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Brögelmann hatte eine kleine und nur dürftig eingerichtete Wohnung; er war immer zu beschäftigt gewesen, um an den Bau eines neuen Hauses zu denken. Auch gefiel es ihm in dem alten, in welchem ihm das Glück immer treu geblieben war, am besten. Gleichwohl führte er, was man im Nordland ein gutes, gastfreies Haus nennen würde, auch kamen infolge seiner Handelsverbindungen allerlei Leute dorthin. Persönlich war Brögelmann, namentlich in seinen alten Tagen, als er sich weniger mit den Geschäften befaßte, ein gutmütiger, freundlicher Mann.
Seine einzige Tochter, Regine, war mehrere Jahre unten in Bergen gewesen.
Bei ihrer Rückkehr übernahm sie in allem, was die innere Wirtschaft betraf, das Kommando als etwas Selbstverständliches, wahrte aber zugleich die Form derart, daß alle Anordnungen nach wie vor von der alten, schwachen Mutter auszugehen schienen.
Regine sah in ihrer Weise ganz hübsch aus, obgleich ihr Gesicht etwas Gebieterisches und Scharfes hatte, – mit den schwarzen Locken erinnerte es an ein Ahnenbild; – sie erschien selbst werkeltags, mitten in dem regen Leben der Häuslichkeit immer geputzt. Unstreitig lag in ihrer Natur etwas Bedeutendes, weshalb sich auch alle vor ihr beugten; aber dieses Bedeutende hatte nichts Angenehmes, und das war wohl mit ein Grund, weshalb sie, obgleich schon etwas über dreißig, noch immer unverheiratet war. Ein jeder, von dem ihr gegenüber überhaupt die Rede sein konnte, fühlte, daß Hymens – hier allerdings goldene – Kette nicht ein bloßes Bild war, sondern daß es sich darum handelte, sich unter ein wirkliches Joch – ihren Willen – zu beugen. Andere begriffen sehr bald, daß sie für sie weder vermögend noch vornehm genug wären. In der That sollte sie in Bergen, wo sie in gewisser Weise Aufsehen erregt hatte, und zwar nicht bloß als die Tochter des reichen Brögelmann, geltend gemacht haben, daß ihr Großvater von Brögelmann geheißen hätte, daß sie also eigentlich von Adel wäre; das weitere wie dieser Großvater, nach Norden gekommen, erzählte sie freilich nicht. Übrigens waren alle darin einig, daß sie, trotz all ihrer Eitelkeit, doch eine ungewöhnliche Kernnatur wäre; nur zu stark die Freundin ihrer Freunde und die Feindin ihrer Feinde.
Ihre eigentliche Liebeskrisis hatte Regine jedoch schon auf einer frühen Stufe ihres Lebens ausgekämpft, als sie erst siebzehn Jahre zählte. Sie war damals noch nicht vollkommen erwachsen, und mit der mageren Figur, den scharfen Zügen und den spitzen braunen Augen sah sie nichts weniger als hübsch aus. Ein schöner schwarzhaariger dänischer Steuermann, der mit seinem Schiffe jährlich einige Wochen im Hafen von Köllefjord lag, hatte ihr Herz erobert und auch wohl ein wenig mit ihr geliebäugelt. Aber als es zur Entscheidung kam, hatte er doch nicht sein ganzes Leben lang »als Untersteuermann fahren« wollen.
Als Regine dahinter kam, daß er sich mit diesen Worten über sie lustig gemacht hatte, verfiel sie in eine ernste Krankheit und war dann viele Jahre lang, bis sie nach Bergen reiste, sehr verschlossen gewesen. Dort verlegte sie sich, wie angegeben, auf den Ehrgeiz, spannte aber infolge ihrer Natur hierin wie in allem übrigen den Bogen zu straff.
Damals hielt sich im Hause der Sohn des Vogts und Amtsrichters Heggelund auf. Er war Student, hatte auch sein erstes Examen gemacht, schien es aber schon seit Jahren auf der Bahn der Gelehrsamkeit nicht weiter bringen zu wollen, weshalb ihn der Vater zu seinem Freunde Brögelmann geschickt hatte, damit er den Handel erlerne.
Hiermit ging es jedoch nicht besser, da dem Studenten die nötige Ausdauer und Lust fehlte, und er es vorzog sich mehr an der Seevögeljagd und dem Segeln zu belustigen. Es war ein hochaufgeschossener, schlanker, blonder Mann mit einer großen krummen Nase, die seinem Gesichte einen gewissen vornehmen Ausdruck verlieh, und er wurde im Hause mit ganz besonderer Rücksichtnahme, fast wie ein Gast, behandelt. Viele prophezeiten denn auch, die Sache würde damit enden, daß aus ihm und Brögelmanns Tochter ein Paar werden würde. Man hatte nämlich zu bemerken geglaubt, daß Regine es dahin bringen wollte, und dann mußte es ja natürlich so kommen.
Auf einem solchen Handelsplatze gab es zu jener Zeit oft eine oder die andere arme Person, welche das Publikum drinnen und draußen als eine Art Hofnarr unterhalten mußte; welche man verleitete, allerlei verkehrte Dinge vorzubringen und alberne Antworten zu geben, indem man ihnen allerhand rohe Possen spielte. Für solche Personen waren besonders die Trinkgelage in der Weihnachtszeit eine wahre Prüfung. Nachdem sie den ganzen Abend ein Gegenstand der Belustigung gewesen, wurden sie schließlich vollkommen betrunken gemacht und erwachten nicht selten in den wunderlichsten Anzügen.
Dem armen »Groß-Lars«, der, wie berichtet, in Brögelmanns Dienst gekommen war, fiel nach und nach diese traurige Rolle zu. Sein seltsames Wesen und seine zunehmende Abkehr von der Außenwelt forderte den Witz heraus sich an ihm zu erproben. Die Versuche waren anfangs um so interessanter, als man sich nicht ganz sicher fühlte, wie weit man es mit dem starken Manne treiben dürfe. Es zeigte sich jedoch, daß ihn die Aussicht auf ein Glas Branntwein zu immer Weiterem zu bewegen vermochte. Zu Weihnachten ging er schon mit bloßer Brust, einen Papierhut auf dem Kopfe und einen hölzernen Säbel in der Hand. Besonders großen Jubel erregte er, wenn er mit seinem plumpen, bleichen Gesicht und dem in sich gekehrten, toten Blicke am Tischende stand und über dem Glase, ehe er es austrank, Gesichter schnitt; oder wenn er dasselbe that, während er auf der großen Thrantonne saß, die er zum Beweise seiner Stärke in das Gastzimmer gebracht hatte, und nachher wieder auf die Schulter warf und nach dem Speicher am Meere zurücktrug. Noch ein ganzes Jahr lang setzte es unendliches Gelächter, als Groß-Lars und Peter »Platz« an einem windstillen Sommertage gar mit dem Boot im Meere kenterten.
Der langbeinige Anders Hind bei dem Kirchspielsvogt, der von seiner Figur den Beinamen Giraffe hatte, war nämlich eines Tages, als jene beiden auf den Fischfang hinausfahren wollten, auf den Einfall geraten, sie in dem Speicher mit Branntwein zu traktieren, und hatte sie zu einer Wette verleitet, wer von ihnen am meisten vertragen könnte. Glas um Glas tranken sie, eine entsetzliche Menge, und stolperten schließlich nach dem Boote, verloren aber bald die Lust zu rudern. Ein leichter Landwind und die Strömung trieben die beiden, die auf dem Boden lagen und in der Sonnenhitze schliefen, immer weiter in die offene See hinaus. Endlich – am Nachmittage – erwachte der Peter, sah sich um, gewahrte aber nach allen Seiten hin nichts als das blaue Meer. Er weckte seinen Kameraden, der in der Schlaftrunkenheit nicht weniger verwirrt als der andere den unglücklichen Entschluß faßte, auf den Mastbaum zu klettern, um sich nach Land umzuschauen. Das kleine Fischerboot vermochte das Gewicht des schweren Lars auf der Mastspitze nicht zu tragen; es schlug um, und beide wurden gezwungen, ein kaltes Bad zu nehmen, das sie auch so gut brauchten. Nun ritten sie in dem klaren stillen Wetter mehrere Stunden lang auf dem Kiel des umgeschlagenen Bootes, bis ein anderes Boot vorüberkam und Hilfe brachte. Dieses Seeabenteuer des großen Lars war es, das seitdem überall besprochen und belacht wurde.
Als die Tochter des Hauses von Bergen zurückgekehrt war, und alles gleichsam eine feinere Lebensart annahm, trat die Rolle des armen Groß-Lars mehr in den Hintergrund; selbst in der Weihnachtszeit durfte er nicht mehr in die Familienzimmer kommen und die Possen wurden jetzt meist unten in der Gesindestube getrieben. –
Auch Jon Zachariasen kam, als er zwanzig Jahr alt war, hier in den Dienst. In den sieben Jahren, die er nun schon dort war, ging es mit ihm weder vorwärts noch rückwärts; und er kümmerte sich auch nicht sonderlich darum, bevor nicht die schlanke Marina unten von der Insel Lövö hier ebenfalls in den Dienst trat. Sie zählte damals achtzehn Jahre und Jon siebenundzwanzig; aber ihr liebliches, feines Wesen und ihr gutherziges Lächeln nahm noch Mehrere im Hause ein, nicht bloß ihn.
Jon war eine starke, männliche Erscheinung mit grauen bestimmten Augen, auf die man sich verlassen konnte, und einem schönen, aber ernsten Antlitz. Er verstand den Dienst auf dem Boote vortrefflich, war im Rudern wie im Segeln gleich tüchtig und überall, wo er einmal gefahren war, sofort bekannt, so daß er immer als Bootsführer mitgenommen wurde. Obgleich nicht sehr gesprächig, errang ihm doch sein stilles Wesen Marinas Freundschaft in hohem Grade. Wegen ihres bescheidenen Benehmens und ihrer äußeren Erscheinung – und auch wohl infolge des stillen Einflusses des jungen Stuwitz – hatte sie Aussicht bekommen, zur Stubenmagd aufzurücken, wenn sie das zweite Jahr in der Küche ausgedient hätte. Jeden Morgen und Abend fand sie die Wasserkübel in dem Flure vor der Küche bis obenhin gefüllt und alles Holz in die Küche hineingetragen; sie hatte Jon auch schon zu verstehn gegeben, daß sie ihm dankbar wäre; aber zu einem festen Verhältnisse zwischen ihnen kam es doch erst in der Weihnachtszeit des zweiten Jahres.
Am heiligen Abend und am ersten Weihnachtsfeiertage aßen, nach alter nordländischer Sitte, die Herrschaft und das Gesinde in demselben Zimmer, und gleichzeitig fand am heiligen Abend ein wunderlicher Aufzug statt. Sechs bis acht Männer kamen in Pelzen, wie unmittelbar von der See hinein, und trugen zwischen sich eine Heilbutte in die Küche, eine Butte, die ungeachtet ihrer Größe doch im Verhältnis zu der ungeheueren Anstrengung, die sie den Trägern zu bereiten schien, immer noch viel zu klein war; denn alle Augenblicke legten sie den Fisch hin und ruhten gleichsam aus.
Heilbutte und Kalbsbraten bildeten in allen besseren Häusern des Nordlands die stehenden Gerichte am heiligen Abend, und nach alter Sitte war es die Pflicht der Knechte, erstere herbeizuschaffen, während das Kalb Sache der Köchin blieb. Da es jedoch nicht sicher war, daß eine große Butte gerade am heiligen Abend anbeißen werde, mußte diese Sache ebenso wie das fette Kalb schon lange vorher im geheimen vorbereitet werden.
Zwischen den Knechten und Mägden wurde nun in der Zeit vor Weihnachten ein stiller, aber außerordentlich leidenschaftlicher Kampf geführt, um sich das gegenseitig unmöglich zu machen. Glückte es das Kalb der Köchin fortzustehlen, so mußte erstere den heiligen Abend, zu Schimpf und Schande, über das Dach des Kuhstalls steigen; blieb aber die Heilbutte aus, so mußte der Knecht auf der Dachfirste des Bootsschuppens reiten. Und hierauf wurde ein so großer Wert gelegt, daß die Magd am letzten Weihnachtsfest, als das Kalb fortkam, ihre und des Kuhstalls Ehre in dem Grade verletzt fühlte, daß sie nur durch den Einfluß der Hausfrau vermocht werden konnte, länger im Dienst zu bleiben; wobei sie denn auch der Schmach, auf das Dach ihres eigenen Kuhstalls gesetzt zu werden, entging.
Auch vor diesem heiligen Abend fand ein unendlich heißer Kampf statt; aber Marina hatte einen listigen Ausweg gefunden, der die Mägde fast übermütig machte. Sie hatte das Kalb in eine Kiste gelegt und diese in dem kleinen Boote versteckt, welches unter dem Dache des Schuppens hing. Wo nun auch die Knechte Nachsuchung hielten, so konnten sie doch nicht auf den Einfall kommen, auf ihrem eigenen Grund und Boden zu suchen.
Das Unglück wollte, daß Jon um die Mittagszeit des heiligen Abends den Schuppenschlüssel vermißte, welchen die Köchin, um sich ganz sicher zu fühlen, gegen Marinas Rat, zu sich gesteckt hatte.
Jon erriet bald, daß der Schlüssel, welcher immer in der Thür steckte, absichtlich fortgenommen war, und in der Dämmerung sah Marina, wie er die Thür mit einem Brecheisen heraushob.
Jetzt war guter Rat teuer.
Als Jon in dem finstren Schuppen verschwunden war, schlich sich die schnell entschlossene Marina unbemerkt hinter ihm hinein, um die Weihnachtskiste womöglich zu ergreifen und hinauszuretten, ehe Jon, welcher augenscheinlich nach ihr suchte, sie entdeckte.
Jon tastete und suchte überall umher. Hier, wo er täglich arbeitete, wußte er so genau Bescheid, wie in seiner eigenen Lade. Einmal kam es ihm vor, als ob er jemand, der schnell zurückwich, berührte, und kurz darauf fiel ein Stück Holz um. In der Ecke zwischen dem großen Boote und der Wand fühlte seine ausgestreckte Hand eine warme Wange, und nun war Marina samt der Kiste, mit der sie herauszuschleichen gehofft hatte, gefangen. Anfänglich hielt er die Hand, die den Kistendeckel ergriffen hatte, fest umspannt, als er aber Marina erkannt hatte, sanfter und immer sanfter. Er fühlte ihren warmen Atem auf seinem Gesichte, und sein Herz pochte ungestümer in seiner Brust, so daß er kein Wort hervorzubringen vermochte. Außerdem war die Hand so unsäglich gut und schön, daß er sie nicht loszulassen versuchte, und auch sie machte keinen Versuch, sich zu befreien. Endlich sagte er leise und abgebrochen:
»Da du es bist, Marina, kannst du mit der Kiste machen, was du willst – ich werde kein Wort sagen.«
Leise flüsternd »Dank Jon, ich weiß, daß ich mich auf dich verlassen kann,« – wollte sie sich an ihm vorüberschmiegen; aber der Raum zwischen dem Boot und der Wand war doch zu eng. Da umarmte er sie und sagte:
»Ja, bis zum Tode, Marina!«
Ihre Wangen berührten einander, einen kurzen Augenblick, da riß sich Marina rasch los und eilte auf den Hof hinaus.
Wie gewöhnlich wurde der heilige Abend mit einer Andacht begonnen, indem der alte Brögelmann seine Hornbrille aufsetzte und ein Stück aus der Bibel so wie ein Weihnachtslied vorlas; und dieser Abend schwebte Jon in seiner Erinnerung immer als die feierlichste und festlichste Stunde seines Lebens vor.
Auf Vorschlag des Studenten fand dann unten in der Wohnung der Herrschaft eine besondere Weihnachtsbescherung statt, zu der alle Leute eingeladen waren. Jon erhielt eine Tabakspfeife mit Porzellankopf, darauf ein Damenporträt, nebst drei in Papier eingewickelten Silberthalern; Marina aber bekam ein großes Umschlagetuch.
Zufälligerweise machte es sich, daß sie beide gleichzeitig vortraten um sich zu bedanken, und war der männliche Jon dabei ungewöhnlich linkisch und Marina unnatürlich rot.
Nicht minder freudig gedachte Jon in späteren Jahren des Weihnachtsjubels und der Lustbarkeiten im Hause an den darauffolgenden Tagen. Nach des Spielmanns Erik Violine und des Peer Plate Klarinette wurde in der Gesindestube nach Herzenslust Polka und Schottisch getanzt.
Unten in der Knechtsstube spielten die Knechte und Mägde allerhand Weihnachtsspiele, und da traf es sich denn oft, daß die Beiden ein Paar wurden.
Nur an einem Abend war Jon finster und mißgestimmt; er hatte bemerkt, daß der Student nur um Marinas willen in die Gesindestube heruntergekommen war. Ganz gegen sein gewöhnliches freundliches Wesen wurden seine Augen immer wilder, und gewiß hätte er noch den wahnsinnigen Vorsatz, auf den er verfiel, nämlich den Studenten zur Thür hinauszuwerfen und sich damit aus dem Dienst zu bringen, ausgeführt, wenn ihn nicht Marina zum Tanze aufgefordert und dadurch beruhigt hätte, daß sie ihm zuflüsterte, man müßte sich doch klar machen, was für sie beide am besten wäre.
Noch an demselben Abend empfing Jon draußen im Flure ihr Versprechen für das Leben und die Besieglung durch einen warmen Kuß.
Als das Weihnachtsfest am letzten Tage ausgetanzt werden sollte, führte Jon den »Langetanz« in einer Weise auf, daß noch lange davon gesprochen wurde. In einer langen Reihe, einige der Vordersten als Weihnachtsböcke verkleidet, zogen die Leute mit dem Spielmann an der Spitze durch die Gemächer. In dem Zimmer der Herrschaft schritten sie an Brögelmann, seiner Frau und Tochter, welche mit einigen Gästen, der Sitte gemäß, die komischen Begrüßungen entgegennahmen, vorüber.
Der Langetanz endete draußen auf dem Hofplatze, wo die Hintersten in der Regel durch eine schnelle Schwenkung umgeworfen wurden. In dieser Hinsicht beruht viel auf der Kraft und Geschmeidigkeit des Anführers. Diesmal wurde der Student, der sich aus Mutwillen hinten angehängt hatte, in einen Schneehaufen geschleudert.
Indessen dauerte es nicht lange, daß Jon sein Glück etwas unsicher und sein Dasein als eine Hölle empfand.
Nicht nur der Kaufmann Thor Stuwitz, der damals ein Mann von einigen dreißig Jahren war, sondern auch der Student begannen jetzt, jeder auf seine Weise, ihre Netze nach Marina auszuwerfen. Stuwitz nötigte ihr allerlei Geschenke auf, die sie zwar nicht abschlagen konnte, von denen sie aber ihrem erbitterten und etwas entmutigten Geliebten jedesmal getreulich Bericht erstattete. Beide fühlten, daß gierige Geier über ihrer Liebe kreisten, und daß sie mit einem Wetter kämpften, welches auch größeren Fahrzeugen als den ihrigen zu schaffen machen möchte. Das Schlimmste war, daß Stuwitz, nach ihrer Wahrnehmung, von den Ihrigen auf der Insel Lövö unterstützt wurde. Jon besaß nichts und Marina auch nichts; – für sie beide kam es darauf an, etwas zurückzulegen, und für ihn zugleich, sich in den folgenden paar Jahren weiter hinaufzuarbeiten. Aber jenen feindlichen Mächten war es nur allzu leicht, alle diese Pläne zu zerstören. Dazu bedurfte es ja nichts weiter, als daß ihnen bei der Herrschaft Böses nachgesagt wurde.
Jon war in dieser Zeit sehr wortkarg und schwermütig. An einem Abend, als er wieder recht betrübt war, machte sie ihn aber so froh, daß sein breites Gesicht erstrahlte. Unter Thränen die der Ärger ihr auspreßte, schlug sie ihm bekümmert vor, sie sollten an ihrem Hochzeitstage all die Tücher und Geschenke, die sie jetzt annehmen müßte, in ein Bündel packen und mit einem Steine beschwert, draußen in den Fjord versenken. Sie hätte schon so manche bittre Thränen bei dem Reichtum geweint, fügte sie hinzu.
Eines Sonntags nachmittags im Frühling, als Jon in der Thüre des Speichers an dem Strande neben dem Seil der Winde saß und in tiefes Nachsinnen versunken rauchte, kam Marina ganz blaß zu ihm herein. Sie erzählte, während die anderen am Vormittage in der Kirche gewesen – Jon selbst hatte das Kirchenboot mit gerudert – hätte ihr Stuwitz eine Liebeserklärung gemacht, die sie auf der Stelle abgewiesen. Der erste einäugige Handlungsdiener, der bei der Herrschaft so mächtig war, hatte die Gelegenheit ergriffen, ihr sein Herz zu Füßen zu legen. Nach seiner Ansicht sollten sie noch ein Jahr, heimlich verlobt, im Hause bleiben, dann sollte sie mit ihm nach Olswaag ziehn, wo er Aussicht habe, ein Geschäft mit zugehörendem Fischwehr, das dort zum Zwangsverkauf käme, billig zu erstehen. In seinem Liebeseifer war er herausgeplatzt, daß er mehr zurückgelegt hätte, als jemand wüßte; und das kommende Jahr so fügte er mit schmunzelndem Gesicht hinzu, solle ihn auch nicht ärmer machen.
Das Erstaunen über die schnelle Ablehnung seines großartigen Antrages, die sich die geringe Dienstmagd erlaubte, stand auf seinem Gesichte zu lesen, das, während er sie anstarrte, den wahren Ausdruck eines wilden Tieres erhielt. Aber als sie, die Hände über ihrer Sonntagsschürze gefaltet, so bescheiden und vor Schrecken rot dastand, las er darin ein so aufrichtiges und einfältiges Nein, daß er einsah, hier wäre für diesmal nichts auszurichten.
Etwas später kam er wieder in die Gesindestube hinab, wo sie allein war, und hielt ihr eine salbungsvolle und eindringliche Rede darüber, wie ehrenvoll sein Antrag für sie wäre, und wie sehr es ihren armen guten Vater freuen würde; außerdem wäre sie ihm Dank schuldig, weil er ihr zu dem Dienst und der Gunst in diesem guten Hause verholfen hätte. Da ihre ruhige Haltung und Antwort indessen denselben Eindruck wie das erste Mal auf ihn machte, war die scheinbare Freundlichkeit von seinem Gesicht mit einemmale wie fortgeblasen. Marina fühlte, wie ihr die Knie bebten, während er sie anblickte, als ob er sich nur selbst darüber wunderte, daß solch ein kleines Ding, welches er, sobald er wollte, mit seinen Stiefelabsätzen zertreten könnte, die Dreistigkeit besäße, sich gegen ihn aufzulehnen. Ganz gegen sein gewöhnliches, langsames Wesen riß er heftig die Thür auf, wandte sich aber noch einmal zurück mit einem drohenden Ausdruck, und sagte, er sähe leider ein, daß ihr der Student einen Floh ins Ohr gesetzt hätte, aber er werde wissen, diesem leichtfertigen Unwesen im Hause einen Dämpfer aufzusetzen. Ein braves Mädchen verscherze nicht eine gute Zukunft, wenn sie ihr angeboten würde; und außerdem, so sagte er langsam und bedeutungsvoll, sollte sie sich wohl bedenken, ehe sie sich ihn zum Feinde mache. Mit diesen Worten, in denen soviel lag, daß er jetzt noch warte, und daß sie sich die Sache wohl überlegen möge, schloß er hinter sich die Thür der Gesindestube.
Dies waren wenig fröhliche Zeiten für Jon, und noch düstrer wurde es, als Marina einige Tage später zu Frau Brögelmann in die Stube hineingerufen und ihr der Dienst zum Herbst gekündigt wurde.
Die Krisis war also jetzt eingetreten, und guter Rat teuer.
Stuwitz hoffte, sie werde sich dem Zwange fügen; Jon Zachariasen aber qualmte in einsamen Stunden, in dem Speicher an der See, ganz entsetzlich aus der Pfeife mit dem Porzellankopf, worauf sich das Porträt einer feinen Dame befand, die ihm, trotz ihrer ganz andern Züge und ihrer prinzessinartigen Kleidung, Marina zu ähneln schien. Der lange Hals und das hellblonde Haar bei beiden bewirkte diese glückliche Illusion, die ihm zu so großem Trost gereichte. In solchen einsamen Stunden saß er still da, hüllte das Gesicht seiner Marina in Dampfwolken und schien auf diese Weise mit ihr zu plaudern, während er unaufhörlich nachsann.
Endlich war sein Plan gefaßt. Im Holzschuppen überlegte er ihn eines Abends spät, nachdem sich alle schlafen gelegt hatten, mit der wirklichen Marina, und erschien am folgenden Tage in vollem Staat, in seiner Sonntagstracht von braunem Fries und mit dem Glanzhute in der Hand bei Herrn Brögelmann auf dem Comptoir. Er möchte »den Vater« um Abrechnung und um seine gütige Erlaubnis bitten, den Dienst sofort verlassen zu dürfen, da er jetzt etwas auf eigene Hand unternehmen wolle.
Brögelmann war, wie mitgeteilt, ein freundlicher Mann. Jon Zachariasen erhielt seinen Abschied mit guten Führungszeugnis und nach erfolgter Abrechnung einundzwanzig Speziesthaler nebst einem alten, sechsrudigen Boote, das unten am Strande auf- und abschaukelte, nachdem er »den Vater« gebeten, es ihm samt dem dazugehörigen zerlumpten Segel im Schuppen, als Trinkgeld für die sieben Jahre, die er ihm gedient, zu verehren.
Auch Groß-Lars erbat sich an demselben Tage seine Entlassung. Er hatte sich Jon, dem Einzigen, der ihn nicht gehänselt hatte, eng angeschlossen.
Die nächsten vierzehn Tage des Frühlings wandte Jon dazu an, sein Boot auszubessern und zu teeren, und dann stach er eines Morgens in aller Frühe, ehe noch irgend jemand aufgestanden war, in die See. Er hatte einige Taue und die geringen Gerätschaften und Matrosenkleider, die er besaß, bei sich, darunter Säge und Axt nebst einem Kasten mit großen Nägeln und dem nötigen Lebensunterhalt für eine längere Zeit. Als der dunkelhaarige, kräftige Mann in der Zipfelmütze und Seemannstracht auf die helle Bucht hinauskam, welche hier und da die Morgenbrise kräuselte, brach der Tag an, und die aufgehende Sonne warf ihren Glanz auch auf ein Mädchen, das auf der Landungsbrücke stand. Sie nahmen es als eine günstige Vorbedeutung für ihr Leben.
In der Zeit der Abwesenheit ihres Freundes Jon kamen ihr die Tage leer und öde vor; der Handlungsdiener lauerte ihr wie einem Vogel auf, den er bald in sein Netz zu bekommen glaubte. Die Kurmacherei des Studenten war für die Liebenden eigentlich ein großes Glück; denn durch ihn wurde die Aufmerksamkeit des schon vorher Irregeleiteten nur noch mehr von dem in seinen Augen nicht in Betracht kommenden Jon abgelenkt. Wäre dieser zu Hause gewesen, hätte Stuwitz ihn sich vielleicht zum Überbringer seiner Liebesbriefe gewählt.
Fünf Monate später kam kurz vor Anbruch des Herbstes Jon und Groß-Lars mit einem frischen Winde an; das Boot bis an den Rand voll von getrockneten Fischen. Er ging in seiner Seemannstracht, schleppte einen großen frischen Dorsch, den er am Kiemen hielt, hinter sich her, trat in den Laden, wo er, wie es Sitte war, den Dorsch auf den Ladentisch warf, und bat um ein Glas Branntwein für den Fisch und darauf um eine Abrechnung für die getrockneten Fische, die er im Boote habe. In der nächsten Zeit würde er noch mehrere solche Ladungen hierher schaffen, die jetzt noch bei seiner Wohnung auf den Trockengestellen hingen. Er verlangte bares Geld, um sich ein besseres Boot zu kaufen, da dasjenige, auf dem er fahre, sich, wie er sich scherzend ausdrückte, bald nur für solche Leute eignete, die Wasser treten könnten. Ein Teil der Fische war ihm deshalb auch unterwegs naß geworden, so daß er sie billiger verkaufen mußte.
Später am Abend bekam er Marina zu sprechen. Als sie ihn, halb lachend und weinend, begrüßte, erzählte sie, daß sie gesehen, wie er auf die Landungsbrücke zugefahren. Da hätte sie so vollkommen die Fassung verloren, daß sie fast alles verkehrt gemacht.
Von dem Augenblicke an, wo sie mit Jon gesprochen und vernommen hatte, wie es mit ihren Aussichten stände, erhielt ihr Gesicht wieder den freudigen, fröhlichen Schein, der sie unter den Sorgen und Qualen der ganzen letzten Zeit verloren hatte.
Im Laufe der nächsten vierzehn Tage kam Jon noch zweimal mit voller Ladung an. Als er alle seine Fische abgeliefert hatte, bekam er fünfzig Speciesthaler ausgezahlt, von denen er zwanzig sofort zum Ankauf eines besseren Bootes verwandte.
Eines Vormittags gingen sie dann beide schön geputzt nach dem Comptoir und erzählten Brögelmann, wie sich das Ganze verhielt, daß sie Liebesleute wären und sich noch in demselben Herbst zu verheiraten gedächten, sobald das Aufgebot vorüber wäre; daß sie sich aber vor Stuwitz fürchteten, der, sobald er von der Sache Kunde erhielte, Marina bei deren Eltern Hindernisse bereiten würde. – Brögelmann saß lange in Gedanken; ohne ihnen eine weitere Antwort zu geben, entließ er sie doch mit der Versicherung, daß er Stillschweigen beobachten, und niemand etwas erfahren würde. Daraus schöpften sie denn freudige Hoffnung.
Den Tag darauf sandte er Jon mit einem verschlossenen Brief zum Vogt. Es handelte sich um die Dispensation vom Aufgebot. Einige Tage später begab er sich persönlich zum Pfarrer. Und am folgenden Sonntag, – es war gerade der Tag vor dem Umzugstermin im Herbste – wurden sie zu allgemeiner Überraschung, besonders aber zu Stuwitzens Verwunderung, in der Kirche getraut, von der aus sie in südlicher Richtung in ihrem Boote nach ihrer neuen Heimat auf der Insel Skorpen fuhren. Aber von dem Augenblicke an wurde ihnen Stuwitzens unauslöschlicher Haß zu teil. Denn es kam bei ihm nicht einzig und allein die ungewöhnliche Schönheit und Anmut des Mädchens, sondern auch eine Berechnung mit ins Spiel, nämlich die Sicherung vor den Folgen einer möglichen Entdeckung von Marinas Abstammung.
Jon Zachariasens Geheimnis war, daß er einmal auf einer seiner Fahrten nach den Lofoten einen ganz vortrefflichen Fischgrund südlich von der Insel Skorpen entdeckt hatte; auch war er dort auf die Überreste eines Schiffswrackes gestoßen, welches nicht weit davon dicht am Lande lag. Diese beiden Dinge hatte er in den einsamen Stunden, wenn er über die Zukunft grübelte, in seinem Kopfe zusammengefügt, und im letzten Sommer, mit Hilfe seines Freundes Groß-Lars, auf der Insel Skorpen, dicht am Fischplatze, vorläufig eine kleine Hütte zusammengenagelt, darin er mit Marina zu wohnen gedachte.
Es war spät im Herbst, als die beiden, von Groß-Lars begleitet, an ihrem Hochzeitstage mit dem Bißchen, was sie besaßen, und der kleinen Aussteuer und den Geschenken, die sie erhalten hatten, nach ihrem einsamen Häuschen auf der Insel Skorpen fuhren.
Mitten in dem Fjord geschah am ersten Tage etwas, das Groß-Larsens mattes Gehirn sich Jahrelang vergeblich zu begreifen bemühte. Marina überlieferte Jon ein Bündel, das sie erst öffneten, – und da erblickte Lars deutlich mehrere seidene Tücher darin – und dann, mit einem Stein beschwert, wieder zuknüpften. Beide hoben es, jeder mit einer Hand, in die Höhe und warfen es dann, vor Freude laut lachend, über den Rand des Bootes.
Da Groß-Lars sich dabei offenbar sehr den Kopf zerbrach, erklärte ihm Jon mit ganz ernster Miene, es wären soeben Thor Stuwitz und ein Student aus Christiania, mit einem Stein um den Hals, zu Grunde gegangen. Das lächelnde Gesicht Marinas erkannte diesen Witz nachdrücklich an, aber Lars war so klug wie zuvor.
Um seinen Grübeleien ein Ende zu machen, bat er Marina, die neben Jon auf der Ruderbank saß, ihm den Bierkrug zu reichen. Er erhob seine gewaltige Gestalt im Boote und trank auf das Wohl der Neuvermählten und auf eine glückliche Fahrt in jeder Weise.
Es ging, wie man vorausgesagt hatte, Brögelmanns Tochter verlobte sich nicht lange darauf mit dem Studenten Heggelund.
Der alte Brögelmann zog sich nun immer mehr von allen Geschäften mit den nördlichen Regionen zurück; einige Jahre vor seinem Tode kaufte er seinem Schwiegersohn den Handelsplatz M . . . sund weiter südlich. Als Leiter des Geschäfts und als den eigentlichen Kopf bei allen Unternehmungen gab er ihm seinen Vertrauten Stuwitz als Mitgift. Es war eine moralische Verpflichtung, der sich Heggelund seinem vorsichtigen Schwiegervater gegenüber unterzog. Mit diesem lebte er von nun an denn auch, sein ganzes Lebenlang, unter einer Art geheimer Vormundschaft, die ihm drückend genug war; aber es fehlte ihm, um sie abzuschütteln, sowohl an Charakter als auch – wie es sich später zeigte – an der notwendigen Einsicht in seine eigenen Geschäftsinteressen.