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Vierzehntes Kapitel.

Wie ist Ihrem Vater der gestrige Ausgang bekommen?« fragte der Doctor am nächstfolgenden Tage Friedrich, als er ihm zufällig auf der Straße begegnete.

»Haben Sie ihm auszugehen erlaubt? Ich war nicht bei ihm und wußte Nichts davon.«

»Es handelte sich um eine Bestellung, – ich glaube sogar im Heidenbruck'schen Hause, – auf die er Werth zu legen schien, und da das Wetter warm ist, so ließ ich ihn gehen, denn das Bewußtsein, wieder arbeitsfähig zu werden, wird ihm gut thun.«

Der Doctor verließ ihn, um noch einen Kranken zu besuchen, und Friedrich schlug den Weg zur Wohnung seiner Eltern ein, weil es ihn zu erfahren drängte, was es mit der Bestellung aus dem Heidenbruck'schen Hause auf sich habe. Je länger er darüber nachdachte, um so fester überzeugte er sich, daß Helene die Veranlassung zu diesem Auftrage gewesen sein müsse, daß sie bereue, den Liebenden gekränkt zu haben, und er war nur zu bereit ihr zu verzeihen, ihr zu danken, daß sie daran gedacht, seinem kranken Vater die Hülfe zu gewähren, die ihm allein willkommen war.

Auch lag es wie neuer Sonnenschein über der Wohnung seiner Eltern. Die Mutter hatte das Ausgehen des Meisters dazu benutzt, das Krankenzimmer recht zu lüften, die Fenster zu waschen, frischen Sand über den Boden zu streuen und ein paar grüne Reiser, aus dem Garten einer Nachbarin gepflückt, hinter dem Spiegel und an den Bettpfosten zu befestigen. Das todte Ansehen der Werkstatt war verschwunden. Der Bursche trug Bretter herzu, der Meister stand auf dem gewöhnlichen Platze und hatte, wenn auch noch mit unsicheren Händen, die Arbeit wieder angefangen. Freundlicher als jemals klang sein »guten Tag, Fritz!« dem Sohne entgegen und mit einem: »nun soll's wieder losgehen!« reichte er ihm die Hand, als wolle er ihm für seine Hülfe danken und ihm die Zusage geben, sie fortan nicht mehr zu bedürfen.

»Sie sind ausgewesen, Vater, und haben Arbeit bekommen?« fragte Friedrich.

»Du bist wohl dort gewesen?«

»Nein! der Doctor sagte es mir!«

»Es sind hübsche Leute!« meinte der Vater, der eben so viel Neigung zur Mittheilung hatte, als der Sohn zu hören, »und sie sind nicht stolz. Ich wurde gleich eingelassen, ich sollte mich setzen, sagte sie, weil sie grade schrieb, da konnte ich sie mir besehen!«

»Wen konnten Sie sehen?« fragte der Sohn mit klopfendem Herzen,

»Die alte Baronin! aber sie war bald fertig und –«

»War sie allein im Zimmer?« fiel ihm Friedrich in das Wort.

»Die Fräuleins waren auch da, die Eine malte und ich glaube die Andere las. Die Alte aber sagte, als sie fertig war und ich aufstehen wollte, ich sollte nur sitzen bleiben, sie hatte von meiner Krankheit gehört. Ich sagte: man sieht's mir auch wohl noch an! – Ja! meinte sie, und wenn ich gewußt hätte, daß Sie noch so schwach sind, so hätte ich gewartet. Kann man Ihnen denn mit gar Nichts helfen? Da habe ich gedankt und habe gesagt, mein Sohn hat's mir an gar Nichts fehlen lassen, und Sie werden ja gehört haben, daß er den Preis bekommen hat. – Ihr Sohn? fragte die eine Tochter, als wenn sie mich nicht kennte.«

»Welche Tochter fragte das?« rief Friedrich.

»Die an der Staffelei! – Ja, sagte ich, er geht ja hier ein und aus! und die Alte sagte: es ist der Meister Brand, der Vater von dem jungen Brand!«

»Und was that sie darauf?« fragte der Jüngling ungeduldig.

»Sie sagte mir, sie wolle neue Schränke gemacht haben, Kienholz wie Eichenholz gestrichen, rund um ihre Vorrathskammer.«

»Und fragte Niemand nach mir?«

»Kein Mensch! – sie sagte, ich sollte Maß nehmen und das Abliefern hätte Zeit bis sie vom Lande kämen!«

»Gehen sie aufs Land?«

»Sie müssen doch wohl! und als sie gar Nichts vom Preise sprach, da fing ich davon an. Sie meinte aber, umsonst könnte Niemand arbeiten und sie wüßte, ich würde sie nicht übertheuern. Da können Sie sich drauf verlassen! sagte ich –«

»Und sprach die Tochter Nichts mit Ihnen?«

»Welche Tochter?«

»Die an der Staffelei!«

»Gott bewahre! kein Sterbenswort. Sie hatte aber Alles liegen lassen und sah mich immer an, und die Andere auch; und da ich merkte, worauf das ging, so sagte ich: Sie denken wohl auch, wie kommt der zu so'nem galanten Sohne? aber ich hab's ihn Alles ehrlich lernen lassen, durch meiner Hände Arbeit!«

»Was erwiderten sie darauf?«

»Die Alte sagte: das ist sehr brav von Ihnen, und Ihr Sohn macht Ihnen alle Ehre, Sie werden einmal eine rechte Stütze an ihm haben, und was wir zu seinem Fortkommen thun können, das soll gewiß geschehen! – Ich hatt's schon auf der Zunge zu sagen, Du würdest Dir wohl selber helfen, aber ich dachte, wozu? und sagte: wenn sie einmal eine Pfarre auf ihren Gütern hätten, so würden sie wohl nicht Viele kriegen, die es besser machten als Du, und dann könnten wir zu Dir ziehen, ich könnte draußen arbeiten und es wäre uns dann Allen geholfen. Sie hörten mir so zu, daß es mir, ich weiß nicht wie, vom Herzen ging, und sie waren ordentlich gerührt davon. Die an der Staffelei fing mitten drin zu weinen an und ging hinaus!«

Friedrich hörte Nichts weiter, nicht wie der Vater die Maße genommen, nicht wie die Baronin befohlen, ihm ein gutes Frühstück zu geben, denn alle seine Gedanken weilten bei Helene. Er mußte wissen, weshalb sie geweint, weshalb sie das Zimmer verlassen und nicht mit seinem Vater gesprochen hatte?

Und doch waren ihr Schweigen, ihre Thränen nur zu erklärlich. Mit sich selbst beschäftigt, achtlos auf die Vorgänge um sie her, hatte sie, als der Tischler von seinem Sohne zu sprechen angefangen, plötzlich emporgesehen und ihr Blick war auf den kranken finsteren Greis gefallen. Er hatte Kopf und Ohren mit einem blauen Leinwandtuche umbunden, aus dem das knochige Gesicht und die dunklen hohlen Augen gespenstisch und doch hart hervorsahen. Der lange blaue Ueberrock war ihm zu weit geworden, die schwieligen Hände hielten einen abgetragenen Hut, und jener Dunst, der sich aus den schlecht gelüfteten Zimmern der Armen an ihre Kleider heftet, erfüllte, seit er eingetreten, das Gemach.

Wie ein scharfer Schmerz fuhr der Gedanke durch Helenens Seele: »das also ist sein Vater!« So ganz den niederen Ständen angehörend, hatte sie ihn sich nicht vorgestellt. Die rauhe Stimme, die Ausdrucksweise, das ganze Behaben des Meisters, dies Gemisch von Unterwürfigkeit und trotzigem Selbstgefühl wurden ihr um so abstoßender, je mehr sie sich dieselben in irgend einer Beziehung zu sich dachte. Zu diesem Manne, zu einer ihm ähnlichen Frau in kindlichem Verhältnisse zu stehen, ihn Vater zu nennen, kam ihr unmöglich vor. Sie beklagte und bewunderte den Geliebten, ohne daß es sie milder gegen seinen Vater stimmte, und dieser Zwiespalt ihres Empfindens ward zuletzt so qualvoll, daß sie, wie der Meister berichtet, in Thränen das Zimmer verlassen hatte.

Aber die Einsamkeit ihres Gemaches minderte das Leiden nicht. Sie zürnte ihrer Mutter, daß sie den Vater des Geliebten benutzt habe, sie von diesem zu entfernen, sie nannte es grausam und herzlos, und doch erschrack sie vor dem Gedanken, daß dieser alte Mann ihr hätte begegnen können, wenn er bereits Rechte an sie geltend zu machen gehabt hätte. Sie konnte mit solchen Menschen nicht leben. Wie hatte Friedrich ihr, der edel Gewöhnten, solch selbstsüchtige Zumuthung zu machen wagen dürfen? »Aber hat er nicht in ihrer Mitte gelebt? hat er sich nicht schön und hoch entwickelt neben diesen Eltern? und sollte ich das nicht auch vermögen?« fragte sie sich, während sie immer wieder angstvoll zusammenschrack bei der Vorstellung, als dieses Meisters Schwiegertochter, mit ihm und seiner Frau Verkehr haben zu sollen.

Unzufrieden mit sich selbst, unfähig, zu einem Entschlusse zu gelangen, und doch nahe genug daran, denjenigen zu fassen, vor dem ihr Herz sich sträubte, so traf sie die Baronin.

»Hast Du mir Nichts zu sagen?« fragte sie, während sie der Tochter liebevoll die Hand gab.

»Ich kenne mich selbst nicht mehr!« antwortete diese, »der alte Mann war mir entsetzlich! und er ist doch so achtungswerth und brav!«

»Friedrich bedarf aber einst einer Frau, welcher seine braven Eltern, die ihm mit so schweren Opfern seine Bildung möglich machten, nicht entsetzlich scheinen!« sagte die Baronin, während sie sich setzte und Helene zu sich hinabzog, deren Nacken sie mit ihrem Arm umschlang. »Willst Du ihn und die Seinen unglücklich machen, zum Lohn für seine Liebe?«

Helene schüttelte schweigend das Haupt und sah sinnend vor sich nieder, da ergriff die Mutter ihre Hand und sprach: »Wenn der Himmel einem Jünglinge wie diesem Friedrich wohl will, so sendet er ihm früh ein Ideal, ihn vor dem Niedrigen zu hüten, ihn zu dem Höchsten hinzuführen – und wehe ihm, wenn er's herabzieht in die Niedrigkeit der Erde. Bewahre ihn vor diesem Elend meine Tochter!«

»O! daß ich's könnte! daß ich ihn glücklich machen könnte!« rief Helene.

»Du kannst es, und Du sollst es thun, mein Kind! Nimm ihm die Möglichkeit, Dich und Dein Leben durch niedrige Alltäglichkeit zu profaniren. Bleibe ihm unerreichbar als Bild der reinsten, höchsten Weiblichkeit, und er wird sein Jugendideal treuer, anbetender lieben durch sein ganzes Leben, als eine durch ihn aus ihrer Sphäre herabgezogene und in seinem Hause unglückselige Frau. Entsage ihm, um Dich ihm zu erhalten!«

Und wortlos auf das Knie sinkend vor der Mutter, reichte Helene ihr die beiden Hände hin zum feierlichen Versprechen des Gehorsams, das sie mit ihren Thränen besiegelte.

Die Baronin gönnte ihr Zeit zur Sammlung, dann überließ sie sich der Freude, sie mit sicherer Hand vor einem Schritte bewahrt zu haben, den sie der Tochter so verderblich glaubte. Sie eilte, dem Baron Helenens Einwilligung zu melden; die Nachricht der Verlobung brachte das ganze Haus in freudige Bewegung. Der Vater, die Geschwister, die Dienerschaft, bei welcher der freigebige Graf in gutem Gedenken lebte, drängten sich glückwünschend heran, nur Cornelie sah sorgenvoll auf diese Zeichen der Zufriedenheit und drückte leise der Schwester Hand, die, wie von einem Traume befangen, Alles um sich her geschehen ließ und sich fast willenlos in Alles fügte, was man von ihr begehrte.

Wahrend sie dem Grafen schrieb, sie sei bereit ihm zu gehören, und Erich auf des Vaters Wunsch die Verlobung der Schwester dem Onkel meldete, trat Friedrich in sein Zimmer, befangen durch die innerliche, wenn auch nicht ausgesprochene Verstimmung zwischen den beiden Freunden, aufgeregt durch den Gedanken, die Geliebte wiederzusehen. Aber Erich bemerkte davon in seiner Freude Nichts, und dem Kommenden die Hand zum Gruße bietend, sagte er mit Herzlichkeit: »Du kommst zu guter Stunde!«

»Ist Dir ein Glück begegnet?« fragte Friedrich. »Du leuchtest vor Zufriedenheit!«

»Ja! Helene hat sich mit dem Grafen St. Brezan verlobt!«

»Nein! nein!« rief Friedrich und hielt sich erbleichend an dem Tische, neben dem er stand.

»Um Gotteswillen! was hast Du?« fragte sein Freund und blickte ihn angstvoll an.

»Sage nein! sage nein!« wiederholte der Bebende und preßte seine Hände gegen seine Stirn.

Erich schwieg. Es war eine Weile ganz still in dem Gemache, dann ergriff er Friedrich's Hand, und sagte leise: »Armer Freund!«

Er erhielt keine Antwort. Friedrich hatte sich niedergesetzt und barg sein Antlitz mit den Händen. Erich stand rathlos neben ihm. Jetzt ward ihm das Verhalten seiner Schwester klar. Er beklagte sie, er beklagte den Freund, aber ohne den Gedanken, daß ihr Schicksal anders zu gestalten gewesen wäre, ja er fühlte, daß nur auf diese Weise Beide ihm erhalten worden wären, und in dem Glauben, dem Freunde damit Trost zu geben, rief er sich selber tröstend: »Sind wir einander doch geblieben!«

»Was ist mir das?« brach Friedrich in der Gewalt des ersten Schmerzes heftig aus; dann sich besinnend, stand er auf und bat: »Vergieb! ich wußte nicht, was ich sagte, mich ängstigen diese Wände!«

Er schritt der Thüre zu, Heidenbruck wollte ihn begleiten, Friedrich bat, ihn allein zu lassen. Helenens Bruder sollte es nicht sehen, wie seine Seele zerrissen war.

Er glaubte sich kaltherzig von ihr getäuscht. Schon an dem Abende, da sie seine liebevolle Annäherung so spöttisch abgewiesen, wähnte er den Verrath von ihr beschlossen, und er hatte sie so sehr geliebt. Er vermochte die Größe seines Schmerzes selbst kaum zu erfassen, es war ihm, als müsse sie ihn vernichten.

Als er an des Doctors Wohnung vorüberkam, trieb es ihn hinaufzugehen und ihm Helenens Verlobung zu erzählen. Er wollte die wollüstige Qual genießen, sein bitterstes Weh mit kalter Lippe auszusprechen, aber als er nach dem Klingelzuge griff, schauderte er davor zurück, denn er kam sich gespenstisch, wie sein höhnender Doppelgänger vor, in dem Gedanken an dies selbstquälerische Gelüsten. Und doch wollte er Jemand sprechen, um nicht sich selbst anheimzufallen. Er hätte zu seinem Vater gehen mögen, zu blutsverwandten Menschen, die ihn lieben mußten, ihnen sein Leid zu klagen, aber er hörte ja auch jetzt schon immerfort des Vaters tadelndes: »Warum vertrautest Du den Vornehmen?«

Er ging vor's Thor hinaus und kam erst in der Dunkelheit in seine Wohnung, in der ihn ein Billet seines Freundes erwartete. Es lautete:

»Du wolltest heute Helenens Bruder nicht mehr sehen, ich verstehe dein Empfinden, aber glaube mir, daß Helene leidet wie Du selbst. Ich versprach ihr, es Dir zu sagen, zum Troste für das unerläßliche Opfer, das sie bringen mußte. Sie wünscht aufs Land zu gehen, wir fahren morgen früh hinaus. Es ist auch Dir das Beste. In wenig Tagen kehre ich zurück; gönne mir und Dir, gönne meiner Schwester dann die Beruhigung, daß ich bei Dir bin!« –

Wie erlöst athmete der Jüngling auf. Er warf sich auf dem Stuhle vor dem Tische nieder, und den Kopf auf die untergebreiteten Arme stützend, weinte er seine heißen Thränen einsam aus. Endlich gewann der tröstende Gedanke, daß Helene schuldlos sei, daß er sie wieder lieben könne, die Oberhand in ihm. Er vergaß seines Schmerzes, um des ihren zu gedenken, ihr Schicksal, ihre Zukunft beschäftigten ihn allein, und mit einem heißen Gebete um Frieden für sie, schlief er von Kummer ermüdet ein, als schon das erste Tagesgrauen durch die Scheiben flimmerte.

Eine tiefe Lähmung überkam ihm beim Erwachen, denn es dünkte ihn, als habe er jetzt Nichts mehr zu thun auf dieser Welt, da er das Ziel seines Strebens verloren hatte. Mechanisch räumte er die ausgebreiteten Bücher und Papiere wieder zusammen und setzte sich müßig träumend an das Fenster. Aus dieser schmerzlichen Stumpfheit schreckte ihn Larssens Besuch empor.

»Ich hatte die Ferien vergessen,« sagte er, »und bin in des Schultrapps Gewohnheit um sieben Uhr aufgestanden. Komm ich Dir zu früh?«

Friedrich verneinte es und nöthigte ihn, sich niederzulassen und sich eine Pfeife anzuzünden.

Er that es, aber ohne die ihm sonst eigene Sorgfalt und Behaglichkeit. Während er den Tabak herbeiholte und die Pfeife stopfte, sah er immer verstohlen zu dem Jünglinge hinüber und meinte endlich, in abgebrochenen Sätzen sprechend: »Man muß sich nicht so in sich selbst versenken – man muß sich nicht dem Feinde übergeben – der Schmerz ist unser Todtfeind.« – Dazwischen zündete er paffend seine Pfeife an, ging rauchend im Zimmer auf und nieder und sagte endlich, indem er vor dem zerstreut Zuhörenden stehenblieb: »Ich kam nur zu sehen, was Du machtest!«

»Das ist sehr gut von Dir!« antwortete dieser, ohne weitere Erklärung.

»Fertige mich nicht mit dieser dankbaren Phrase des Don Carlos ab,« lächelte Larssen, »denn ich bin kein sonderbarer Schwärmer wie der Posa, und mit Dir geht es auch noch nicht zu Ende. Heute wirst Du mich nicht los.«

»Ich werde Dir kein angenehmer Gesellschafter sein!« wendete Friedrich ein.

»Ein um so besserer hoffe ich Dir zu werden. Laß uns hinaus gehen vor das Thor!«

»Du willst spazieren gehen?« fragte der Andere verwundert, denn es vergingen ganze Sommer, ohne daß Larssen daran dachte, die Stadt und ihre öffentlichen Gärten zu verlassen.

»Ich werde dick und appetitlos und muß daran denken, mir Bewegung zu verschaffen. Kleide Dich an und laß uns gehen!« wiederholte Larssen, mit selbstischen Gründen eine Theilnahme verbergend, die Friedrich trotz ihrer eigenthümlichen Ausdrucksweise wohlthat. Auch hatten sie kaum das Freie erreicht, als er die Erquickung zu fühlen begann, welche für jedes persönliche Leid aus dem Anblick der Natur erwächst. Sein dumpfer Schmerz löste sich in Traurigkeit, in Wehmuth auf, und Larssen bewachte liebevoll die Stimmung des Jünglings, bemüht, sich jedem Wechsel derselben schweigend oder sprechend anzupassen, ohne den Grund von Friedrich's Kummer mit Worten zu berühren.

So mochten sie eine Stunde gegangen sein, als Larssen erklärte, nun der Ruhe zu bedürfen. Eine kleine Schenke am Wege bot Gelegenheit dazu, und als sie im Schatten der dicht umrankten Kürbislaube Platz genommen hatten, als die Wirthin in ihren rothen Händen, die strotzend aus den weißen Hemdeärmeln hervorsahen, schäumendes Bier und Brod und Schinken herzugetragen und Alles vor den Gästen wohlgeordnet hatte, blickte Larssen mit ungeheucheltem Entzücken in die großen Gläser und sagte, als käme ihm aus dem Gebrodel des Schaumes Einsicht und Verstand: »Wer sich selbst wiederfinden will, muß nicht bei sich zu Hause bleiben, die eigene Wohnung macht beschränkt, wie alles Sonderwesen, denn der Geist erzeugt sich nur in der Masse. Wer wie die Alten stets in großer Gemeinschaft mit anderen Menschen lebt, sei es auf dem Forum oder in der Kneipe, bewahrt sich vor jener Einseitigkeit des Geistes und des Herzens, aus der aller Partikularismus die ganze krankhafte Gefühlsrichtung unserer Zeit erwächst. Die Alten kannten auch unsere Liebesleiden nicht und das Mittelalter that nur liebeleidensselig, im Grunde war es doch gesund. Es kommt auch Nichts heraus bei der alleinzigen Liebe!«

»Das mag wohl sein!« gegenredete Friedrich, »aber – –«

»Aber Du begreifst es heute nicht! Das kann auch Niemand von Dir fordern!« – Er schnitt dabei das Brod in dünne Scheiben, strich Butter darauf, belegte es mit Schinken und nöthigte seinen Genossen zuzulangen. »Du siehst aus, als hättest Du nicht gefrühstückt, und Nüchternheit macht muthlos!« meinte er. Dann, während er selbst wacker zugriff, sagte er: »So oft ich von Liebesleiden höre, kommt mir immer ein Vers aus einem Stammbuche des sechzehnten Jahrhunderts in den Sinn, der klar und gesund ist, wie guter Wein. Er heißt:

»Ich lasse alle Jungfraun rauschen,

Haben sie zu wechseln, hab' ich zu tauschen,

Scheint ihnen die Sonne, weht mir der Wind!

Manch andere Mutter hat auch ein liebes Kind!«

Larssen lachte laut bei diesen Worten, indeß Friedrich unangenehm davon berührt ward, und seinen Mißgriff fühlend, wollte Jener einlenken, als ein Posthorn sich hören ließ, und um die Ecke der Straße der Postwagen hervorkam. Das enthob ihn der Mühe, eine andere Unterhaltung zu beginnen, er stand auf, die Passagiere zu betrachten. Kaum aber war er an den die Schenke umgebenden Zaun getreten, als eine Stimme aus dem Wagen dem Postillon ein »Halt! Halt!« zurief. Der Schlag ward aufgerissen und mit einem Sprunge hatte ein junger Offizier den Boden erreicht, der sich Larssen um den Hals warf.

»Wie zum Teufel kommst Du vor's Thor!« fragte er diesen, der ihn herzlich umarmte.

»Ich habe eine Morgenpromenade gemacht!«

Der Offizier lachte laut auf. »Die erste in Deinem Leben!« rief er, »da muß ich dabei sein. Fahr zu Schwager, ich bleibe hier!«

»Aber Ihre Sachen, Herr Lieutenant?« wendete der Conducteur ein.

»Die können in der Post bleiben, ich komme nach!« antwortete der junge Mann, schüttelte den Staub von seinen Kleidern, reckte die sitzensmüden Glieder und fragte sich umschauend, während die Post davon fuhr: »aber bist Du wirklich ganz allein hier, Larssen?«

»Nein! nicht ganz allein, so kann ich nicht entarten. Ich frühstücke hier mit meinem und Deines Bruders Freunde, mit Brand!«

»So laßt mich den Dritten sein!« bat der Offizier, begrüßte Friedrich, dem er sich als Georg Heidenbruck vorstellte, forderte ein Frühstück und setzte sich zu den Anderen nieder, nachdem er die steife Militairkravatte abgenommen und die Uniform ausgezogen hatte, unter der er keine Weste trug. »Das ist zwar nicht reglementsmäßig, aber um so angenehmer,« meinte er, »und nun erzählt mir, was machen sie zu Hause?«

»Sie sind heute früh auf's Land gegangen!« berichtete Larssen.

»Und was giebt's Neues sonst?«

»Erwartest Du Etwas?« fragte Larssen.

»Nun, um die Sache kurz zu machen, denn Brand wird ja auch darum wissen, wie steht es mit Helene?«

»Sie ist Braut seit gestern!« antwortete Larssen.

»Und was denkt Ihr von dem St. Brezan?« forschte Georg weiter. »Erich hat mir schon im Winter in seinem diplomatisch verblümten Stylus über ihn und über die Pläne und Wünsche der Familie geschrieben, da ich aber in die Familienpläne nie eingeweiht zu werden pflege, und die Familienwünsche instinctiv und grundsätzlich fast niemals theile, so weiß ich von der Sache Nichts. Wie alt ist St. Brezan?«

»Im besten Alter!« sagte Larssen.

»Das heißt, im besten Alter sich zur Ruhe zu setzen! Man kennt diese besten Alter, die anfangen, wenn die guten Tage vorüber sind!« höhnte der Lieutenant, während seine Züge ernsthaft wurden, und mit bitterem Ausdruck fügte er hinzu: »also eine standesmäßig ökonomische Verkuppelung! – dazu war Helene im Grunde doch zu gut!«

Friedrich konnte diese Unterhaltung nicht länger ertragen, er stand auf und ging davon. Georg sah ihm eine Weile nach, blickte dann Larssen an und fragte endlich: »Hat Helene ihn auch geliebt?«

»Ja!« lautete die Antwort und dann schwiegen Beide, bis sein ehemaliger Lehrer den Lieutenant darauf aufmerksam machte, daß es Zeit sei in die Stadt zu gehen, weil er sonst das väterliche Gut nicht mehr erreichen könne.

»Um so besser!« meinte dieser, »ich bin nicht begierig, Helene so verkauft zu sehen und bin froh, einmal nicht an die Signaltrommel gebunden zu sein. Ich habe sechs Wochen Urlaub, ehe ich bei den Cürassiren eintrete.«

»So bleibst Du nun zu Hause?«

»Der Alte will es so. Er denkt, doppelter Vorspann reißt nicht! An der Kette des Familienlebens und an der Leine des Dienstes haben sie mich sicher!«

Es lag eben so viel jugendlicher Uebermuth als Spott in seinen Worten, und Friedrich, der inzwischen sich wieder zu ihnen gefunden hatte, betrachtete ihn mit wachsendem Interesse.

Kleiner und stämmiger als der hochschlanke Erich, hatte er Corneliens dunkle Farben, die ihm ein über seine Jahre männliches Ansehen gaben. Sein schwarzes Haar legte sich trotz des militärischen Zuschnitts in vollen Locken um die breite Stirne, die starken Lippen verdeckte ein dicker, schwarzer Schnurrbart, aus dem die Zähne beendend weiß hervorsahen, und obschon die Formen seines Gesichtes weder edel noch regelmäßig waren, fand Friedrich ihn fast schöner, als den eleganten Erich, wie er so da saß mit der offenen, hochgewölbten Brust und den dunkelblau leuchtenden Augen unter den kräftigen Brauen.

Freimüthig bis zum Leichtsinn, fragte er nach all den kleinen Familienvorgängen, welche der Hausfreund meist erräth, die man ihm aber doch nicht Preis gegeben wähnt, und Friedrich ward dabei gewahr, wie wenig er selbst in die näheren Verhältnisse des Hauses eingeweiht gewesen war. Theils hatte seine Liebe ihn gleichgültig gemacht gegen Alles, was nicht Helene betraf, theils lag es in Erich's Weise, die Familienangelegenheiten auch vor dem Freunde als ein Mysterium zu behandeln, und es überraschte ihn daher, daß Georg die Bande, welche ihn den Seinigen verknüpften, als einen schweren Druck zu fühlen schien.

»Ich glaube,« sagte er zu Friedrich, »Sie gehören auch zu den glücklichen Unglücklichen, die nicht von Familie sind. Danken Sie Gott dafür, denn die Familie von Familie ist des Teufels Erfindung, und um so schlimmer, je besser die einzelnen Mitglieder sind, je mehr sie sich untereinander lieben!«

»Haben Sie davon gelitten?« fragte Jener.

»Wenn mein Bruder Ihnen verschwieg, daß ich der ungerathene Sohn des Hauses bin, so ist das nur ein Act seiner gewohnten Discretion gewesen!« lachte Georg, fügte aber gleich hinzu: »er ist übrigens das Muster eines verständigen Bruders, und ohne ihn wäre ich vielleicht längst in Algier, im Caukasus oder in irgend einem Hinterwalde von Amerika, wo ich denn freilich auch besser hingepaßt haben würde, als in unsere ganze zahme Gesittung. Haben Sie nie Sehnsucht gehabt, Herr Brand, nach Urzuständen voll täglichen Kampfes um das tägliche Leben?«

»Mich dünkt,« antwortete der Gefragte, »man müsse erst allen Ueberfluß des Lebens besessen haben, um solchen Wunsch zu hegen!«

»Ganz und gar nicht! Man braucht nur federkräftig und gedrückt worden zu sein, um den Druck unerträglich zu finden und aufschnellen zu wollen. Tyrannei macht sehnsüchtig nach Freiheit, Disciplin nach Zwanglosigkeit, auch wenn man nicht blasirt ist, wofür Sie mich zu halten scheinen.«

»Das habe ich nicht gesagt!«

»Aber Sie haben es gedacht! Indeß beruhigen Sie sich, im Cadettenhause wird man nicht blasirt. Es macht den Einen zum Sklaven, den Andern zum Empörer, blasiren kann die Knechtschaft nicht!«

Er trank bei diesen Worten sein Glas hastig aus, als wolle er den Groll herunterspülen und sagte, als er es dann niedersetzte: »Ich glaube, es ist die verdammte Heirath, die mir die Galle aufregt und mir die eigene Familiensklaverei wieder so vor's Auge rückt, denn ich war vorher ganz heiter in dem Gedanken sechs Wochen Urlaub zu haben und so lange des verdammten Dienstes quitt zu sein!«

»Und was zwingt Sie im Dienst zubleiben?« fragte Friedrich.

»Das kann Ihnen Larssen sagen! – Ich bin der jüngere Sohn und habe außerdem Nichts gelernt. Ich galt für unbezähmbar, für träge. –«

»Du warst es auch!« fiel Larssen ein.

»Ich war es für Dich und für die Meinen, weil Ihr Nichts mit mir anzufangen wußtet. Ich sollte bei den Büchern sitzen, mein Blut litt mich nicht am Schreibtische, ich fühlte mich matt und stumpf und schläfrig in der Enge bei der todten Lernerei. Es langweilte mich, von Gefahren und Heldenthaten, von großen Unternehmungen, von verdienstlichen Werken zu hören, ich hätte als Troßbube, als Laufbursche dienen mögen, wo sie verrichtet wurden. Mein Verstand widerstrebte den absurden Anstandsregeln, ich lernte es nicht, mich einzupassen in die verschiedenen Fächer Eurer Geselligkeit, und der Zwangstall des Cadettenhauses, in den ich dann gesteckt ward, hat mich auch Nichts gelehrt, als knirschend in die Kette zu beißen – bis sie endlich einmal brechen wird.«

Er war aufgestanden und ging heftig auf und nieder, bis er vor Friedrich stehen blieb, seine Hand ergriff und sie schüttelnd ausrief: »Aber verlassen Sie sich darauf, ich revangire mich, und auch Helene wird sich revangiren!« Dabei flog ein Zug von grimmem Spotte über sein Gesicht, der Friedrich unheimlich berührte.

Larssen seinerseits, sonst stets geneigt, derartige Bemerkungen aufzunehmen und fortzuspinnen, sah in diesem Falle die Richtung, welche das Gespräch genommen hatte, offenbar nicht gern, weil er Georg gegenüber es nicht vergessen konnte, daß er einst für ihn verantwortlich gewesen sei, und er drängte zum Aufbruch, damit Georg das väterliche Gut noch am Abende erreichen konnte.

In der Stadt angekommen, fand der Lieutenant aber einen Brief des Bruders vor, der ihn bat dort zu bleiben, weil er selbst genöthigt sei, schon am nächstfolgenden Tage seines Examens wegen zur Stadt zurückzukehren, und eine große Freude haben würde, wollte Georg während desselben bei ihm bleiben. Sobald es beendet wäre, wollten sie dann gemeinsam zu den Eltern hinausgehen, welche mit diesem Vorschlage ganz einverstanden wären.

Georg knitterte das Blatt achtlos zusammen und meinte: »Sie haben Furcht, meine gottlose Ehrlichkeit könnte das Eis von Helenens tugendhaften Entschließungen zerschmelzen! Ich hätte wohl hinausgemocht, aber im Grunde bin ich hier freier als dort. Auf Morgen also!«


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