Jonas Lie
Der Dreimaster »Zukunft«
Jonas Lie

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Drittes Kapitel.

Der Fischgrund »Rettung«.

Jahre waren seit Brögelmanns Zeit vorübergegangen, und seine Tochter, die mit Heggelund verheiratet war, herrschte nun in ihrem großen Hause unten in M . . . sund.

Jon Zachariasen und seine Frau waren auch ein Stück im Leben vorwärts gekommen, sie hatten sich in guten wie in bösen Tagen geduldig durchgeschlagen und hatten jetzt bereits mehrere Kinder.

Jons Hütte lag draußen, nahe dem Meeresstrand, am Ende einer Felskluft, die sich nur durch den schmälsten Teil der Klippeninsel Skorpen zieht. Wäre das bröckliche Gestein gleich im Beginn einige Klafter tiefer durchbrochen, so hätte die wilde Kluft einen natürlichen Kanal zwischen dem Meere und dem schmalen Sunde, der die Insel Skorpen vom festen Lande trennt, gebildet. Der Wasserlauf darin führt den Namen »die Winkel«, weil er sich in launischen Windungen zwischen einer Menge von Holmen und Schären hindurch schlängelt, sodaß man von dem inneren Ende die Mündung des Sundes nicht erblicken kann. Auch sind die Felswände hier den ganzen Weg entlang bis weit hinauf mit freundlichen Grasplätzen und Laubholz bedeckt. Seevögel haben ihre Nester auf allen Inselchen in dem verwickelten Lauf, wo nur immer es Helles und ruhiges Wasser giebt, um mit den Jungen darin unterzutauchen. An einer solchen Stelle wird ungern ein Schuß gelöst; deshalb hatten die Eidergänse vertrauensvoll ihre Nester gebaut bis dicht unter Jon Zachariasens Treppe und an seinem Bootsschuppen und Vorhause. Mit oder ohne Grund flogen die Vögel, – die Eidergänse, die rotbeinigen Meerelstern, die Reiher, Lummen und Möwen – wohl zehnmal des Tages plötzlich auf und erfüllten die Luft mit entsetzlichem Geschrei.

Die Rücksicht auf die Fischerei draußen im Meere hatte Jon gezwungen auf einen ruhigern Wohnplatz zu verzichten und sein Haus kaum einen Büchsenschuß weit von der wildschäumenden See aufzubauen.

Diese Stelle für sein Nest hatte er mit demselben Instinkt, wie die Seevögel gewählt: – er wollte zwei strengen Feinden entgehen, nämlich dem Nordweststurme und dem Schneetreiben, dem steten Begleiter des Winters. Der Schnee trieb dann über die Seite der Kluft, unter welcher das Haus lag, sodaß man selbst im schlimmsten Winter im Schutze der Felswand nach der See gelangen konnte. Die Erde zu dem kleinen geneigten Ackerfleck rings um das Haus war mühsam von andern Stellen der Insel dorthin gebracht, und da das Haus mit der Rückseite sich an die Felswand lehnte, war es leicht zu erkennen, daß es teils die Reste einer alten Kajüte, teils allerlei Anbauten waren. Unter dem niedrigen Rasendache mit dem gelben Löwenzahn erschienen die kleinen grünen Fensterscheiben wie ein paar halberblindete Augen unter einem bis tief in die Stirn hinab gewachsenen Haarbüschel, und der Steig, der von dem Landungsplatze durch Felstrümmer zum Hause hinauf führte, konnte an eine Fallreffstreppe erinnern. Dicht unten am Strande stand der mit grauer Birkenrinde gedeckte Bootsschuppen, das Dach durch große Steine gegen den Sturm geschützt.

Ihren Fischgrund in der Nähe der Insel hatten Jon und Marina wegen der Rolle, die er in ihrem Leben gespielt, den Namen »Rettung« gegeben, einen Namen, mit dem er jetzt auf den offiziellen Seekarten prunkt. Der Kartenzeichner, oder der Seemann, wenn er in einer Sturmnacht das Meßinstrument braucht, um sich von der gefährlichen Klippe fernzuhalten, würde sicherlich mit ungläubigem Lächeln die Erklärung hören, daß das Fahrzeug, welches – nach dem Namen zu schließen – hier einmal aus Seenot gerettet worden, ein so luftiges Ding gewesen wie das Liebesschiff eines jungen Paares. Und doch dürfte sich an die allerhand seltsamen Namen der unzähligen Schären und Holme unserer Küste manche Geschichte, manch ein ergreifendes Trauerspiel aus dem unbemerkten Leben unseres Volkes knüpfen, das man noch für weniger wahrscheinlich halten möchte. Die graue Schär, deren Name nicht abgewaschen wird, steht noch immer da als Denkstein einer längst vergessenen Begebenheit.

Bis zur »Rettung«, die aus drei Fischerbänken hintereinander, von verschiedener Tiefe bestand, hatte man nur eine halbe bis dreiviertel Meile. Vom Hause aus konnten die Einwohner – und dies waren jetzt Marina und ihre drei am Leben gebliebenen Kinder, denn einen Knaben und ein Mädchen hatte der Herr zu sich genommen – bis zum Boote sehen, wenn der Vater und Groß-Lars wie gewöhnlich morgens und abends draußen fischten, im Boot saßen und die Schnüre herauszogen oder die Fische oben auf der Schär ausbreiteten, deren niedriger Rücken sonst von großen Möven und anderen reihenweis dasitzenden Seevögeln bedeckt war.

Bei gutem Wetter, im Sommer, fuhr Marina mit den Kindern bisweilen zum Zeitvertreib mit. Aber in ihrer Jugend, in den ersten Jahren ihrer Verheiratung, und ehe es ihnen besser ging, hatte sie, als Jon zwei Jahre hintereinander immer ein halbes Jahr krank lag, und Stuwitz ihnen den Kredit verweigerte, den zweiten Bootsmann ersetzen müssen und in Seemannstracht draußen in jedem Wetter tüchtig geschafft.

An den Sommerabenden war Marinas Lieblingsplatz in der offenen Hausthür. Wenn die Sonne mit ihren unbeschreiblichen Wundererscheinungen in das goldblinkende Meer versank, glaubte sich Jon, der mit dem Boote draußen war, schon halb im Himmel. An solchen Abenden saß sie gern mit dem Strickstrumpfe oder einer anderen Arbeit in der Hand trällernd auf der Thürschwelle, während die Kinder vor dem Treppenstein spielten.

Übrigens fürchtete sie sich täglich vor den Stürmen, die aus den dunklen Gebirgsklüften auf dem Festlande hervorbrachen; vor den alles vernichtenden Sturmfluten und den heimtückischen Bänken, wo oft auch am hellsten Tage unversehens hohe Wellen sich bäumten. Und dann ängstigte sie sich wieder wegen Jons gefährlicher Reisen mit den getrockneten Fischen zum Kaufmann in Sörströmmen in der Weihnachtszeit. Dorthin war die Seefahrt schwieriger als zu Heggelund in M . . . sund; aber seitdem ihnen Stuwitz den Kredit verweigerte, war es ihnen unlieb, denselben aufzusuchen. Tadelte er doch auch unaufhörlich an ihren Fischen und setzte den Preis herab.

In dem Boote, das Jon und Groß-Lars ruderten, saß jetzt schon immer häufiger eine dritte Person, die, so klein sie auch war, doch schon beim Auswerfen des Köders Dienste that.

Er war die reine Freude im Hause, der blondlockige lebhafte Morten. Immer lustig, willig und pfeifend, machte er sich beständig etwas zu thun: – kleine Fischteiche, Vogelfallen und manche seltene Dinge, die er selbst erfand. Die Insel Skorpen mit ihrer eigentümlich gewundenen Einfahrt über der Sandbank, zwischen den Holmen, nebst dem Fischgrunde draußen in der See war seine Welt. Er erriet auf ein Haar, wo die Flunder lag, wenn er draußen war, um sie mit der Gabelstange zu stechen, war mit den Sitten und Gewohnheiten einer jeden Vogelart vertraut und kannte einzelne von ihnen, die auf der Schär ausgebrütet waren und seitdem Jahr für Jahr nach ihrem alten Neste zurückkehrten, um gegen Ende des Sommers wieder mit einem Schwarm von Jungen hinter sich seewärts fortzuziehen. Wenn die Zugvögel kamen, die nach Finmarken wollten, saßen auf den Klippen allerlei seltene Vögel, unter denen ihm die Kampfhähne am wunderlichsten vorkamen, und er sann viel über die Länder nach, aus denen sie wohl stammen könnten. Dann langte auch der Singeschwan an, der, soviel er wußte, der schönste unter allen Vögeln war.

Er war elf Jahre alt, als er zum erstenmale nach Sandeid zur Kirche fuhr und die Gemeinde versammelt sah. Hier fiel ihm vielerlei auf: die Kirche hatte drei Einfahrten, durch welche eine Familie hinter der anderen langsam hineinsegelte und sich dann hintereinander in Reih und Glied hinsetzte, wie die Seevögel zu Hause auf der Schär; die schwarzen – die Mannsleute – auf der einen Seite, und die hellen, die Frauenzimmer mit Kopftüchern oder Flügelhauben, auf der andern. Er war fast darauf vorbereitet, daß auch hier gerade wie bei ihm zu Hause mit einemmale das ganze Heer schreiend auffliegen würde. Aber dann hatte er nur Auge für die stattliche Frau Heggelund, die in einem seidenen Kleide mit einer schweren Goldkette auf der Brust gerade unter der Kanzel saß und ein ganz kleines Mädchen, welches lachte und auf ihn zeigte, auf dem Schoße hatte.

Als er nach Hause zurückgekehrt war, bekam er zum erstenmale in seinem Leben ernstlich Schläge. Er hatte eine Kanzel aus Steinen erbaut und seine Geschwister als Gemeinde davor gesetzt, während er das Lamm mit dem Ferkel traute und den Pfarrer nachahmte. Eine gewaltige Ohrfeige von der wuchtigen Hand seines Vaters machte der Feierlichkeit unerwartet ein Ende, und hinterher setzte es gehörige Prügel.

Im Sommer konnte es öfter geschehen, daß Morten allein den Groß-Lars nach dem Fischgrund hinaus begleitete, um die Leinen aufzuziehen oder zu angeln. Der Riese saß gewöhnlich schweigend da, während sich Morten in der viel zu großen Friesjacke seines Vaters und mit der roten Mütze auf dem Kopfe über so manches wunderte, und die nordländischen Jachten zählte, die im Sommer und Herbst mit den großen breiten Segeln und der hoch am Mast aufgestauten Fischladung vorüberzogen. Schon früh hatte er, mit Marina als Lehrmeister, zu lesen angefangen. Die ersten Buchstaben, die er lernte, waren die großen, zersprungenen, erhaben aus Holz geschnitzten auf dem Wandbrett unter der Decke in der verräucherten, engen Stube. Auf einigen von ihnen saßen noch einige Spuren eines kaum noch erkennbaren gelben Anstriches. Das Ende des Brettes war abgebrochen, und die übrig gebliebenen Buchstaben hießen zusammengesetzt: »Die Zukun . . « Die Zukunft, sagte Marina, stände in Gottes Hand. Dann ging es an den Katechismus, und nun lag er oft im Hinterstewen und lernte seine Lektion, die Angel an der Ruderpinne befestigt – was er in Anwesenheit seines Vaters nicht durfte.

In einer Nacht in der Mitsommerzeit saßen sie so in schönem Wetter draußen. Schlag zwölf Uhr lag die Mitternachtssonne bei ihrem »Untergange« wie eine matte rote Kugel am Meeresrand, während die hohe See, soweit das Auge blicken konnte, violett gefärbt dahinrollte. Bald darauf wurde die Sonne wieder mit einem Glorienschein von weit hinausschießenden Strahlen »angezündet« und von einer Morgenröte begleitet, welche Wolkensäulen von Gold zwischen Himmel und Meer bildeten. Wie Feuer leckten die Wellen um das Boot, darin die beiden stillen Fischer mit dem spiegelhellen Abbilde unter sich saßen. In demselben Augenblicke zog Groß-Lars einen schönen großen Meerbarsch aus dem Wasser.

Als er ihn über den Rand des Bootes gebracht hatte, fragte er Morten plötzlich, ob es in seinem Buche stände, daß ein derartiger roter Fisch der Leibfisch des Meermanns wäre? Morten fuhr auf und mußte bekennen, daß es nicht in dem Katechismus stände, soweit er bis jetzt darin gelesen hätte. Nun erklärte ihm Lars, daß demselben, sobald er in die Höhe käme, die Augen aus dem Kopfe sprängen, weil ihm, nachdem er angebissen, der Meerkönig den Lebensfaden durchschnitte.

Hiermit war ein- für allemal das Eis gebrochen zu einer langen Reihe ähnlicher Mitteilungen, die immer einen wunderbaren Ausgang nahmen. Während sie an den Sommerabenden draußen auf dem Fischgrunde saßen und die gelbrotbraunen Dorsche oder hin und wieder einen Lang oder eine Heilbutte herauszogen, bekam Morten manches zu wissen, was er vorher nicht gehört hatte. Lars teilte ihm mit, daß jede Fischart ihren König oder Stör hätte, deren Fang gefährlich wäre. Es gäbe Lachsstöre, Kohlfischstöre, Heringskönige mit der Krone auf dem Haupte, und Dorschkönige. Letztere wären nicht so gefährlich, denn sie würden oft gefangen. Zu ihrer Ehre würde ihnen nie der Bauch, sondern der Rücken aufgeschlitzt; sie würden »rund« abgeliefert und dürften Kopf und Eingeweide behalten. Auch gäbe es ein Meeresungeheuer, das Krake hieße; es wäre so groß wie eine ganze Insel und tauchte bei stillem Wetter bisweilen empor, sodaß die Wellen um dasselbe wie um ein Felsgestade brandeten. Erfahrene Leute könnten am Boot und an der Angelschnur erkennen, ob sie über einem Krake lägen; es befänden sich dort immer viele Fische; würde es aber zu bedenklich, so müßte man schnell fortrudern. Er selbst, versicherte er treuherzig, hätte sich oben im finmarkschen Meere oft nicht weit von ihm befunden.

Über letzteres dachte Morten viel nach; er meinte, man müßte den Krake fangen können, wenn man eine große eiserne Kette mit einem Schiffsanker als Angelhaken und entsprechendem Köder von einem Felsen herabließe.

Damals wurde im ganzen Nordland lange gerüchtweise von einem sonderbaren Schiffe gesprochen, das sich dort zeigen sollte. Es sollte ohne Segel, nur mit Rauch und Rädern gehen, und einen Sommer hatte man es einmal bei der Insel Skorpen vorbeidampfen sehen. Kurz darauf hatte Morten ein Räderboot zustande gebracht, das er durch Treten fortbewegen konnte; allein das alte sechsrudrige Boot des Vaters, das er dazu verwandt hatte, ließ sich doch besser durch Ruder als durch diese Maschine, die nur als Sonntagsspielzeug diente, im Gang erhalten. Marina war ganz stolz darauf, aber Jon hatte weniger Gefallen daran, weil sich die Leute darüber aufhielten, und es auch zu nichts diente.



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