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Unter deutschen Kolonisten

 

Wer siedeln will, muß ein Leben dran wagen.

 

Beßarabien

Während ich die Jahre neben Rabinowitsch verlebte, war natürlich meine eigentliche Arbeit auf unsere deutschen Landsleute in Beßarabien gerichtet. So sehr mich innerlich Rabinowitsch beschäftigte, so wenig hatte ich Zeit für ihn. Als Franz Delitzsch mich aufforderte, nach Kischinew zu gehen, dachte er wohl an Monate. Ich sah aber sehr bald, daß ich bleiben müsse, wenn mein Aufenthalt irgendeinen Nutzen haben sollte. Nun war die Kischinewer Stadtgemeinde außerordentlich klein und setzte sich ausschließlich zusammen aus Beamten, Kaufleuten, Lehrern, wie sie sich zuweilen in russischen Städten finden, keine eigentliche Gemeinde. Aber angegliedert war das ganze Beßarabien mit Ausnahme des Akkermaner Kreises. Das war eine Anzahl kleiner und kleinster Siedelungen deutscher Bauern, um die sich kein Mensch bekümmerte, wenn wir's nicht taten. Es kam noch dazu das große Gebiet Neubeßarabien, das Rußland im Türkenkriege 1898 gegen die Dobrudscha zugefallen war. So gehörte alles Land längs des Pruth in das Bereich des Kischinewer Kirchspiels. Heute hat ja Rußland Beßarabien überhaupt verloren an Rumänien. Ob es so bleibt, ist eine andere Frage. Die Sprache des Landes ist jedenfalls rumänisch. Das Russische war damals mehr Beamtensprache. Ob sich ein aufgeblasenes Großrumänien halten kann, ist immerhin fraglicher, als ob Rußland sich wieder erholen wird.

Auf diesem weiten Gebiete nördlich der Donau und zwischen Pruth und Dniestr wohnten die Allerärmsten unserer Stammesgenossen. In den großen Siedelungen des Akkermaner Kreises hatte sich im Laufe der Zeit deutscher Fleiß zu einem recht ansehnlichen Reichtum emporgeschwungen. Bekanntlich hatte der russische Zar Alexander I am Anfange des neunzehnten Jahrhunderts den Plan gefaßt, die weiten Steppen um das Schwarze und Asowsche Meer, wo nur Gras wuchs, auf dem verstreute Schafherden gingen, mit deutschen Bauern zu besiedeln. Sie wurden eingeladen unter sehr günstigen Bedingungen. Sie erhielten 10 Jahre Steuerfreiheit, dauernde Militärfreiheit und eine eigene deutsch redende Behörde. Außerdem wurden sie nach Konfessionen getrennt angesiedelt, es gab lutherische, reformierte, katholische, sogar jüdische Dörfer. Letzteren wurden deutsche Musterwirte zugesellt, von denen die Juden den Ackerbau lernen sollten.

Nach etwa 100 Jahren, also Ende des neunzehnten Jahrhunderts, hatten sich am stärksten entwickelt die lutherischen Siedelungen, an zweiter Stelle die katholischen, an letzter die jüdischen. Diese waren aber Marktflecken geworden mit gutem Handel, ihr Land war in den Besitz der deutschen Bauern übergegangen.

Zu unserer Zeit war nun alles Land der Siedler und der nächsten Umgebung unter deutschem Pflug, und ein Nachwuchs war da, dem es an Land mangelte. Da taten diese sich in Gruppen zusammen und pachteten die großen Güter weiter im Westen, die meist im Besitze moldauischer Bojaren waren. Sie überkamen immer kleinere Steppen, deren Wegfall man in den großen Betrieben kaum spürte, die aber mehr einbrachten als unter der Großverwaltung.

Die Siedler besaßen in der Regel nicht mehr als ein Paar Pferde, etwas Rindvieh und das nötigste Ackergerät. Aber dabei fleißige Hände und abgehärtete Körper bei beiden Geschlechtern. Da nun das Land sehr fruchtbare Schwarzerde ist, leicht zu bearbeiten und des Düngers nicht bedarf, so kamen die Leutchen leidlich gut voran, wenigstens hatten sie ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder. Sie bauten schnell ihre einfachen Lehmhütten auf, und die hielten in der Regel, bis der Pachtkontrakt abgelaufen war. Das waren gewöhnlich 12 Jahre.

Eigentümlich aber war den Leuten, daß sie überallhin eine gewisse Ordnung mitbrachten. Erstlich vertrugen sie sich leidlich. In den Kontrakten haftete, da keiner Geld besaß, einer für den andern. Also stand jeder unter der Aufsicht aller und mußte schon vertraglich sein, so sauer es auch manchen ankam. Wir hatten in unserer Siedelung ein überaus ungebärdiges und unverträgliches Brüderpaar. Aber es lebte sich ganz gut mit ihnen. Sie hatten ihre Pässe irgendwie verloren und waren von Oesterreich eingewandert. Wir wußten das alle. Hätte es die Polizei erfahren, so wären sie ausgewiesen worden. Das machte sie zu Kindern des Friedens.

Was aber hauptsächlich die Ordnung aufrecht erhielt, war, daß jede, auch die kleinste Siedelung, sofort Kirche und Schule gründete und genau alle kirchlichen Festtage einhielt.

Die Verbindung von Kirche und Schule ist von hervorragend sittigendem Einfluß. Dazu kam, daß immer der Schulz im Dorfe die Aufsicht über beides übernahm, so daß die uralte arische Dreieinheit von Heilstum, Weistum und Rechtswaltung einfach hergestellt war, und nur diese erhält ein Volk gesund. Wo Kirche, Schule und Recht getrennte oder gar feindliche Gebiete sind, ist ein Volk krank. Man sieht's am heutigen Deutschland.

Diese Schulen, die die armen Leute von sich aus gründeten, waren natürlich überaus gering. Aber sie waren. Einen richtigen Lehrer konnten die Siedler nicht tragen. Da wurde meist einer von ihnen »gemietet«. Immer auf ein Jahr. Er mußte zugleich den Gottesdienst versehen, d. h. den Gemeindegesang leiten und eine Predigt verlesen, die Kinder taufen und die Toten begraben. Für den Unterricht bekam er vom Kopf des Kindes etwa einen Rubel, also damals 2,14 Mark fürs Jahr. Und das blieben ihm manche schuldig bis nach der »besseren Ernte«.

Sehr häufig waren auch deutsche Handwerksburschen Lehrer. Sie hatten alle eine leidliche Volksschulbildung, auch ziemliche Welterfahrung und waren meistens geneigt, in den Siedelungen auf diese Weise zu wintern. Sie ließen sich sogar dazu finden, »herumzuessen«, d. h. reihum alle Tage bei einem andern Wirt in der Kost zu sein. Aber diese Wanderlehrer, die nichts als einen Stecken besaßen, hatten in der Regel nicht den Lebenswandel, den der Kolonist von seinem Lehrer zu beanspruchen berechtigt war. Sie waren Zugvögel, und man hielt nicht viel von den Lehrern, »die über die Steppe hereinspringen«. Aber immerhin der Sinn für diese Ordnungen war und lag den Leuten im Blute. Wir glaubten natürlich, das sei gute Gewöhnung durch die Kirche, aber es war viel mehr, es war uralte arische Rita, die durch die Jahrtausende das Volk in Ordnung und Gesundheit erhielt, so armmütig und gering auch die Wirklichkeit oft war.

Als ich mich in Kischinew ein wenig eingewöhnt hatte, siedelten sich gerade zwei Kolonien unweit des Pruth an, eine auf Herrenland namens Strembeni, die andere daneben auf Klosterland namens Oneschti. Das große Kloster auf dem Athos, ein Hauptheiligtum der griechischen Kirche, besitzt in Beßarabien Zweigniederlassungen, aber auch ungeheure Ländereien. Letztere standen unter staatlicher Verwaltung und waren leicht und unter günstigen Bedingungen zu pachten. Da erbot ich mich, in der Kolonie Oneschti mitzupachten und von da aus das ganze Gebiet am Pruth, dem ich nun eine volle Tagereise näher gerückt war, zu bedienen und die Kolonien Strembeni und Oneschti zum Mittelpunkt zu machen. Wollte man den Leuten überhaupt helfen, so konnte es nur so geschehen.

Und der Versuch gelang eigentlich, wenn es auch schwer und ungewohnt für mich war, nach dem akademischen Studium Land umzutreiben und davon den Hauptteil meines Unterhalts zu bestreiten. Große landwirtschaftliche Kenntnisse waren nicht vonnöten, außerdem halfen mir die Kolonisten viel, aber eintreten mit aller Körperkraft war dort notwendig, und es war sehr gut, daß bei dem Militär alle Kräfte ausgebildet waren. So gab's die Woche über harte Arbeit und Sonntags setzte ich mich in den Sattel und besuchte erreichbare Dörfer, wenn ich nicht in der kleinen Kirche von Strembeni war. Zuweilen waren auch größere Reisen nötig. Natürlich legte ich sie in Zeiten, in denen die Feldarbeit nicht so drängte. Das wurden dann Wagenfahrten, die gewöhnlich die Bauern leisteten. Die Verbindung mit Kischinew hielt ich oft zu Pferde aufrecht. Es waren 65 Kilometer, freilich einige Berge dazwischen, aber Fahrräder gab's noch nicht, auch keine Wege dazu. Zu Hause hatte ich dann immer meine sehr tüchtige Wirtschafterin, eine reifere Kolonistenwitwe und einen deutschen Knecht.

Selbstverständlich waren damit alle Studien abgeschlossen. Assyrische Inschriften kamen nicht bis in mein Tuskulum, von Büchern überhaupt nur eine deutsche Bibel und eine russische Grammatik. Einmal wöchentlich kam Post durch die Polizei. Sie brachte die einzige Zeitung, ein Sonntagsblatt. Ich habe heute noch kein Bedürfnis, Zeitungen zu lesen. Seit ich im Weltkrieg ein wenig hinter die Kulissen gesehen habe, glaube ich nichts Blättergebackenes mehr. Wozu also Zeit vergeuden zum Lesen!

In den Kolonien war immer ein schwieriges Kapitel die Schule. Wenn man Lehrer hat, die nur sehr mangelhafte Kenntnisse und von Pädagogik keinen blassen Schimmer haben, ist dem guten Willen ein sehr großes Feld gelassen. Aber was hätten mir die bestgebildeten Lehrer genützt, wenn sie nicht zur arischen Dreieinheit hielten! So sind wir besser gefahren, als viele erwarten würden. Unsere Kinder wurden nicht mit Kenntnissen überlastet, für die sie keine Verwertung hatten und lernten doch so viel, daß sie dem Leben, das ihrer harrte, gewachsen waren. Dabei war die Schulzeit überaus kurz. Wenn im Frühjahr das Ackern begann, also Anfang März, waren alle Kinder im Felde nötig oder mußten die kleinen Geschwister beaufsichtigen, und man bekam sie erst wieder zur Schule, wenn das Welschkorn entblättert war, also Ende Oktober. Dazwischen brachten sich Hochzeiten, Schweineschlachten und ähnliche Gemeindefeste mehr zur Geltung, als dem Schulbetrieb heilsam war.

Ich habe lange Zeit selbst Schule gehalten in unserem Dörfchen, weil wir keinen Lehrer hatten. Es war nicht leicht mit diesen Kindern. Lehrmittel gab's nicht, Lesebücher fast nicht, sie lernten aus dem Neuen Testament lesen, was zu diesem Zwecke gerade nicht geeignet ist. Zum Schreiben hatten wir wenigstens richtiggehende Bänke. Es gab aber Dörfchen, da mußten die lehne- und tischlosen Kirchenbänke zum Schulunterricht herhalten. Sollte dann geschrieben werden, so mußten alle Kinder niederknien und auf ihren Sitzen schreiben. Störend war auch, daß oft ältere Geschwister die jüngeren mitbrachten, um sie während des Unterrichts zu beaufsichtigen.

Das alles waren Nöte und Schwierigkeiten, die die Armut hervorbrachte. Sie war aber nicht stark genug, die Gemeindeordnung zu zerstören. Die Siedler empfanden sich immer als Ganzes und hielten streng drauf, daß ihre Kinder nicht verwilderten und ihre kirchliche Ordnung gewahrt blieb. Im allgemeinen standen sie höher als die moldowanischen Gemeinden, obgleich diese reicher und durch ihre Popen kirchlich fester gehalten wurden. Aber die Rita liegt ihnen nicht im Blute, die einen nordischen Menschen nicht so leicht losläßt.

Die Leute von Strembeni und Oneschti waren aus der Bukowina eingewandert, redeten aber ein Deutsch, das, wie ich später erkannte, am meisten Aehnlichkeit mit dem Pfälzischen hat. Ich habe auch gehört, daß das saarländische Deutsch in Siebenbürgen bei den dortigen Deutschen gesprochen wird. Vielleicht bestand auch hier ein Zusammenhang. Es ist nicht unmöglich, daß ihre Väter aus der Pfalz oder dem Saarlande in Oesterreich eingewandert waren.

Es war ein sehr lebenslustiges, gutmütiges Völkchen und außerordentlich sangesfroh. Bei der schweren Arbeit im Sommer, in der Ernte und im Dreschen sang die Jugend die halbe Nacht durch. Einmal bauten sie mir eine Hütte, die wie alle aus Ruten geflochten war, und zunächst aussah wie ein Vogelkäfig. Dann kamen die Buben und Mädeln des Dorfes und bewarfen sie von innen und außen mit Lehm, den sie mit den Händen glattstrichen. Dabei sangen sie unermüdlich und kannten Lieder, die in keiner Sammlung stehen. Ich hätte sie gern aufgeschrieben, aber die schwere Arbeit benahm mir die Lust zu schreiben. Es schadet auch nichts, wenn solche Dinge Eigentum und Heiligtum des Volks bleiben und nicht mit Druckerschwärze besudelt werden.

Ihre Hochzeiten waren die Höhepunkte im Gemeindeleben. Das ganze Dorf feierte selbstverständlich mit. Jeder gab einen Beitrag zum Fest und dann wurde geschlachtet, gegessen und getanzt Tag und Nacht. Wer das Vergnügen haben wollte, mit der Braut zu tanzen – und alle wollten das – mußte ihr einen Hauspfennig schenken für die neue Wirtschaft. Mehr als auf wenige Runden hatte er dafür nicht Anspruch. Wenn aber die Braut zum ersten Male Müdigkeit vorschützte, war der Brauttanz aus. Was unsere Mädchen bei solchem gewinnbringenden Tanze zu leisten vermochten, wird ihnen so leicht nicht nachgemacht werden.

Einmal hatte ich angeordnet, ich weiß nicht mehr, aus welchem Grunde, daß am zweiten Festtage um Mitternacht der Tanz aufzuhören habe. Es war auch wirklich genug. Trotzdem wurde bis in den vollen Tag hinein getanzt. Als ich den Schulzen zur Rede setzte, sagte er, mein Gebot sei ganz streng gehalten worden – von der ledigen Jugend, die doch nur gemeint gewesen sei. Dann hätten aber die Eheleute weiter getanzt, und das habe die Jugend so begeistert, daß sie gegen Morgen auch wieder angefangen habe. Aber um Mitternacht hätten sie gewiß aufgehört.

Da ist natürlich nichts zu machen. Bei dieser Lebensweise hielten sie übrigens sehr streng auf Zucht und Ordnung unter der Jugend, und wenn die Feste etwas wild erscheinen wollten, so mußte man bedenken, von wie schwerer Arbeit sie abgelöst wurden. In beßarabischer Sonnenglut auf der Steppe arbeiten, das will gelernt sein und ist eine sehr ernste Sache. Wer wirklich siedeln will, der muß ein ganzes Leben einsetzen, halbe Menschen werden von der Natur ausgemerzt. Alle Siedler sollen sich das wohl überlegen. Siedeln kostet ein Menschenleben in schwerer Arbeit und Armut. Die Kinder oder wahrscheinlich erst die Enkel haben den Nutzen davon.

Eine ganz andre Art von Siedlern waren unsre Schwaben. Dieser deutsche Stamm, den schon Cäsar erwähnt als großes Volk der Sueben oder wie sie wohl schon damals sagten »Schwäben«, hat sich durch die Jahrhunderte mit unglaublicher Zähigkeit lebensfrisch erhalten. Der ganze Süden Rußlands ist wesentlich von ihnen beherrscht, und wo sie mit andern Stämmen, z. B. Schweizern, in Berührung kamen, gewann es ihre Sitte und Sprache.

Als Siedler ist der Schwabe gar nicht zu übertreffen. Er hat einen Fleiß und eine Ausdauer, vor denen es einfach keine Hindernisse gibt und dabei einen sehr klugen Kopf. Vielleicht geht ihm der Blick ins Weite und Großzügige ab, aber das Nächstliegende beherrscht er mit bewundernswerter Sicherheit. Ich hatte viele schwäbische Kolonien zu bedienen. Der Verkehr mit ihnen war nicht immer leicht. Die leichtlebige Beweglichkeit der Oesterreicher ging ihnen ganz ab. Auf Ordnung und Sitte hielten sie noch strenger als jene, aber vielfach war ihr Leben verdüstert durch einen religiösen Eigensinn, der schlechthin unüberwindlich war.

In manchen Dörfern erlaubten sie nicht einmal den Bräuten Kränze zu tragen, es sei weltlicher Tand. Ich sagte, ich fände es sehr bedauerlich, wenn ihre Bräute keine Kränze tragen dürsten. Das nahmen sie wieder gewaltig übel. Alle weltlichen Lieder als Volkslieder, zu denen bekanntlich die Schwaben recht köstliche Perlen beigetragen haben, hießen schlechthin »Schelmenlieder«. Einmal hatten die Pastoren der großen Schwabenkolonien im Akkermaner Kreise ein Lesebuch herausgegeben, in dem sich drei unschuldige deutsche Märchen fanden. Ueber diesem Buche mit seinen »verlogenen« Geschichten, die die »Lüge in die Seelen der Jugend pflanzten«, kam es zu einer richtigen Revolution. Das entsetzliche Buch mußte abgeschafft werden. Das sind aber alles Sachen, die von der schwäbischen »Stunde« beeinflußt sind, und da der Schwabe an sich einen eigensinnigen Kopf hat, und ihm die Weitsicht abgeht, ist natürlich sein religiöser Eigensinn nicht verwunderlich.

Ich habe immer am besten gefunden, diese Sachen tunlichst nicht zu beachten, so wie man körperliche Gebrechen auch übersieht. Ich habe ihnen auch ihren boshaften Klatsch, der in allen besonders christlichen Kreisen seine Stätte hat, nie übel genommen. Das gehört mit als Erscheinung zu den Gebrechen, die just diesen Leuten eignen. Mich würde mehr das Heilmittel interessieren, das diese und alle Krankheiten von der Wurzel aus heilt. Dann verlieren sich die krankhaften Erscheinungen von selbst.

Was ich aber den Schwaben besonders hoch anrechne und wirklich als Größe zu bewundern Gelegenheit hatte, das ist ihre zielsichere Siedelungsfähigkeit nach uralten germanischen Grundsätzen, die sie am treuesten in ihrem Blute bewahrt haben. Dieses Volk hat auch stets auf bewahrtes Blut gehalten.

Wir ahnen in Deutschland gar nicht, was für ein wertvolles Glied im Deutschtum gerade diese schwäbischen Siedler sind. Unsern Regierungen und ihren Verwaltungsbeamten war ja nie etwas so gleichgültig als das Schicksal derer, die ins Ausland zogen, und deren Papiere sie nicht mehr zu überwachen hatten. Diese unarmanische Wurstigkeit, mit der bei uns das Deutschtum im Auslande betrachtet wurde, hat uns unser bestes Blut gekostet und ist auch eine Ursache unsers Zusammenbruchs. Deutsches Blut mußte Kulturdünger für unsere Feinde abgeben. Warum? Weil der Sinn für deutsches Wesen den Maßgebenden bei uns schon lange abhanden gekommen ist und sein Fehlen gar nicht vermißt wird. Das muß im neuen Deutschland unbedingt anders werden. Wir müssen wissen, daß alle Deutschen in der ganzen Welt zusammengehören, und daß sie zu uns gehören, so lange sie es selbst wollen. Danach haben sich alle deutschen Verwaltungsbeamten im Anlande und Auslande streng zu richten.

Die Krim und ihre Nachbarn

Ich war nicht allzulange in Beßarabien. Ich habe die Zustände Beßarabiens, soweit sie unsere Kolonisten betreffen, später in einem Roman geschildert, der immerhin einige kulturgeschichtliche Anteilnahme verdient, weil die dort austretenden Gestalten einschließlich des Titelhelden Immanuel Müller Immanuel Müller, Haus Lhotzky Verlag Ludwigshafen am Bodensee. sämtlich dem wirklichen Leben entnommen sind, wenn sie auch tunlichst unkenntlich gemacht und anders gruppiert sind. Nur den Namen Müller habe ich beibehalten, weil das ja mehr ein Gattungsname ist, den auch der Titelheld in der Natur führte. Da er und alle, die es angeht, längst tot sind, kann ich ja verraten, daß er eigentlich Karl Müller hieß.

Ich hätte gern länger dort gearbeitet unter unseren Aermsten und Verlassensten und wußte, daß nach mir sich niemand ihrer so annehmen würde, daß er unter ihnen wohnte und ihre Arbeit und Armut teilte. Allein eine peinliche Naturanlage verhinderte ein längeres Verweilen. Ich war zwar weit draußen in der Steppe, war aber doch der Angestellte meines Seniors. Die Natur hat mir aber leider versagt, Untergebener und Angestellter zu sein, und solche Leute können Vorgesetzte, namentlich wenn sie von ihrer Würde tief durchdrungen sind, schwer vertragen. Ich glaube, meine Freundschaft zu Rabinowitsch mißfiel auch auf die Dauer. Es gab allerhand heimliche christliche Nadelstiche in der bekannten herzlichen christlichen Liebe. So wurde mein Bleiben nach etlichen Jahren abgekürzt, und ich war froh, daß ich in der Krim ein ganz unabhängiges Amt überkam. Ich schied von meinen Kolonisten ungern, ging aber gern in ein neues, überaus freies und schönes Arbeitsfeld.

Ich hatte in der Krim ein Gebiet zu verwalten so groß wie das halbe Königreich Sachsen – möge die Heimat mir verzeihen, ich wollte natürlich sagen, wie der halbe Volksstaat Sachsen. Auf diesem Gebiete hatte ich mehr als 30 Predigtorte zu bedienen, was mit Wagen oder Dampfer geschah. Mein Konsistorium lebte 2000 Kilometer entfernt in Petersburg, und es war eine Freiheit, wie sie selten Menschen zuteil wird.

Ich kann auch nicht anders. Meines Erachtens gibt es auf diesem drolligen Planeten nur ein einziges Gut, das wirklichen Wert hat, das ist Freiheit und Unabhängigkeit von jedermann. Das ist auch das einzige Gut, das Jesus für sich begehrte, dem Johannes der Täufer Kleidung und Nahrung zum Opfer brachte, das für viele unseres Geschlechts einfach Lebensbedingung ist, ohne die sie nicht atmen können.

Natürlich muß man sich diese Freiheit erarbeiten und darf nicht verlangen, daß sie einem in den Schoß geschüttet wird. Sie kostet ein Leben und wahrscheinlich eines, das mit sonstigem Gut des Planeten nicht sonderlich ausgestattet ist. Aber es ist auch wert, daß man alles dafür einsetzt.

Die Liebe braucht Raum. Wo man sich zu nahe kommt, gibt es leicht Kurzschluß, weil die Liebe eine große Kraft unter den Menschen ist. Ich liebte also mein Konsistorium, meinen Propst, der irgendwo am Kaukasus wohnte, meine Amtsbrüder, deren nächster eine Tagereise weg wohnte, und hoffe auch, daß ich von ihnen geliebt wurde. Die Liebe hatte den Raum, dessen sie bedurfte.

Aber ich wollte von den deutschen Kolonisten reden. Ich habe sie oft bewundert und tue es noch heute, wie sie verstanden, sich selbst zu helfen. Die Krimmer waren nicht so arm wie meine Beßarabier. Im Gegenteil. Der Krimkrieg hatte die deutschen Kolonisten der Krim gesund gemacht. Wo Krieg ist, strömt immer Geld zusammen, und wer es bewahren kann, dem hilft es auf den Fuß. Unsere Schwaben leisteten Heeresfuhren für Rußland und hatten beste Gelegenheit, ihr Stroh und Heu, nach dem sonst nie jemand gefragt hatte, an das Heer zu verkaufen. Dafür gab's buchstäblich Säcke voll Geld. Einigen zerrann es, wie es gewonnen war, andere sammelten es und legten es in Land an. So kam die halbe Krim in den Besitz deutscher Siedler um ein Billiges. Denn das Land hatte fast keinen Wert, weil die arbeitenden Hände, die ihm allein Wert verleihen, fehlten, und weil die wenigen, die vorhanden waren, die türkischen Krimtataren, nach dem Kriege in die Türkei zogen und ihr Land um jeden Preis hergaben.

Auf den riesengroßen Steppen wurden nun winzige Dörfchen angelegt, die Grasflächen wurden aufgeackert und gaben unerhörte Weizenernten. Früher wurde in der Krim jedes Jahr ein Kornmarkt in Karassubazar gehalten, auf dem die Schafhirten der Steppe ihren Bedarf deckten. Nunmehr rief deutscher Fleiß goldenen Weizen hervor. Man hatte ja keine Ahnung, daß die Steppe fruchtbar war. Das entdeckte erst der schwäbische Siedler, und die Folge war, daß an der Küste Städte aufblühten und der Krimmer Weizen einen europäischen Ruf gewann.

Dazu waren die Siedler auch selbst sehr fruchtbar, denn nach der uralten arischen Erzählung stammen die Menschen aus dem Acker. So hat sie Gott geschaffen, und so leben sie heute noch. In einem Jahrhundert wuchsen aus anfänglich drei kleinen Siedelungen hunderte von blühenden deutschen Dörfern heran. Wo Land ist, gedeiht der Bauer und damit das ganze Volk. Wo kein oder nicht genügend Land ist, geht ein Volk zugrunde.

Das Land erhält auch ein Volk gesund. Wir kannten keine Prostitution, hatten wenig Irrsinn und überhaupt eine Menge Kultur-Krankheiten als Nervosität, Anämie, Neurasthenie usf. fast nicht. Es gab kein Altjungferntum. Unsere Mädchen wurden alle verheiratet, und vor allen Dingen gab's kein verständnisloses Beamtentum. Das hatte die russische Verwaltung, mit dem mußte man sich irgendwie auseinandersetzen, daß es keinen Unfug anrichtete, unsere wenigen Beamten waren Menschen, die aus dem Volke erwachsen die öffentlichen Bedürfnisse verstanden und sich selbst ernähren konnten. Wer sich nicht selber ernähren kann, taugt nicht zum Verwaltungsbeamten in einem Volkskörper.

Auch das war eine Eigentümlichkeit, die bei Siedelungen wohl immer erscheinen wird. Es fehlte eigentlich der Unterschied von arm und reich. Die Gesellschaft der Siedler stand wesentlich auf gleicher Besitzhöhe. Da fehlte es also an sozialen Reibungen.

Eigentlich fehlte die Armut. Die Armut fehlt überall da, wo Land vorhanden ist. Sie nistet nur unter den Landlosen, die wohl Kinder zeugen, aber sie nicht ernähren können, also Proletarier sind.

Die alte tiefsinnige arische Erzählung lautet: Der Vater der Menschen ist der Mond, der Man, nach dem sie Mannen heißen. Der erste Sohn des Mondes hieß Mannus, und er erzeugte mit der Hertha, der Erde, die Menschen. Das stimmt in Form eines Mythus zu der bekannten biblischen Geschichte, die natürlich auch arischen Ursprungs ist. Nun wird ja bis heute jedes Kind bekanntlich durch den Mond erzeugt, aber nicht jedes Kind hat zur Mutter die Hertha. Diese mutterlosen, also landlosen Kinder sind die Proletarier, zu denen auch der größte Teil der Beamtenschaft zu rechnen ist.

Wo Proletarier vorwiegen, ist ein Volk krank und zwar landkrank. Würde dieses Volk Land gewinnen, so bedürfte es keiner sozialen Hilfen mehr, sondern würde in sich selbst gesunden.

Natürlich redete man auch bei uns von »armen« Leuten. Aber unsere Armen hatten doch immer noch ein Paar Pferde, Rinder, Ackergerät u. dgl. und hatten so viel zu essen, wie man uns Kriegsverarmten nur wünschen könnte. Bettler fehlten bei uns. Doch erinnere ich mich eines Bettlers. Das war ein Schweizer, tüchtiger Arbeiter von Haus aus, der aber bei einer Sprengung in einem Steinbruche das Augenlicht verloren hatte, also arbeitsunfähig war. Da er unser Mann war, mußten wir ihn selbstverständlich versorgen. Er bekam also mit seiner Familie ein Haus und fuhr von da aus mit seinem Wagen das ganze Gebiet aus, und jedermann gab ihm reichlich Weizen und Futtermittel, daß es auch zu ein Paar Schweinchen reichte. Dieses unbewachte Betteln war mir aber zuviel, namentlich da seine Kinder mit auf die Bettelfahrten fuhren. Ich machte also den Vorschlag, der Familie zu überweisen, was für ihr Leben not war und namentlich die heranwachsenden Kinder vor dem Bettlerleben zu bewahren. Der Mann tobte. Wer ihn versorgen würde? Ich würde es tun. Die Wirkung war, daß er seinen Wagen einspannte und verschwand auf Nimmerwiedersehen. So verloren wir unfern einzigen Bettler.

Selbstverständlich wurden im Laufe der Zeit auch reiche Leute. Das waren solche, die im Krimkrieg viel zurückgelegt hatten und sehr große Steppen besaßen. Aber ihr Reichtum drückte niemanden. Sie arbeiteten ebenso wie jeder andere und führten genau das gleiche Leben, so daß man einen Unterschied überhaupt nicht bemerkte.

Einmal sagte ein Lehrer zu mir, der seine Tochter an einen armen Mann verheiraten wollte, noch während wir zur Trauung gingen: Das Glück, das meine Tochter findet, hätte sie auch leichter haben können. Der Mann hat ja gar nichts. Ich antwortete ihm, während wir durch die Siedelung gingen: Bitte, nehmen Sie jedes dieser Häuser durch. Vielleicht wohnen recht reiche Leute in diesen Höfen. Glauben Sie, daß Ihre Tochter ein nur um ein Haar anderes Leben hätte in irgendeinem dieser reichen Häuser? Arbeiten, Kinder gebären und erziehen und immer nur arbeiten und schwer arbeiten, das ist aller unserer Frauen Los.

Jawohl, es ist ein ernstes, herbes Leben das Siedlerleben, und doch ein gesundes, starkes Leben, das ein Volk in der Tüchtigkeit erhält. Solange der Bauernberuf in Ehre und Uebung steht, solange ist's gut um ein Volk bestellt, denn die Lebenswurzeln der Menschen ruhen im Lande.

Natürlich waren nicht alle Siedler in Rußland so günstig gestellt wie unsere Krimmer, denen ein Krieg zu Hilfe gekommen war. Nördlich der Krim floß durch die Steppe ein Wässerlein, das hieß der Milchfluß. Als man von Rußland aus die ersten Siedler nach Beßarabien und der Krim berufen hatte, waren auch am Milchflusse Siedelungen gegründet worden, am rechten Ufer saßen holländische Mennoniten, links schwäbische Lutheraner.

Bei den Mennoniten gehört gewissenhafte Landarbeit mit zu dem religiösen Leben. Das sieht man auch ihren Aeckern und Gärten an, die wahre Muster von Ordnung sind. Es kommt dem Mennoniten nicht so drauf an, viel zu arbeiten, als alles Land gut zu bearbeiten. Nach diesen Grundzügen ist klar, daß im Laufe der Zeit blühende Siedelungen der Mennoniten zunächst längs des Milchflusses, aber auch sonst im Süden entstanden.

Bei den Lutheranern half eine eigentümliche Einrichtung zur weiteren Ausbreitung. Da ursprünglich die Steppe nichts als Schafweide war, ließen die Siedler auch zunächst eine solche bestehen als gemeinsamen Besitz. Unsere Väter nannten solchen Gemeindebesitz Allmende. Da aber der Weizenbau viel vorteilhafter war als die Schafhaltung, wurde die Schäfereisteppe auch aufgeackert, aber wer sie benutzen wollte, mußte an die Gemeindekaffe Pacht bezahlen. Dieses Pachtgeld wurde kapitalisiert und mit seiner Hilfe neues Land für die Gemeinde erworben. Auf dieses Land wurden dann die älteren Kinder ausgesiedelt. Sie mußten es in Raten abzahlen, kamen aber dadurch zu eigenem Besitz. Die zurückströmenden Gelder wurden wieder in Land angelegt, so daß von einer solchen Siedelung aus lawinenartig immer neue Siedelungen werden konnten. Das ist auch geschehen. Alles Land um das Schwarze und Asowsche Meer sowie das Kaukasusgebiet ist durchsetzt mit deutschen Dörfchen, von deren Dasein die Heimat natürlich keine Ahnung hat. Da sie im Auslande leben und dort Untertanen sind, brauchen unsere Beamten sie ja nicht mehr zu regieren. Also!

Nach dem Frieden von Brestlitowsk schickten 50 000 deutsche Siedler in Rußland eine Abordnung an den deutschen Botschafter in Moskau. Dieser Mensch hat sie nicht einmal angenommen. »Keine Zeit«, hieß es. Wahrscheinlich hatte er gerade zu frühstücken. Aber dieser ahnungslose, beschränkte Beamte aus gräflichem Hause ist so recht bezeichnend für die Stimmung deutscher Verwaltung den Deutschen gegenüber. Kurz nach Abweisung der Siedler wurde er von einem Russen ermordet. Um ihn war's ja nicht schade, aber sie hätten's wahrscheinlich alle so gemacht. Der sogenannte deutsche Staat und das deutsche Volk sind einander fremd und verstehen sich nicht.

Wenn ich aber heute nachdenke über unsere Ansiedler, so frage ich mich, woher hatten die Leute diese eigenartigen Ordnungen und Ueberlegungen? Nun, vom Staate nicht. Der russische Staat war ihnen zwar sehr entgegengekommen bei der ersten Besiedelung, hatte aber später doch alles getan, das anfängliche Gute langsam zurückzunehmen. Sie verloren ihre deutsch sprechende Behörde, ihre Militärfreiheit und wurden genötigt, das ihnen überlassene Land schwer zu bezahlen. Schließlich als die Deutschen sich sehr vermehrt hatten, sollten Ausnahmegesetze gegen sie gemacht werden, die sie am Landkauf verhindern sollten. Wie sie am Anfang des Weltkrieges drangsaliert wurden, obgleich ihre Söhne im russischen Heere gegen Deutschland kämpften, das spottet jeder Beschreibung. Natürlich weiß man davon in Deutschland nichts. Wie es ihnen heute geht unter dem Sowjetmob, soweit sie überhaupt noch vorhanden sind, das ist unbeschreiblich. Unser deutsches Volk ist in einem harten Gericht, aber es wird es überstehen, wie seine Vorväter die Eiszeiten überstanden haben.

Vom deutschen Staate haben unsere Siedler auch nichts gelernt. Der ist seit Jahrhunderten ein römischer Staat deutscher Nation und steht noch heute unter römischem Recht. Gerade von ihm geht ja die völlige Verständnislosigkeit für deutsches Wesen, deutsches Recht und deutsches Land aus.

Die Kirche hat ihnen diese Ordnungen auch nicht beigebracht, so viel ernste Beratung und Fürsorge auch von ihr ausging. Die Schule der Siedler war zu unbedeutend, um einen Einfluß auf die Verwaltung zu gewinnen. Wäre sie auch noch so bedeutend gewesen, so hätte sie diese Bedürfnisse doch nicht verstanden. Sie hätte wie die deutsche Schule ein gewaltiges Vielerlei von Wissen geboten, dem aber die eigentliche Fühlung mit dem wirklichen Leben fehlte.

Nein, was die Kolonisten leitete, war ihr Blut, ihr gutes arisches Blut, das die Schwaben leidlich rein erhalten haben. Im Blute wachten uralte Weistümer auf und gaben dem Geschlecht den natürlichen Drang. Und das war die alte Armanenordnung. Das Volk wurzelt im Lande und stammt aus dem Lande. Folglich muß das Land volkseigen sein und darf nicht Privateigentum sein. Da aber das römische Recht alles Volkseigentum gefressen hat, muß wenigstens ein Teil gerettet bleiben in der Allmende, und auch dieser Teil enthält Kraftwurzeln des Volkes und vermag es gesund zu erhalten. Selbstverständlich müssen bei einem gesunden Volke Volksüberschüsse vorhanden sein. Als der Mensch dem Lande entstiegen war, hieß es ja als erstes: Seid fruchtbar und mehret euch. An der Art der Vermehrung erkennt man am sichersten den Gesundheitszustand eines Volkes. Und unsere Siedler waren gesund, kannten leibliche Nöte wenig und soziale überhaupt nicht. Soziale Nöte sind nur da, wo ein Volk nicht im Lande wurzelt.

Unter diesen Umständen war es die alte armanische Ordnung, daß der Volksüberschuß nicht der wilden Auswanderung irgendwohin verfallen durfte, wie es im unarmanischen Deutschland der Fall ist, sondern daß der Abzug von der Gemeinde geleitet wurde, daß das Volk neue Keimträger in der Ferne bekam. Dahin nahmen sie die alten Ordnungen mit und vererbten sie durch Blut und Brauch auf Kind und Kindeskind.

Unsere Urväter unterschieden daher gleich in ihrem ganzen Volksgefüge die drei Stände, den Nährstand, den Lehrstand und den Wehrstand, den Fahrstand. Also die Seßhaften, die Träger des Weistums und die Fahrenden. Letztere waren die ältesten Söhne der Seßhaften, die ausgesiedelt wurden, während die jüngsten den kommenden Nährstand bildeten. Die Lehrenden waren beweglich, und ein Teil von ihnen begleitete stets die Fahrenden. Darum zogen seinerzeit die Sachsen mit ihren Angeln nach Britannien. Das waren nicht zwei Völker, sondern eines, das seine Armanen, seine »Engel« mit sich nahm. Geordnete Auswanderung hat die Germanen zu der Großmacht gestaltet, die sie immer waren, die Rom stürzte und die heute die Welt beherrschen würde, wenn unsere Maßgebenden nicht römisch geblendet wären und das Volk vernichteten statt es zu pflegen.

Was nun an altem germanischen Wesen irgend zu erhalten möglich war, das beobachteten unsere Siedler triebmäßig. Sie zogen als Fahrende gemeinsam auf neues Land und nahmen dahin mit ihr bischen Weistum und richteten überall ihre Kirche, Schule und deutsche Sitte auf. Nicht zum letzten hielten sie streng auf Bewahrung des Blutes. Wenn ein Bursch oder Mädchen die Blutgrenze überschritt und eine Ehe mit Artfremden einging, der durfte sich schon, wenn nicht rechtlich, so doch wirklich als ausgestoßen ansehen. Blaues Blut, d. h. bewahrtes Blut, war auch armanische Ordnung. Es ist kein Wunder, daß diese im römisch regierten Deutschland abhanden kam. Das Blut redete nicht mehr, weil der Rassenbrei alles verschmiert hatte. Aber bei unsern Schwaben redete es noch. Sie waren den verderblichen Einflüssen des neunzehnten Jahrhunderts in ihren einsamen Steppen entrückt geblieben.

Und sie hatten sich recht nett vermehrt. Vor dem Kriege konnte man mit ein Paar Pferden vor dem Wagen über die Grenze Podoliens fahren und südwärts lenken nach Beßarabien, um das Nordufer des Schwarzen Meeres, um das ganze Asowsche Meer bis an den Kaukasus fahren, dann nordwärts wenden die Wolga hinauf und hinüberschwenken bis weit nach Sibirien hinein, aber jede Nacht konnte man in einem deutschen Dorfe ausspannen und mit deutschen Leuten das Nachtgebet sprechen. Aber die eigentliche Heimat ahnte davon nichts und kümmerte sich auch nicht drum. Gott sei Dank, daß die Ausgewanderten das Land nicht mehr beengten und die Beamten keine Papiere für sie auszufertigen hatten! So entsetzlich kann ein Volk verblöden, das sich von den Fremden und Feinden leiten läßt. Der heutige armselige Zustand unseres Vaterlands ist nur der sinnenfällige Ausdruck dessen, was schon lange war. Wenn man deutsches Wesen verstehen will, muß man nicht nach Berlin gehen, sondern in geschlossene Siedelungen im Auslande oder muß sich versenken in die Geschichte unserer Urahnen, die jetzt langsam wieder vor uns aufzudämmern beginnt, nachdem sie durch die List und Lügen der Fremden verschüttet war.

Unsere Urväter haben ihren Nachkommen nicht nur weise Lehren, sondern Kräfte vererbt, die immer wieder durchbrechen werden. Sie kamen unsern Siedlern in Rußland durch ihr Blut. Sie werden auch im Volke daheim wieder erwachen, und dann werden die gegeneinander Gehetzten sich wieder verstehen lernen und sich erkennen als Zusammengehörige, denn sie sind Deutsche und haben nur von Deutschen Kraft und Hilfe zu erwarten.

Abschluß der Kolonistenzeit

Ich habe 16 Jahre unter den Kolonisten in Südrußland gelebt. Es waren Jahre ernster Arbeit, aber auch tiefen Werdens. Schließlich hatte ich mein Krimmer Arbeitsfeld so in die Hand bekommen und geordnet, daß ich mir sagen mußte, jetzt bedarf es meiner nicht mehr. Es ist so eingerichtet, daß jeder es führen kann.

Mit den Kolonisten habe ich tief empfunden und alle ihre Gedanken nachgedacht. Die Beßarabier waren geistig sehr angeregt und sinnierten viel über religiöse Fragen, in der Krim war eigentlich der Weizen die alle Gedanken beherrschende Macht. Die Leute waren sehr kirchlich und machten eigentlich keine Not, aber ihre Interessen lagen so ausschließlich im Boden, daß der Verkehr nicht immer sehr anregend war. Die Beßarabier widersprachen mir nach Sektiererart in allen Stücken, die Krimmer gaben mir in allem recht. Jemand sagte einmal: Wir verstehen Sie oft nicht. Sie gehen dann in Fernen, wo wir nicht mitkönnen. Aber wir warten dann ganz ruhig, bis Sie wiederkommen. Diese Geduld war fast schwerer auf die Dauer als die ewige Ungeduld und Verteidigungsstellung, die die andern nötig machten.

Dazu kam noch eine Sorge, die mich je länger je mehr quälte. Ach wollte so gern frei sein und war's auch in einem Maße, wie es selten Menschen zuteil wird, die an anderen einen Beruf haben. Ich sah, wie meine Bauern den harten Kampf um die Unabhängigkeit so tapfer und erfolgreich kämpften. Schließlich ist doch der Bauer der einzige freie Mensch auf der Erde, der einzige, der wirklich von Gottes Gnaden ist. Unsere Fürsten waren es ja auch, aber die sind nun schon lange versunken und verjagt und können auch nicht wiederkommen. Das ginge gegen die Weimarsche Verfassung, und das wird wohl die Weltgeschichte nicht dulden.

Wie dem auch sein mag, der Bauer hat eine Größe in sich, die sonst niemand erreicht. Er weiß es nur nicht und ist oft auch deshalb unfrei, weil er in der Abhängigkeit von Wucherern ist. Aber an sich ist das Land das einzige Mittel, das die Welt bietet, frei und unabhängig zu werden. Darum hat das menschenfeindliche römische Recht das Land zur Ware erniedrigt. Bei unfern Vätern war es frei und volkseigen, und auf ihm konnte ein freies Geschlecht erwachsen.

Ich wußte das alles damals nicht so genau wie heute, aber ich fühlte es, und diese Empfindung formte sich bei mir zu der Frage: Was könntest du sein, wenn du kein Amt hättest? Ich sah unsere jungen Bauernsöhne mit einem gewissen Neide an. Viele reiche Bauernjungen hatten ein Weniges in unsern deutschen Schulen gelernt, die wir erhielten, um uns einen tüchtigen Nachwuchs für Volkslehrer zu sichern. Dann übernahmen sie unsere Schulen und waren wirklich Prachtlehrer, die Kinder und Volk verstanden, weil sie selbst im Volke wurzelten. Was ihnen an schulmeisterlicher Gründlichkeit abging, ersetzten sie durch Frische und Urwüchsigkeit, mit Lehrzielen und Vorschriften plagte ich sie nicht, und der russische Schulinspektor mischte sich auch nicht ein, seine Russenschulen standen so tief, daß er an den unsrigen nur froh sein konnte.

Aber diese Lehrer hatten meine Frage immer glänzend gelöst. Sie besaßen von Haus aus Land. Das arbeitete für sie, denn sie hatten es in Pacht gegeben, und wenn sie des Lehrens müde waren oder die Abhängigkeit von einer Gemeinde ihnen nicht mehr paßte, dann kündigten sie, gingen auf ihr Land und wurden Großbauern, nebenbei die tüchtigsten Kandidaten für jegliches Gemeindeamt. Wir sind sehr gut mit diesen Leuten gefahren, die gerade das waren, was uns nötig war. Es war wieder uralte Armanenweisheit, die unbewußt im Blute waltete, und es war eine Einheit von Glauben, Wissen und Rechtswaltung, bei der das Volk gedieh. Dorfschulprofessoren braucht das Volk ganz gewiß nicht. Sie werden nie Lebensförderer sein mit ihrem einseitigen Wissen. Die Zusammenarbeit mit meinen Schullehrern ist eine ganz köstliche Erinnerung. Ich glaube, in Deutschland gibt's das gar nicht. Seit dem Unglück von 1870 nicht.

Zuweilen veranstaltete ich Lehrerkonferenzen. Da hatte ich sie einen ganzen Tag um mich, ich erteilte ihnen Probelektionen, in denen sie antworten mußten wie kleine Kinder, und sie waren unbeschreiblich dankbar für das bischen pädagogische Wissen, das ich ihnen vermitteln konnte. Eine solche Konferenz erforderte nicht geringe Opfer. Jedem mußte doch ein Fuhrwerk zur Verfügung stehen, und manche konnten in einem Tage nicht zurückkommen. Aber die Gemeinden und die Lehrer waren stets zu solchen Opfern gern bereit. Wir arbeiteten in gegenseitigem Vertrauen und großer Freudigkeit. Es gab auch gelegentlich Differenzen, aber schließlich wurde doch die Autorität anerkannt.

Ich habe in der ganzen Krimmer Zeit nur einen Feind unter ihnen gehabt. Das war ein Frömmler, der sich auch sonst allerlei hatte zuschulden kommen lassen. Als ich auf Wunsch der Gemeinde sein Dorf besuchte, um die wider ihn eingegangenen Klagen näher zu prüfen, war er zufällig abwesend. Er kam aber während der Versammlung plötzlich ins Zimmer und erklärte unaufgefordert, daß er sein Amt niederlege. Da war die Untersuchung beendet. Die Bauern lachten und sagten: So schnell hat noch niemand einen Streit geschlichtet. Der Mann haßte mich aber seitdem und hat mir alle erdenklichen Schwierigkeiten bereitet. Es ist ihm aber nie gelungen, wirklichen Schaden anzurichten, obgleich er mich bis zum russischen Archirei hin denunzierte.

Aber meine Frage war immer nicht gelöst. Was kannst du sein, wenn du kein Amt hast? Oft erschien mir die Frage wie eine Versuchung. Heute weiß ich, wie tief berechtigt sie ist. Ich sage heute, es dürfte niemand ein Amt bekleiden, der nicht sonst die Möglichkeit hat, sich zu ernähren. Ist er vom Amte abhängig, so ist er kein freier Mann und kann nicht immer nach dem Gewissen handeln, sondern nach Schema und Paragraphen. Das ist aber undeutsch, unarmanisch.

Heute weiß ich das alles durch meine Beziehungen zum alten Armanentum, die ich in erster Linie Guido von List und seinen herrlichen Werken verdanke. Ich werde ihm nichts nachreden, habe ihn immer kritisch angesehen, aber er hat doch Wege gezeigt, die deutsches Denken außerordentlich befruchten können. Daß die offizielle Wissenschaft ihn totschweigt, daß die Deutschen diesen Mann verhungern ließen, beweist nur seine hervorragende Tüchtigkeit, mit der er wagte, Dinge auszusprechen, die die Zünftigen noch nicht gehabt hatten. Da ist immer wahrscheinlich, daß das neue Wahrheiten sind. Zünftige veralten ja in altem Ueberbleibselwesen.

Nun, die Lösung meiner Frage kam eines Tages mit einem lächelnden Gesicht, und ich glaube, der Leser wird mich auch auslachen. Er kennt wahrscheinlich armanische Gewissensnöte nicht. Mir kam's furchtbar einfach.

Ich lernte einen sterbenden Mann kennen, als für sein Leben keine Hoffnung mehr war. Er siechte dahin trotz der treuen Pflege seines Weibes. Aber in dem langsamen Sterben leuchtete ein wunderbares inneres Licht und machte meine Besuche bei ihm zu Feierstunden. Er wohnte weit weg von mir. Ein Besuch kostete zwei bis drei Tage. Die hatte ich selten zur Verfügung. Schließlich starb er in einem unbeschreiblichen Frieden, und wir standen wie von seinem Lichte übergossen an seinem Grabe. Er hinterließ keine Kinder. Da er selbst Angestellter war, änderte sich für die Witwe auch ihr ganzer Lebenszuschnitt. Da sagte sie zu mir: Sie haben ihn lieb gehabt, und ihm haben Sie auch wohlgetan. Ich werde Ihnen zur Erinnerung das Liebste schenken, was er außer mir hatte. Vielleicht können Sie's brauchen. Ich habe keine Verwendung dafür.

Da schickte sie mir – einige Bienenvölker. Ich muß offen gestehen, sie bereiteten mir zunächst einige schlaflose Nächte. Bienenvölker zu untersuchen, wo 50 000 wohlbewehrte Stachelinskis innen wohnen, von denen jeder fähig ist, einen für drei Tage verschwollen, also unsichtbar zu machen, das will gelernt sein. Ich entwarf ganz genaue Pläne, wie ich sie anfassen wollte, dann mußte alles schnell und ohne jede Nervosität gehen. Wenn Bienen sich aufregen, ist's gefehlt, und wer selbst aufgeregt ist, der regt sie auf.

Aber schließlich gewöhnte ich mich an meine neuen Pfleglinge, wenn's auch nicht ohne Stiche abging. Es waren Kaukasier, die im Rufe stehen, überaus sanft und gutmütig zu sein. Es ist etwas Großartiges um dieses Wunder der Natur. Die 50-80 000 Insassen eines strammen Volkes sind alle Einer Mutter und Eines Vaters Kinder, haben aber den Vater nie gesehen, da er auf der Hochzeitsreise starb. Die Mutter rief sie allein ins Leben. Dafür lieben sie sie bis zur Selbstaufopferung. Sie stechen nur, um das teure Leben der Mutter zu schützen, also nie auf der Weide, nur wenn der Stock berührt wird, und jeder Stich kostet ein Bienenleben.

Um jene Zeit machte ich die Bekanntschaft eines Jesuitenpaters. Er war ein begnadeter Bienenmeister. Ueber unserer gemeinsamen Liebe vergaßen wir alles Trennende. Was Menschen scheidet, ist ja gar nichts Wesentliches. Auf einer höheren Ebene werden die Gegensätze der niederen furchtbar klein, und die Menschen finden sich über dem Kleinlichen zusammen. Diesem Pater habe ich viel zu verdanken an Kenntnissen und Bienenerfahrung. Er hatte einen mustergültigen Stand von etlichen hundert Völkern, verkaufte mir einige und baute mir Bienenwohnungen. Er verstand auch die Schreinerei, und wer nicht selbst imkert, kann niemals Bienenwohnungen bauen.

Mit Bienenzucht kann man in der richtigen Gegend sehr viel verdienen und recht wohl ein einfaches Dasein bestreiten, wenn man die Sache versteht. Und ich lernte sie gründlich. Diese katholischen Bienen, wie sie mein Knecht nannte, waren zwar furchtbar stechlustig, echte Krimmer Rasse voll Feuer und Fleiß. Aber bald lernte ich sie gut verstehen. Sie stachen mich nicht mehr, und wenn sie's taten, schwoll ich nicht mehr auf. Ich war gegen Bienengift geimpft.

Da dachte ich: So, jetzt ist das Rätsel gelöst. Ich kann ohne Amt leben und brauche nie dem Brot zuliebe meine Ueberzeugung zu opfern. Ich bin kein Beamter mehr, sondern ein freier Mann, der seine Arbeit dem verschenkt, der ihrer wert ist, und gehen kann, wenn man seiner nicht bedarf.

Ein Stückchen Land hätte ich leicht gefunden. Man bedarf für Bienen nicht viel, weil sie die Tugend haben, andrer Leute Fluren abzustreifen, wo sie durch Befruchtung der Blüten nur Gutes tun. Sie verlangen nur für wenige Monate ernste Arbeit, und im Winter werde ich die Feder eintauchen und zu den Menschen reden, die auf mich ansprechen.

Der Pater lachte, als ich ihm das erzählte. Mit den Bienen im Rücken wollen Sie sich von Ihrem Konsistorium frei machen. Dann setzte er seufzend hinzu: Ich bin nicht so glücklich. Ich kann jeden Augenblick den Befehl bekommen, meinen Stab weiter zu setzen. Dann muß ich meine Reisetasche in die Hand nehmen und irgendwohin gehen. Was wird dann aus meinen Bienen? Einmal bat ich den Bischof um Gnade. Ich hatte schon früher einen großen Stand. Er aber antwortete: Wo bleibt der kanonische Gehorsam? Da mußte ich gehen. Und ohne Bienen kann ich nicht leben.

Kurz nach diesem Gespräch traf auch ein, was er gefürchtet. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Seine Bienen hat er seiner Wirtschafterin überlassen und vielleicht anderwärts einen neuen Stand gegründet.

Mir haben sie auch nicht gehalten, was ich mir von ihnen versprach. Sie hätten es tun können, wenn's nötig gewesen wäre. Als meine Kolonistenarbeit so weit gediehen war, daß ich überflüssig wurde, wandte ich mich mit meinem inzwischen gewordenen Kinderschwarm in die deutsche Heimat. Ich habe überall Bienen gehalten, aber sie gedeihen hier nur kümmerlich und ernähren keine Familie. Es ist zu kalt für diese Sonnenvögel. Man muß sie füttern, und damit schwindet jeder klingende Nutzen. Unsere schwäbischen Bauern hatten ein tief wahres Sprichwort, Bauernweisheit:

Wer Immen hat und Schafe,
Der leg sich hin und schlafe.
Nur nit zu lang,
Daß der Gewinn nit vergang.

Das ist wahr, wie alle Bauernweisheit. Mir blieb also nur die Feder. Aber die Freiheit habe ich doch erkämpft und genieße trotz aller Schwierigkeiten das einzige Gut, das der Planet wirklich birgt.

Bienen haben noch eine Eigentümlichkeit. Sie leben nur sehr kurz. Ein Bienenleben währt 21 Tage im Ei und Larvenzustand und kaum 28 Tage in der Sonne auf freier Bahn. Wenigstens im Sommer nicht. Nach einer Zeit von nur einem Monat herbergt ein Stock ein ganz neues Bienengeschlecht. Nur der ungeheuren Fruchtbarkeit der Bienenmutter ist der Fortbestand des Volkes sogar seine Schwärmfähigkeit zu danken. Und dann sagt man ihnen nach, sie vermöchten den Tod ihres Herrn nicht zu überleben. Das ist auch richtig. Wenn nicht ein Erbe an sie herantritt, der sie ebenso lieb hat, wie der Herr, müssen sie sterben. Ich war seinerzeit ein solcher Erbe. Mir waren sie ein teures Vermächtnis eines lieben Entschlafenen. Aber als ich selbst monatelang mit dem Tode rang, haben meine Bienen die Not nicht überlebt und den Genesenden umschwärmten sie nicht mehr. So wird es wohl auch bleiben. Auch ihr Beruf ist erfüllt.

Mich plagte übrigens noch eine Sorge. Bei dem Leben in und mit der Natur, das ich in der Steppe mehr als 1½ Jahrzehnte führte, quälte mich die große Unkenntnis, die ein armer Gelehrter und Altertumsforscher von der Natur hat. Ich lebte nun mitten in und von den großen Offenbarungen Gottes in der Natur und wußte eigentlich nichts Zusammenhängendes davon. Das drückte mich schwer, und ich beschloß, wenn ich erst freier wäre, Fehlendes irgendwie nachzuholen. Das ist wenigstens in beschränktem Maße gelungen. Als ich später nach Deutschland kam, stellte ich mich in eine akademische Giftküche und studierte Chemie. Der Stoff ist die Grundlage alles Seins auf diesem Planeten, ja in dieser ganzen stofflichen Welt. Ein Einblick in seine Geheimnisse lehrt anderes verstehen. Nun stellt uns freilich die Chemie vor immer neue Rätsel und Geheimnisse und sagt uns nicht, was der Stoff eigentlich ist, aber sie lehrt uns doch seine Naturgeschichte ein wenig verstehen und gewährt damit Fühlung mit dem wichtigsten Wissen der Menschen, dem Wissen um die Natur. Für diese kleinen Fingerzeige bin ich der Wissenschaft noch sehr dankbar geworden.

Das aber war mir ein dringendes Bedürfnis. Nicht umsonst hatte ich lange Jahre hindurch die Frage bewegt, was könntest du sein ohne Amt und Anstellung, und dabei ein Häuflein Kinder großziehen?

Vielleicht hält der Leser diese ganze Frage für Laune und Eigensinn. Aber mich beschäftigt die Frage heute noch. Sie ist mir Gewissensfrage geworden und nicht nur für mich, sondern für viele, auch wenn sie die Frage heute noch gar nicht in ihrer vollen Bedeutung verstehen. Aber man denke sich einmal den Zustand, wenn die große Masse unserer Volksgenossen oder wenigstens alle Denkenden unter ihnen sie gelöst hätten. Unsere Krimmer Volkslehrer ersetzten durch ihre Lösung den Mangel von vielen Kenntnissen, die heute für die Volksschule notwendig erachtet werden, und wurden außerdem für ihr ganzes Leben hervorragend tüchtige Volksgenossen. Sie waren stets fähig, feste klare Ueberzeugungen zu haben und zu vertreten und konnten ihrer Wahrheit leben. Wie wenige können das heute! Das ist ein Ducken und Schleichen, ein Schmieren und Kompromisseln, das sich mit eigentlich deutschem Wesen nicht verträgt. Diese schwere Not kommt nur her von der Ueberlegung: Gibst du deiner Ueberzeugung Ausdruck, der irgendwo und wie mißfällt, so ist's um dein Brot geschehen. Und das Brot, das uns nähren soll, wird zum Strick, der uns erwürgt.

Die Frage ist viel ernster, als die meisten ahnen. Sie ist eine Frage unseres ganzen Volks. Wir müssen als Deutsche alle freie Menschen werden, die klaren Ueberzeugungen folgen. Das schafft uns nur das freie deutsche Land.

Das Leben in der Freiheit

Es ist gar nicht so leicht in der Freiheit zu leben, wenn man sie sich täglich neu erkämpfen muß. Ich hatte mein Amt niedergelegt auf Grund einer inneren Weisung, die mir mein ganzes Leben hindurch Gesetz und Richtschnur war, der ich nie ungehorsam sein durfte. Es gibt Menschen, die zuweilen etwas tun müssen, was nicht alle verstehen und bereden können, die aber ihrer Sache gewiß sind und nicht anders können als ihrem Gesetz folgen.

Ich habe mein Amt sehr gern ausgeübt und hätte es aus bloßer Ueberlegung niemals aufgegeben, sondern wäre in den Sielen gestorben, hätte auch willig die unsagbare Not unserer Kolonisten, die 14 Jahre später hereinbrach, geteilt. Es gibt keinen schöneren Beruf als den eines Pfarrers. Er hat zu allen Leuten, ob sie in Hütte oder Palast wohnen ohne weiteres Zutritt, wenn es sich um die wichtigsten Lebensfragen handelt. Er teilt mit seinen Gemeindegliedern Freud und Leid wie in einer rechten Ehe, sieht seine Täuflinge heran, wachsen und seine Konfirmanden in die Ehe treten und tauft ihre Kinder in wenig mehr als einem Jahrzehnt. Es gibt keinen Anlaß, den er nicht mit dem Lichte des Wortes Gottes zu beleuchten Recht und Pflicht hätte, und niemand kann ein so freies Wort aussprechen wie er. Es ist auch offenbar, daß er zuweilen etwas sagen darf, was denen, die es angeht, ein Gotteswort ist, oft ohne daß er's weiß und wohl immer, wenn er's nicht beabsichtigt.

Sein Beruf nötigt ihn immerdar priesterlich vor Gott zu stehen, so unvollkommen er selbst ist. Sünden hindern dabei nicht, denn Gott hilft einmal den Sündern nur durch Sünder, nicht durch tadellose Heilige oder Engel. Darum belud sich der Weltheiland freiwillig mit den Sünden aller, um den Sündern zu helfen. Also kann auch der helfen, der mit eigenen Sünden beladen ist. Das brauchen die Menschen nicht zu wissen, aber ich wollte, alle Pfarrer wüßten es.

Dabei hindert das Leben gerade den Pfarrer vor jeder Ueberstiegenheit. Schätze sammeln kann er nicht. Er muß im Gegenteil der ernsten Not des Lebens ins Auge sehen, besonders wenn sein Haus mit einem Häuflein Kinder gesegnet ist. Das Teilnehmen an den Sorgen vieler macht ihn auch immer wieder bodenständig. Dadurch bildet sich eine Stellung aus, die ganz einzigartig ist. Es ist nicht allzuschwer, sich das Vertrauen einer einfachen Gemeinde zu erwerben, bei uns war's fast schwerer, es zu verlieren, als es zu gewinnen. Dadurch ist der Pfarrer der einzige Beamte, der wirklich Fühlung mit dem Volke hat. Was der Staat entsendet und einsetzt, dem steht das Volk fremd gegenüber, denn er ist selbst volksfremd, aber im Pfarrer, der seit Urzeiten bei den Deutschen der Heilswahrer ist, spürt das Volk ein Stück seiner eigenen Geschichte. Darum sind auch so viele Pfarrer aus dem Volke hervorgegangen oder aus bodenständigen Pfarrhäusern.

In der Krim herrschte ein prachtvolles Verhältnis zwischen den Gemeinden und ihren Pfarrern. Es gab natürlich zuweilen Zusammenstöße, wie sie in jeder Ehe vorkommen und überall zwischen Hirt und Herde, aber schließlich gewann doch immer das Ansehen des Heilswahrers den befriedigenden Ausgleich.

Ich führte mich damals ein mit den Worten des Apostels: »Gott hat uns nicht zu Herren über euer» Glauben gesetzt, sondern zu Genossen eurer Freude.« Dieses Wort des Paulus schwebte mir seit Jahren vor als kennzeichnend für die Stellung eines geistlichen Hirten. So haben wir auch gelebt. Nur habe ich unausgesetzt versucht, ihre höchste Freude, den Weizen, auf eine etwas höhere Stufe zu heben. Auf die Höhe, von der der Apostel redet. Es gelang nicht immer, aber doch zuweilen. Wo es nicht gelungen ist, hat der Weltkrieg seine bitterböse Predigt gehalten, und der ist durchgedrungen.

Ein kleines Erlebnis darf ich wohl anführen, weil es unsere Krimmer Bauern kennzeichnet. Ich hatte kurz vor meinem Weggang einmal an einer Hochzeitstafel eine etwas freiere Bemerkung gemacht, als sie sonst im heiligen Rußland üblich war. Da stand der reichste Bauer auf und sagte: Wäre ich der Kaiser von Rußland, so würde ich bestimmen, daß Sie auf der Stelle Rußland zu verlassen hätten. Ich antwortete, das werde auch ohne das geschehen, und die Sache schien erledigt zu sein. Zehn Jahre nach diesem Worte stand der Bauer in meinem Hause am Bodensee. Er sei in Karlsbad gewesen zur Kur und habe die Gelegenheit benützen wollen, seinen alten Pfarrer wieder zu sehen. Er war also mein sehr willkommener Gast. Da sagte er: Eigentlich führt mich etwas anderes her. Sie erinnern sich vielleicht meiner Aeußerung bei unserem letzten Beisammensein. Ich mußte herkommen, Sie deshalb um Verzeihung zu bitten, daß wir ganz einig sind, ehe ich sterbe. Er wird wohl den schweren Krieg nicht überlebt haben. Gott segne ihn und alle unsere armen Volksgenossen in der Ferne.

In Beßarabien war's ja anders. Dort regierte der Sekteneigensinn mehr als der Weizen. Aber das schadet auch nichts. Unter allem Sektierertum schlummert und pulst ein ehrliches ernstes Wollen. Wenn das nicht immer die rechten Formen findet, muß man damit Geduld haben. Dazu ist gerade der Pfarrer in seiner priesterlichen Stellung da, die Güte des Vaters über Gerechte und Ungerechte und Sonnenschein und Regen über Böse und Gute gleichmäßig walten zu lassen. Er wird auch niemals gefragt werden nach seinen Erfolgen, sondern nur nach seiner Haltung, ob man des Vaters Geist an diesem geistlichen Vater gespürt habe.

Nein, wer ein Pfarramt ohne ganz zwingende Gründe aufgibt, den verstehe ich nicht. Ich mußte es tun ohne irgend welche äußere Nötigung. Die Leute haben sich zwar den Kopf darüber zerbrochen und mir allerlei heimliche Schande und Laster nachgesagt, besonders die lieben Amtsbrüder, es war auch damals eine Denunziation im Gange, aber sie war längst im Sande verlaufen, als ich meinen Entschluß ausführen mußte. Eines wußte ich freilich dumpf und lastend, es würde ein sehr schweres Unglück über Rußland kommen. Ich wäre dem aber nicht ausgewichen. Ich glaubte später, es sei der japanische Krieg. Aber der berührte unsere Siedlungen ja gar nicht. Daß es dieses maßlose Entsetzen des Weltkrieges war, ist mir erst später deutlich geworden. Ja unsere Feinde haben mehr gelitten als wir und denen, die heute über ihren Lügensieg frohlocken, ist auch schon die Axt an die Wurzel gelegt. Deutschland hat ja den Krieg verloren, aber die anderen werden den Sieg verlieren, soweit es nicht schon geschehen ist.

Für die Meinigen war natürlich der Wechsel in mancher Beziehung gut. Wir hatten damals sechs unerzogene z. T. recht kleine Kinder, als wir die deutsche Grenze überschritten. Es war keine leichte Reise. Ich wußte wohl, daß ich so gehen mußte, aber wußte nicht wohin. Durch den Verkauf meines Hausrats hatte ich für einige Monate zu leben, wußte aber, daß ich kein Amt mehr suchen dürfe und hatte sonst nur meine arme Feder.

Es unterwinde sich niemand zur Feder zu greifen, um sich von ihr zu nähren, den nicht die Feder selbst ergreist und in ihre Hörigkeit zwingt. Die Feder ist das gefährlichste Werkzeug, das der Mensch besitzt und zugleich das unzuverlässigste. Sie kann auch ihren Führer in die Hand siechen und arbeitsunfähig machen. Der größte Tor ist der Autor, der nicht muß. Es gäbe viel Elend in der Welt weniger, wenn die Feder mit mehr Ehrfurcht und Zucht gehandhabt würde, als geschieht. In dem neuen Deutschland, das werden muß und wird, wird man mit volksmäßiger Selbstverständlichkeit die Federn beschneiden. Das Volk wird nicht frei werden, wenn den Federn keine Schranken gezogen sind.

Nun wer einen dunkeln Weg im Gehorsam geht, der findet auch irgend einen Fortgang. Es gibt auch nichts köstlicheres als gewisse Tritte tun zu dürfen in unsicheren Zeiten, in Zeiten, wo so vieler Weg vergeht. Das Leben ist wie ein Weg am Abgrund hin. Man kann jeden Augenblick hineinstürzen. Dennoch geht das Maultier immer an der Seite des Abgrunds, nie an der scheinbar sicheren Bergseite, und in der Regel gelingt, was man aus innerem Trieb ausführt.

Damals, am Anfange des Jahrhunderts, war in Deutschland noch die glückliche Zeit, in der es für jeden, der es begehrte, eine Wohnung gab. Warum heute die Wohnungen so peinlich fehlen, nachdem wir so viele Menschen verloren haben, ist mir völlig rätselhaft. Unsere derzeitigen Machthaber werden ja die Ursache wissen. Aber damals hatte ein Freund und Verwandter eine leerstehende prachtvolle Wohnung in Leipzig, die uns aufnahm, bis weitere Pläne gefaßt wären. Ich wandte mich aus alter Liebe nach Berlin, auch der Studien halber, vertauschte aber bald Berlin mit München. Berlin atmet eigentlich nicht deutschen Geist. Es ist sehr interessant, und ich habe es immer geliebt, aber mit einer Familie lebt man besser in München. In Berlin wurde man die Polizei nicht los. Immerfort gab's Erhebungen, Nachfragen und alles, was ödestes Amtsschimmeltum nur an Beunruhigungen der Menschen ersinnen kann. Es ist heute nicht behaglicher geworden. Ich gehe gern einmal hin, aber bann allein ohne Anmeldung und behördliche Weitläufigkeiten.

In München ließ man uns ruhig leben. Man spürt dort mehr deutsches Leben in bajuvarischer Eigenart und Behaglichkeit. Der Nord- und Mitteldeutsche lebt sich leicht im Süden ein. Der Bayer würde auch gegen den Norddeutschen nichts einzuwenden haben, wenn nicht eine bestimmte Sorte deutschfeindlicher Berufshetzer immer die Volksseele gegen den Norden aufstacheln würde. Wir kennen das. Es ist Mache vom Ausland her, das vor deutscher Einigkeit und Verbrüderung zittert.

Dieses Wesen wird versinken an dem Tage, an dem dem Deutschen die Augen aufgehen über sich selbst. Dann wird ihm das Vaterland mehr gelten als die Fremden, und dann wird Deutschland frei und wird wieder stark werden, wie es war vor dem Jahrtausend der Fremdherrschaft.

Auf unseren Wanderungen in Deutschland vermehrte sich auch unsere Kinderschar, so daß wir acht großziehen durften. Es ist nicht leicht Kinder zu erziehen und macht eine Mühe, der wir wohl heute beide nicht mehr gewachsen wären. Aber es ist auch nichts schöner als Kinder heranwachsen zu sehen, und der beste Nährboden für heranwachsende Kinder bleibt immer die heilige Armut, die sie an Arbeit und Kraftanspannung gewöhnt, die für den kleinsten Festglanz, den Eltern ausbreiten können, herzliche Freude empfinden lehrt und vor mancherlei häßlichen Nebenwegen bewahrt. Wer das große Glück hatte, in bescheidenen Verhältnissen aufzuwachsen, wird's mir bestätigen. Es gibt natürlich neben der heiligen Armut auch eine dreckige, die das Leben überaus bitter macht. Nicht immer ist sie selbstverschuldet aber doch häufiger als man glaubt. Wenn das höchste Gut eines Hauses nach außen Freiheit, nach innen Friede ist, ist alles andere mindestens erträglich, meistens sogar nicht ohne Reiz und erquickend.

So sind auch unsere Kinder aufgewachsen, und zwei Söhne haben mit Freude und Begeisterung als deutsche Helden ihr Leben für das Vaterland hergegeben. Das Opfer wird nicht umsonst sein. Das Blut unserer Helden wird zu Kindern und Enkeln reden, denn es ist deutsches Blut, das die Gabe hat, sich vernehmlich zu machen, und es wird noch deutlicher reden als die bezahlten fremden Hetzer es je vermögen und vermuten. Sie werden noch erbeben vor ihrer Blutschuld und alle mit, die die deutsche Schuldlüge gelogen und aufrecht erhalten haben.

Nach zehnjährigem Wandern gelang es uns am Bodensee in einem eigenen, selbst erbauten Hause und Anwesen in Deutschland bodenständig zu werden. Wer im Boden wurzeln darf, überkommt ein großes Gut, das heute leider seltener geworden ist. Aber es ist der natürliche, von Gott gewollte Zustand, der den Menschen aus der Erde hervorrief und für die Erde bestimmte. Auch unser Volk wird erst dann genesen, wenn es wieder bodenständig wird, wenn jeder Deutsche Recht an deutschen Boden hat. Das Land muß volkseigen sein wie die Luft und das Wasser und darf nicht Ware werden, wie das feindliche römische Fremdenrecht bestimmt, sondern muß nach dem alten heiligen deutschen Recht Eigentum des deutschen Volkes sein. Dann wird unser Volk gesund sein.

Zum Buch der Ehe

In der Münchener Zeit bat mich der befreundete Verleger der blauen Bücher meine Gedanken über Kindererziehung und Ehe schriftlich niederzulegen. Es waren keine Gedanken, sondern Erlebnisse. Ich hatte schon damals eine Silberbraut, der ich das Ehebuch zueignen konnte.

Wenn ich heute zurücksehe auf die herangewachsenen Kinder und die Ehe, die sich der Vollendung des vierten Jahrzehnts nähert, hätte ich nichts zurückzunehmen, wohl aber manches hinzuzufügen.

Der Wert einer Ehe wird erst deutlich, wenn man das Glück hat, sie lange zu führen. Eine Ehe läßt sich an wie ein wilder Gebirgsbach. Er führt zahlloses Geröll und Gestein mit sich im trüben Wasser, aber nur er vermag den stillen, tiefen, klaren Gebirgssee zu bilden, der seine Vollendung ist und die schönste Zierde der Landschaft. An der Ehe sieht man ganz deutlich, was man als Verbündeter des Christus unbedingt festhalten muß, daß alles Körperliche fähig und bestimmt ist als Unterlage für reines Geistwesen zu dienen. Das Heilige des Geistes will sich unter allen Umständen im Stoffe darstellen und zum Ausdruck bringen.

Nicht umsonst sind die beiden ersten und einzigen Gebote, die Gott den eben gewordenen Menschen einprägte, diese: Seid fruchtbar und mehret euch, und – ihr sollt essen. Daß das Essen der feierlichste Gottesdienst sein kann, hat uns Jesus gezeigt und – gegeben, daß das Geschlechtsleben es sein kann, sollen die Menschen, die mit Ihm verbündet sind, dartun. Das geschieht für die Welt am deutlichsten in einer langen Ehe, die schließlich ausmündet in eine Offenbarung reinen Geistes.

In der rechten Ehe gibt's kein Abnehmen, wenn die Körperkräfte nachlassen sondern nur ein Zunehmen nach Reinheit und Geist, eine Verklärung des Lebens in dem göttlichen Wesen der Liebe. Solche Ehen gibt es auf der Erde. Wahrscheinlich könnte jeder Leser solche namhaft machen. Das ist ein Hauch ewigen Lebens, ein Vorgeschmack des Zustandes zwischen Mann und Weib, in dem Freien und Freienlassen nicht mehr notwendig ist sondern unmittelbar ohne sinnliche Zwischenstufe gehoben wird auf eine Stufe der Gemeinschaft, deren Innigkeit und Zartheit nicht in Worten auszusprechen ist.

Wir dürfen ja nicht glauben, daß uns das Größte und Schönste des irdischen Lebens genommen wird, ohne einen überschwänglich reichen Ersatz. Heute schon fühlen sich Liebende in einem Zustande von Seligkeit, sie empfinden Seligkeit, auch wenn es nur ein Rausch ist, der vorüberbraust. Aber welche echte und ewige Seligkeit das Männliche und das Weibliche im Zustande des reinen Geistes erwarten, das ist noch in keines Menschen Herz gekommen, kann aber von weitem erahnt und erfühlt werden gerade an dem Verkehr der Geschlechter. Denn wenn uns auch gesagt ist, daß Freien und Freienlassen aufhören soll, so ist uns doch nicht gesagt, daß das Männliche und Weibliche selbst aufhören soll. Es wird doch das Licht nicht aufhören, also auch nicht das Plus und das Minus, nicht das Positive und das Negative, also auch nicht Mann und Weib. Sie werden aber Einheit werden in dem neuen Zustand des neuen Menschen im Christus. Das und nichts anderes meint auch Paulus in seinem bekannten Wort: »Hier ist nicht Mann noch Weib, ihr seid allzumal einer im Christus.« Er will damit nur sagen, was wir heute als Christen nicht mehr verstehen können, daß in der damaligen Gemeinde das Neue bereits angefangen hatte. Es hat nur leider keine Fortsetzung gefunden. Trotzdem bleibt es Eigentum und Erbe der Menschen, die es gewiß überkommen werden.

Wer das Natürliche mit heiligen Augen betrachten kann, sieht übrigens auch jetzt schon zwischen Mann und Weib die Keime des Neuen. Das Weib, auch wenn es die Annäherung eines Mannes duldet, gibt sich ihm doch nicht ohne weiteres, sondern wehrt sich gegen sein heißes Werben mit aller Macht. Die Natur verlangt das so. Sie will den Schwächling zurückweisen. Das Weib will und darf nur des Stärkeren Eigentum und Besiegte sein. Es soll ja das Geschlecht stark erhalten und womöglich veredeln. Daher ihr angstvolles Widerstreben. Aber je heftiger sie widerstrebt, desto mehr feuert sie ihn an, desto beglückender ist sein Sieg.

Aber mit diesem Sieg ist kein Ziel gegeben, sondern der Zustand drängt unaufhaltsam vorwärts. Der Mann verlangt, meist ohne es klar zu wissen, einen Siegespreis. Er sucht den Menschen, das Weib, die Freundin. Er findet sein Ziel in der nun erst erwachenden tiefen Glut des Weibes, die sich gegenüber dem Manne als überströmende Innigkeit und Zärtlichkeit und unermüdliche Vorsorglichkeit, gegenüber dem Kinde als heilige Mütterlichkeit offenbart, und zwar von seinem ersten Werden an. Sie entfaltet erst als Weib ihre ganze Tiefe und Kraft und zeigt das ewig Weibliche, das uns hinanzieht, also weit über alle Sinnlichkeit hinaushebt.

Diese Offenbarung der echten Weiblichkeit, die eigentlich in jedem Weibe schlummert, ist der Keim des Neuen, und das sucht, wenn auch oft ganz unverstanden, der Mann eigentlich. Damit aber wird das Weib aus seiner Besiegten zu seiner Königin, die aus schier unerschöpflicher Fülle ihre Schätze und ihre liebenswürdigen Heimlichkeiten immer aufs neue überraschend austeilt und den ehemaligen Sieger an sich – fesselt und kettet. Das sieht man heute schon. Das echte Weib, die Offenbarung wahrer Weiblichkeit, übt auf das Tun und Denken des Mannes den maßgebenden Einfluß aus. Wie er sie körperlich befruchtet, so befruchtet sie ihn geistig, und das ist der wunderbare Einklang zwischen Mann und Weib, dem ihre Geister zustreben über alle Sinnlichkeit hinaus.

Natürlich kann auch der andere Fall eintreten, daß der Mann statt Glut und Zärtlichkeit zu finden, sich in ihren Armen erkältet, weil sie ihre Weiblichkeit nicht entfalten konnte oder wollte. Dann greift zwischen beiden statt der Seligkeit der Ueberdruß oder die Gleichgültigkeit Platz, und der eisige Hauch des Hades überkommt die zarten Keime ewigen Lebens. Zuweilen ist's sogar ein Glück, wenn solche Verbindungen gelöst werden. Es bleibt aber sehr fraglich, ob so tiefe Wunden in einer neuen Verbindung ausheilen können. Kann das Zusammentreffen von Mann und Weib das größte Glück des Daseins sein, so wird es auch unter Umständen zum herbsten Leid.

Wenn dieser Fall eintritt, so gibt's eigentlich nur ein Mittel, ihn zu heilen. Die beiden müssen willig werden, dieses herbe Leid in Treue und Gehorsam gegen Gott zu tragen und im Glauben aneinander festzuhalten. Das Leben steht ja nie stille, und kein Hades ist imstande, die Keime ewigen Lebens zu zerstören. Er kann sie höchstens verschütten. Sie können aber immer wieder zum Leben erwachen und tun es zuweilen in einer langen Ehe. Die Verbindung von Mann und Weib ist Gottesdienst, also muß sie münden können in ewiges Leben. Durch erlebtes und getragenes Leid wird die Freude und Seligkeit nur vertieft und erhöht zugleich. Leidtragen ist der höchste Gottesdienst. Darum sagte Jesus: Die da Leid tragen sind selig.

Es soll also niemand verzagen, und die Leute handeln töricht, die vor der Zeit auseinanderlaufen und sich in unüberwindliche Abneigung hineinsteigern. Wer weiß, ob ihr nicht gerade damit das eigentliche Glück verscherzt. Wäret ihr ruhig in eurem Hades geblieben, so hättet ihr eure Ehehölle vielleicht überwunden und in Sieg und Seligkeit verkehrt.

Es ist daher nicht so wichtig, wer miteinander in eheliche Gemeinschaft tritt. Leibliche Gesundheit müssen sie allerdings mitbringen, sonst ist Kinderzeugen ein schweres Verbrechen. Aber auf diesem natürlich gegebenen Boden können sie mit oder ohne vorherige Liebe ihre Ehe schon wagen. Wichtig ist nur, wie sie miteinander leben und sich zueinander stellen lernen. Die lange Ehe ist die Quittung für ihre innere Treue. Eheliche Treue ist nichts Aeußerliches, wie viele glauben, sondern eine tief innerliche Freundschaft, die auf dem Erlebnis des ewig Weiblichen ruht und durch Zwischenfälle irgendwelcher Art gar nicht gestört werden kann. Wenige wissen das.

Ich habe als Verfasser des Ehebuchs in zahllose Ehen hineinsehen müssen, habe sogar zuweilen den Rat der Lösung gegeben. Auch von vielen Außerehelichen bin ich oft um Rat angegangen worden. Die Geschlechtsfrage lastet oft drückend auf den Menschen, die ja alle unter dem heiligen Schöpfungsgebot stehen. Wer die Leute sind, weiß ich nicht, denn ich verbrenne grundsätzlich jeden einigermaßen verfänglichen Brief nach seiner Beantwortung. Ich merke auch ihre Namen nicht. Sie bleiben mir außer ihren ausgesprochenen Nöten gänzlich unbekannt, und das muß so sein. Aber trotz aller Zufälle, die ich sah, und die vor mich gebracht wurden, bin ich niemals irre geworden an den Wahrheiten, die mir das Leben offenbart hat, wenn ich das Letzte auch nicht veröffentliche.

Natürlich ist es nicht allen Menschen gegeben, zur rechten Zeit in die Ehe zu treten. Aber auch diese tragen an ihrem Leibe die Wahrheit des Schöpfungsgebots an sich. Wenn Männer ohne körperliche Gebrechen oder übermenschliche Pflichten ehelos bleiben, werden sie meistens gegen das Alter hin aushäusige Sonderlinge. Sie verschmutzen auch leicht.

Anders ist es bei Frauen. Sie sind ja der leidende aber auch, wie wir sahen, der gebende Teil. Sie verlieren eigentlich nie, auch nicht auf schweren Abwegen, den Lebenskeim wahrer Weiblichkeit, mag er noch so verschüttet sein. Darum vermögen sie diesen auch außer der Ehe in allerlei Werken der Liebe und Freundschaft, die ihre innere Wärme und Herzensgüte bezeugen, zur Entfaltung zu bringen. Sie können auch Mütterlichkeit beweisen, ohne Mütter zu sein. Darum behalt auch in der Regel die ehelose Frau bis zu ihrem Lebensende das Kennzeichen der Reinlichkeit, zuweilen sogar der übertriebenen.

Wenn sich ehelose Frauen durch langes Uebersehen-werden nicht verbittern lassen oder sich nach anfänglicher Verbitterung wieder finden, vermögen sie noch in reifen und überreifen Jahren zu fesseln und wahre Freundschaft zu gewähren. Vielleicht hat große Trübsal sie besiegt; unter Umständen können sie gerade deshalb als Königinnen walten. Aus der Geschichte unseres Volkes kennen wir die Namen eheloser priesterlicher Frauen, die weithin wirken dursten. Vor der Veleda hat sogar Rom gezittert.

Eine Erkenntnis möchte ich noch hinzufügen, die mir immer deutlicher geworden ist, und die ich nicht den einzelnen, sondern dem ganzen Volke ins Gewissen schreiben möchte.

Die eigentliche Weisheit über die Ehe, die in der Bibel nur leicht angedeutet ist, war Besitz und Erbe unserer Urväter. Das Wort »eh« war eines der fünf heiligen Wörter bei den Urdeutschen und bedeutet neben der Ehe auch das Recht. Darin liegt ausgesprochen, daß alle Rechtszustände, also der Verkehr der Menschen untereinander, der Familien und Sippen, die Gemeindeordnung, Landesordnung und der Staat gegründet sein müssen auf die Ehe, wenn ein Volk in gesunden Umständen leben will. Die Ehe ist die Keimzelle jeden menschlichen Rechtszustandes.

Die Kraft unserer Väter lag in der Heilighaltung ihrer Ehe. Das war's ja, was die Verwunderung der römischen Skribenten, die sich das einfach nicht vorstellen konnten, so erregte. Das war's auch, was den Vätern die Kraft gab, das römische Weltreich umzustoßen. Leider haben sie sich dabei besudelt und statt des »Eh«-Rechts das römische Un-Recht überkommen. Daran ist letztlich Deutschland zusammengebrochen.

Wollen wir das Vaterland wieder aufbauen, so brauchen wir uns nicht darum zu sorgen, daß wir wie Novemberlinge die auslaufende Spitze ändern und wunder meinen, was damit gewonnen ist. Das was oben ist, ist nicht so wichtig. Der neue Grund muß unten gelegt werden. Es ist die Würdigung der Ehe, das ist die rechte Würdigung von Mann und Weib und eine um Sternweiten höhere Ehrung des Weibes als der blödsinnige Stimmzettel. Es ist auch die Heilighaltung der Ehe, daß sie fähig wird hinauszuwachsen in ihr eigentliches Gebiet, den Geist der Reinheit und Treue. Den Anfang dazu kann jedes Ehepaar machen im Heiligtum seines Hauses. Jedes kann werden zur Keimzelle des neuen Deutschlands und damit zu einem Kraftleiter für das Volkswohl.

Dazu bedarf es keiner Vereins- und Bündegründung, auch keines Zeitungsgeschwätzes, keiner Tintensudelei und behördlicher Zustimmung. Die rechte, heilbringende Verbindung ist bereits fix und fertig. Es ist unsere Ehe. Die deutsche Ehe muß und wird kraftzeugend das neue Deutschland gebären.

Der Mensch muß in seinem Leben vier wichtige Hauptwörter erlernen. Das erste füllt den ersten Lebenskreis aus und heißt: Ich. Es erfüllt die Zeit der Milchzähne. Manche lernen keines dazu.

Das zweite ist das Geheimnis der Jahre der Entwickelung, die Zeit des Wachsens der zweiten Zähne, und heißt: Du. Da geht dem Menschen das Wunder des andern Geschlechts auf.

Das dritte kommt in der Reife des Lebens, im heißen Schaffen und Ringen im Beruf zwischen dem zwanzigsten und etwa vierzigsten Jahre. Es heißt: Wir, und bedeutet die heilige Ehe.

Das vierte werde ich öffentlich nicht nennen. Die heutigen Menschen können es in ihrer Hauptmasse noch nicht verstehen. Es wird aber offenbart werden zu seiner Zeit.

   

Alle diese und noch andere Fragen haben mich bewegt, während des Lebens in der Freiheit. Ich habe in aller Stille und Zurückgezogenheit in Deutschland gelebt und, da mich niemand brauchen konnte, ich auch meistens in die Kreise der Gebundenen als Freier nicht heineinpaßte, habe ich wenigstens mit inniger Teilnahme alle Vorgänge der Zeit und des Vaterlandes miterlebt. Es muß auch Menschen geben, die denken. Denen ist dann zuweilen vergönnt, hier und da jemandem ein Wörtchen zu sagen, für das er dankbar ist. Das durfte ich auch, und wenn ich heute im Alter an mein Leben zurückdenke, bin ich dankbar, daß es so reich war, wenn man den Reichtum auch nicht börsenmäßig berechnen kann. Es gibt doch Schätze, die die Diebe nicht finden, und mein größter Wunsch ist, daß sie in unserem Vaterlande gesammelt würden. Ein Leben in der Stille hat größere Reize als die meisten ahnen und verläuft nicht einmal nutzlos für die Zeitgenossen.

Meine Kolonistenjahre hatten aber neben der ernsten Arbeit noch einen anderen Inhalt. Soviel man davon erzählen kann und den Zeitgenossen vielleicht nütze ist, mag im folgenden dargelegt werden.


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