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Kunst, als Produkt des Genies, kann weder gelehrt noch gelernt werden. Aber, wie Kant sagt, es gibt keine Kunst, in welcher nicht etwas Mechanisches und also nicht etwas Schulgerechtes die wesentliche Bedingung der Kunst ausmachte. Nur mit diesem dem Handwerklichen Schulgerechten hat sich Kunsterziehung zu beschäftigen.
Also: den Unterrichtsanstalten liegt die Bildung und Erziehung des Talents ob, eine Aufgabe, der sich seit mehr als zwei Jahrhunderten alle Kulturstaaten mit mehr oder weniger Erfolg unterzogen haben. Weil sie, zumal im vorigen Jahrhundert, die besten Erfolge, das heißt die besten Künstler hervorgebracht hat, dürfen wir die Pariser École des Beaux Arts als Muster hinstellen. Man dürfte sie eine Zeichenschule nennen, da ihr Unterricht absolut auf Zeichnen gegründet ist. Und ich glaube, daß alle Künstler, wie weit sie auch sonst in ihren Ansichten auseinandergehn, darin übereinstimmen werden, daß die Grundlage jedes Kunstunterrichts das Zeichnen ist.
Ich leugne nicht, daß auch unsere staatlichen Kunsterziehungs-Anstalten auf diesem Prinzip aufgebaut sind, aber sie sind, indem sie den Forderungen der jeweiligen Modeanschauungen Rechnung tragen wollten, von diesem Prinzip mehr oder weniger abgewichen. Sie haben zum Beispiel Klassen für Landschafts-, Tier-, ja sogar Marinemaler und Freilicht-Ateliers eingerichtet, Tiroler Stuben, die nicht nur höchst überflüssig, sondern geradezu schädlich sind, da durch sie Spezialisten gezüchtet werden. Aber sie sündigen auch gegen den Geist der Kunst, denn der Unterricht soll nicht den Schüler lehren einen bestimmten Gegenstand abzuzeichnen, sondern er soll ihn befähigen, den Gegenstand aufzufassen. Der Lehrer soll den Schüler nicht »abrichten«, die Wirklichkeit nach seiner, des Lehrers, Auffassung wiederzugeben, sondern, indem er der Individualität des Schülers möglichst Rechnung trägt, soll er ihn dazu befähigen, die Wirklichkeit in seiner, des Schülers, Auffassung wiederzugeben.
Bei dem jetzigen Klassensystem, wo der Schüler von einem Lehrer zum andern »versetzt« wird – und der folgende Lehrer ist gewöhnlich entgegengesetzter Ansicht als der frühere – lernt der Lehrer den Schüler nicht genügend kennen. Daher dürfte es sich empfehlen, den Schüler von Beginnen bis zur Beendigung des Unterrichts bei demselben Lehrer zu belassen. Der Einwand, daß ein Lehrer mehr für den Zeichen-, der andere geeigneter für den Mal-Unterricht sei, scheint mir hinfällig, da malen nur zeichnen mit anderem Material ist. Es ist ein die Kunst schwer schädigender Irrtum, unter Technik gewisse Fingerfertigkeiten zu verstehen: Technik heißt die Gewandtheit, die Phantasie mit den jeweilig zur Verfügung stehenden Mitteln zu materialisieren, sie aufs Papier oder auf die Leinwand zu projizieren. Die Kunstgriffe – falls es solche gibt – lernt der Begabte von selbst, und es ist viel besser, daß der Unbegabte sie überhaupt nicht lernt, denn sonst würde er nur das Künstlerproletariat vermehren. Aus diesem Grunde bin ich auch gegen die sogenannten Meisterateliers, in denen die jungen Leute, die den Kursus auf der Schule durchgemacht haben, meist nicht wissen, was sie anfangen sollen. Nicht etwa, daß ich ihnen den Raum zur Arbeit mißgönne, im Gegenteil, aber ich möchte sie weiter in unmittelbarer Aufsicht der Lehrer wissen – am besten wäre es, wenn sie wie in früherer Zeit den Lehrer als Gehilfen bei dessen Arbeiten unterstützten – jedenfalls sollten sie solange unter dessen Aufsicht bleiben, bis sie sich selbst gefunden hätten, was bei den Begabtem natürlich schneller vonstatten geht als bei den minder Begabten, denen der Lehrer dann zu raten hätte, sich einer ihrer Befähigung mehr entsprechenden Tätigkeit zuzuwenden. Denn ein guter Handwerker ist besser als ein mittelmäßiger Maler oder Bildhauer oder Architekt.
Viele sind berufen, aber wenige auserwählt: die Spreu vom Weizen zu trennen, ist eine der vorzüglichsten Aufgaben der Kunstschule, die dieser äußerst schwierigen Aufgabe um so eher nachkommen kann, je mehr sie sich darauf beschränkt, die Schüler nicht in der Kunst, sondern für die Kunst zu erziehn.
Das einzige äußere Merkmal für die innere Begabung des Schülers liegt in der Form, und zwar in den bildenden Künsten mehr als zum Beispiel in den andern Künsten, weil sie unmittelbar sich an unsere Sinne wenden. Der Ausdruck für die Form ist die Zeichnung, daher muß das Zeichnen nicht nur der Anfang, sondern auch das Ende der Kunsterziehung sein.
Daher sollten die jetzigen Kunstanstalten in Fachschulen für Zeichnen umgewandelt werden. Selbstverständlich rechne ich die graphischen Künste, Radierung, Lithographie, Holzschnitt hierin ein. Zweitens müßten vor allen Dingen die Tier-, Landschafts-, Marine-Klassen abgeschafft werden. Der menschliche Körper, als feinster Organismus, diene allein als Objekt für den Unterricht.
Grade die Auswüchse, die die heutige Zeit in der Kunst hervorbringt, legen den staatlichen Bildungsanstalten die Pflicht auf, für strengste Schulung der Talente zu sorgen. Es gibt keine Kunst ohne organische Tradition. Wir wollen keine Neger- oder Fidschi-Insulaner-Kunst. Wir wollen eine Kunst, die der Ausdruck unserer Zeit ist, die auf der Höhe der Bildung unserer Zeit steht. Selbst das Genie bedarf der Schulung und steht immer auf den Schultern seiner Vorgänger.
Ich schließe mit den Worten Kants: »seichte Köpfe glauben, daß sie nicht besser zeigen können, sie wären aufblühende Genies, als wenn sie sich vom Schulzwange aller Rezepte lossagen und glauben, man paradiere besser auf einem kollerichen Pferde als auf einem Schulpferde«.