit, d. h. ihre subjektive Wirklichkeit, wie sie sie sehn.
Es ist einer der schwerwiegendsten und deshalb kaum zu entschuldigenden ästhetischen Denkfehler, anzunehmen, daß der Maler, je getreuer er die Wirklichkeit darstelle, desto weniger visionär wäre, daß der Realist oder Impressionist nur die Natur abmale, der Idealist oder Expressionist seine Vorstellung der Natur gäbe.
Nicht die mehr oder minder getreue Wiedergabe der Natur ist das Kriterium für Wahrnehmungsbild oder Vorstellungsbild, sondern die Größe und die Kraft der künstlerischen Persönlichkeit ist das Entscheidende. Die exakte Wirklichkeitswiedergabe der Camera macht ebensowenig ein Kunstwerk wie die Verzerrung ein Pferd zu einem Rhinozeros.
Ob sich ein Künstler der objektiven Wirklichkeit, so viel er's vermag, nähert oder sich von ihr entfernt, ist ganz gleichgültig. Ob er ein Künstler ist oder nicht, ob er Kopist der Wirklichkeit oder Schöpfer eines Neuen, seiner Wirklichkeit: das ist das Entscheidende.
»Die Kunst muß immer im Bereiche der Erscheinungen bleiben«, wie Goethe an Schiller schreibt, und einen Goethe wird auch der krasseste Futuristenhäuptling nicht als Materialisten verdächtigen können. Hinter jedem seiner Menschen, nicht nur hinter Mignon, sondern ebenso hinter Philine, hinter Eduard wie hinter Ottilie, hinter den realistischsten wie hinter den phantastischsten seiner Gestalten liegt das Metaphysische, das Unsichtbare, das wir nicht zu sehn, sondern nur zu fühlen vermögen.
Dieses Unsichtbare sichtbar zu machen, das ist, was wir Kunst nennen. Ein Künstler, der darauf verzichtet, das Unsichtbare, das, was hinter der Erscheinung liegt – nennen wir es Seele, Gemüt, Leben – vermittelst seiner Darstellung der Wirklichkeit auszuwirken, ist kein Künstler. Aber der Künstler, der auf die Darstellung der Erscheinung verzichten wollte zugunsten einer stärkeren Auswirkung seines Empfindens ist ein – Idiot. Denn wie soll das Übersinnliche ohne das Sinnliche begriffen werden?
Alle bildende Kunst (ebenso die Poesie) ist Gleichnis. Woher anders als aus der Natur kann das Symbol für das Gleichnis genommen werden? Die Phantasie des Künstlers muß den Stoff zu ihren Symbolen von den Sinnen und diese wieder müssen ihn von der Natur nehmen. Wenn es keine Wirklichkeit gäbe, könnte es keine Kunst geben, wie es keine Sonne gäbe, wenn unser Auge sie nicht sähe.
Wenn also der Künstler den Stoff für seine Gestalten der Wirklichkeit entnehmen muß, so leuchtet von selbst ein, daß sein Verhältnis zur Wirklichkeit seine Kunst bedingt.
Die Nachahmung der Natur seitens des Künstlers ist immer eine Nach- und Neuschöpfung, die in der Darstellung dessen besteht, was er, und zwar das, was er und kein Andrer in die Natur hinein oder aus der Natur heraussieht. Aber künstlerisches Sehen heißt nicht nur optisches Sehen, sondern auch Erschauen der Natur: der Künstler gibt den Begriff der Natur, und zwar seinen Begriff von der Natur, daher ist es ein Anderes mit den Augen des Kammerdieners, der nur die kleinen Fehler und Schwächen seines Herrn sieht, oder mit den Augen des Künstlers die Welt anzusehn: nur wer sie als ein lebendiges Ganzes anschaut, ist ein Künstler. Nur wer den Odem Gottes in der Natur spürt, wird in Wirklichkeit lebendig gestalten können, nur der Pantheist, und darin scheint mir der Grund für die unbegrenzte Verehrung zu liegen, die Goethe Zeit seines Lebens für Spinoza empfunden hat. Der Künstler erfaßt die Wirklichkeit als Werdendes, nicht als Gewordenes. Als jemand Courbet fragte, wie er so oft einen Apfel oder eine Birne malen könne, antwortete er: weil ich dazu angeregt war. Nicht das Was, auch nicht das Wie, den Begriff der lebendigen Natur zu gestalten, macht den Künstler.
Gefühl ist Alles; seine Gefühle auf Begriffe bringen, macht den Philosophen, seine Gefühle gestalten, den Künstler. Nur der Musiker ist unabhängig von der Natur. Der Maler, der Bildhauer, der Poet sind abhängig von den Geschöpfen, die sie schufen. Auf dem Irdischen fußend, können sie sich nur kraft des Gedankens zum Überirdischen emporheben. Und hierin liegt die Grenze, die bildende Kunst oder Poesie nie ungestraft überschreiten dürfen; sie dürfen nie das Urbild der Natur zur Unkenntlichkeit verzerren.
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Wie jemand, der die Noten einer Partitur zu lesen imstande ist, sie deshalb noch nicht hört, so vermag noch nicht jeder, der zwei Augen im Kopfe hat, ein Bild zu sehn. Und zwar der sogenannte Gebildete weniger als der naive Mensch, der von Kunst nichts weiß.
Dem Maler haftet das zweifelhafte Vergnügen an, stets auf sein Metier angeredet zu werden. »Sagen Sie mir doch, Herr Professor, warum ist das Bild gut und jenes schlecht?« Und die stereotype Antwort; »weil ich es so empfinde« wird kaum den Fragenden beruhigen, der sofort das Warum auf den Lippen hat.
Ohne dem Philosophen ins Handwerk zu pfuschen, habe ich versucht, meine Empfindungen auf Begriffe zu bringen, d. h. die Gründe auseinanderzusetzen, weshalb ich dieses Bild für ein Kunstwerk, jenes für Kitsch halte.
Nicht kunsttheoretische Erkenntnisse, sondern nur Bekenntnisse wird der Leser in den folgenden Aufsätzen finden. Sie erscheinen in unveränderter Form: nicht etwa, weil ich ihre Mängel und Fehler nicht einsähe, sondern weil meine Auffassung der Kunst gegenüber sich nicht verändert hat. Ich gehöre nicht zu jenen Verwandlungskünstlern, die jede neue Mode in der Kunst mitmachen und heut verdammen, was sie gestern angebetet haben. Ich will den Leser nicht durch Dialektik überreden, sondern ich möchte ihn überzeugen.