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Das Wort ist der Körper des Geistes,
Leib ohne Geist ist ein Leichnam.
Bibel, du heilige und hehre, du wandelst über die Erde durch die Zeiten und Geschlechter wie ein echter Gottessohn, den sie natürlich nicht erkennen. Sie haben dich verhöhnt und verachtet, gerichtet und gesichtet, angebetet und geküßt. Sie haben mit dir gebetet und geflucht und gezaubert. Sie haben dich verschlossen und verriegelt, aber auch auf die Gasse geworfen, daß der fromme und gottlose Mob seinen Mutwillen mit dir treiben konnte. Sie haben dich auswendig gelernt, studiert und sich gelangweilt über dir und dich vergessen. Sie haben aus deinen Buchstaben und Worten ihre Systeme geschmiedet, als wären deine Sprüche heiße Eisen, aus denen sie alles darstellen können, ihre Narrheit ebenso wie die Blitze ihres Geistes, wenn zwischen beiden wirklich ein Unterschied ist.
Es war kein größerer Märtyrer als du, du teiltest das Schicksal des Weltheilands. Wie der Weltheiland, so bist du auch der Weltenrichter. An dir werden offenbar die Weisen, und du bist aller Weisheit Quell, aber die Narren stößest du tiefer in ihre Narrheit. Niemand wird ungestraft mit dir spielen. Dein Geist befreit die Lichten, aber deine Buchstaben knechten die Unfreien und Finsterlinge. Ueber dir haben viele den Verstand verloren, aber auch viele ewiges Leben gefunden. Es gibt keine Torheit, die man nicht aus dir herausgelesen hätte, aber auch keine Wahrheit, die aus dir nicht offenbar geworden wäre. Die aus dir klug werden wollten, haben dich alle mißverstanden und sind nicht klug geworden, aber die demütigen und seinen Herzen hast du mit Weisheit und Trost gefüllt. Die Betrübten hast du erquickt, die Starken geniedrigt, aber die Irrenden und Verwirrten hast du nie aufgeklärt und erleuchtet. Geholfen hast du nur denen, die deiner eigentlich nicht bedurften und manchem heißen Sehnen warst du verschlossen mit allen deinen sieben Siegeln.
Die dich niedergeschrieben haben, wußten nicht, was sie taten, die dich verschlossen, haben ein Verbrechen begangen, und die dich auf die Gasse warfen, haben dich zertreten und zerpredigt. Du aber bist, wie du bist, du lächelst über jede Auslegung und schweigst über den Zeiten in deiner stillen Majestät. Dich rufen alle zum Zeugen auf, die Bösen und die Guten, die Lügner und die Wahrhaftigen, die Schlauen und die Einfältigen, am meisten die Eigensinnigen und Wahneifrigen, aber du bleibst immer gleich in gewaltigem Schweigen, und alle versinken, die dich brauchen oder mißbrauchen, dich lieben oder hassen, dich verehren oder verachten. Du wirst wohl bleiben, wie du bist durch alle Zeiten und Geschlechter, aber kein Geschlecht wird an dir vorübergehen, ohne sich an dir zu reiben, ohne aus dir Leben und Wahrheit oder Dummheit und Narrheit herauszulesen.
Man nennt dich das Buch aller Bücher, aber das ist nicht wahr. Du bist überhaupt kein Buch, sondern eine Bücherei, ein Sprechsaal vieler – Jahrtausende. Wer dich bloß lesen will, wird gewiß irren, dich muß man erleben, um dich zu verstehen. Du bist das Erlebnis der befreiten Geister aller Zeiten, aber für die Ungeweihten bist du Buch und Buchstabengeflecht und schlimmer als alle ihre Bücher und ihr Geschreib.
Ich konnte in jungen Jahren einfach keine Beziehungen zur Bibel finden. Für meine geistlichen Bedürfnisse genügte völlig das Gesangbuch und besonders Paulus Gerhard. Das ist ganz natürlich. Ein junger Mensch, der sich selbst noch nicht gefunden hat und durch alle Unklarheiten der Jugend hindurch muß, denkt natürlich immer nur an sich selbst herum. Auch seine geistlichen Bedürfnisse bewegen sich immer im gleichen Kreise, deren Mittelpunkt das eigene Ich ist. Da ist Paulus Gerhard gerade der rechte Führer, der fortwährend über das geistliche Wohl des Ich nachsinnt, immer bedacht, sich in sich zufrieden zu geben und stille im Geiste zu sein, für den Gott nur dazu da zu sein scheint, das liebe Ich zu pflegen und zu betreuen und dereinst in den Himmel aufzunehmen. Mir ist später diese Art geradezu unerträglich geworden. Ich weiß nicht, wen ich so meide, wie Paulus Gerhard. Aber damals war er mir gerade recht und hat gewiß für viele Menschen seinen hohen Beruf. Auch heute noch.
Neben solchen Liedern des geistlichen Ichtums waren es allenfalls einige Psalmen, die mich beschäftigten, z. B. 103, der mir einmal in einem kritischen Augenblick geradezu Erlebnis wurde, oder die Stufenpsalmen, kurz alle, die in der Richtung des Gesangbuchs lagen. Einige meiner Freunde fanden sich damals zusammen, um Psalmen zu singen nach altkirchlicher Weise in altem Tone als Wechselgesang. Da konnte ich gelegentlich mittun und fühlte mich wohl in diesem Kreise. Aber sonst blieb mir die Bibel fremd. Dagegen war mir das Buch aller Bücher Goethes Faust geworden. Im Faust entdeckte ich immer neue Schönheiten und Weisheiten und hatte mich so hineingelebt, daß ich ihn ziemlich auswendig konnte. Natürlich nur den ersten Teil. Die Geheimnisse des zweiten waren mir völlig verborgen. Das sind armanische Weistümer, die damals noch niemand kannte. Ich glaube, es gab eine Zeit, in der niemand von mir wegging, ohne vorher ein Stück aus dem Faust anhören zu müssen.
Daß mir die Bibel auf Grund der theologischen Vorlesungen irgendeinen Eindruck gemacht hätte, kann ich wirklich nicht sagen. Wer Thukydides gelesen hat, dem bietet das Verstehen des Neuen Testaments keine Schwierigkeit, und das Alte war für mich die Freude des Orientalisten. Mehr als philologisches Interesse kann man auch kaum von der Fakultät der Schriftgelehrten erwarten. Verstünden sie auch, was sie lesen, so wäre es mit der akademischen Ruhe, Würde und Behaglichkeit vorbei. Die gesamte Kirchengeschichte und jegliche Dogmatik ist nicht mehr als eine Kette von Mißverständnissen der Bibel, die Kirchengeschichte, weil sie seit der Apostel Tagen niemals die Wege des Christus gegangen ist, und die Dogmatik aller Zeiten, Geschlechter und Christentümer, weil sie zum Lehrgefüge oder System macht, was eigentlich Geschichte ist.
Was in der Mathematik eine gerade Linie ist, das kann nie Dreieck und Quadrat werden. Die Geschichte ist eine gerade Linie, die im Ur ihren Anfang hat und im Ur ein Ziel finden muß, ein Dreieck oder Quadrat ist aber ein geschlossenes Ganzes, das in alle Ewigkeit nichts anderes werden kann. Aber die Dogmatiken aller Zeiten haben mit unermüdlichem Eifer aus der Geschichte ein System zu machen versucht. Das ist aber gar nicht die Aufgabe. Folglich sind die Antworten, die die Dogmatiken auf ihre Fragen geben, gewiß alle richtig, alle auf Grund der untrüglichen Zeugnisse der Heiligen Schrift gegeben. Darüber gibt's keinen Zweifel. Aber alle Fragen, die die Dogmatik bewegt, sind falsch gestellt. Falsch gestellte Fragen werden aber durch richtige Antworten nicht richtig und fördern keine Wahrheit zutage. Darum veralten sie alle wie vertragene Gewänder, wenige überleben ihre Urheber, keine ihr Religionsgefüge, und die Bibel lächelt. Sie kann so unbeschreiblich lächeln, sie hat einen Humor in sich, von dem ihre gelehrten Ausleger keine Ahnung haben.
Ich wußte das damals alles nicht, aber ich fühlte es. Es bedurfte vieler Jahre ernstester Arbeit, um mir dieses Dunkel deutlich zu machen, das für die weitaus meisten Zeitgenossen noch heute dunkel ist und auch bleiben wird, wohl auch bleiben soll.
In diesem Zustande lernte ich Blumhardt Ausführliche Lebensbeschreibung Christoph Blumhardts habe ich gegeben in dem Buche »Der Wunderpfarrer« Haus Lhotzky Verlag Ludwigshafen am Bodensee. kennen. Gehört hatte ich schon viel von ihm, aber ohne sehr große Anteilnahme. Zwei meiner Schwestern lebten seit Jahren in seinem Hause in verschiedener Arbeit, die das große Hauswesen nötig machte. Sie waren älter als ich und in bezug auf Blumhardt selbst wortkarg. Man kann auch über ihn nichts Wesentliches sagen. Man fühlt, daß ein Wortemachen über diese Heiligtümer wie eine Entweihung ist, die nicht zum Guten ausschlagen kann. Wenn Blumhardt neuerdings Mode zu werden droht, wenn er gar zu Dogmatik und System verarbeitet werden sollte, wenn ein gewisser Blumhardtianismus gar auf Universitäten einziehen sollte, so wäre das entsetzlich und würde nur verödend wirken. An den Namen Blumhardts hat sich niemals irgendetwas Sektenmäßiges anknüpfen können. Auch an seinen Sohn und Nachfolger hat sich keine Richtung gehängt. Bad Boll ist den Herrnhutern geschenkt worden zu treuen Händen. Die werden irgendetwas Braves Herrnhutisches draus machen.
Aber damals der Lebendige war ein Erlebnis. Wenn er die Bibel öffnete, hatte man den Eindruck, als wollte er sagen: Richtig, da steht's wahrhaftig auch geschrieben. Gewußt habe ich's ja schon und in meinem Leben reichlich erfahren. Dann konnte er über die Bibel sprechen und predigen, und da wurde sie auch Erlebnis und durchgeistigte den Wortlaut. Das Wort bekam seinen Sinn und wirkte sich aus als Kraft und wurde schließlich Tat. Ganz so hatte ich's im Faust gelesen. Goethe hat doch nie daran gedacht, ein Kunstwerk wie das Johannesevangelium verbessern zu wollen. Das darf man wirklich einem Goethe nicht zumuten. Aber er hat etwas sagen wollen von armanischer Weisheit, und armanische Weistümer sind nicht Lehren, sondern Erlebnisse. Das Wort wurde vom Sinn, der Sinn von der Kraft, die Kraft von der Tat erlöst.
Das ist das Große, das ich Blumhardt verdanke. Von ihm aus gelang es dann, tiefer hineinzukommen in ein neues Verständnis der Bibel, und was deutlich wurde, mag im folgenden besprochen sein.
Mit dem Worte ging es ungefähr so, wie es einmal dem Petrus erging. Dieser ging ganz behaglich, gewohnheitsmäßig in den Tempel zu beten. Warum er das tat, habe ich nie verstehen und begreifen können. Was jemand, der Ostern und Pfingsten erlebt hat, dessen Herrn die Priester und Schriftgelehrten ausgerechnet deshalb getötet hatten, weil er behauptete, des Tempels nicht zu bedürfen, was also ein solcher noch alle Tage im Tempel zu suchen hatte, ist einfach unverständlich. Aber gleichviel, der brave Mann ging und hat wohl nicht viel gedacht. Das lag ihm nicht recht. Aber siehe, an des Tempels Tür trat die Tat auf ihn zu. Er sah den Lahmen und wußte aus dem Augenblick: Dich macht Jesus Christus gesund. Also streckte er die Hand aus und vollzog das, was ihm aus dem Unsichtbaren an die Hand gegeben war. So wurde es ein Wunder. Aber nein, kein Wunder. Das ist Jesus Christus, das bin weder ich noch ist's ein Wunder. Aus dieser Stimmung heraus redete er zum Volke, und das stand bebend vor Gott, während die Behörde es sehr übel vermerkte und den Apostel rügte. Das Wort wurde dann bei dem Apostel zur Erklärung der großen Tat, die geschehen war.
Es herrscht namentlich in evangelisch-christlichen Kreisen die weitverbreitete Vorstellung, das Wort, etwa das Bibelwort allein genüge, um die denkbar größten Wirkungen hervorzubringen, es sei das Wort Gottes, das zweischneidige Schwert, das durchdringe, bis daß es scheide Seele und Geist, auch Mark und Bein durch seine Allgewalt. In der Bibel selbst wird diese Anschauung gerichtet. »Im Anfang war das Wort.« Das ist etwas ganz anderes als Bibel. Es ist die Urkraft der Offenbarung, die alles wirkt und schafft und ohne die nichts gemacht ist, das gemacht ist, die im Anfang bei Gott war und Gott war. Surtur nannten es unsere Väter: was von Ur zu Ur reicht, was währt von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Erst wenn diese Kraft hinter die Schrift tritt, wird das Wort zum Hammer, der Felsen zerschmeißt, aber ohne diese Kraft ist es ein Buchstabengefüge und kein Wort Gottes, wirkt also nicht aus sich selbst, sondern nur in und mit dem Geiste, der dabei ist.
Es scheint nun, daß man diese Macht auch verscheuchen kann und dann in schwere Finsternis gerät. Es könnte gehen wie in der ersten Gemeinde mit dem Heiligen Geiste. Damals wurden nach dem Bericht alle Getauften ohne weiteres mit dem Heiligen Geiste erfüllt, den man ihnen selbstverständlich ansah und anmerkte. Diese Kraft des Heiligen Geistes erschien gelegentlich auch ohne vorherige Taufe z. B. bei den Korneliern. Sie blieb aber auch zuweilen aus trotz der Taufe, z. B. in Samaria. Es war also eine Kraft, die von der Taufe an sich unabhängig war und kam und ging, wie sie wollte. Heute sieht man bekanntlich in der Christenheit nichts mehr vom Heiligen Geiste. Heute gibt's aber auch Wort, ganze Fluten und Ozeane von Wort ohne Kraft. Du kannst die Bibel 25mal nacheinander Text für Text durchpredigen und ganz und gar zerpredigen, aber die Kraft stellt sich leider unter Umständen nicht ein. Sie folgt ihrer eigenen Spur und kehrt sich nicht an dein Herbeizwingen wollen. Am wenigsten kommt sie zu dir, wenn du geistreich wirst. Die um Geist betteln, die Armen im Geiste, werden selig gepriesen, die Geistreichen sind sehr arm.
Wenn wir nun so zur Bibel stehen, daß wir vom Worte auch Kraft verlangen, um Kraft betteln, haben wir vor allem eine ganz andere Ehrfurcht vor ihr als etwa philologische oder geschichtliche Forscher oder gar Menschen, die sie bekritteln und Witz und Weisheit an ihr ausprobieren wollen. Die Bibel hat ja in unserem Geschlecht das Schicksal aller Mächte gehabt, ihr Ansehen ist in unserem Volke nach einem wohlüberlegten Plane unserer Feinde untergraben worden und mit ihr die Ehrfurcht vor der Religion, dem Staate und allen Einrichtungen, die des Ansehens und der Ehrfurcht wert sind. Das Ergebnis hat uns die Revolution und Republik gezeigt, und das Volk der Ehrfurchts- und Zuchtlosen liegt jämmerlich am Boden.
Mit der Ehrfurcht bekamen freilich verschiedene Fragen eine tiefere Bedeutung, als sie im üblichen Christentumsbetriebe zu haben pflegen. Die Christenheit ist unvermerkt, aber schon seit langer Zeit, in ein Wesen hineingekommen, das dem eigentlichen Sinne des Christus ferner steht, sich zuweilen gar nicht mit ihm vereinigen läßt.
Zu den Vorstellungen, die dem üblichen Christentum ferner liegen, gehört das Wesen des Reiches Gottes oder wie Jesus oft sagte, die Herrschaft der Himmel, also der Machtbereich himmlischen Wesens. Fast alle Gleichnisse Jesu reden von diesem, den gewöhnlichen Gedanken der Menschen unbekannten Herrschaftsgebiet. Man fühlt ihm an, er spricht aus dieser unsichtbaren und verborgenen Welt heraus, aber gleichzeitig nimmt er die gesamte Sichtbarkeit dafür in Anspruch. Wenn ein Bauer Korn sät, ein Weib Brot bäckt oder Stuben fegt, ein Kaufmann Perlen handelt, ein Schäfer verlorene Tiere sucht, ein Fischer sein Netz auswirft, das ist alles gerade so wie im Himmelreich. Also kann das alles Himmelreichsarbeit werden.
Damit ist in hehrer königlicher Weise die Hand der Herrschaft Gottes auf das ganze sichtbare Dasein gelegt, und man erlebt, wie aus dem Unsichtbaren heraus Kräfte strömen, die die sichtbare Wirklichkeit umfluten, durchdringen und heiligen. Wer künftig den Geschäften der Gewöhnlichkeit nachging, denen alles Geistige so überaus ferne zu liegen scheint, und vorher die Jesusgeschichten aus dem stofflichen Alltag gehört hatte, dessen Gedanken mußten über das sichtbare Händewerk hinausgehen und die Frage bewegen: Wo ist hier das Himmelreich? Wer aber in seinem Alltag am Himmelreich herumdenkt, der ist eben mitten drin. Er will die Welt, das Leben, die Umstände für Gott und begegnet damit den Wünschen Gottes, dem Reiche Gottes.
Aus Jesus floß in der schlichtesten Weise, die auch der Ungelehrteste verstehen und ergreifen konnte, eine ganz neue Wirklichkeit, nicht eine, die auf Abbruch und unter Seufzen steht, sondern eine von Herrlichkeit übergossene, lichtdurchflutete. Und das ist keine Lehre, kein künstlicher Zustand; in den man sich hineinrecken und steigern kann, sondern ein Erlebnis, das heute noch Tausende nacherleben, das zu allen Zeiten Menschen erquickt und gestärkt hat, ein Lebensgebiet, das wirklich jedem ohne weiteres offen sieht. Wenn das Himmelreich den Bauern, Fischer, die Hausfrau umflutet, warum nicht den Fabrikarbeiter, das Mädchen des schweren Broterwerbs, den Beamten und Angestellten, und wer es auch sei. Jeder, der morgens in seinen oft so grauen Alltag geht, darf sich gerade in ihm nach der neuen Wirklichkeit umsehen. Er wird sie gewiß erleben.
Man darf nur keine Lehre und Predigt draus machen, das würde geschmacklos, beleidigend wirken, aber alles und alle mit Himmelreichsaugen ansehen, das gibt schon einen stillen Glanz dieses Wesens mitten in die kalte Welt hinein. Es wirkt als geheimes Erlebnis, das gewiß nicht wirkungslos bleibt.
Das Himmelreich hat also für die Welt nur dann Wert, wenn es zum diesseitigen Zustand wird. Dann bleibt es selbstverständlich auch im Jenseits, denn es ist ewig, also unwandelbar, aber es ist durchaus gegen den Sinn und Geist des Christus, es erst oder vorwiegend für das Jenseits in Anspruch zu nehmen. Wenn es nicht in das Heute als siegreiche Kraft tritt, kann man sehr im Zweifel sein, ob es das Morgen erleuchten wird. Wer sagt uns, daß die Finsternis des Heute im Morgen licht sein wird! Sehr wahrscheinlich ist es nicht. Darum könnten sich sehr viele, die sich des instigen Himmelreichs, in das sie zu kommen hoffen, trösten, schwer irren. Nicht wir müssen in das Himmelreich, sondern das Himmelreich muß zu uns kommen. So ist's Jesu Gedanke und – Gabe. Daher kommt sein königliches Gebet: Dein Reich komme.
Wer diese Bitte in sich bewegt, tut etwas Gewaltiges. Er stellt sich Gott gegenüber auf diesem Planeten und erbittet nichts Geringeres, als daß das Wesen Gottes aus allen Himmeln hereindringe. Er gibt von der jetzigen verdorbenen, verfinsterten Welt nicht ein Stäubchen auf, sondern nimmt alles für Gott in Beschlag. Er hat den Punkt gefunden, den Archimedes suchte, die Welt aus den Angeln zu heben und in ein ganz neues Sein hineinzuheben. Da muß der Name Gottes die Sonne sein und der Wille Gottes das einzige Gesetz. Unsere Urväter kannten diesen Zustand und bezeichneten ihn mit dem mystischen Worte Arehisosur. Das kann man übersetzen: Sonnenrecht Gottes offenbart von Ewigkeit.
Jesus hat diesen Gedanken ausgenommen und niedergelegt in seinem königlichen Gebet. Aber der Unterschied und Fortschritt gegen die Alten war der, daß er jedem gestattete, diesen Weg zu gehen, daß es einer besonderen Einweihung nicht bedurfte. Allerdings, seine Leute waren alle geweiht. Seine Nähe heiligte sie und übergoß sie mit der neuen Wirklichkeit. Da konnten sie freilich sein welterschütterndes Gebet beten.
Deshalb nimmt Jesus sie auch heute als Selige. Oft hören wir aus seinem Munde das Wort: Selig sind. Sie werden es nicht irgendwo und wann, nein sie sind's. Das Geheimnis des Himmelreichs ist nämlich, daß es bereits da ist, ganz unmerkbar vielleicht und im geringsten Umfange, und sein Kommen, um das wir beten, ist nur die Vollendung dessen, was ist und was allerdings nur in Jesus angefangen hat.
Er wußte sich vermöge seiner verborgenen Beziehungen zum Vater als das Stück Himmelreich auf Erden, das da war, als erster der neuen Menschheit, die selig ist, nicht die es wird. Aber so gewiß ein Samenkorn sich zur Geltung bringt, wär's auch nur wie ein Senfkörnchen groß, so gewiß würde dieses auf dem Acker der Welt sich ausbreiten, daß alle Vögel unter dem Himmel in seinem Machtbereich Zuflucht fänden. Die alten Arier kannten diese Wahrheit und hofften auf ihre Verwirklichung. Jesus schuf sie in Wirklichkeit um und pflanzte diese auf die Erde.
Seit Jesus gibt es Himmelreich auf der Erde und selige Menschen, von denen auch Leben und Seligkeit ausgeht, aber natürlich sind sie nur im Machtbereich seines Wesens, weder in christlichen Lehren noch in irgendwelchen gutgemeinten Bestrebungen. Himmelreich wird nur, wo Jesus ist oder seine Beauftragten und Verbündeten.
Daher kommt's, daß alle Bestrebungen, das Los der Menschen zu verbessern und zu erleichtern, so gut sie gemeint und so sehr sie mit staatlicher und privater Wohltätigkeit ins Werk gesetzt sind, keine Seligkeit schaffen, sondern eher Verbitterung und Haß erzeugen, weil sie die Nacht des Planeten nur verdeutlichen, aber nicht heilen können. Es walten hier reine Naturgesetze. Das Himmelreich heilt, das geht aber nur aus von Jesus und kann nur aus ihm und mit ihm gehandhabt werden. Ohne ihn muß alles alte Wirklichkeit sein, die allenfalls irgend einmal selig werden kann, es aber noch nicht ist und den Gesetzen der alten Wirklichkeit folgt. In ihr gibt's aber keine Lösung der sozialen Frage, auch im Christentum nicht. Es haben sich bisher alle Christentümer vergeblich dran versucht. Im Machtbereich Jesu würde sie sich lösen.
Die neue Wirklichkeit käme zunächst als Seligkeit zu jedem einzelnen und stellte ihn in solchen Glanz, daß die äußere Not weit in Schatten gestellt würde. Von da aus aber würden Lebenskräfte so ausgehen und eine solche Gemeinschaft Lebendiger erzeugen, daß bald auch in alle sozialen Nöte Licht, Leben und Freude käme, aber unmittelbar aus dem Christus heraus, nicht durch irgendwelche auch sonst gut gemeinte Bestrebungen, die noch aus dem Alten kommen. Die heutige allgemeine Unzufriedenheit ist einesteils künstlich geschaffen durch Verhetzung, andernteils eine Art Schrei nach Erlösung aus der Finsternis des Alten heraus. Man muß das mit den Augen des Christus sehen und mit seinen Ohren vernehmen lernen.
Natürlich kommt vielen die bange Frage: Ja, wo ist denn das Himmelreich? Jesus und die Evangelien stehen vor vielen wie ein Wahngebilde aus grauer Vergangenheit, behaftet mit dem peinlichen Beigeschmack des »Es war einmal«. Vielen ist es auch schul- und predigtmäßig totgetrampelt worden. Da ist es natürlich nicht da. Wenn Jesus sagte: Es ist gerade so wie im Senfkorn, im Säen, Ernten, Backen, Stubenfegen usw., so lag es darin an sich nicht, aber durch Verbindung mit ihm kam's hinein, wenn die Leute es in ihr Denken und ihren geistlichen Haushalt aufnahmen.
Wer heute fragt: Wo ist das Himmelreich? sollte ja keine Bücher drüber lesen oder die Bibel wälzen, sondern seinen Alltag nehmen, wie er ist und auf Jesus hin umdenken. Wenn das, was er war, nicht heute ist, so ist auch die Vergangenheit ein Irrtum und die Zukunft erst recht ein Trugbild, aber an dem Versuch mit dem Heute muß es deutlich werden, und kann es auch deutlich werden für jedermann, der es ernstlich sucht. Frage dich, was du bist und gib dann die Antwort: Das Himmelreich ist gerade so wie meine Umstände. Denke sie nur hinein in das himmlische Wesen, stelle sie in den Machtbereich des Christus, so wirst du schon merken, ob hier Kräfte walten oder nicht. Sobald du diese Kräfte spürst, wird die Vergangenheit deutlich, die Bibel offenbart sich dir und die Zukunft entschleiert sich in vollem Glanz der Herrlichkeit, aber alles naturgesetzlich nur aus dem Christus heraus, der die neue Wirklichkeit auf die Erde pflanzte, ohne den sie naturgemäß auch nicht bestehen kann.
Wir dürfen uns nicht wundern, wenn in zweitausend Jahren die Fortschritte des Himmelreichs nicht größere sind. Solche Umwälzungen sollen ja nicht weltreichmäßig und umsturzmäßig mit Gewalt nach Verhetzung und Unterwühlung des Bestehenden gemacht werden, sondern von innen heraus hineinwachsen in alle Herzen und körperlichen und gesellschaftlichen Zustände. Dazu ist schon Feit nötig. Wir wissen auch nicht, was für Widerstände im Sichtbaren und Unsichtbaren dazu zu überwinden sind.
Unsere Väter haben ihren Glauben und ihre Hoffnung Zehntausende von Jahren aufrecht erhalten und gepflegt – warum wollen wir die Geduld verlieren, wenn in zweitausend Jahren die Welt noch nicht erneuert ist! Und Einen Vorteil haben wir: Inwendig in uns kann ohne weiteres trotz aller außen herrschenden Finsternis Himmelreich werden durch den Christus, dem wir gehorsam werden können. Dann sind wir selig, trotz aller Armut und allen Leidtragens, das uns das Planetendasein auferlegt.
Wir wissen ferner nicht, ob diese große Umwälzung alles Bestehenden nicht auch unvorhergesehene Zusammenbrüche herbeiführen wird, bei denen freilich viele mit zerbrechen, aber viele auch frei gemacht werden. Heute z. B. liegt auf uns ein ganzer Berg von Finsternis in Gestalt des Mammons. Eine unerträgliche Zinsknechtschaft drückt alle Völker, eine entsetzliche Versklavung jedes einzelne Leben, und die Züchter und eigentlichen Nutznießer dieses Unkrauts aus dem Abgrund sind eine Handvoll Menschen, auch eine kleine Herde, die die Gesamtheit der Zeitgenossen und Nachfahren erbarmungslos aussaugen. Da könnte es recht wohl sein, daß eines schönen Tages den Gefesselten die Augen aufgingen und sie einmütig riefen: Nein, wir tragen das nicht weiter, im Namen des Neuen, im Namen Jesu, im Namen des Himmelreichs nicht. Wir wollen frei sein vor den Vampyren der Finsternis. Dieser Wille, wenn er nur erwacht, würde genügen, die Blutsauger in alle Mauslöcher verschlupfen zu lassen, und die Mammonsfreiheit würde dem Himmelreich eine Bahn bereiten, die Jahrtausende wettmacht und selbst eine aus der neuen Wirklichkeit herangereifte Frucht ist.
Aber alle solche Ueberlegungen und Aussichten haben keinerlei Wert und Bedeutung gegenüber dem einen Versuch in meiner eigenen Innenwelt. Wo ist der Christus heute in meinem Alltag? Ist er mein Erlebnis, dann kann sich meinetwegen der Mammon noch spreizen, solange er's fertig bringt. Ich ereifere und entrüste mich über ihn und seine Henkersknechte nicht, denn ich bin selig und bleibe es auch, trotz Umsturz, Zeitenwechsels und künstlichen Ungemachs, und damit ist ein Stück Himmelreich da, das so wenig ruhen und Halt machen wird als der Sauerteig im Brotmehl Halt macht. Er wird zuerst alles durchwachsen, ehe er stehen bleibt.
Jünger Jesu sind die, die ihm diese nie aussetzende Allgewalt Zutrauen und von ihr erfüllt sind. Das sind seine Verbündeten, und sie werden von da aus auch die Bibel verstehen, aber niemals umgekehrt vom Bibelwort aus das Himmelreich. Wenn Luther sagte, der Spruch, »der Gerechte wird seines Glaubens leben«, habe ihm das Himmelreich offenbart, so ist das wesentlich ein Irrtum. Sein langjähriges Ringen und Kämpfen um Gerechtigkeit hatte ihm die Vergeblichkeit dieses Tuns offenbart, und diese Offenbarung beleuchtete nachher der Spruch mit dem Glanze des Himmelreichs. Die Kraft, die er in jahrelangem Ringen gesucht, war hinter den Buchstaben des Spruchs getreten und ließ ihn zur lebendigen Kraft des Himmelreichs werden.
In diesem Erleben wurde die Bibel allerdings etwas ganz Neues, was uns weder Orthodoxie noch Philologie oder theologische Gelehrsamkeit hatte geben können. Sie fing an zu leben, lebte unser Leben mit, und wir tasteten uns in ihr Erleben der früheren Zeiten hinein. Die Schrift wurde uns eine wahre Fundgrube ewigen Lebens. Aber von unserer Zeit aus erlebt.
Ich bin auch heute noch fest überzeugt, daß aus der Bibel heraus niemandem die Wahrheit des Christus und des Himmelreichs deutlich werden wird, wenn er's nicht in seinem Heute vorher erlebt hat. Wer waren die eifrigsten Verfechter biblischer Wahrheiten zur Zeit Jesu? Die Pharisäer und Schriftgelehrten. Und wer hat Ihn und den Tag des Himmelreichs, den Er einleitete, am wenigsten verstanden? Die Pharisäer und Schriftgelehrten. Schriftgelehrsamkeit ist ein schweres Hindernis für alle, die das verborgene Leben des Heute nicht sehen und in sich pulsieren fühlen. Besser lebt man ohne Bibel dem Himmelreich unbewußt entgegen, als daß man mit der Bibel sein Bewußtsein bindet und für das lebendige Himmelreich verfinstert wird.
Das Gewaltigste, was uns an Jesus zunächst in die Augen fällt, war die unbestreitbare Tatsache, daß er stärker war als der Tod. Das ist das Ungeheuerlichste, was Menschen sich überhaupt vorzustellen vermögen. Alle Größen in der Welt und auch im Reiche Gottes haben sich vor dem Tode geduckt und ihn als unausweichliches Verhängnis empfunden. Sie hatten dazu ebenso natürliches wie biblisches Recht. Aus der ganzen Natur und allem, was wir geschichtlich erleben, kann man den Satz herauslesen: Der Tod ist der große Erbe aller Dinge, und in der Bibel heißt es auf den ersten Seiten zu dem anscheinend eben geschaffenen Menschen: Du sollst des Todes sterben. Dagegen hilft nichts und ist auch kein Kraut gewachsen.
Die einzigen, die nicht hoffnungslos an den Tod glaubten, waren unsere arischen Urväter. Sie lehrten ja auf Grund ihrer Naturerkenntnis, daß der Urd, dem Erstehen, die Werdandi, das Werden, folgen müsse und dieser wieder die Skuld, das Vergehen an den Folgen der beiden ersten. Aber sie wußten auch, die Skuld ist nicht das Letzte, sondern ihr folgt eine neue Urd. Gleichwohl beugten sich alle unter die Gewalt der Skuld und des Todes, nur nahmen sie den Glauben an das Leben und die neue Urd mit in's Grab, mit nach Walhall. Die Herrschaft des Todes anerkannten sie über ihr derzeitiges Sein. Nur von der Zukunft erwarteten sie irgendwann eine Aenderung. Es mag das Ganze mehr Geheimlehre gewesen sein.
Ob Jesus diese Lehre kannte, wissen wir nicht, es ist aber wahrscheinlich. Aber ganz unabhängig von ihr hieß es in ihm: Der Tod hat kein Recht. Ich setze mich dafür ein. Steht über der Menschheit das Gericht des Vaters: Du sollst des Todes sterben, gut, so wende ich mich an den Vater und das Vaterherz, daß Wege gefunden werden, dieses Gericht aufzuheben und in Gnade und Leben zu wandeln.
Und er entdeckte das Mittel, das einzige, das man anwenden kann, wenn man einem Vater gegenübersteht. Es war, wie die Bibel sagt, seine besondere »Erfindung«, daß er eine ewige Erlösung erfunden hat. Das Mittel dazu war – der Gehorsam. Dem Gericht des Vaters unbedingt recht geben und sich freiwillig unter alles, was verhängt ist, beugen um des Vaters und seiner Wahrheit willen, das verzehrt jedes Gericht und stellt Gnade und Einheit her. Es ist in jeder Kinderstube so, und nicht zum wenigsten deshalb mag Jesus das Wort »Vater« gewählt haben, weil dadurch das Wesen Gottes den Menschen, und zwar allen, auch den ungelehrten und ungebildeten, deutlich wurde, aber ebenso auch das Verhalten, das sie ihm gegenüber anzuwenden hatten. Restloser und williger Gehorsam unter alle Rechte des Vaters schafft dem Menschen neue Rechte und neues Vertrauen des Vaters. Also sind damit alle Gerichte aufgehoben und alle Strafen ausgestraft. Es gibt einen Zustand zwischen Vater und Kindern, in dem wirklich alles neu wird, und zwar durch Zusammenwirken beider. Der Vater wartet und glaubt an die Rückkehr der Kinder in den Gehorsam, und die Kinder ertragen das Schweigen und die ernste Zurückgezogenheit des Vaters nicht mehr und stellen sich freiwillig unter sein Gericht. Damit wird die innere Einheit hergestellt. Folglich auch alle Gerichte aufgelöst. Also auch der Tod als schwerste und naturwidrigste Strafe.
Wenn das Weizenkorn »stirbt« und seine Skuld findet, so erwächst es in neuer Urd zu einem entzückenden und überreichen Leben und wird schließlich zur Fülle von Weizenähren, wächst also hundertfach. Gerade so ist's im Himmelreich – sagte Jesus. Wenn aber heute der Mensch seine Skuld erlebt – was wird dann aus ihm? Er kommt, nun sagen wir, unter die Herrschaft des Hades. Vor Gott kann er doch nur treten, wenn das Todesgericht aufgehoben ist. Dasein wird er schon irgendwie, aber in was für einem Zustande! Tot, in den Kammern der Verwesung ohne die Urd des Weizenkorns mit seiner sechzig- und hundertfältigen Verklärung. Und doch gehört diese dem Menschen – wenn!
Das war ein Ziel, das heute kaum jemand ahnt und versteht, etwas so Riesengroßes, daß es niemandem verargt werden darf, wenn seine blöden Augen nicht hinanreichen. Aber Jesus sah die Not, sah das Ziel und schuf die Not in sich selbst um in den Sieg des Gehorsams. So wurde der Vater der Ausgangspunkt seines Denkens und das einzige Ziel seines Strebens. Er wurde als Mensch ein Gefäß, das ganz ausgefüllt war mit dem Wesen des Vaters, weil er sich nur für ihn hergab. Folglich ein Gefäß des Lebens, des ewigen Lebens, in dem jeglicher Tod überwunden war.
Das muß Erbe und Eigentum der neuen Menschheit werden, die aus dem neuen Menschen in Geist und Wahrheit herauswuchs. Ihr Grundzug würde Gehorsam gegen Gott und Demut allen Gerichten gegenüber, aber auch grenzenlose Hilfsbereitschaft gegen die ganze Gottes- und Menschenwelt sein und das alles in der Kraft ewigen Lebens. Was über ihn und seine Angehörigen noch käme an Glanz und Herrlichkeit, das könnte nur gradweise Größeres sein, aber nicht wesentlich anderes. Es könnte in unbeschreibliche und ungeahnte Herrlichkeit gehen, aber gewonnen wurde es im Gerichte des Gehorsams.
Die Probe auf die Richtigkeit seines Denkens konnte Jesus täglich machen. Wer unter den Menschen steht, den grinst der Tod von allen Seiten an nebst dem Heere seiner Verbündeten, den Krankheiten und Leibesnöten und Seelennöten aller Art. Wir übersehen dieses namenlose Elend meistens, weil wir willenlos davor die Waffen strecken und denken, daß wir doch nicht helfen können. Aber Jesus warf ein Auge drauf und kündigte diesem Todwesen an: Im Namen des Vaters, dem ich allein diene, hast du kein Recht mehr an die Menschen. Und siehe da, die Mächte des Hades wichen vor seinem Blicke und Willen wie scheue Hunde und gaben ihre Beute frei. Dort wurde nun ohne weiteres Kindschaft des Vaters und Gott hoch gepriesen. Es war, wie wenn jemand aus dichtem Nebel kommt und auf einmal die Sonne erblicken darf.
Das waren die Früchte seines Gehorsams. Nie redete er ein Wort oder streckte eine heilende Hand aus ohne die innere Gewißheit, der Vater erlaubt's und will es so. »Was der Sohn stehet den Vater tun, das tut er auch!« Es müssen Ihm Einblicke in verborgene Herrlichkeit geworden sein, die wir uns nur schwer vorstellen können. Wenn er dann unter die Menschen trat, war er beladen mit Kraft, mit Freundlichkeit, Gnade und Erbarmen, daß jeder spürte: So ist der Vater. So und nicht anders. Als Ihn einmal jemand bat: Herr, zeige uns den Vater, bekam er die vorwurfsvolle Antwort: So lange kennst du mich, und willst noch den Vater sehen? Wer mich siehet, der siehet den Vater!
Das war sein Sieg über den Tod und seine Verbündeten, daß er auf Grund seines Gehorsams das Wesen des Vaters offenbaren durfte. Aber er wich auch dem Tode selbst nicht. Als er einmal in ein Städtchen einzog, begegnete ihm just ein Leichenzug. Von unten der Lebenszug Jesus, von oben der Leichenzug der Majestät des Todes. Wer wird ausweichen? Ich natürlich nicht, machte der Leichenzug. Der ist eine solche Hoheit, daß alle stramm stehen und sich auf die Seite drücken und ehrfurchtsvoll zusehen müssen, wie das Grausen seine Oberherrschaft über die Menschheit ausübt. Aber hier hieß es von der andern Seite: Ich erst recht nicht. Leben ist doch stärker als Tod. Also stießen die beiden Züge zusammen. Jesus trat heran, und notgedrungen blieb die Leiche stehen. Da rührte er den Sarg an: Jüngling, Ich sage dir, du stehst auf! Und der Tote stand auf. Vor dem Wesen des Vaters kann kein Tod bestehen.
Das ist nicht einmal geschehen, sondern wiederholt vorgekommen. Nie suchte Jesus die Gelegenheit, seine Macht zu offenbaren, im Gegenteil, er suchte sie zu verbergen, nie offenbarte er sie ohne den innern Zusammenhang mit dem Vater, aber nie versagte sie. Vor dem Gehorsam weicht jedes Gericht. Natürlich suchte das Elend ihn. Es hat scharfe Sinne und ist hellhörig und hellfühlend, wenn es Hilfe wittert, und Er half allen, wie es Ihm immer offenbart wurde.
Sein größter Sieg war, als er den Seinen sagte: Von mir kann niemand das Leben nehmen. Wenn ich's nicht freiwillig hergebe, kann's niemand nehmen. Und dann ging er mitten hinein in den Tod und den Hades, gab sich anscheinend besiegt, aber offenbarte sich als den großen Sieger, vor dem es einen Widerstand schlechthin nicht gibt. Es gibt keinen größeren Sieg als den von Golgatha, der nicht nur Jesus, sondern in Ihm die neue Menschheit siegen machte.
Es ist sehr bedauerlich, wenn die Menschen alle diese Geschichten unbesehens glauben. Entsetzen sollten sie sich vor solcher Größe. Aber dann müßte ihnen auch der Gedanke kommen: Was nun einmal als Sieg erkämpft ist, das muß auch heute gelten. Nicht der Tod darf den Stachel haben, nicht der Hades den Sieg, sondern einzig der Christus, der gestern war und heute ist und immer sein wird.
Es ist noch etwas anderes deutlich, was, wie es scheint, die Christenheit gar nicht mehr versieht. Es ist klar, baß der Gehorsamsweg Jesu, der in alle Gerichte des Vaters hineinführte, auch der aller seiner Jünger sein muß. Damit daß Er litt und siegte, ist's keineswegs genug. In Ihm ist nur der Anfang gesetzt, das Werk muß fortgesetzt werden von allen seinen Verbündeten. »Wer mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.« Jedes belastende Ungemach, jede Not und Krankheit bis hinab zum Tode ist Ausdruck des Gerichts, das über der Menschheit lagert. Dieses tragen wollen, sich freiwillig richten lassen und unter allen Umstanden Gott recht geben, das heißt sein Kreuz tragen. Nur dadurch wird Jüngerschaft Jesu, daß sich Menschen um seinetwillen und Gottes willen für das Unterste hergeben.
Es ist also Hochmut und Feigheit und Wehleidigkeit das sicherste Kennzeichen der Nichtjüngerschaft. Der sauer verdrossene Zug, der so vielen Christen ins Gesicht gewachsen ist und ihre Mundwinkel heruntergezogen hat und sie selbst zu langgezogenen Seufzern umgewandelt hat, ist also sehr ferne vom Meister. Seine Leute tragen fröhlich, wessen sie an Ungemach für wert erachtet werden. Daher ist es herzbeweglich, daß auch der Meister einmal zitterte und zagte. Das dürfen wir auch gelegentlich. Aber bei Ihm blieb doch alles unsichtbar liegen in der Nacht von Gethsemane, bei uns darf's aus der Stille des Kämmerleins nicht heraus. Wenn du heraustrittst, so wasche deine Augen, daß sie strahlen und salbe dein Haupt mit aller Sorgfalt, wie zu einem Fest und tritt unter die Mitwelt als Verbündeter des Christus, des Siegers, des neuen Menschen, der strahlen kann.
Wie groß war doch Er nach Gethsemane auf Golgatha! Welcher siegreiche Humor liegt in dem Gebet: Lieber Vater, nimm's ihnen nicht übel, sie sind ja viel zu dumm! Welcher Sieg in dem letzten Willen für seine Mutter, an seinen Vater! wie schlicht sein Bekenntnis zu der Erdennot »Mich dürstet« oder zu der allgemeinen Gottverlassenheit, die auch Er auf sich nahm, und endlich der Siegesruf: Es ist vollbracht!
Hört ihr's auch? Alles, alles ist fertig und vollendet. Es darf nun jeder Sieger werden, aber auch die äußerste Not tragen als Ehrenzeichen und Siegesausweis. Nur diese freudige Willigkeit zum Gehorsam im Leid ist das Kennzeichen für den Meister, daß du ihm zugehörst. Die Versicherungen deiner beteseligen Ergebenheit darfst du dir gerne sparen. Es wird im Himmel angenehm auffallen.
Es ist aber auch damit noch nicht ganz genug. Unsere Jüngerschaft darf nicht monologisch sein. Wir sind Menschheit und durch Blut und Geschichte mit vielen recht fatalen Zeitgenossen verbunden. Wir beten nicht: Vergib mir meine Schuld, sondern nur: Vergib uns unsere Schuld! Wir treten damit mit allen Bitten um Brot, Vergebung und Erlösung vom Bösen für die Gesamtheit der Zeitgenossen, mindestens der Volksgenossen ein. Dann müssen wir's uns auch gefallen lassen, wenn ihre Unarten auf uns fallen. Sind wir nur ein wenig licht geworden als Kreuzträger und Siegesgenossen, so wird die Finsternis der edeln Zeitgenossen uns überfallen. Lieber Gott, sie wissen ja nicht, was sie tun, aber ihren inneren Unfrieden und ihre Zerrissenheit müssen sie irgendwo austoben. Beieinander geht's nicht gut, da bellt's gleich wieder und wird zum Kriege aller gegen alle. Aber dort, wo Friede ist, da kann sich ihr Unfriede entladen.
Versteht es doch, die Widerborstigkeit der Zeitgenossen ist nicht Haß, sondern der Schrei nach Erlösung, sie wissen's nur nicht. Also muß es bei jedem Verbündeten Jesu Christi heißen: Hier kann Schutt abgeladen werden. Schutt nicht nur in Form von Privatbeichten, sondern der ganzen Hundsgemeinheit und Ehrlosigkeit, die an unsern Zeitgenossen, besonders seit sie Republikaner wurden, sich ans Licht gewagt hat. Es ist gut, daß ans Licht kommt, was lange im Verborgenen geschwält hat. Aber wir müssen auch das Licht sein, in das sie treten können. Wenn das Licht auch mit zur Finsternis wird, wo bleibt dann der Sieg des Christus und seiner Verbündeten!
Was licht ist, weiß nicht, daß es leuchtet und beabsichtigt nicht zu leuchten, aber es leuchtet. Es ist ganz einfach und wirklich gar nichts Besonderes, nichts, auf das das Licht sich irgend etwas einbilden könnte, es wäre bloß unnatürlich, wenn's nicht leuchtete. Verzeih schon, geehrte Finsternis, daß ich damit auffalle, aber ich kann eben nicht anders und bin auch bereit, alle Folgen zu tragen. Nun ja, so ist's gerade im Himmelreich.
Es war auch damals so. Um Jesus her wurde ja schließlich immer Sieg, aber nur weil er der Zielpunkt des Peinlichen war. So war's, als ihn ein Zöllner zu Tisch eingeladen hatte. Da guckte der fromme Klatsch zum Fenster herein, und die sittliche Entrüstung räkelte sich draußen: Wie kann ein Mensch sich so vergessen! Hätte er Bußpredigten gehalten, das wäre allenfalls verständlich gewesen, aber der futtert ja da und läßt sich's recht gut schmecken in der Gesellschaft. Und so was will nachher Prophet sein!
Jawohl, die ganze Schande fiel auf Ihn. Aber er rief fröhlich hinaus: Seht ihr's denn nicht, ich bin doch gekommen, Sünder zur Buße zu rufen. Das kann man nur, wenn man als Arzt an ihre Kranken herantritt und als Gast an ihrem Tische sitzt. Sonst steht man viel zu hoch, sonst könnte man zu gesund für die Kranken sein und zu gerecht für die Sünder.
Einmal passierte eine entsetzlich peinliche Geschichte. Er war ja auch zuweilen in wirklich guter Gesellschaft eingeladen. Einmal sogar bei einem waschechten Pharisäer. Und da, während sie um das Mahl lagerten, und erbauliche Reden geschwungen wurden, schleicht sich ein Weib herein, und was für eins! Jesus scheint sie nicht gekannt zu haben, aber die frommen Leute, nun ja, hm! die kannten sie ganz genau. Und das Weib geht ausgerechnet auf Ihn zu, salbt seine Füße, trocknet sie mit ihrem Haar und – küßt sie. Gräßlich! Niemand hat hingesehen, alle bemühten sich, das Fürchterliche nicht zu beachten. Der Pharisäer beugte sich aufmerksam über seinen Teller und stocherte eifrig in einer Speise. Es lag wohl ein Knochen drin, den er beseitigen wollte, aber er dachte daneben ordentlich hörbar: Er scheint sie nicht zu kennen, aber der prophetische Instinkt müßte ihm sagen, in was er hier hineintappt. Interessant übrigens, daß der Mensch nachweislich keinen prophetischen Instinkt hat. Also wird's wohl ...
Höre, Meister Simon, unterbrach da Jesus seine stillen Gedanken, ich muß dir eine kleine Geschichte erzählen. Es waren einmal zwei Schuldner, die einem Herrn schuldig waren, einer viel, einer wenig. Sie konnten alle beide nicht bezahlen, aber der Herr schenkte es beiden. Wer wird ihm wohl dankbarer dafür sein, wer ihn mehr lieben? – Höre, Simon, siehest du dieses Weib wirklich nicht? Simon, höre, wem wenig vergeben wird, der liebt wenig, aber wer viel liebt, dem wird viel vergeben!
Ja ja, die Schande fiel reichlich auf Ihn, der fromme Klatsch und die sittliche Entrüstung tobte und raste um ihn her. Er war für sie der Schlemmer und Alkoholiker, denn die Frommen waren schon damals abstinent, wie man im Deutschen sagt. Aber das berührte ihn nicht. Die Gnade, die Vergebung, der Friede, die Herrlichkeit des Himmelreichs fiel auf das Weib, auch sogar auf den Simon ein bischen und die ganze fromme Gesellschaft, die das Peinliche nicht sehen wollte, weil sie ein Feind von allem Rohen war.
Und so ist's im Himmelreich. So war's immer um Jesus her, so muß es auch um seine Verbündeten her sein.
Ich hatte die Geschichten hunderte von Malen gelesen, die Schule hatte sie vor unsern Ohren erwürgt, die Kanzel sie abgeschlachtet und regelrecht in ihre kleinen und kleinsten Teilchen zerlegt, und sie waren wirklich erledigt. Aber in der beßarabischen Steppeneinsamkeit wurden sie wieder lebendig. Da besuchten mich alle biblischen Geschichten und waren licht wie der Auferstandene, nachdem er am Kreuze ausgelitten, und waren lebendig, nachdem sie totgeschlagen waren und hatten neue Gewänder an, nachdem man um die alten das Los geworfen. Die Steppe ist wirklich nicht einsam. Dort lebt's mehr als in der Großstadt, und das Wort, das man nicht mehr hört, kann sich auswirken und wird von keinem nachfolgenden überboten.
Aber ich wollte eigentlich über die Macht des Todes schreiben. Wo ist der geblieben? Ach, der ist ja überwunden. Der Christus hat dem Tode die Macht genommen und das Leben und unvergängliches Wesen ans Licht gebracht. Der Tod ist nichts als eine finstere Decke, eine Hülle des Grausens und des Gerichts, die über der ganzen Menschheit lagert. Sobald diese Decke irgendwo weggezogen wird, und die Hülle zerrissen wird, ist natürlich das Leben da, das von Anfang war, das ewig und unvergänglich ist, von Ur zu Ur, denn der Mensch ist Gottes, ist Kind des Vaters. Wo man dem Christus begegnet, da ist der Tod nicht mehr. Dessen kann man staunend innewerden.
Wenn man die Gedanken von der Nachfolge Christi oder dem Himmelreich bibelmäßig nachdenkt, so muß man schließlich an einen Punkt kommen, wo die Geschichte aufzuhören scheint, ihren Sinn zu haben. Dogmatiker, die ihr sauberes Gedankengefüge haben, kommen nie in Verlegenheit. Bei ihnen kann alles so eingerichtet und zurechtgestutzt werden, daß es übel oder wohl in das System paßt. Da fehlt nichts. Aber in der Geschichte fehlt so manches. Die Genossenschaft Jesu, dieser Sauerteig, dieses Salz auf der Erde, wo ist sie geblieben? Ist das Christentum wirklich der letzte Wille des Meisters, das Christentum, das so sichtlich der Herrschaft des Todes verfallen ist, in dem nicht einmal der Wille besteht, sich dagegen aufzulehnen?
Und schließlich. Was hat eigentlich die ganze Geschichte für einen Zweck? Jesus wurde angekündigt als Freude, die allem Volk widerfahren sollte. Wo ist sie? Wer kann sich überhaupt freuen? Jesus war der Anfänger einer neuen Menschheit. Wo ist sie? Haben wir sie in den griesgrämigen, seufzenden, wehleidigen Kreisen frommer Dunkelmänner zu suchen, die allein das wahre Christentum gepachtet zu haben vorgeben? – Das Reich Gottes scheint nicht auf die Erde kommen zu wollen. Da tröstet man uns, es müßten eben wir hineinkommen. Wann? Nun, wenn wir gestorben sind. Hollah! Da ist ja der Tod, dem Jesus die Macht genommen hat, unvermerkt an Seine Stelle getreten und hat sich herausgeputzt ausgerechnet als Lebenspförtner.
Wenn das wahr ist, dann ist das ganze Erlösungswerk des Christus ein Fehlschlag, eine Niederlage, die beispiellos ist. Es sind ja viele Edle unterlegen, aber alle an ihren Fehlern, am Mangel ihrer Kraft und Einsicht, aber Jesus? – – Dann ist der Tod der Herr ewig und unwiderruflich. Dann ist der Mammon Gott, solange die Erde steht und in ihrem ganzen Machtbereich, und der liebe Gott führt irgendwo, aber schon außerhalb unseres Sonnengefüges, ein fragwürdiges Dasein mit seinen 50, nein 45, nein 40, nein 30, nein 20, nein 10 Gerechten. Ist es wirklich ein Wunder, daß so viele Menschen die Bibel, die ihnen ohnehin zum Ueberdruß vorgesetzt wurde, einfach wegwarfen? Denn dieser klägliche Verlauf alles biblischen Geschehens lohnt wirklich nicht, daß man sich dabei aufhält. Dann findet man sich am besten mit Tod und Mammon ab, so gut oder schlecht es geht und teilt im übrigen das gleiche Schicksal mit allen Erdphilistern. Diese Leute sind weiser, als man ihnen zutrauen möchte, und haben letztlich mehr und richtiger gedacht, als viele, die sich mit dem Christentum abhaspeln.
Aber da wirft man uns ein – ach wir kennen ja die ganze Litanei – es fehlt eben an Buße und Bekehrung. Das ist vielleicht richtig. Aber ich sehe so viel Bekehrte und habe so viel mit ihnen zu tun gehabt, nur sehe ich nichts vom Himmelreich, wohl aber furchtbar viel Macht des Todes, und ob das ewige Leben ohne weiteres nach dem Tode einsetzt – wer kann's wissen! Ich fürchte, es gibt weniger Leben nach dem Tode, als man allgemein zugibt. Es ist auch leicht einzusehen. Fürchtet sich vielleicht das Leben, sich vor dem Tode geltend zu machen und wartet erst gehorsamst, bis der Tod seine Macht ausgeübt hat? Ist der Tod wirklich nur ein Pförtchen, durch das man hindurchhuschen kann, oder ist er ein Machtbereich von ewiger Geltung, aus dem es keine Rettung gibt? Ich fürchte, jenseits ist ein Land, wo viele sich sehr wundern werden. Ein Leben nach dem Tode ist das Ungewisseste, was man sich denken kann. Ich kenne nur ein Leben in Gott und im Machtbereich des Christus, aber ganz unabhängig von Tod und Sterben und fürchte, daß das sogenannte Leben nach dem Tode weiter nichts ist als ein Fortwickeln im Tode, das unter Umständen recht unerfreulich sein dürste. Ich habe einmal eine Geschichte gelesen, die den seltenen Vorzug der Wahrheit hat, von einem, dem nach seinem Tode nichts übrig geblieben war, als ein unbändiger, brennender Durst und leider, leider gar keine Gelegenheit, ihn zu stillen. Da ist das Leben vor dem Tode doch ungleich behaglicher und erfreulicher.
Es kann also kaum an Buße und Bekehrung liegen. Die Erlösten müßten, wie Nietzsche einmal sagte, erlöster aussehen.
Es muß das unzweifelhafte Stocken alles ewigen Lebens und aller himmlischen Machtentfaltung andere Ursachen haben als nur den Mangel von Buße und Bekehrung. Vielleicht bedürfen wir noch mehr der Erkenntnis Gottes.
Jesus hat einmal gesagt: Das ewige Leben besteht darin, daß sie dich, der du allein wahrer Gott bist – erkennen. Damit sprach er eine Wahrheit aus, an die unsere arischen Väter seit zehntausenden von Jahren glaubten. Unsere Väter nannten es, das verlorene Meisterwort suchen und verstanden darunter, der Wahrheit Gottes inne zu werden. Sie hielten dieses Finden sogar für möglich und erreichten es bis zu gewissem Grade. An der Lebensflut, die von solchen Trägern der Wahrheit ausging, ohne daß Worte drüber fallen dursten, lag die große Kraft unseres Volks. Darin liegt sie auch heute noch, wenn auch so verborgen, daß alles Weltvolk unserer mächtig werden konnte. Das verlorene Meisterwort, wenn auch nur wenige es suchen, ist die Rettung unseres Volkes. Nichts anderes. Es ist auch die Rettung der Welt.
Paulus hat dieselbe Wahrheit einmal, wie er's liebte, in eine biblische Geschichte gekleidet. Gott sprach mitten in die Finsternis hinein: Es werde Licht. Diese Schöpfertat hat sich heute an uns wiederholt. Dasselbe Licht, also das Urlicht Gottes hat er in unsern Herzen hervorgerufen, uns zu erleuchten durch die Erkenntnis von der Herrlichkeit Gottes im Angesichte Jesu Christi.
Dieses Licht von der Erkenntnis Gottes fehlt offenbar und damit auch das ewige Leben. Es ist Torheit zu glauben, daß der Tod das schaffen könnte. Tod ist Finsternis, etwa einige Grade finsterer als das Leben unter der Sonne, die wenigstens aus dem Urlicht hervorgegangen ist.
Aber die Geschichte, die Paulus erzählt, gibt uns wenigstens einen Fingerzeig zum Verständnis unserer Zeit. Ist das Licht hervorgerufen worden durch eine Schöpfertat Gottes in der neuen Menschheit des Christus, so kann es nicht ganz ausgelöscht sein. Die Finsternis mag sich ja dawider aufgemacht haben. Sie hat auch gegen das Urlicht getobt und das Sechstagewerk und seine Herrlichkeit zu verfinstern getrachtet. Dennoch besteht die Erde, die Pflanzenwelt, die Tierwelt, die Sternenwelt und die Menschheit, wenn auch die Finsternis sich reichlich darin breit macht. Da konnte man auch fragen: Wozu ist dann das Ganze gemacht, wenn weiter nichts herauskommen sollte? Aber die Wirkung des Urlichts war doch immer da. Das muß sogar der böse Geist im Faust anerkennen, der im zweiten Teile das Papiergeld erfindet. Goethe gab ihm bedeutungsvoll den hebräischen Doppelnamen Mephiz-Tophel, was auf deutsch heißt »Verderber, Lügner«. Er stöhnt:
Das Etwas, diese plumpe Welt,
Soviel ich auch schon unternommen.
Ich wußte nicht, ihr beizukommen
Mit Wellen, Stürmen, Schütteln, Brand,
Geruhig bleibt am Ende Meer und Land.
Es ist die Kraft des Urlichts, daß die Finsternis doch nichts vermag gegen sie.
Ebenso ging's in dem Neuerscheinen des alten Worts im Christus. Es ist Licht geworden. »Ich muß wirken, solange dieser Tag währt. Aber es wird wieder Nacht werden. Da wird niemand wirken können.« Das Urlicht Gottes, von dem Paulus redet, ist ja voll Finsternis geworden. Aber verschwunden ist's doch nicht. Es sind seitdem Millionen gewesen, die einen Strahl davon in ihren Herzen gehabt haben, und heute sind's mehr, als wir ahnen, in denen ein winziges Strahlenkeimchen des Urlichts liegt und ihre geheime Kraft bildet, wenn auch oben alles Finsternis ist. So wenig die schöpfungsmäßigen Werke in der stofflichen Welt aufgehört haben, so wenig Samen und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht aufhören kann, solange die Erde sieht, so wenig kann aufhören, daß hier und da ein Same strahlender Menschheit ersteht und ein Fünkchen ewigen Lebens durch das ganze Planetendasein trägt und natürlich im Tode nicht verliert trotz der Gewalt der Finsternis, die im Tode gewaltig tobt und droht. Es gibt auch heute Menschen im zwanzigsten Jahrhundert, die vom Mammon ganz unabhängig sind und ausschließlich unter Gott stehen und Gottesbrot essen und sich herausnehmen, alle Tage zu sagen: Gib Du, Vater, uns das tägliche Brot, das Marktbrot, das Mammonsbrot genügt uns nicht, wir brauchen Dein Brot. Und – sie bekommen es auch. Wie sie's bekommen, das ist ihr und des Vaters Geheimnis.
Woher kommt das alles? Weil die Sache des Christus lebt, weil der Auferstandene doch mächtiger ist als Mammon, Finsternis, Judenschaft, Jesuitentum, Entente und Tod.
Natürlich alle Menschen verstehen es nicht, aber die verstehen es, in denen das Urlicht des strahlenden Christus ein Lichtkeimchen hat. Aber daß es solche Menschen gibt, die einander nicht kennen, das ist ein Sieg des Urlichts. Denn es behauptet sich in der Welt der Finsternis trotz aller Künste und Kraftleistungen, die die Finsternis zuweg bringt.
Warum sollen wir Schauende und still Erlebende da nicht voller Hoffnung sein, daß einmal, wie der Prophet sagt, die Erde voll sein wird der Erkenntnis Gottes, wie Wasserwogen, die das Meer bedecken! Wenn die Welt finster sein konnte und auf den Christus Nacht folgen konnte, warum soll sie nicht ebenso auch licht werden können und in den Tag des Glanzes Gottes eingetaucht werden! Und wenn wir heute sehen, daß seit den Möttlinger Tagen allerdings die Finsternis viel gewaltiger auftrumpft wie vorher, und der Mammon das Maul viel voller nimmt als jemals seit Anbeginn der Welt, sie kann doch nicht mehr heimlich walten und muß immer wieder offenbar werden, als Republik oder Barmat und ähnliche Skandale, sie muß Farbe bekennen als Verbrüderung der Schwarzen, der Roten und der Goldenen. Warum muß sie das? Weil das Licht der Strahlenden sie herausleuchtet, weil ihr im Rücken der Auferstandene waltet und ihre heimlichen Schlupfwinkel durchleuchtet und ihre Grundfesten erschüttert. Es herrscht Unruhe und bleicher Schrecken in den Reihen der Ungebärdigen: warum wollen gerade wir uns fürchten, wenn sie das durch gräuliches Toben, Lästern und Fluchen zu verbergen trachten? Jesus sagte: Wenn solches anhebt zu geschehen, dann hebet eure Häupter auf, denn eure Erlösung naht. Also wenn sie uns auch ein wenig zertreten und ermorden, uns schadet es weiter nichts. Die Erkenntnis Gottes ist das ewige Leben, die Kala des Reiches Gottes meldet uns den Sieg.
Warum wurde so oft in der Apostelzeit der Heilige Geist ausgegossen? Das übliche Christentum sagt, das ist nicht wahr. Er kam einmal zu Pfingsten, und das genügt für alle Zeiten. Nun, das ist eine ganz offenkundige christliche Lüge. Sie haben auch keine andern Berichte als wir, und Lukas meldet die Wiederholung des Gewaltigen des öfteren. Jeder kann's nachlesen. Aber warum geschah das? Offenbar war himmlischer Kraftzufluß wiederholt nötig, und wenn's den Aposteln und ihrer Zeit not tat – warum nicht auch uns in unsern ungleich größeren Nöten?
Darum dürfen wir schon die Hoffnung haben auf himmlisch Großes und Allergrößtes, auf Taten Gottes, die die Welt erschüttern werden, weil sie nach dem ersten »Es werde Licht« und nach dem zweiten »das Wort ward Fleisch« kommen müssen, und weil sie – das ist aber ein Geheimnis, das nicht viele wissen dürfen – überhaupt noch nie aufgehört haben, in aller Stille zu wirken und bei allen großen Welterschütterungen seither immer die allerletzte und allerverborgenste Ursache waren.
Nun bitte beachte man im gewöhnlichen Leben zwei gleichgestellte Menschen. Der eine hat etwas zu hoffen, der andere hat nichts zu hoffen. Wird man ihnen einen tiefgreifenden Unterschied nicht ohne weiteres am Gesicht ablesen können? Menschen, die leben, aber nichts vor sich sehen, als den Tod, und Menschen, die heute vom ewigen Leben berührt sind und voll lebendiger Hoffnung sind, daß alles alles nur mehr werden kann, unendlich viel mehr und niemals weniger: Sollte da nicht ein Unterschied sein wie zwischen Tag und Nacht? Beide sind vielleicht gleich fromm, gleich brav und gut, aber die einen sind Finsterlinge, die andern Strahler.
Paulus hat es einmal wundervoll ausgedrückt: Gott hat uns ja in Jesus dem Christus in himmlisches Wesen versetzt, aber doch nur, um in den kommenden Zeiten den überschwenglichen Reichtum Seiner Gnade zu offenbaren durch seine Güte in Jesus dem Christus.
Da gab's doch kein Fertigsein, kein fatales »Es ist erreicht«, sondern ein ewiges Leben, ein jauchzendes Werden, ein unaufhörliches Zunehmen von Gnade zu Gnade. Religionen sind alle Fertigfabrikate, auch sämtliche christliche Religionen, wo man im Alten veraltet, aber wer einen Hauch des Reiches Gottes verspürt hat, in dem zuckt und pulst ein Leben, das sich mit nichts zufrieden geben kann, was bloß fertig ist. Es gibt nichts, was nicht weit überwunden werden müßte durch das Neue, das aus dem Auferstandenen quillt.
Es wird noch etwas deutlich, auch nicht aus der Bibel, sondern über die Bibel, daß nämlich weder das Leben Jesu noch seines großen Apostels verständlich ist ohne diese Hoffnung. Da heißt es, er sei der erhabene Stifter der christlichen Religion. Welcher Unsinn! Er sei der größte Sittenlehrer aller Zeiten. Wie armselig wäre das und wie langweilig! und vieles mehr heißt es. Wir sehen, daß Jesus der größte Hoffnungsmensch aller Zeiten war, der unausgesetzt das noch Größere erwartete und – erwirkte. Wenn die Seinen sich über seine Taten wunderten, rief er: Größeres werdet ihr tun. Der Himmel wird aufgehen, der Planetenwirtschaft wird ein Ende gemacht, Sonne und Mond und Sterne werden verdunkelt vor dem Tage des Menschensohns, und Paulus nimmt den Ton auf: Alle Knie sollen sich beugen im Himmel, auf der Erde, unter der Erde, alle Throne, Herrschaften, Fürstentümer, Majestäten, alle Zungen müssen bekennen, daß Jesus Christus allein der Herr sei zur Ehre Gottes des Vaters.
In diesen wuchtigen Hoffnungen lebte und arbeitete Jesus ebenso wie Paulus. Daraus schöpften sie ihre welterschütternden Riesenkräfte, aus dem Blick und der Anbahnung eines unerhört großen Weltgeschehens aus dem Himmel heraus. Diese bebende, rastlose Hoffnung legte Jesus den Seinen in den Mund und gab ihr die Form: Dein Name werde geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe auf der Erde wie im Himmel. Ja warum denn? Weil es da überall nicht da ist, aber unbedingt werden muß, und weil Menschen da sein müssen, die sich restlos dafür einsetzen, wie Jesus und Paulus und keine Ruhe haben, bis das Große wird.
Darum dürfen wir uns auch dafür einsetzen. Und schüfe die Finsternis eine Mitternacht: wir dürfen klopfen an der verschlafenen Himmelstür, bis sie aufgeht, und bis Brot des Lebens herausgeklopft ist. Aber auch dann lassen wir nicht nach und geben uns mit nichts, auch gar nichts zufrieden, bis die Himmelstür immer weiter aufgeht, und dann fangen wir erst recht an, immer weiter zu hoffen und zu glauben, bis der Sieg restlos erfochten ist.
Gehen wir darin zu weit, ging Paulus zu weit, Jesus zu weit? – Ach, es soll niemand in seinem Schlafe gestört werden. Der Hausvater im Gleichnis vom Klopfer sagte auch: Ach, stör doch meine Kinderchen nicht im Schlafe, du siehst doch, es ist Mitternacht, alle Engelchen sind eingeschlafen, laß sie schlafen. Wir wollen auch die Schlafenden gar nicht beunruhigen, nur den Hausherrn selbst, und dann wird schon der Tag kommen, wo das schlafende Dornröschen wachgeküßt wird.
Petrus hatte seinerzeit in seiner Pfingstrede gesagt: Heute geht in Erfüllung, was der Prophet Joel früher geweissagt hat. Es war begreiflich, daß er das sagte und in dem Augenblicke auch richtig. Aber eigentlich hätte er verkündigen müssen: Heute erleben wir den ersten Anfang der Erfüllung jener Weissagung. Es muß noch vieles kommen, bis sie voll erfüllt ist und wird noch ungeheurer Kraftentfaltungen bedürfen, bis die Herrlichkeit Gottes über alles Fleisch ausgegossen ist. Er hätte auch hinzusetzen können: Aber vorher müssen wir alle in dieser Kraft durch alles Leid der Welt gehen und siegreich bleiben in allem Wesen der Finsternis und des Todes.
Es ist erklärlich, daß er nicht so weit sah, er hat wohl nie so weit gesehen, aber wir heute können es und müssen es auch. Auch darum ist uns um so gewisser das feste prophetische Wort geworden. Es ist ein Licht auf unserem Wege durch die Gebiete der Finsternis und die Gewähr eines endlichen großen Sieges des Christus auf der Erde ebenso wie in der Sternenwelt. Wir dürfen also die ganze Welt und die gesamte Verlorenheit ansehen mit dem Blicke weitgehendster Hoffnung und grenzenlosen Verzeihens im Namen ihres Richters und Herrn, des Auferstandenen. Wir wollen auch nicht öffentlich davon reden, namentlich nicht zu Menschen, die einstweilen die Kala des Himmelreichs nicht verstehen und wohl nicht verstehen sollen, aber wir wollen doch in aller Stille die stärken, denen die Bibel infolge des Wesens, in dem sie aufgewachsen sind, und überhaupt das ganze Lehrwesen unverständlich geblieben ist, und in die der Sinn gepflanzt ist für Echtes, Neues, Großes. Die Gnade wird über alle kommen, die Arbeit ist das Teil der wenigen; der Sieg wird alle beglücken, Kampf und Sterben ist das Los der Krieger. Das soll unser Los sein.
Man kann von der Bibel nicht scheiden, ohne noch eines Besonderen zu gedenken, was sie anscheinend mit allen Religionen gemeinsam hat, und worin sie doch so grundverschieden ist.
Ja es wird viel in der Welt gebetet. Liebe Mütter falten die Händchen ihrer Kleinen und lehren sie beten. Manchem ist's unvergeßlich, wie seine Mutter ihn beten lehrte. Die Schulen beten, wenigstens taten sie's bis zur Revolution, die Kirchen beten, bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten wird gebetet, wer kann sich vorstellen, wie viel Vaterunser täglich in allen Sprachen zum Himmel rasseln, das Beten ist eigentlich eine religiöse Sitte, die mit allen Religionen der Welt aufs tiefste verwurzelt ist – aber nur wenige denken dran, daß dadurch auch etwas anders werden müßte, daß es eigentlich ein ungeheuerliches Unternehmen ist, wenn ein Menschlein sich anmaßt, durch sein Gebet alle Kräfte des Himmels in Bewegung setzen zu wollen, und noch weniger Menschen erleben eine Erhörung ihrer Gebete. Dennoch wäre das eigentlich die Hauptsache.
Es war immer so. Auch in Bibelzeiten. Was mögen die alten Juden gebetet haben! Sie tun es heute noch. Wer im Osten in der Eisenbahn fährt, weiß, daß sie zu bestimmten Stunden ihre Gebetsriemen anlegen und unbekümmert um alle Mitreisenden »dawnen«. In Indien gibt's ganze Gebetsmühlen, auch find dort die Rosenkränze erfunden worden, die bei Christen und Muhammedanern weiteste Verbreitung gefunden haben. Die Menschen scheinen des Betens nicht müde zu werden, obgleich im Himmel und auf Erden alles beim Alten bleibt und durch Gebete kein Sandkorn, geschweige denn Berge versetzt werden. Es gibt sogar eine Art Kunstbeter, aber sie haben auch damit keinen sichtbaren Erfolg. Man tröstet uns mit einem unsichtbaren Erfolg, aber mir scheint, das ist ein schwacher Trost. Man kann ihn nicht nachprüfen, und das ist für unser Denken schwer.
Ich meine doch, wenn ich durch ein Telephon spreche und der andere antwortet einfach nicht oder hat vielleicht abgehängt, da höre ich auf, hineinzututen. Viele denkende Menschen haben das auch ganz folgerecht getan. Sie wissen, daß im Himmel abgehängt ist. Man müßte auch erwarten, daß man über diesem Wesen dort nervös würde, wollte man's beachten. Aber die Gewohnheitsbeter scheint das nicht zu stören.
Ich glaube, am wenigsten von allen Völkern haben unsere arischen Urväter gebetet, und wenn sie es taten, waren es Formeln, von deren Anwendung sie allerdings Wirkungen verlangten, weshalb sie nicht allen zugänglich waren. Viele aus Asien überlieferte Gebete tragen ziemlich offenkundig die Art von Atmungsübungen. Sie waren der Natur abgelauscht. Im Atmen steht der Mensch in steter Verbindung mit dem All, mit Gott. An diesen Atmungsgebeten liegt also eine gewisse schützende und heilende Kraft. Das sind aber Gewohnheitsdinge, die keine unmittelbaren Eingriffe Gottes in das einmal gesetzte Dasein erwarten.
Ich glaube, unsere Väter beteten deshalb wenig, weil sie so viel dachten. Der ganze Gottesdienst an heiligen Wahrzeichen war auf Denken abgelegt und ihr Heilwissen, ihre Wihinei, war eng an die Beobachtung der allgemein zugänglichen Offenbarung des unerforschlichen Gottes, der Natur, angelehnt. Fichte soll einmal gesagt haben: Das Kind betet, der Philosoph denkt. Unsere Alten waren wesentlich philosophisch ausgerichtet, darum war ihr Denken ihr Gottesdienst.
Nun haben wir aber in der Bibel einige Geschichten von Betern, durch deren Auftreten Neues, Unerwartetes geschah. Es waren seltene Ausnahmen von der allgemeinen Regel. Als aber Jesus auftrat, sahen seine Jünger zu ihrer maßlosen Verwunderung, daß sein Beten Wirkungen gewaltigster Art hatte und niemals sein Ziel verfehlte. Richtigen Sinn hat Beten doch nur, wenn dadurch etwas anders wird als ohnehin geschähe, wenn es eine den Himmel bewegende Kraft ist.
Dieses unerhört Neue erlebten die Jünger unausgesetzt. Also entstand in ihnen der Wunsch: Herr, lehre uns beten! Die von klein auf gewiß regelmäßige Beter waren, wurden plötzlich inne, daß die bisherigen Uebungen im Grunde keinen Sinn hatten, und daß sie etwas Neues, Wirkliches bedürften.
Darauf bekamen sie die erschütternde Antwort: Erstlich kurz! Um Gottes willen keine Worte machen und langatmig werden! Das ist heidnisch. Zweitens ganz im Verborgenen, so daß gar niemand es bemerkt und weiß. Das Beten ist heimlich und Geheimnis, die Wirkung öffentlich und Offenbarung von Kraft. Die Wirkung ist natürlich die Hauptsache. Aber drittens, und hier liegt wirklich das ganze Geheimnis der verborgenen Welt des Gebets: Ihr sollt beten, aber dürft nie betteln. Bettler denken nur an sich, Beter nur an den Angeredeten, den Vater. Euer bischen Kram braucht ihr vor Gott nicht auszubreiten. Was ihr bedürft, das weiß man schon im Himmel früher, als ihr's wißt. Aber für die Angelegenheiten Gottes sollt ihr euch interessieren, dann wird alles andre von selbst.
Beten darf weder Sitte und Gewohnheit noch Kunst und Getue irgendwelcher Art sein, sondern muß ein Zustand sein, der eigentlich keiner Worte bedarf, sondern – des Denkens. Gedankenloses Beten ist ein plätscherndes Gewäsch. Jesus ging ja überall die Wege unserer Väter. Ganz von sich aus. Er dachte und beobachtete. »Was der Sohn siehet den Vater tun, das tut er auch.« Das geschah ganz im Verborgenen, wirkte sich aber aus in der Oeffentlichkeit.
Er hat uns auch in Einem Worte den Schlüssel geboten zum Eintritt in die geheime Welt des Gebets. Das ist das Wort »Vater«. Kinder und Väter reden täglich miteinander. Sie sind in einem Zustande des Gebens und Nehmens, der auf Gegenseitigkeit beruht. Worüber reden richtige Kinder mit ihren Vätern täglich? Ueber ihre Kleider, Schuhe, Essen, Trinken u.dgl.? – Sie tun's wohl gelegentlich, aber nur in Ausnahmefällen, entweder weil sie wissen, daß sie mit dem Zeug ungelegen kommen, oder weil's gar nicht notwendig ist. Den eigentlichen Inhalt ihrer Gegenseitigkeit bilden die Angelegenheiten des Hauses, die Bestrebungen des Vaters. Da wirken Kinder anregender, als sie glauben. Der Vater hört sehr aufmerksam auf ihre Wünsche und faßt seine Entschlüsse oft genug auf ihre Anregung hin, aber besser und gründlicher, als die Jugend gedacht.
Gerade so ist's im Himmelreich, pflegte Jesus zu sagen. Also sagt ihr: Dein Name, Dein Reich, Dein Wille, Dein Brot. Vertilge Du die Sünden, wir helfen Dir dabei und ... doch davon wollen wir nicht reden. Du weißt, was hier not tut. Und das alles geht auch: Das Reich ist dein, die Kraft ist dein und die Herrschermacht ist dein und bleibt's.
Was für ein gewaltiges Gebet ist doch das! Es gibt nichts, was die Welt mehr erschüttern und umstürzen könnte als die neu hereinbrechende Gewalt des Namens Gottes, des Reichs Gottes und des Willens Gottes. Das macht sich geltend bis in das Leibliche hinein. Das Brot Gottes soll gegessen werden. Und kein Beter betet: Vergib mir meine Sünde, sondern beugt sich vor Gott für die Schuld aller und rechnet sich mit unter alle. Sünden können ja nicht ungeschehen gemacht werden, aber vertilgt können sie werden von Gott aus, abgewischt und verzehrt wie Nebel von der Sonne. Und wir – wir helfen dabei. Was gegen uns an Schuld vorliegt, das werden wir verzehren, abwischen und verzeihen. Es herrscht ja göttliche Gegenseitigkeit im Gebet. Wir helfen die Welt von Schuld befreien, die Welt erlösen. Welch ein Auftrag!
Da ist mit einem Schlag eine ganz neue Welt der Unsichtbarkeit geöffnet und sichtbar geworden, und das ganz kurz, ganz verborgen, denn den meisten bleibt sie verschlossen bis auf diese Stunde, aber wo die Tür offen ist, quellen die Kräfte hervor und gestalten sich aus in der Sichtbarkeit.
Es muß noch etwas erwogen werden. Etwas bei näherem Nachdenken ganz Natürliches. Wenn den Angelpunkt des inneren Verkehrs die Interessen des Vaters bilden, muß alles Persönliche tunlichst ausgeschaltet werden. Auch der Hilferuf für die Menschen darf nicht meine Angehörigen, meine Freunde betonen, sondern muß weiter reichen, in das Wollen des Himmelreichs hinein. Wenn mein Kind etwa leidet, so ist es nur das Beispiel des Leids, das auf vielen Kindern, der ganzen Kinderwelt liegt. Wird Herrschaft Gottes, so wird das Leid selbst seiner Macht beraubt. Es ist ja doch nur die Form der Finsternis, die sich in den mannigfachsten Abstufungen geltend machen kann. Das Bestreben des Vaters muß sein, die Wurzeln der Nöte zu treffen, also muß der Beter auch dafür eintreten, daß an die Gesamtheit der also Leidenden Kräfte des Lebens herantreten. Diese Kraftwelle hebt dann auch meines Kindes Not auf. Oder umgekehrt, wenn meinem Kinde geholfen wird, muß ich dafür einstehen, daß die Kraftwelle womöglich weiter fließt in noch unerschlossene Gebiete der Finsternis.
Damit ist jedes eigensüchtige Betteln beseitigt, und die heilige Welt des Gebets tritt in ihre Rechte, der Herrschaft Gottes wird Bahn bereitet. Jesus sagte einmal in der Ueber-fülle seines Erlebens: Nichts wird euch abgeschlagen, wenn ihr nur ein wenig Glauben habt. Glaube ist dieser Zustand des Gehorsams der Hauskinder, der Zustand des Gebets. Er hat gewiß damals recht gehabt. Aber was für dichte Schwaden von Nacht und Finsternis hat die Kirchengeschichte seitdem auf uns gewälzt. Da müssen wir außerordentlich froh und dankbar sein, wenn einigen wenigen hier und da gelingt, so viel Gehorsam aufzubringen, daß dies oder das durch himmlische Kräfte in Bewegung kommt, und wenn es nicht gelingt, so schadet es weiter nichts. Um so treuer muß der Gehorsam werden.
Also nicht das Beten ist die Kunst, sondern der Gehorsam bis zum Aeußersten, das Opfern des Selbst für Gott und das Aufgehenlassen aller eigenen Wünsche in den Wünschen des Vaters. Wir sehen gerne auf das Leben Jesu zurück. Mit Recht. Aber Jesus sagte, er tue nur das Kleine. Das Größere hat er den Seinen aufgetragen, und sie können es auch leisten. Sie dürfen nur den Mut nicht verlieren und müssen alle Kräfte für den Gehorsam einsetzen. Dann wird die Welt bald anders aussehen. Wir wissen schon jetzt, daß das Keimchen, das sich im neunzehnten Jahrhundert hervorwagte, unausgesetzt gewachsen ist, wenn auch in aller Stille. Es wird noch zum Baume werden, unter dem die Vögel unter dem Himmel nisten können. So ist's ja im Himmelreich.