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Während Morten Jonsen, auf die vorteilhafte Lage seines Handelsplatzes gestützt, im Laufe der folgenden paar Jahre einen glücklichen Griff nach dem andern macht und, von dem Ruf und Ruhm begleitet, womit die Welt gern dem Glücklichen folgt, in der Gegend eine Größe wird, wollen wir ein wenig in der Zeit zurückgehen und über Andreas Heggelund berichten.
Unten in Christiania war Andreas in jeder Weise als Heggelunds Adoptivsohn aufgetreten. Er wurde überflüssig mit Geld versehen und galt unter den Studenten als »der reiche Heggelund«. Sein gutherziges, lebhaftes Wesen, der Umstand, daß er stets bereit war, seinen Freunden Geld zu leihen und sich in seinem Betragen beständig munter und edel zeigte, sammelte bald einen Kreis von Kommilitonen um ihn. Er galt als ein heller Kopf, war im Studentenverein eine Art Löwe, besuchte fortwährend das Theater und beschäftigte sich und den Kreis, der um ihn war, mit belletristischen Interessen. Er wurde in Gesellschaften und zu Bällen eingeladen und war beständig in Anspruch genommen.
Die Arbeitsbegeisterung, die sich seiner in der letzten Zeit in der Heimat bemächtigt hatte, war nach und nach wieder verschwunden; war sie doch wesentlich nur durch seinen energischen Freund Morten hervorgerufen, solange seine weiche Natur unter dem Einflusse des Beispiels und der Persönlichkeit desselben stand. Mit dem Studium ging es jedenfalls sehr langsam.
Die Briefe von Andreas waren damals die Freude Heggelunds und seiner Frau, obgleich sie stets mit Geldforderungen endeten. In der Regel las Heggelund den zuletzt angekommenen guten Freunden, die ihn besuchten, vor; ja er unternahm auch wohl bisweilen – mit dem Briefe in der Tasche – eine Spazierfahrt zu dem Amtsrichter, wo er dann gelegentlich vorgelesen wurde und besonders in dessen Tochter Julie eine aufmerksame Zuhörerin fand. Aus allerlei Universitätsgeschichten hatten sie sich die Vorstellung gebildet, daß dieses Leben »studieren« hieß, und daß sich nach Verlauf gewisser Jahre das Examen daraus mit einer Art Naturnotwendigkeit ergeben müßte.
Nun trat der Tod der Frau Heggelund ein, der Andreas sehr nahe ging, und trotz des scheinbar leichten Tones, in dem der Onkel stets schrieb, waren die Briefe aus der Heimat seit dieser Zeit doch nie mehr fröhlich. Hin und wieder ließen auch die lange über den Termin ausbleibenden Geldsendungen ihn ahnen, daß es dem Onkel gewiß nicht immer so leicht fiele, sie ihm zu schaffen. Letzteres setzte Andreas nun freilich nicht in allzugroße Verlegenheit, denn er verstand sich vortrefflich darauf Schulden zu machen und erfreute sich eines guten Kredits auf den Namen seines Onkels.
Er hatte jedoch die genügende Einsicht, um nicht in einzelnen Stunden zu vermuten, daß es daheim nicht zum besten stehen könnte, besaß aber dabei eine allzuleichte und zerstreuungssüchtige Natur, um sich je solchen Gedanken recht lange und ernst hinzugeben, trotzdem ihn wohl einige spätere Briefe Edels dazu hätten bewegen können.
Die Nachricht von der Katastrophe und den übrigen Zuständen daheim wirkten deshalb auf ihn wie eine vollständige Überraschung. Sie betäubte ihn förmlich. Er sah mit einemmale ein, daß auch seine Laufbahn andere düstere Aussichten erhalten hätte, und in seiner oberflächlichen Weise überließ er sich jetzt fast der Verzweiflung. Bald wußte er sich jedoch sanguinisch wieder auf eine Stufe lichter Hoffnungen zu erheben. Bei guten Freunden hier und da trieb er ein Anlehen auf, groß genug, um für das erste noch ein Jahr in Christiania in bescheidenen Verhältnissen leben und weiter studieren zu können. Er entwickelte dabei eine ungewöhnliche Energie und studierte augenblicklich mit großem Eifer. Seine Natur, die stets einen Sporn verlangte, hatte einen solchen in den unerwarteten neuen Umständen erhalten.
Es erregte in der Studentenwelt nicht geringes Aufsehen, als es hieß, »der reiche Heggelund« habe mit unerhörter Ausdauer zu studieren angefangen.
Er bestand sein Examen und reiste in demselben Sommer zu seinem Onkel, bei dem er sich für das erste aufhielt.
In der Heimat war er jetzt, ob schon liebenswürdig wie früher, doch weit entschiedener und absprechender als bei seiner Abreise. Er trat gern als »Autorität« auf, merkte aber zu seinem Ärger, daß sich Edel durchaus nicht blindlings vor seinen Ansichten beugte. So freundlich ihr Benehmen war, er fand doch, daß ihr Ton bisweilen etwas spöttisch war, was wieder Veranlassung zu kleinen Reibungen gab, oder daß Andreas mitunter erzürnt schwieg. Aus seinen Äußerungen sprach der gewichtige Gedanke von den adelnden Eigenschaften der akademischen Bildung; »sie allein machte in unserm Lande einen Mann zum Gentleman«. Edel stritt nie direkt dagegen; aber trotzdem konnte er die Weise, wie sie darauf antwortete, oder, richtiger gesagt, am öftesten nicht antwortete, nie recht leiden. Er wußte nicht, ob sie ärgerlich war oder sich über ihn lustig machte.
Mehrmals hatte er Morten Jonsen besucht und war von ihm mit all der alten, begeisterten Freundschaft aufgenommen worden. Aber da dieser immer von seinen Geschäften in Anspruch genommen war, unterblieb der nähere Umgang, auf welchen er gerechnet hatte.
Morten Jonsen besaß nun auf Finnäs schon einen großen Speicher am Ufer und einige zu dem stets an Umfang wachsenden Geschäft nötige Nebengebäude, während ein kleines Wohnhaus, mit großen Fensterscheiben und im modernen Stil erbaut, noch nicht ein einziges halbfertiges Zimmer enthielt, darin man sich aufhalten konnte. Früh und spät auf den Beinen, hatte er für seinen Freund nur wenig Zeit übrig. Auffallend war es Andreas, daß er ihn jedesmal, wie zufällig, nach Edel ausfragte, und bald entdeckte er, daß er ihn mit diesem Thema im Zimmer festhalten konnte, solange er wollte. Dabei überschlich ihn aber doch ein unbehagliches Gefühl, und obgleich er sich darüber nicht ganz klar wurde, gefiel es ihm doch nicht, und er lenkte das Gespräch lieber auf einen anderen Gegenstand.
Trotz aller seiner Liebschaften seit jener Zeit, da Julie Schultz sein Stern war, hatte doch Andreas im stillen, nach der bescheidenen Weise der Vetter, immer gehofft, er habe auf seine Cousine Prioritätsrechte. Jetzt, da er sie erwachsen und, wogegen er nicht blind war, in ihrer Weise eigentümlich schön wiedersah, war sie, wie er fest überzeugt war, der allerletzte Gegenstand seiner Neigung geworden. Bei der Entdeckung, die er hinsichtlich der Gefühle seines Freundes gemacht zu haben glaubte, mußte er nun wohl eifersüchtig werden: und jene erwähnte Betonung der Bedeutung der akademischen Bildung, samt dem Ärger, den er darüber empfand, stand damit in Verbindung.
Das öftere Zusammentreffen Morten Jonsens und Edels bei Fremden schien durchaus nicht auf Zufall zu beruhen. Anfangs hatte Andreas außerordentlich eifrig berichtet, was für ein Mann Morten Jonsen zu werden verspräche, und dies mit seiner gewöhnlichen Begeisterung ausgemalt, – später wurde er allerdings äußerst still. Auf Edel hatten diese lebenden Schilderungen ihre eigentümliche Wirkung ausgeübt. Wenn sie jetzt Morten Jonsen begegnete, lag eine freundliche Kälte in ihrem Wesen. Er fühlte mit steigender Bitterkeit, daß sie ihm gegenüber eine andere geworden wäre.
Als Andreas und sie einmal bei dem Probste Müller zu Besuch waren, kam auch Morten in einem Anliegen dorthin. Er hatte gerade ein glückliches Geschäft gemacht, das Aufsehen erregt hatte, und dies wurde, während er da war, von der Familie des Probstes mit froher Teilnahme erwähnt. Das Gesicht, auf das seine Augen während dessen gerichtet waren, sah indessen vollkommen gleichgültig aus, und er glaubte sogar einen gewissen höhnischen oder geringschätzenden Zug um die Lippen zu entdecken. Er wurde bleich, ohne sich jedoch etwas merken zu lassen und brach unmittelbar nachher auf. Nur war sein Abschiedsgruß sehr kalt.
Er hatte sich vorgenommen, seinem alten, väterlichen Freunde, dem Probste, der ihm stets Interesse und Teilnahme bewiesen hatte, alles, was er über die Geburt seiner Mutter und jetzt vor kurzem von Silber-Sara über das Papiergeld erfahren hatte, anzuvertrauen. Er wollte ihn um seinen Rat bitten, wie er sich Stuwitz gegenüber verhalten sollte; denn das Benehmen desselben gegen ihn, als den neu aufgetauchten Konkurrenten in der Gegend, hatte ihn in der letzten Zeit vielfach gereizt und den Gedanken in ihm erweckt, das Leben dieses Mannes auf die eine oder die andere Weise vor die Öffentlichkeit zu ziehen.
Der Probst hörte in seiner Arbeitsstube alles, was Morten zu berichten hatte, schweigend an. Er wußte selbst von der Beichte Isaak Lövös und der Silber-Sara noch einiges mehr, war aber durch sein Amt an Schweigen gebunden. Nichtsdestoweniger konnte er ihm mit gutem Gewissen den Rat geben, der ihm der richtigste schien.
Da es ihm an allen Beweisen fehlte, würden derartige Geschichten, meinte er, von den Leuten nur als das Ergebnis des Brotneides betrachtet werden. Und wenn er sich an Stuwitz rächen wollte, so müßte er eingedenk sein, daß die Rache einem anderen zustände. »Meine alte Erfahrung« – schloß er – »hat es mir bestätigt, daß niemand so schnell reitet, daß ihn unser Herr nicht einmal einholt! Und glauben Sie mir, junger Mann, – er erreicht auch Stuwitz noch, selbst wenn unsere Augen es nicht sehen werden!«
Das Resultat war, daß Morten Jonsen seine Rachepläne aufgab, obgleich er jetzt in seinem erbitterten Gemüt äußerst kampflustig war.
Er ging nach Hause und machte sich allerlei Gedanken über Edels Betragen. War etwa Andreas' Rückkehr der Grund zu ihrem veränderten Betragen? Voller Eifersucht hatte er bemerkt, daß sie stets so vertraulich mit ihm umging. Oder stand das, was er bisher ausgerichtet hatte, so tief unter ihren Erwartungen? – Die Leute meinten doch, daß er Außerordentliches geleistet hätte. Jedenfalls sollte er ihr den Beweis liefern, daß er noch mehr leisten könnte. – Und er vermied es von jetzt an, mit Andreas zusammenzutreffen.
Seine Mutter hatte aus vielem bemerkt, daß er sich mit schweren Gedanken herumtrug, und Jon schüttelte bisweilen den Kopf, weil es ihm vorkam, als ob der Sohn in seinem Geschäfte anfing, zu viel auf eine Karte zu setzen. Er äußerte gegen Marina, daß derselbe den Herrn versuche; aber solange es noch gut ging, ließ sich ja nichts weiter sagen.
Als Morten einmal nach einem Zusammentreffen mit Edel in doppelt verbitterter Stimmung nach Hause zurückkam, gelang es der Mutter in einigen halben Worten sein Vertrauen zu erlangen. Marina konnte nicht unterlassen, an seinem Verlangen dem feinen Fräulein zu zeigen, wie weit er es bringen könnte, teilzunehmen; aber Jon Zachariasen fand, daß es ein leichtsinniges Streben wäre. In seinem Herzen standen Edels Aktien am tiefsten; denn, so meinte er, sie allein sei doch daran schuld, daß der Sohn so dreist und blindlings dem Glücke nachjagte. Aber er äußerte darüber jetzt nichts zu seiner Frau – er fürchtete sich selbst zu weissagen.
Eines Abends saß Andreas lange auf. Er bewarb sich um die Hand seiner Cousine, schrieb und zerriß den Brief und schrieb ihn wieder. Schon drei solche Briefe hatte er in seinem Leben geschrieben, und dieser durfte um seiner eigenen Ehre willen keinem seiner vorigen gleichen. Sein Mut war überhaupt nicht der Art, daß er die Antwort persönlich entgegennehmen wollte, – deshalb hatte er stets schriftlich angehalten.
Den nächsten Nachmittag ließ er den Brief durch einen Boten abgeben, während er selbst bis spät in die Nacht eine Kahnfahrt unternahm.
In den folgenden Tagen war er grenzenlos verzweifelt. In einer kurzen Zuschrift hatte ihm Edel mit »Nein« geantwortet, aber so cousinenhaft freundlich und hoffnungsvoll, daß er trotzdem fortfuhr wie früher ihr ergebener Vetter zu sein.
Eines Abends später kam er jedoch dahinter, daß seine erste Liebe zu Julie Schultz, der Tochter des Amtsrichters, doch seine eigentliche wäre.
»Vetter und Cousine stehen einander zu nahe. Schändlich und mehr als schändlich«, er hatte die ganze Zeit nicht an sie gedacht.