Jonas Lie
Der Dreimaster »Zukunft«
Jonas Lie

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtzehntes Kapitel.

Schluß.

Daß Edel sich mit Morten gerade in den Tagen verlobt hatte, als für den Sohn alles so ungünstig wie möglich aussah, hatte ja teilweise dazu beigetragen, sie in Jons Augen zu heben; – Marina gegenüber brauchte er wenigstens nicht mehr den Ausdruck: das feine Fräulein! Aber ein unangenehmes Gefühl blieb doch zurück. Eine Hausfrau konnte jetzt freilich in Finnäs Aufnahme finden; ob es aber zum Vorteil gereichte, daß eine Tochter des vornehmen Heggelund das Hauswesen daselbst leitete, – das war ihm doch sehr zweifelhaft. In seiner Mißstimmung hätte er fast den Schluß gezogen: Habe sie schon so viel Verkehrtes angestiftet, als sie noch nicht im Hause war, was würde nun erst geschehen, wenn sie hineinkäme? – Sie werde natürlich alles, wie gewohnt, auf einem großen Fuße einrichten.

Infolge dringender Einladungen waren Jon und Marina seitdem mehrmals bei Heggelunds auf Besuch gewesen. Sonntäglich geschmückt erschienen sie und wollten stets des Nachmittags wieder abreisen; – überhaupt verstanden sie mit einem wunderbaren Takte ihre Würde wahrzunehmen. Aber eine ebenso große Feinheit lag in der Art, in welcher Edel auf den Vater ihres Geliebten einzuwirken verstand – es war, als ob sie seine Gedanken erraten hätte.

Morten und Edel erkannten tief, daß sie Jahre hatten verstreichen lassen und dafür büßen müssen. Waren sie jetzt über etwas einig, so war es darüber, daß sie von nun an, so weit es bei ihnen stand, ihre Zukunft zusammen bauen wollten. Anfangs würden sie freilich keinen Überfluß haben; denn die Abbezahlung der Schuld an Stuwitz hatte große Opfer verlangt; aber glücklicherweise hatte Finnäs eine so günstige Lage, daß es nun doch geschehen war. Er wünschte, sie sollte ihn schon in demselben Frühling als Gattin in sein Haus begleiten. Aber hierauf hatte Edel in Jons Gegenwart erwidert, daß sie noch »Zeit nötig hätte«. Und als Morten etwas überrascht fragte:

»Wozu?« – erwiderte sie:

»Denkst du denn, daß ich nur des Staats halber zu dir nach Finnäs zu kommen gedenke? – In einem solchen Haushalt giebt es mancherlei Dinge, die ich erst noch lernen muß, wenn dir mit mir gedient sein soll.«

Sie schien Jon verständiger zu sprechen als Morten. Allein der Sohn setzte doch durch, daß die Hochzeit mitten im Sommer stattfände.

Nach und nach hatte Edel in so hohem Grade Jon gewonnen, daß dieser jetzt sogar meinte, die Ursache zu allem Unglück auf Finnäs läge gerade darin, daß sie nicht dagewesen wäre.

»Mit ihr zur Seite würde Morten nie so dummdreist darauf losgegangen sein« – äußerte er zu Marina – »und sie hätte es auch sicherlich nicht zugelassen, – sie ist ein verständiges Mädchen.«


Das waren herrliche Sommertage auf Skorpen. Wunderbar blau lag das Meer in der Sonne. Die Felsen nah und fern, darunter der Gipfel des Großberges in nächster Nähe schimmerten in verschiedenem Blau, und die engen Klüfte und Thalwege bildeten wahre Wärmegruben zusammengepreßter Sonnenstrahlen, die aus jedem Fleckchen Dammerde plötzlich eine überraschende Vegetation hervorzauberten. In diesem Jahre hatte der Frühling ungewöhnlich lange auf sich warten lassen; dann aber war er in wenigen Tagen mit einer solchen Gewalt hereingebrochen, daß der in den Thälern geschmolzene Schnee von allen Seiten in die Bäche hinabströmte.

Das kleine Haus Jon Zachariasens am Meere war ungewöhnlich geputzt, der Hofraum vor ihm sorgfältig gekehrt; die Fensterscheiben waren nicht mehr die alten grünen, und die Thür prangte festlich im Birkenlaub. Mit den gelben Butterblumen und dem kurzen, buschigen Gras auf dem Rasendache, in dessen einer Ecke sich eine kleine belaubte Zwergbirke, wie ein Bild des eigenen abgehärteten Lebens des Besitzers, ausbreitete, – kam es sich in dem ungewohnten Putze wohl selbst ein wenig fremd vor.

Niemand war zu Hause, die Thür verschlossen; – aber durch die neuen, hellen Fensterscheiben schien die Sonne, wie durch zwei Brillengläser, in die Einsamkeit hinein, auf die alte Bretterwand, und beleuchtete den Anfang und das Ende der bedeutungsvollen Buchstaben.

Jon und Marina waren mit ihren Kindern auf der Hochzeit ihres Sohnes, die vor zwei Tagen bei Heggelunds stattgefunden hatte, und wurden jetzt mit dem jungen Paare zu Hause erwartet.

Zu der einfach und im Kleinen gefeierten Hochzeit waren nur wenige Gäste eingeladen worden. Aber Jungfer Dyring, die an diesem Tage großartig und strahlend erschien, als ob der Glanz des Geistes ihrer Hausmutter sie umflösse, konnte sich doch nicht ganz an diesen engherzigen Gedanken gewöhnen.

Sie repräsentierte jetzt in diesem Hause, welches das Heim ihres Alters werden sollte, die weibliche Seite, und es schien ihr nicht mit dessen Würde verträglich, wenn die Tafel weniger Gerichte als bei der Verheiratung der Schwester Edels aufgewiesen hätte. Aber auch Freude hatte im vollen Sinne des Wortes dabei geherrscht. Selbst die alte Bretterschiffswand mußte eine Rolle spielen, indem Probst Müller sein Glas zu ihrer Ehre erhob:

»Auf ein zersprungenes Brett« sagte er, »das einst in einem Wrack mit schleimigen Wasserpflanzen überzogen, gelegen, habe Gott an die Wand einer kleinen Hütte ein Versprechen für die Zukunft geschrieben, das wunderbar in Erfüllung gegangen. Nach einem harten Lebenskampfe säße sie, die einst als hilfloses Kind auf jenem gestrandet wäre, jetzt als glückliche Mutter da und läse dieselben auf dem Spiegel der neuen Jacht des Sohnes gemalten Buchstaben, und« – schloß er, zu Onkel Tobias gewendet – »dieser alte Mann, dessen Kummer und Sehnsucht seine verlorene Familie gewesen, ist heute nicht am wenigsten von Freude erfüllt; denn der höchste irdische Segen des Greises besteht ja darin, daß er in seiner Familie eine Zukunft hinter sich erblickt. Aber der tiefere Grund, warum dieses Brett wieder zu einem neuen Schiffe geworden, liegt doch darin, – daß der Herr am Steuer saß.«

Nach seiner bäuerlichen Weise fügte Jon Zachariasen dieser Rede ein »Amen« hinzu.


In dem Sunde bei der Insel Skorpen segelten an dem schönen Tage einige festlich geschmückte Femböringe, die von verschiedenen Stellen am Lande mit Schüssen empfangen wurden.

In dem ersten Boote saßen die Braut und der Bräutigam mit seinen Eltern, Jon Zachariasen und Marina, sowie Onkel Tobias, und auf der Ruderbank neben ihnen Elias Rost, der darauf bestanden hatte, dem jungen Paare das Ehrengeleit zu geben. Auch Andreas Heggelund war dabei. In dem andern Boote bemerkte man unter anderen Mortens Bruder Eilert und seine hübsche Schwester Christine.

Auf Finnäs stand jetzt außer den Gebäuden, die zu dem Handelsplatz gehörten, hoch oben auf den Bergen ein einstöckiges Wohnhaus mit großen hellen Fensterscheiben; es war erst auf der einen Seite eingerichtet und möbliert; – aber was nicht war, konnte werden. Hinter dem Ganzen erhob sich die Felswand mit ihrem Abhang von Laubbäumen. – Wie gewöhnlich hatten auch in diesem Jahre die Lappen bereits ihre Renntiere durch die Kluft aufs Gebirge getrieben.

Der große, neuangestrichene Speicher an der See kam ihnen bei der Umschiffung der Landspitze plötzlich zu Gesicht; aber mitten in der Bucht lag Morten Jonsens Jacht »die Zukunft« und flaggte.


Noch immer befindet sich die Bretterwand in der kleinen Hütte, in der die beiden Alten wohnen und keinesfalls ausziehen wollen. – Jon Zachariasen und Marina genießen darin ihr friedliches Alter.

Morten Jonsen gilt jetzt als einer der thätigsten und solidesten Kaufleute im Norden, und sein sehr entwickelter Handelsplatz auf Finnäs wird vom Dampfschiffe angelaufen. Eine glückliche Familie mit mehreren Kindern wohnt daselbst, und Edel besitzt namentlich den Ruf einer tüchtigen Hausfrau.

Dann und wann kommt Andreas Heggelund auf Besuch dorthin, und dann werden immer viel Umstände mit ihm gemacht. Er wird es kaum zum »Amtmann« bringen, steht sich aber als Sachwalter außerordentlich gut. Morten Jonsen hegt ihm gegenüber noch immer seine alte Schwachheit und einen nicht geringen Teil seiner Geschäfte verdankt er dessen Einflusse.

Anfangs reiste Andreas jedes Jahr nach Tromsö, wo er nach wie vor in seiner alten Dandyweise auftrat. Aber er traf dort auch öfter Julie Schultz, und das Ende war, daß sie sich verheirateten. Er ist fest davon überzeugt, daß sie seine erste und einzige wirkliche Liebe ist, und seine Frau glaubt es; – aber sie läßt ihn doch nur sehr ungern nach Tromsö fahren.

 

Ende

 


 << zurück