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Drittes Kapitel.

Friedrich und die Mutter hatten Manches zu besprechen gehabt, aber die Ankunft des Mädchens machte es unmöglich.

»Frau Meisterin! wir reisen nach Berlin!« rief das Kind mit einer auffallend lieblichen Stimme und mit einem Ausdruck von Freude und Bestürzung, die dem schönen Gesichte ungemein wohl standen.

»Warum nicht gar?« sagte die Meisterin.

»Nein gewiß!« entgegnete Regina, »wir haben einen Posten in Berlin bekommen!«

Friedrich, der stets seinen Scherz mit Regina trieb, fragte: »Als was stellen sie Dich denn an? als königliche Plätterin oder als Sängerin?«

Aber Regina war zu beschäftigt durch den Gedanken an die bevorstehende Reise, als daß sie seine Neckerei beachtet hätte. »Der Vater wird Aufseher, wir bekommen zwanzig Thaler monatlich und große Trinkgelder!«

»Aufseher wovon?« fragte Friedrich.

»Von einem Schloß, in dem Bilder sind, sich weiß nicht, wie es heißt, ich habe den Namen nur einmal gehört.«

»Wann ist denn die Nachricht gekommen?«

»Jetzt eben, Frau Meisterin, als ich herging, und nächsten Fünfzehnten sollen wir fort, wir haben freie Post!«

»Also schon in vier Wochen,« sagte Friedrich, »denn heute ist der Achtzehnte!«

Die Bemerkung machte die Kleine ernsthaft. »Dann haben Sie wieder Wäsche!« meinte sie und sah zur Meisterin mit den großen schwarzen Augen empor, in die sich plötzlich Thränen drängten.

»Da wirst Du mir fehlen!« antwortete die Mutter. »Du wirst mir überhaupt fehlen!«

Regina fing bitterlich zu weinen an. »Wo werde ich bleiben unter all' den Menschen, wenn der Vater bei den Bildern ist? Wenn nur die Mutter nicht todt wäre!« schluchzte sie.

Die Meisterin tröstete, daß es überall gute Herzen gäbe, und daß sich auch in Berlin Leute ihrer annehmen werden; aber freilich mußte sie sich im Innern sagen, daß nicht leicht Jemand an dem Mädchen so treu handeln würde, als sie selbst, und es war ihr ein Schmerz, die Kleine zu verlieren.

Regina's Mutter war als die Frau eines Unteroffiziers Baldig nach Preußen gekommen, als die letzten Besatzungstruppen Paris verlassen hatten. Madmoiselle Reyne, die hübsche Näherin, hatte in der Heimath die ehrliche Liebe und die schöne Gestalt des Unteroffiziers mehr als ausreichend für ihr Glück gefunden. Sie hatte genäht und gearbeitet nach wie vor, ihr anmuthiges Französisch mit ihren Nachbarn geplaudert, sich gefreut, wenn ihr lieber Deutscher sie in die Guinguette vor die Barriere führte, sich von ihm herzen und küssen lassen und es dabei nicht sonderlich gemerkt, daß er nur wenig französisch sprach, und daß sie sich im Grunde kaum mit ihm verständigen konnte. Indeß dies sorglose Hinleben hatte eines Tages ein plötzliches Ende genommen, als die Besatzungstruppen Ordre zum Marschiren erhielten, der Unteroffizier seinen Tornister packen, und die junge Französin nun ihrem lieben Deutschen in seine Heimath folgen mußte, von der ihr Nichts bekannt war, als daß man dort eine unverständliche Sprache rede, und daß die große Armee des Kaisers in dem Schnee des kalten Landes erfroren sei. Die Vorstellungen ihres Mannes, daß sie nicht nach Rußland, sondern nach Preußen zu gehen hatten, vermochten ihre Thränen nicht zu stillen, ihre Angst nicht zu beruhigen. Sie war überzeugt, daß nur in ihrem Vaterlande Menschen ein menschlich Dasein führen könnten; was jenseit seiner Grenze lag, war ihr gleichgültig oder verächtlich. Sie nahm sich nicht die Mühe, es kennen, unterscheiden zu lernen, und hatte auf alle Vorstellungen ihres Mannes nur ein trauriges: »Es ist nicht Frankreich!« zu entgegnen.

Und freilich war es nicht Frankreich, das kalte, ernste, arbeitsvolle Land, in das sie sich nach wenig Monaten versetzt sah. Ihr Körper litt von der ungewohnten Strenge des Klimas, die Sprache blieb ihr fremd, selbst als sie sie verstehen lernte, fremder noch die Sitten und die Menschen, aber sie beklagte sich darüber nicht. Der Unteroffizier that, was in seinen Kräften stand, ihr das Leben leichter zu machen, dennoch mußte er gewahren, daß die Frische ihrer Wangen, der helle, lachende Glanz ihrer Augen immer mehr erloschen. Ihr ältestes in Frankreich gebornes Kind erlag dem ersten kalten Winter; die kleine Regina aber gedieh in ihrem nordischen Vaterlande und war die größte Freude ihrer Eltern, als ein Unglücksfall die Lage derselben noch wesentlich veränderte.

Ein Sturz mit dem Pferde machte den Unteroffizier untauglich für den Dienst und er ward mit einem Wartegelde zur Ruhe gesetzt, bis man einst eine Civilbedienung für ihn gefunden haben würde. Von dem geringen Einkommen des Invaliden konnte man nicht leben, und jetzt war es, wo Liebe und Notwendigkeit die Spannkraft der kränkelnden Frau erweckten, wo die praktische Thätigkeit der Französin sich plötzlich hülfreich und wirksam zu zeigen begann. Sie fing an, sich um Arbeit zu bemühen. Ihre Geschicklichkeit im Nähen und im Waschen verschaffte ihr bald eine größere Kundschaft, als sie zu bedienen vermochte. Der Mann machte sich zum Copisten, der kleine Hausstand hielt sich tapfer aufrecht. Was Frau Baldig von den Frauen ihres Ranges entfernte, das feine Wesen der Französin, machte sie den Damen ihrer Kundschaft nur beliebter. Das interessante Gesicht der kränkelnden Frau, die fremde Sprache, das niedliche französische Geplauder ihres Kindes, das sie fast immer mit sich führte, wenn sie ihrem Geschäfte nachging, nahmen für sie ein; und wie der Reiche Alles zu benutzen weiß, was die Verhältnisse des Armen ihm zu bieten haben, so ließen die Kunden von Frau Baldig die kleine Regina zu ihren Kindern kommen, mit denen sie spielend französisch sprechen mußte.

Dadurch verfeinerten sich die ohnehin zierlichen Sitten der Kleinen nur noch mehr. Man bescherte ihr zum Weihnachtsfeste manches Nützliche und Ueberflüssige, man schenkte ihr die abgelegten Kleidungsstücke ihrer Spielgefährten, und da die Mutter das Alles mit geschickter Hand zu verwenden wußte, sah Reyne immer so schmuck und stattlich aus, daß sie eher für eine Tochter jener reichen Familien gelten konnte, als für ein Kind der arbeitenden Stande, in deren Mitte sie wohnte und zu denen sie gehörte.

Die Nachbarskinder ließen das die arme kleine Reyne entgelten, wenn sie sich dann und wann in ihre Spiele mischte. Sie nannten sie spottend »das Fräulein, die französische Prinzeß«, sie verdarben ihr die Kleider, ahmten ihren französischen Dialekt wohl oder übel nach, und hatten auf jede Weise ihre Lust daran, sie zu plagen, bis sie sich erschreckt und böse wieder von ihnen entfernte, um immer seltner zu ihnen zurückzukehren. Ihre Liebe für ihre vornehmen Spielgenossen wuchs dadurch, und die Mutter, ebenso unbeliebt unter ihres Gleichen, als das Kind, hatte nur einen Gedanken, einen Wunsch, allmählich so viel zu erwerben, daß sie einen kleinen Handel mit feinen Nähereien eröffnen, dem Manne ein sorgenfreies Alter, und sich und ihrer Tochter ein Leben unter gebildeteren Menschen schaffen könnte, als sich in ihrer jetzigen Umgebung fanden.

Nur in einem Hause in der ganzen Nachbarschaft hatte man stets die kleine Reyne geliebt, sich an dem Wohlergehen der Familie erfreut und Sorge getragen um die immer schwächer werdende Gesundheit der arbeitsamen Frau, denn der Tischlermeister Brand hatte das Streben derselben wohl begriffen. Die beiden Familien waren stets gute Nachbarn und einander hülfreich gewesen. Zum Dank für die Dienste, welche die Meisterin ihr bei ihrer Ankunft bereitwillig erwiesen, hatte die Französin mit Friedrich seine französischen Lektionen eingeübt, und ihn in dieser Sprache mehr gefördert, als seine Lehrer im Gymnasium. Er hatte dagegen die kleinen Reyne gewartet, wenn die Mutter sich vom Hause entfernen mußte, und er hatte das Kind geliebt, denn er hatte keine Geschwister, aber die Mutter desselben war ihm noch weit theuerer gewesen.

Von jeher hatte sie Freude gehabt an der Frühreife des Knaben, an seiner Klugheit, seiner Sanftheit, und je mehr die fortschreitende Bildung die Sitten des Gymnasiasten verfeinerte, um so werther war er ihr geworden. Sie liebte ihn, weil er begierig war ihre Muttersprache zu lernen, weil er Lust hatte, von Frankreich, von Paris zu hören. Ihm hatte sie unverhohlen von der nie erloschenen Sehnsucht nach der Heimath, von ihrem Mißfallen an ihrer Umgebung gesprochen. Er war ihr Trost in Tagen der Entmuthigung gewesen, er ward ihr ein jüngerer Bruder und ein Freund.

Die glücklichsten Stunden seiner Kindheit hatte Friedrich mit dieser Frau verlebt. Ihr französisches Gebetbuch, die schlechten Bilderchen von Paris, von seinen Straßen und Gebäuden, seinen berühmten Männern und Ereignissen, hatten einen unwiderstehlichen Zauber für ihn gehabt. Er hatte nicht müde werden können, sie zu betrachten, die Unterschriften zu lesen, die Erklärungen seiner Freundin zu hören. Und diese Lust war in ihm gewachsen, je mehr er den Louvre, die Tuilerien, das Palais Royal, den Grève-Platz als Zeugen der größten Weltereignisse hatte kennen lernen. Niemand in seiner ganzen Umgebung hatte ihm jene Augenblicke aufhorchender Begeisterung zu bereiten vermocht, deren er neben Frau Baldig genossen, wenn sie ihm von Paris, von Frankreich erzählt, von der großen Nation, von den tapferen Soldaten, von Napoleon, und wie sie ihn gesehen im grauen Rocke, mit dem kleinen Hute, an der Spitze seiner stolzen Garden. Sie war ihm täglich neu, Alles, was zu ihr gehörte, ihr kleines Zimmer mit den Vorhängen von buntem Kattun, ihre saubere Art sich zu kleiden, ihre Sprache und ihr Behaben waren ihm lieb gewesen. Es hatte ihm wohlgethan, sich von ihr als Monsieur Frédéric angeredet zu hören, obschon sie ihn in guten Stunden mon enfant und Du zu nennen pflegte, mit einem Worte, sie hatte in jener Zeit das Ideal, die Poesie seines Lebens ausgemacht, und er hatte an ihr mit jener schuldlosen, hingebenden Liebe gehangen, mit der die Seele des Knaben, des werdenden Jünglings sich dem Guten und dem Schönen, dem Großen wie dem Fremdartigen zuwendet.

Friedrich war eben Student geworden, als ein Nervenfieber seine Freundin auf ein Krankenlager warf, von dem sie nicht erstehen sollte. Er und seine Mutter hatten dem niedergebeugten Manne in ihrer Pflege beigestanden, Meister Brand ihr den Sarg gemacht, sie Alle hatten sie zu Grabe begleitet und von der Stunde ab, Frau Brand Mutterstelle vertreten an der kleinen, verwaisten Reyne.

Eine große Veränderung hatte mit diesem Todesfalle in dem Leben des Kindes stattgefunden. Der Vater, der immer mehr in sich versunken war, und den die Nachbarn tiefsinnig schalten, obwohl er nur sehr traurig war, hatte es nie gebilligt, daß Reyne, wie er es nannte, über ihren Stand erzogen, daß ihr jenes französische Wesen angeeignet wurde, durch das ihre Mutter sich fremd in Preußen gefühlt. Er hatte immer dagegen geeifert, wenn man die Kleine nicht Regina nannte, er hatte die Spielbesuche in den reichen Familien nie gern gesehen, und stets darauf gehalten, daß das Mädchen der Mutter, soweit seine kleinen Kräfte es gestatteten, bei ihren Arbeiten behülflich gewesen war.

Jetzt nach dem Tode der Frau Baldig fand er in Meister Brand und dessen Frau eine zustimmende Meinung, und er beschloß, das Kind zur Deutschen zu erziehen. Die Kleine sollte zwar das Andenken ihrer Mutter ehren lernen im Gebet und Leben, aber sie sollte ihr besonderes Wesen vergessen, ein Mädchen werden, wie alle anderen Nachbarstöchter auch.

Friedrich beklagte das. Es schmerzte ihn, daß man das Kind seiner Mutter unähnlich zu machen, daß man ihre wohlgemeinten und auch wohlbedachten Pläne zu vereiteln strebte. Er konnte es sich nicht versagen, die Kleine mit dem Namen zu rufen, mit dem die Mutter sie genannt, er konnte es nicht lassen, das Andenken an dieselbe dem Kinde wach zu erhalten, indem er französisch mit ihm sprach. Er erbot sich, ihr Unterricht zu geben, er versuchte seinen eigenen Vater für eine bessere Ausbildung des Mädchens zu gewinnen, um Baldig durch ihn dazu bewegen zu lassen, aber vergebens.

»Was für den Sohn des Armen ein Glück ist, das ist ein Unglück für ein armes Mädchen,« hatte Meister Brand ihm geantwortet. »Du kannst es zu Etwas bringen in der Welt; aber Regina? – was soll aus der werden, wenn sie was gelernt hat?«

»Man brauchte sie nur nicht ihre Muttersprache absichtlich vergessen zu machen,« entgegnete Friedrich, »um ihr als Bonne oder Gouvernante ein besseres Loos und ein gutes Auskommen zu bereiten!«

»Ja, wenn sie häßlich wäre! Aber hübsch wie sie ist und Gouvernante! – Setze ihr nur solche Dinge in den Kopf und sieh zu, wie Du es verantworten kannst!« hatte der Vater gewarnt, und Friedrich, von dem eigenen Leben mehr und mehr in Anspruch genommen, fortgezogen durch seine neuen Studiengenossen, hatte bald selbst nicht mehr daran gedacht und Regina's Zukunft nicht weiter beachtet.

Jetzt, als sie weinend vor ihm stand, als er fürchten mußte, das Kind seiner ersten und liebsten Freundin nicht wiederzusehen, kam ein Schmerz über ihn und er schalt sich, Regina so sehr vernachlässigt zu haben. Er hatte sie wohl lieb gehabt, mit ihr gescherzt und gegen alle Verbote französisch mit ihr geplaudert, wenn er sie bei seinen Eltern gefunden, aber wie wenig war das gegen die Liebe und das Gute, welche Regina's Mutter ihm durch so viele Jahre bewiesen!

Er betrachtete Regina, als hätte er sie lange nicht gesehen, und ward fast mit Erstaunen ihre seltene Schönheit gewahr. Die Kraft des deutschen Vaters und die lebensvolle Natur der Französin hatten sich in ihr vereinigt. Weit über ihre Jahre groß und kräftig, konnte man die Zwölfjährige kaum noch ein Kind nennen, so vorgeschritten war sie an Geist und Körper. Dürftigkeit und Reichthum, Ueberfluß und Mangel üben öfters einen ähnlichen Einfluß auf die Kindheit aus. Sie entwickeln sie zeitig; aber wenn der Ueberfluß die Entfaltung des Geistes und der Phantasie befördert, so kräftigen Noth und Mangel häufig den Verstand der Kinder und geben ihnen eine Einsicht und eine Energie, die ihrem Alter vorgeeilt, ihren Bedürfnissen angemessen sind.

Die zwölfjährige Regina versorgte bereits das ganze Hauswesen des Vaters nach den Anleitungen, die sie von Frau Brand erhielt; sie verstand seinen Stimmungen zu begegnen, ihn zu behandeln, ohne daß sie sich dessen selbst bewußt war; und wie Friedrich einst als Knabe der Freund ihrer Mutter gewesen, so besaß Regina, außer dem Vertrauen ihres Vaters, das Zutrauen von Frau Brand, die Beide mit ihr alle Angelegenheiten besprachen und beriethen.

Haushaltssorgen waren es auch zunächst, welche Regina aus ihrer Traurigkeit emporrissen. »Was wird nur mit unseren Sachen werden, Frau Brand?« fragte sie und trocknete sich die Augen. »Es soll Alles hier bleiben, nur die Betten nicht, und wir sollen einen großen Koffer mitnehmen, in den Alles eingepackt wird, was mitkommen soll.«

»Wie kommt das denn nach Berlin hin?« fragte Frau Brand, der jeder Ort außer dem nächsten Umkreise der Stadt in unerreichbarer Ferne zu liegen schien.

Regina wußte es nicht, hatte aber so viel Bedenken, so viel Angst und so viel Sorgen in ihrem armen kleinen Kopfe, so viel verschiedene Einfälle und Vorstellungen, daß sich in ihnen doch deutlich wieder die Natur eines Kindes verrieth, und endlich lief sie davon, den Vater zu fragen, ob sie ihre beiden Kaninchen wirklich zurücklassen müsse, wie Friedrich es behauptete.

Als sie zur Thüre hinaus war, setzte Frau Brand sich nieder, stützte den Kopf auf den Arm und seufzte: »So geht's in der Welt, der Mensch denkt und Gott lenkt! Daß sie mir das Kind fortnehmen müssen!«

»Es thut mir auch leid!« sagte Friedrich.

»Gerade darum, Fritz!« meinte die Mutter. »Ich hatte mir immer ausgedacht, daß ich sie mir so recht nach der Hand ziehen wollte, recht zur guten Wirthin! Und sie ist so geschickt! Was ihre Augen sehen, das können ihre Hände machen, gerade wie die Mutter. Es wäre die allerbeste Frau für Dich geworden! –«

»Für mich?« fragte Friedrich im Tone des höchsten Erstaunens. »Wie kommen Sie darauf?«

»Ein vornehmes Mädchen kannst Du ja doch nicht heirathen!«

»Aber ein gebildetes Mädchen!«

»Der würden wir zu schlecht sein, Fritz! und das kannst Du ja nicht zugeben. Wenn Du Dir eine Frau nimmst, der wir zu schlecht wären – der Vater überlebte das nicht, und es wäre auch mein Ende! Mir ging's an's Herz, wenn Du von uns abwendig würdest! Das Kind haben wir lieb, es wird ein schönes Mädchen werden und ein gutes, braves oben ein. Es wäre die beste Frau für Dich gewesen!«

Friedrich antwortete nicht. Die Mutter verstand dies Schweigen.

»Regina ist Dir jetzt zu schlecht,« sagte sie, »und Du warst doch nicht zu trösten, wie ihre arme Mutter begraben wurde. War die denn gebildet?«

»Ich war es damals selbst noch nicht,« entgegnete Friedrich.

»Ich glaube, Du hattest damals ein besseres Herz, Fritz! ich sehe es schon lange und der Vater kann wohl Recht haben, die Vornehmheit macht die Menschen nicht besser.«

»Muß mich denn heute Alles quälen! Wie kommen Sie, grade Sie zu diesem Vorwurf, Mutter?«

»Du bist nicht mehr Derselbe, der Du gewesen bist, Fritz! Wenn ich auch nicht gebildet bin, so merk' ich's doch, denn ich hab' ja Deine Blicke verstanden und gewußt, was Du wolltest und was Dir fehlte, als Du noch keine Sylbe sprechen konntest. Du bist nicht mehr Derselbe, ich sehe es wohl!«

»Aber was bringt Sie zu diesem Vorwurf, liebe Mutter? grade Sie?« wiederholte Friedrich mit einem Tone, in dem seine ganze Liebe für sie ertönte.

»Ach ja! Du liebst mich wohl,« sagte die Mutter, »ich verdiene das auch. Aber das ist auch Alles. Es ist Dir nicht mehr wohl zu Hause, Du kommst nur so, wie Mancher in die Kirche geht, weil man's doch eben muß!«

»Liebe Mutter,« rief Friedrich und legte seinen Arm um die Schulter der sitzenden Frau, »ja ich komme, weil ich muß, weil ich wissen muß, wie Sie leben. Wenn ich einen Tag nicht bei Ihnen war, treibt es mich her, nach Ihnen zu fragen, nach Ihnen zu sehen.«

»Das ist's grade,« fiel ihm die Mutter in's Wort, »Du willst sehen, wie es uns geht, Du willst auch hören, ob der Vater Arbeit hat, ob ich Verdruß mit ihm gehabt habe – das ist Alles wahr; aber wenn Du da bist, hast Du mir Nichts zu sagen. Es ist nicht mehr wie sonst!«

»Gute Mutter! Das kommt daher, daß Sie die Dinge nicht kennen, die Leute nicht, mit denen ich zu thun habe –«

»Und was wir thun und was die Leute thun, mit denen wir zu schaffen haben,« unterbrach sie ihn abermals, »das kümmert Dich Nichts mehr!«

Friedrich konnte ihr Nichts darauf entgegnen, er fühlte es nur zu tief, wie sehr sie Recht hatte. Mußte er doch sein ganzes Wesen herabstimmen, selbst seine Ausdrucksweise ändern, um den Eltern nicht in jedem Augenblicke die Kluft fühlbar zu machen, welche sich mehr und mehr zwischen ihnen aufthat. Unfähig, die Mutter zu täuschen, versuchte er es, sie von diesem schmerzlichen Gedanken zu zerstreuen. »Sie klagen, ich hätte Ihnen Nichts mitzutheilen, liebe Mutter! und doch hätte ich Ihnen heute viel von der Wahl zu erzählen gehabt, hätten Sie's nur hören wollen!«

»Ich habe wohl daran gedacht,« entgegnete sie. »Du wirst einen ganz neuen Anzug dazu haben müssen! Wird das nicht schreckliches Geld kosten, Fritz?«

»Gewiß, aber ich hätte doch im Frühjahr zum Examen einen Anzug nöthig gehabt, und ein halb Jahr früher –«

»Ruinirt ihn doch schneller,« unterbrach die Mutter, »und gerade zum Tanzen, das staubt so schrecklich!«

Friedrich beruhigte sie darüber, aber sein Herz ward immer mehr zusammengepreßt. Es war ihm, als verengten sich die Wände, als sinke die Balkendecke auf ihn herab, als schrumpfe er selbst zusammen. Er konnte es nicht länger ertragen, er mußte fort.

»Ich komme bald wieder!« rief er zerstreut, ohne gesagt zu haben, daß er gehen wolle. Dann gab er der Mutter eilig die Hand und verließ die Stube. Frau Brand aber begleitete ihn bis zur Hausthür, denn es war ihr eine Lust, dem stattlichen Sohne nachzusehen, soweit ihr Auge ihn erreichen konnte.

Als sie in der Thüre standen, nahm sie ihn bei der Hand und hielt ihn zurück, als hätte sie ihm noch Etwas mitzutheilen, und schwieg dennoch. Friedrich merkt es. »Wollen sie mir Etwas sagen?« fragte er freundlich. »Haben Sie etwas auf dem Herzen, liebe Mutter?«

»Nein, Fritz! Nichts, gar nichts habe ich. Es fiel mir nur so ein, wenn Du jetzt so viel Ausgaben hast, wirst Du am Ende die Sterbekasse nicht bezahlen können!«

»Wie können Sie das denken!« rief er, und die Mutter entließ ihn mit freundlichen Worten, nun sie sich über diesen Punkt beruhigt wußte; denn nach mühevollem Leben schicklich, ja für ihre Verhältnisse prächtig beerdigt zu werden, ist fast immer das Verlangen der Armen, und die wöchentliche Beisteuer zur Beerdigungskasse ihnen eine Herzens- und eine Ehrensache.

»Er soll sich doch nicht zu schämen haben, wenn er einmal nach dem Kirchhof hinter uns hergehen wird!« sagte Frau Brand, schloß die Hausthür und ging in die Stube zurück.


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