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Dem Seefinnen Isaak auf der Insel Lövö war seit jener Nacht, da er im Busesund von dem Korporal Stuwitz und dessen Sohne schied, nicht wieder leicht zu Mute geworden. Von Jahr zu Jahr sah er immer deutlicher ein, daß er durch Verheimlichung des Mädchens vor dem Gewissen wie vor dem Gesetz ein weit größeres Verbrechen begangen habe, als das, für welches er damals bestraft zu werden fürchtete. Damals konnte er wegen Entwendung der auf dem Wrack vorgefundenen Habseligkeiten und vielleicht, sobald die Sache herauskam, wenn auch unschuldig, wegen Teilnahme an der Anbohrung des Schiffes zur Rechenschaft gezogen werden. Was er von Stuwitz wußte, konnte er, sobald es zur Entscheidung kam, nicht beweisen, der, wie sein Vater gesagt hatte, nur alles frech zu leugnen brauchte. Was aber Stuwitz von ihm wußte, dafür lag der Beweis in Marina selbst vor. Dies hatte denn auch Stuwitz bei einigen Gelegenheiten, da sie zusammengetroffen waren, ihm anzudeuten wohl verstanden.
Daß Isaak damals, als Stuwitz seiner Pflegetochter Marina in Brögelmanns Hause Heiratsanträge machte, zu dessen Gunsten auf sie einwirkte, hatte seinen Grund in dieser Furcht. Es war ihm, als müßte damit alle Angst beendet sein. Daß Stuwitz ähnliche Beweggründe haben könnte, fiel ihm nicht ein. In diesem Gedanken lebte er wie unter einer beständig über ihm schwebenden Gewitterwolke, die ihm jede Freude des Lebens verfinsterte und ihm zugleich, nach und nach, als er schwach wurde, vor allem was da kommen sollte, bange machte. Aber Stuwitz, der Urheber all dieser Furcht und erdrückenden Last, haßte ihn von ganzem Herzen, tief und gründlich; ein Gefühl, das bei dem Unvermögen, sich zu rächen, beständig wuchs.
Isaak war nunmehr alt und schwach; aber trotzdem ging er ungern zu Bett, denn dann plagten ihn Gewissensbisse. Während eines Herbstes blieb er jedoch länger als gewöhnlich liegen, und er gewann die Überzeugung, daß er nicht mehr aus dem Bette aufstehn werde. Er wurde sehr unruhig und ließ Marina auffordern, zu ihm zu kommen, da er es wohl nicht mehr lange machen werde.
Es war ein weiter Weg zu ihm nach Norden hinauf, aber günstiges Wetter, und Marina machte sich, von Groß-Lars und Morten begleitet, sofort auf den Weg, während Jon zu Hause blieb.
Als sie ankam, ging es mit Isaak etwas besser.
Sie setzte sich an sein Bett, und beide sprachen viel miteinander; sie erfuhr nun, daß er nicht ihr rechter Vater wäre. Er könnte weder ruhig leben noch sterben, sagte er, bevor er ihre Verzeihung erhalten; auch wünschte er dem Pfarrer zu beichten, da es mit ihm vermutlich bald zu Ende ginge. Aber sie müßte ihm um seiner selbst wie um seiner Schwägerin willen, die seine Mitschuldige wäre, versprechen, die Sache keinem Menschen, nicht einmal ihrem Manne, dem er so lange ein treuer Kamerad gewesen, zu entdecken, bevor er nicht die Augen geschlossen hätte. Dabei nahm er die Brustnadel, die in dem Shawl gesteckt hatte, jetzt aus einer Lade und übergab sie ihr.
Marina saß bewegt da. Als er sie um Verzeihung bat, erwiderte sie, daß es ihr gottlob leicht fiele, sie ihm zu gewähren, und von ganzem Herzen ihren Dank dazu; denn ohne ihn wäre sie ja weder vom Wracke gerettet worden, noch hätte sie ihren Jon bekommen, der ihr mehr wäre, als alle Herrlichkeit der Erde. Darauf ging sie hin und streichelte ihre Pflegemutter, die – jetzt alt und gekrümmt – mit verweinten Augen an ihrem Kamine saß.
Auf dem Rückwege saß Marina im Boote in allerlei Gedanken versenkt. Bisweilen sah sie Morten lange und nachsinnend an, als ob er mit ein Gegenstand ihrer Gedanken wäre. Unter dem vielen, was ihr der alte Isaak anvertraut hatte, befand sich ein Punkt, der sie besonders beschäftigte, weil sie über ihn nicht recht ins klare kommen konnte. Weshalb hatte Stuwitz sie bei Brögelmann heiraten wollen? Hatte er irgend eine Entdeckung gefürchtet, oder einen Vorteil zu gewinnen gedacht? Marina war wohl etwas sanguinisch.
Als sie nach Hause kam, war es für sie ein drückendes Gefühl, daß sie so feierlich versprochen hatte, Jon nicht vor dem Tode ihres Pflegevaters in die Sache einzuweihen.
Was den alten Isaak anlangte, so wurde er, nachdem er sein Herz durch das Geständnis erleichtert hatte, so gesund, wie er sich lange nicht gefühlt hatte. Es war ihm, als ob der Herr – mochte Stuwitz jetzt beginnen, was er wollte – von seinem Hause nicht länger fern bliebe.
Vor mehreren Jahren hatte der Gebirgsfinne Mathis Nutto einmal Jon bitter seine Not geklagt. Wie es damals unter den Finnen gebräuchlich war, hatte er sein Geld im Gebirge in der Nähe einer heiligen Stätte vergraben und darunter vierhundert Reichsthaler in Papier. Sie waren vom Liegen etwas verschimmelt, und er war deshalb nach Tromsö gegangen, um sie bei dem Kaufmann gegen Silber einzuwechseln. Hier vernahm er aber, – was den Finnen oft widerfährt, – daß sie längst eingezogen wären. Er hätte sie, wie er erzählte, vor vielen Jahren von Stuwitz für Felle und Renntiere erhalten. – Isaak teilte Jon damals nicht mit, was er über dieses Geld dachte.
Als es nun ruchbar wurde, wie Stuwitz die Leute auf der Insel Skorpen verfolge, und daß er mit der Familie Nuttos, die daselbst Weideplätze besaß, in Feindschaft geraten wäre, fiel ihm diese Sache wieder ein und es schien ihm darin ein Weg zu liegen, Stuwitz einen Schlag beizubringen, ohne daß dieser ahnte, er käme von ihm. Mathis Nutto zog im Sommer stets nach dem Festlande, und als Isaak einmal, dem Anscheine nach zufällig, dort, wo die Finnenzelte standen, vorbeikam, erwähnte er die Sache abermals.
Die Augen des Finnen funkelten, als ihm Isaak einen Ausweg, sein Geld wiederzubekommen, in Aussicht stellte, wenn er ihm nur das feste Versprechen geben und den Eid darauf leisten wollte, seinen Namen unter keinen Umständen zu nennen, oder irgendwie einzumischen. Ohne genauer auf den Zusammenhang der Sache einzugehen, vertraute Isaak ihm jetzt an, daß es Stuwitz nicht angenehm wäre, wenn dieses Geld den Behörden zu Gesichte käme. Er solle nur unmittelbar zu ihm gehen und den Umtausch desselben verlangen; lehne er es ab, so solle er sofort damit drohen, daß er zum Vogt gehen würde, denn er wisse recht gut, daß das Geld den Behörden bekannt sei.
Für den Rat verlangte Isaak nichts anderes als seine Verschwiegenheit.
Nachdem sie voneinander geschieden, setzte sich Mathis, wie er zu thun pflegte, auf den Blockstuhl, schob die Mütze auf dem Kopfe hin und her und lachte und nickte vor inniger Bewunderung, wie schlau doch Isaak wäre. Je mehr er darüber nachdachte, desto besser und sicherer kam ihm die Waffe vor, die er in die Hände bekommen hatte; und sie schien ihm sogar noch ein Stück weiter zu reichen, als Isaak gedacht hatte; nämlich auch um sich unten in Finkrogen Stuwitz vom Leibe zu halten. Er brauchte ja Stuwitzen nach der Einwechselung nur darüber aufzuklären, daß er noch einige Scheine zur Verwendung übrig behalten hätte, falls dieser ihm und den Seinigen wieder zu Leibe gehen sollte.
Trotzdem bekam Isaak doch keine Ruhe, bevor er nicht bei dem Pfarrer Müller gewesen war und sein Herz durch ein volles Bekenntnis erleichtert hatte. Es mußte aber bei dem Pfarrer Müller geschehen, weil dieser Mann unter dem Volke ein Vertrauen wie kein anderer Geistlicher genoß. Früh und spät, in jeder Witterung und auf unbefahrenen Wegen konnte man den wackren, weißhaarigen Pfarrer treffen, wie er in seiner stillen, gesegneten Wirksamkeit draußen war. Im Winter begegnete man ihm gewöhnlich in einem selbstgebauten Schlitten nach lappländischem Muster, einem sogenannten Pulk.
Was ihm Isaak unter dem Geheimnis der Beichte bekannt hatte, erregte die Aufmerksamkeit des Pfarrers in nicht geringem Grade. Er war mit der Familie Heggelund sehr befreundet und hatte dort oft auch Stuwitz getroffen, dessen Persönlichkeit ihn nie angesprochen hatte. In dem Benehmen dieses Mannes lag etwas Unheimliches und Verstecktes, das er sich nun, da er einen Einblick in seine Lebensgeschichte erhalten hatte, erklären zu können glaubte.