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Als verfolge ihn ein böser Geist, so rastlos eilte Friedrich durch die Straßen. Ein dichter Schnee, vom feuchten Winde getrieben, wirbelte in der Luft und flog kalt gegen das Gesicht des Jünglings, er bemerkte es nicht. Athemlos erreichte er seine Wohnung, und erst als ihn die Einsamkeit seines kleinen Stübchens umfing, rief er so gepreßt, als ringe sich der Ton gewaltsam aus den innersten Tiefen seiner Brust hervor, den Namen, der seit Wochen allein in ihm gelebt, den er nicht auszusprechen gewagt hatte vor sich selbst, den Namen der Geliebten: »Helene!«
Und immer leiser, immer inniger wiederholte er den theuren Namen, bis heiße Thränen aus seinen Augen stürzten, denn das Bewußtwerden der Liebe war dem Jünglinge ein Schmerz, er erzitterte unter dieser gewaltsamen Umgestaltung seines Wesens, Dann schlug aber eine helle Freude in seinem Herzen empor. Ja! das war die Weihnacht, die er erwartet! Ihr Wunder hatte sich an ihm erfüllt, in niedriger Umgebung, die Nichts ahnte von der Herrlichkeit, war ihm der Stern erschienen, dem er fortan folgen mußte für und für.
Jetzt plötzlich wußte er Alles, was ihn bewegt, erfreut, gepeinigt, jetzt verstand er sich selbst.
Als der Tag anbrach, wurde er ruhiger. Er trat an's Fenster und lehnte die brennende Stirne an die Scheiben. Der klargewordene Himmel begann sich röthlich golden zu färben. Durchleuchteter Rauch wirbelte aus den Essen kerzengrade in die Winterluft empor, der Schnee auf den Dächern funkelte in der aufsteigenden Sonne, Im Nachbarshause öffnete man die Laden, es wohnte ein Gerber darin, ein Freund seines Vaters, der den Kopf heraussteckte, das Wetter zu prüfen, und Friedrich freundlich zunickte, da er ihn gewahrte. Das geschah an jedem Tage, heute aber wunderte der Jüngling sich darüber, eben weil es das Alltägliche war, und das Alltägliche rief ihn in die Wirklichkeit zurück. Er sah die Kluft, die ihn von Helene trennte, er mußte sich ihrem Bruder, dem Freunde anvertrauen und wissen, was dieser davon denke?
Es war noch früh, als er das Heidenbrucksche Haus erreichte. Die Dienerschaft ging in leiser Geschäftigkeit umher, die Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Tages zu treffen; Erich selbst saß behaglich bei seinem Frühstück.
»Du kommst mir sehr erwünscht,« sagte er; »ich wollte eben dem Diener ein Billet für Dich zur Besorgung geben, denn wir fahren Mittags Alle zu meinem Onkel. Der Graf ist zurück, wird ein paar Tage in Steinfelde bleiben, und da gehen wir Alle auch hinaus.«
»Welcher Graf?« fragte Friedrich.
»Der Graf St. Brezan!«
»Und seinetwegen brecht Ihr Alle auf?«
»Es ward verabredet schon als er damals hier war!« sagte Erich gleichmüthig, während er sich erhoben hatte und vor dem Spiegel mit der feinen Pariser Bürste seinem blonden Haare den letzten Strich gab. »Meine Eltern halten ihn sehr hoch, und solch' junge Excellenz, an allen europäischen Höfen heimisch, gefällt ja den Frauen ein für allemal. Dazu macht er Helenen auch den Hof!«
Friedrich antwortete Nichts. Er preßte die Hand krampfhaft um die Lehne seines Stuhles. Er hatte dem Freunde jetzt Nichts mehr zu sagen. Er verstand nicht, was jener mit ihm wegen des ersten Balles sprach, der am Sylvesterabende stattfinden sollte, und brach plötzlich, trotz Erich's Bitte zu verweilen, mitten in der Unterredung auf, von marternder Eifersucht getrieben.
Unthätig aus Hoffnungslosigkeit, von der Macht seiner Liebe zu neuem Hoffen und verdoppelter Arbeit angespornt, voll Sehnsucht nach dem Anblick der Geliebten und doch bange vor dem Begegnen mit ihr, befand er sich in einem fieberhaften Zustande, als der Sylvesterabend anbrach und die Stunde herankam, in der er sich für den Ball zu kleiden hatte.
Seine Eltern waren gekommen, ihn in seiner Herrlichkeit zu sehen. Während der Vater auf einem Stuhle in der Ofenecke Platz genommen, betrachtete die Mutter mit Wohlgefallen die einzelnen Gegenstände des Galla-Anzuges, und wurde es nicht müde, das feine Tuch des blauen Fracks, der weißen Casimir-Escarpins, die knisternde Seide der Strümpfe mit tastender Hand zu berühren und sich über die gute Wäsche der Cravatte und der Weste auszulassen. Liebevoll sah sie zu, wie der Sohn das dunkle, glänzende Haar über die Stirn ordnete, wie er die einzelnen Kleidungsstücke anlegte, überall wollte sie ihm helfen. Die Liebe des Weibes hat solchen Genuß an ihrer Dienstbarkeit und die Mutterliebe vor Allem fühlte sich beglückt, dem erwachsenen Kinde einmal nicht entbehrlich zu sein.
Obschon ganz erfüllt von dem nahen Wiedersehen der Geliebten, das er, nach einem Briefe Erich's, auf dem Balle zu erwarten hatte, und beunruhigt durch den Gedanken, ob der Graf noch anwesend sei und die Familie begleiten werde, ließ der Jüngling doch die Mutter mit Hingebung gewähren, wenn sie bald dieses, bald jenes an seiner Kleidung zu verbessern wünschte
Als er fertig war, den Degen angesteckt hatte und nun die breite, weißseidene Schärpe mit den schweren Silberfranzen, welche die Entrepreneure trugen, über die Schultern hing, daß die Enden lang an der linken Hüfte herunterflossen, da flog ein Lächeln über seine Züge. Er freute sich seiner eigenen Wohlgestalt, und sich dieses Gefühles als einer Eitelkeit schämend, umarmte er die Mutter.
»Sieht er nicht wie ein Prinz aus; Vater?« fragte sie den Meister und reichte Friedrich den Claquehut hin.
»Wir hätten auch anders ausgesehen, hätten wir's gehabt wie er,« entgegnete der Meister, »aber wer Tag aus Tag ein an der Hobelbank steht oder am Waschtrog, der behält keinen glatten Rücken und kriegt Schwielen an den Händen. Gut für ihn, daß der Junge gesunde Glieder hat!« Mit diesen kalten Worten gab er dem Sohne als Zeichen der Zärtlichkeit einen derben Schlag auf die Schulter und sagte, sich neben ihn vor den Spiegel stellend: »Ich bin doch noch größer als er, und so breitschultrig wie ich wird er auch nicht, er bleibt schmächtig!«
»Er schlägt in unsere Familie, die sind Alle mager, aber es fehlt doch Keinem was, mir hat auch Nichts gefehlt all mein Lebetag!« meinte die Mutter, glücklich, sich den Sohn, wenn auch durch eine Unvollkommenheit noch mehr angeeignet zu finden, »und,« fügte sie hinzu, »ich möchte ihn wohl im Saale sehen und wissen, mit wem er zuerst tanzt!«
»Er kann sich's ja nicht aussuchen,« sagte der Meister, »er muß mit der Vornehmsten tanzen.«
»Wer wird das sein?« fragte die Mutter.
»Die Baronin von Heidenbruck,« entgegnete Friedrich.
»Die alte Frau kann doch nicht tanzen?«
»Nur eine Polonaise zur Eröffnung des Balles, dann kommt der Walzer!«
»Mit wem tanzest Du den?«
»Mit Heidenbruck's Schwester!«
Also wieder mit der Vornehmsten,« rief der Vater, »und dann mit der Reichsten, und wenn sie alt und schief und krumm wären, so geht's in der Welt! Ich hab' Dir's ja gesagt! Und das rechnen sie sich zur Ehre an!«
»Ist die Schwester des jungen Barons so häßlich?« fragte die Mutter.
»Helene häßlich?« rief Friedrich mit einem solchen Tone des Entzückens, daß der Vater ihn scharf mit seinen grauen Augen ansah und eine Frage auf den Lippen hatte, als ein Wagen vor die Thür rollte und Friedrich sich abwendete, um dem Blick des Vaters auszuweichen. Gleich darauf trat Erichs Diener in großer Livree herein, zu melden, daß der Baron Herrn Brand erwarte. Die Mutter blickte wohlgefällig zum Vater herüber, Friedrich gab den Eltern die Hand und eilte hinaus. Die Mutter wollte ihn begleiten, der Alte hielt sie zurück.
»Er hat ja einen Diener!« sagte er so laut, daß sein Sohn es noch hören konnte, und unter dem Eindruck dieser spottenden Worte erreichte Friedrich das Rathhaus, in dem der Ball gefeiert wurde.
Der Lichtglanz des Saales, die geschmückten Frauen, die eigene Festkleidung hoben seine Stimmung, es war ihm froh und feierlich zu Muthe, er fühlte die Lust des Gebietens, Alles was ihn gehemmt, gedrückt in dieser Zeit, war von ihm genommen und mit freudiger Spannung hingen seine Blicke an der Eingangsthüre, jeder Bewegung in den Vorzimmern folgend, die ihm das Kommen der Geliebten zu verkünden schien. Mehrmals hatte er sie zu erspähen geglaubt, und immer war sie es noch nicht gewesen. Jetzt plötzlich sah er den Kopf des Barons die Umstehenden überragen, sein Herz wallte auf, seine Augen leuchteten, im nächsten Augenblicke war er an Helenens Seite, ihr den Arm zum Eintritt in den Saal zu bieten.
Schöner war sie nie gewesen, als in dem weißen Seidenkleide, dessen matter Glanz die Frische ihrer Farben hervorhob, als mit der vollerblühten Rose in den Locken, liebreizender war sie ihm nie erschienen, als jetzt, da sie mit den Worten: »Wie lange habe ich Sie nicht gesehen!« die schönen Augen zu ihm aufhob.
»Ja lange, lange nicht!« rief Friedrich – »aber Sie sind ja wieder hier!«
»Ich bleibe auch hier!« bekräftigte Helene, Friedrich athmete auf. Welche Seeligkeit lag für ihn in diesen Worten! Und wie nun die Trompeten schmetterten durch den Saal, wie er die Geliebte in seinen Armen hielt, abgetrennt von der Menge um sie her, sein ganz allein in diesem Augenblicke, da war er vor überfluthender Wonne keines Wortes mächtig. Sie kannte und sie theilte seine Liebe, denn sie hatte seine Eifersucht besänftigt. »Gut wie der Allgütige!« rief er entzückt, und als Helene bei den Worten verwundert zu ihm emporsah, da traf sie aus seinen Augen ein so voller Strahl der Liebe, daß sie zitternd die Augen senkte, und sich Schutz suchend fester an den Arm des Jünglings hing, vor dessen Macht über sie ihr Herz erbebte.
In immer steigender Freude schwand den Liebenden der Abend dahin, auch Cornelie schien eine Andere und heiterer zu sein, als sonst. Sie trug ihr Haupt frei empor und Friedrich fiel es auf, mit welcher Lust sie tanzte. Sie hatte mehrmals gegen ihn ausgesprochen, daß der Tanz ihr keine Freude mache und daß sie ihn vermeiden würde, hätte man ihr nicht verboten, sich davon auszuschließen. Er erinnerte sie an ihre frühere Behauptung und fragte, wodurch diese Veränderung in ihr bewirkt worden sei.
»Nun,« entgegnete sie ihm, »da Sie mich so ehrlich fragen, will ich Ihnen ebenso ehrlich antworten. Ich habe in Steinfelde die Bekanntschaft eines Mannes gemacht, der mir eine andere Ansicht über die meisten Dinge beigebracht hat, die mir zuwider waren, weil sie mir so leer und oberflächlich schienen!«
»Und wie ist ihm das gelungen?«
»Er hat mir bewiesen, man thue Aeußerlichkeiten zu viel Ehre an, wenn man sie mit Abneigung betrachte, und es sei ebenso thöricht, sich gegen sie zu sträuben, als sie mit Vorliebe zu suchen. Man müsse sich gewöhnen, sie mit Gleichgültigkeit zu behandeln und seine Seele gegen ihren Einfluß stählen, wie man seinen Körper abhärte gegen die Einwirkungen eines Witterungswechsels, denen man sich nicht entziehen könne.«
»Und darum gewährt Ihnen der Tanz mehr Freude als bisher?«
»Ich habe nicht mehr das Mißgefühl, welches ich sonst dabei empfand. Ihnen darf ich das sagen, denke ich, da ich es Ihnen gegenüber weniger hegte, als im Allgemeinen.«
»Aber worin bestand denn dieses Mißgefühl?« forschte Friedrich weiter.
»In dem Bewußtsein meiner Häßlichkeit! Aber auch diese habe ich als etwas zu Wichtiges angesehen!« antwortete Cornelie mit einer heftigen Selbstüberwindung, die ihr Gesicht mit dunkler Rothe überzog.
Friedrich betrachtete sie mit Verwunderung, der gewaltsame Freimuth kleidete sie vortrefflich, es war als hätte man einen Bann von ihr genommen, so stolz und sicher blickte sie umher.
»Und wer ist der Mann, der diese Aenderung ihrer Ansichten bewirkte?« fragte Friedrich.
»Es ist ein Herr von Plessen, Sie werden ihn kennen lernen, da er uns besuchen wird, sobald er in die Stadt zurückkehrt.«
»Wer wird uns besuchen?« fragte ihr Bruder, der diese letzten Worte gehört hatte, da die Paare nach beendetem Tanze nahe aneinander vorübergingen.
»Herr von Plessen!« antwortete sie mit einem Tone der Vertheidigung, als wolle sie einen Angegriffenen aufrecht erhalten. Indeß Friedrich achtete nicht weiter darauf, denn er wurde mit Schrecken gewahr, daß die Baronin sich erhob, daß die Töchter nach ihren Mantillen griffen, lange ehe der Cotillon begann.
»Die Deinen gehen fort,« rief er bestürzt seinem Freunde entgegen, »und Deine älteste Schwester hat mir den Cotillon versprochen!«
»Sie ist immer dieselbe!« lachte Erich, während sie sich zu den Damen verfügten, und gegen Helene gewendet fragte er: »Hast Du vergessen, daß die Eltern niemals bis zum Cotillon auf dem Balle bleiben, Helene? Wie konntest Du Dich dazu versagen?«
»Ich hoffte, die Mutter würde eine Ausnahme machen!«
»Und weshalb das?«
»Weil ich es wünschte!« antwortete sie mit einer solchen Anmuth, daß Erich, bestochen von ihrem Liebreiz, selbst einen Versuch machte, die Eltern zu längerem Verweilen zu bestimmen. Da es ihm nicht gelang, sagte er scherzend: »Du siehst nun, Friedrich, was man von den Versprechungen dieses leichtsinnigen Mädchens zu erwarten hat!« aber diese arglosen Worte machten einen peinigenden Eindruck auf den Freund und auf die Schwester. Er begehrte einen Widerspruch von ihr zu hören, Helene ihm keinen Zweifel gegen sich zu lassen, und als er ihr in den Wagen half, als ihre Hand in der seinen ruhte, sagte sie leise, kaum hörbar selbst für das Ohr des Liebenden: »Ich bin nicht leichtsinnig!«
Dann entschwand sie seinem Auge, der Wagen rollte davon und der Jüngling blickte ihr nach, eine ungeahnte Seeligkeit im Herzen.