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Sara lachte noch lauter. Sie öffnete weit die Fenster. Riß die Tür auf.
»Wir haben keine Angst. Hereinspaziert. Nur herein. Ich fürchte mich vor nichts.«
Plötzlich aber wurde sie still. Die Schultern hoben sich erschrocken. Ein großer, langer Schatten warf sich auf den Fußboden. Andrejs Gestalt dunkelte auf vor ihren Augen.
Sie bebte zurück.
»Was suchst du hier?«
»Vielleicht dich, vielleicht auch nichts. Was geht es dich auch an. Ich kann tun, was ich will.«
Sein Kopf zuckte. Er sah starr in die Luft. Setzte sich. Er sah geistesabwesend aus.
In diesem Augenblick taumelten zwei fremde Bauern, sie waren Bewohner eines Nachbardorfes, durch die Tür. Schreiend und lachend riefen sie nach Bier.
Sie warfen Stühle um, setzten sich endlich umständlich an einen Tisch. Sie klopften, verlangten immer lauter etwas zu trinken. Sara kam, mit großen Krügen balancierend, rief lachend: »Hier, beklagt euch nicht.«
Die Bauern gossen sofort das Getränk herunter, der eine schrie: »Noch, noch, wir haben Durst. Du brauchst keine Angst zu haben, wir können schon alles bezahlen. Schau nur, schau.«
Er fischte aus der Tasche Ringe, Münzen, Ketten hervor. »Schau nur, schau. Wie das funkelt, glänzt.« Er ließ, hochwerfend, alles in der Hand erklingen, lachte heiser: »Schöne Musik, was.« Die Augen quollen hervor, an den Mundwinkeln erschien Speichel. Er suchte weiter in den Taschen, kramte Silbermünzen hervor, breitete alles auf dem Tisch vor sich aus.
Jetzt sprach auch der andere: »Hörst du, Schwager, wir wollen nun teilen.«
Aber der Bauer schob die Arme schützend vor seine Schätze, schrie: »Später, später, erst will ich mir alles genau ansehen. Dann teilen wir.«
Sara stand vor ihm mit vorgeschobenem Kopf, ihre Finger glitten neugierig über die Gegenstände.
»Von wo habt ihr das alles?«
Sie suchte die Augen des Bauern.
Der Bauer antwortete nicht, seine Hände wühlten weiter. Er hielt jedes Stück dicht vor die Augen, beroch es, ließ es gegen die Tischplatte klirren.
»Ja, hier gibt es Schätze. Da darf man schon trinken.«
Er lachte aufstoßend. »Das ganze Leben lang braucht man nichts weiter zu tun als saufen. Ein schönes Leben wird das.« Seine Finger glitten tastend, liebkosend über die Ketten und Münzen.
Der andere Bauer schob sich näher: »Laß mich doch auch sehen. Ich will es auch berühren. Was steckst du alles weg vor mir. Ich war doch auch dabei. Teilen wir.«
»Später, später. Ich will mir erst alles genau ansehen. Dann kannst du auch schauen, soviel du willst.«
Sara begann wieder zu fragen: »Ihr habt mir immer noch nicht erzählt, von wo ihr alles bekommen habt.«
»Wir haben's halt genommen. Früher hat's uns gehört, aber die Juden, die haben alles von uns gestohlen. Jetzt haben wir es wieder zurückgenommen.«
Der andere Bauer rückte den schützenden Arm von den Schätzen weg, drängte sich ganz nahe, seine Hand langte nach einer Silberkette. Dann wollte er einen Ring nehmen.
»Geh doch weg, was machst du da?«
Die beiden Bauern begannen sich zu balgen, warfen den Tisch mit den Biergläsern um, klirrend fielen die Münzen, die Ringe und Ketten auf den Boden, rollten in alle Richtungen.
»Laß mich, ich werde schon alles zusammensuchen, sonst teilen wir nicht. Haltet ihn doch. Der eine muß erst alles haben, sonst kann man nicht teilen.«
Sie liefen zu gleicher Zeit nach jedem Stück, aber der eine Bauer war immer flinker, geschickter. Er las alles auf. Er schleifte sich auf den Knien, kroch in alle Ecken, sprang auf, bückte sich wieder, war überall zuerst da. Er begann, alles zusammenzuzählen, suchte von neuem, war endlich zufrieden. Wieder ließ er das Aufgesammelte in der Tasche verschwinden.
Der andere ärgerte sich, wollte in die Tasche langen.
»Warte doch. Du wirst schon deinen Teil bekommen. Du brauchst keine Angst zu haben, daß du zu kurz kommst.«
Andrej stand jetzt auf, näherte sich den Bauern.
»Wie habt ihr das bekommen? Wie habt ihr das gemacht?«
Seine halbgeöffneten Augen blickten sie neugierig an.
»Wie? Man nimmt es, wo man's findet. Man geht dorthin, wo man weiß, es gibt etwas zu holen. Komm, setz dich. Wir wollen trinken. Du sollst mit uns halten.«
Die Gesichter verschwanden in den Biergläsern.
»Ja, so ist das Leben schön!« rief der eine Bauer. Seine geröteten Augen schweiften umher. »Jetzt darf man allerlei tun, wozu man gerade Lust hat. Der Graf hat sein Schloß zurückbekommen, und sein Land gehört uns auch nicht mehr. Aber wir dürfen jetzt zu den Juden. Wir können dort nehmen, was wir wollen. Jetzt ist es erlaubt. Weil die Juden an allem schuld sind, das haben uns viele gesagt. Wenn man tun kann, was man will, du, das ist schön.« Er gluckste. »Da ist ein Jud in unserm Dorf, von dem jeder weiß, er hat viel Geld, ist sehr reich. Da geht man hin und holt es. Die Juden sind schlau, es ist nicht so leicht, zu ihnen zu kommen. Ihre Türen sind fest verschlossen. Macht nichts.«
Mit listigem Lächeln zeigte er auf seine Fäuste, auf die Armmuskeln. Auf die Stiefelabsätze. »Man muß nur Kraft haben. Dann stehst du drin in der Stube. Ganz still ist es da. Du könntest eine Nadel hinwerfen, du würdest sie hinfallen hören. So still ist es. Die Juden stehen da wie Wachsfiguren im Panoptikum in der Stadt.« Er trank einen Schluck. Stieß auf. Sprach dann weiter: »Ja, sie sehen aus wie Wachsfiguren, ganz gelb und leblos sind sie. Man hört sie gar nicht atmen. Keiner rührt sich. Du stehst schon da, eine Weile, aber noch immer sagt niemand ein Wort.
Da steht der alte Jude in der Mitte des Zimmers, hält die Nase in ein Buch gesteckt. Sicher hat er gebetet, aber sein Mund ist jetzt halb offen.
Die Jüdin kauert auf einem Stuhl, hält die Kinder bei der Hand. Eins sitzt auf ihrem Schoß, ein anderes hält sich an ihrem Rock fest. Aber alle sind sie versteinert. Bringen keinen Laut hervor.
Die Zeit vergeht, ich warte, aber niemand will mich ansehen, keiner spricht ein Wort; nun gut, man hat ja Geduld, aber schließlich ist man doch nicht hergekommen, sich immerzu dieses Familienbild anzusehen. Du kommst also näher. Man sagt sich, wenn du nur willst, werden sie schon sprechen. Ganz langsam schleppen einen die Füße vorwärts. Der Rücken macht einen runden Bogen, die Schultern haben sich vorwärts geschoben, so kommst du näher. Die Juden bewegen sich noch immer nicht. Die Hand hält man in der Tasche, man will ja nicht gleich mit den Fäusten kommen. Aber man weiß doch, man darf ja tun, was man will. Ewig kann man ja nicht warten, bis sie einen bemerken wollen.
Da beginnt man zu sprechen. Alles zittert sofort, am meisten die Kinder. Die Jüdin zieht sie näher an sich heran. Seht ihr, ihr bewegt euch doch. Nur der Jud tut so, als ob er nichts hörte, steht weiter vor seinem Pult. Nur die Augenwimpern zucken. Gut, gut so, bring mich nur noch mehr in Wut, dir wird's leid tun. Man macht noch einen Schritt, und da steht man auch schon ganz dicht vor dem Juden.
Er schrickt zusammen, aber hebt noch immer nicht die Augen. Gut, man muß also in sein Ohr trompeten: ›Jud, verstell dich nicht weiter, ich habe keine Zeit, länger zu warten, her mit deinen Schätzen, wo steckt dein Gold, schnell, mach schnell.‹
Der Jud beugt sich tiefer über sein Buch, immer tiefer, will noch immer nicht hören, auch ein Engel verliert die Geduld, das sag ich ihm auch, sag es ihm laut, damit er endlich hört: ›Auch ein Engel verliert die Geduld.‹ Das kann man aber hören, die Wände schallen nur so. Meine Ohren brausen, wie ich mich rufen höre. Na also, der ist doch auch nicht taub, das sag ich ihm auch: ›Jud, du bist doch nicht taub, antworte endlich, wohin hast du dein Gold versteckt?‹ Aber der Jud, der tut immer so, als ob wir gar nicht da wären. Ich sehe, wie sein Mund sich bewegt, ganz schnell, er stößt dabei pfeifend den Atem heraus, als ob er liefe, rannte und nicht weiter könnte und doch weiter müßte, sein Mund läuft und läuft, aber er gibt keinen Ton von sich, keine Silbe.
Gut, ich denke, gut, ich bin auch nicht so dumm, ich weiß, was der Jud jetzt tut, der betet, will sich Gott vom Himmel herunterholen, damit er ihm hilft. Ich denke mir, er soll Gott in Ruhe lassen, der will ja ohnehin mit den Juden nichts zu tun haben. Er soll ihn nicht weiter hören. Da lege ich meine Hand fest über seinen Mund, drücke ihn zusammen. Aber der Mund bewegt sich immer weiter, atmet naßwarm in meine Hand. Ich komme immer mehr in Wut, was der sich denkt, der Jud, will er meine Hand beschmutzen?
Da schlage ich ihm eins auf den Mund, gut und fest. Ich fühle seine Zähne. Er beginnt zu schreien, sein Mund zittert, die Zähne klappern. Die Jüdin hat auch angefangen zu stöhnen, gut. Der Jude flüstert was, gut, denk ich, du willst sprechen, sprich. Und ich nehme die Hand von seinem Mund. Er beginnt zu winseln, verrät aber nicht, wo sein Geld ist.
›Ich hab ja nichts‹, sagt: er, ›du weißt es ja auch. Ich bin ein armer Teufel. Sieh dir doch meine Familie an. Zähl doch meine Kinder zusammen. Ich bin froh, wenn sie sich alle satt essen können. Das weißt du doch ja auch. Was ist nur so plötzlich in dich geraten, du warst doch immer so ein guter Mensch, und wie bist du wild geworden. Was willst du von mir, von so einem armen Mann?‹ Und so spricht er zu mir. So jammert er weiter. Seine Stimme zittert ekelhaft dünn. ›Du hältst mich für sehr dumm‹, sag ich ihm, ›aber ich bin nicht so dumm, hör jetzt auf mit dem Jammern.‹«
»Wir wollen jetzt nun teilen«, unterbrach ihn der andere Bauer. Seine Hand langte nach der Tasche des Sprechenden.
Dieser schüttelte die Hand ab, sagte beruhigend: »Warte doch, erst will ich weitererzählen.
›Also höre‹, ich sag ihm noch einmal ganz ruhig, ›gib alles her, dann geh ich, du hast es von uns genommen, der Dorfrichter hat es selbst gesagt, ich will's zurückhaben.‹
Aber er klammert sich an den Tisch, fällt fast über ihn und fängt wieder an zu jammern und zu winseln.
Mein Blut kocht, ich zittere schon vor Ungeduld. Mein Arm streckt sich vor, da berühren meine Finger seinen Hals. Er hat ganz dicke Adern und harte Knochen. Der Jude fängt an zu heulen, zu brüllen, aber die Finger sind fest. Meine Wut wird immer größer, da fühl ich auch etwas Angenehmes. Der Jud wird still, ganz still. Das ist gut, daß er immer stiller wird. Ich drücke ihn weiter, ich greife fester zu. Ich weiß ja, es ist erlaubt, ich darf's, ich fühle, wie er immer steifer wird. Ich laß ihn los. Da fällt er hin, ganz hart. Seine Augen werden immer größer, treten aus den Augenhöhlen, den Mund hat er auch weit offen gelassen, er hat häßliche gelbe Zähne, seine Zunge ist blau. Er sieht nicht schön aus, der Jud, wie er so daliegt.
Ich sehe jetzt auch die Frau und die Kinder. Sie starren ganz weiß mich an, die Jüdin schreit auf, wie nur eine Frau schreien kann, pfeifend, heulend, hoch. Ich möchte mir am liebsten die Ohren zuhalten. Das höre ich nicht gern, wie die Jüdin brüllt, aber dann denke ich mir, das ist mir ganz gleich, sie soll nur meinetwegen schreien. Die Frau will sich auf den Juden werfen, aber die Kinder lassen sie nicht los, sie beginnen auch zu schreien. Ich sage ihr, sie soll machen, daß die Kinder aufhören, ich höre solches Gebrüll nicht gern. Da verzieht sie ihr Gesicht, verzieht es ganz unglaublich, so was Komisches habe ich noch nicht gesehen, ich muß lachen, so ein Gesicht habe ich mein Leben lang nicht gesehen.
Ich sage ihr: ›Her mit dem Geld‹, aber sie bewegt sich nicht.
Ich schau auf den Tisch, und es fällt mir ein, wie der Jud sich an ihn geklammert hat. Wie er von ihm nicht wegging. Ich geh schon langsam hin, die Lade ist verschlossen, tut nichts, sie wird erbrochen. Alle sind so schön ruhig. Ich muß dazwischen lachen, weil das, was geschieht, so ungewohnt ist, so ganz komisch. Ich zieh also die Lade heraus, ich muß noch mehr lachen, denn da glitzert und schimmert es. Ich hatte es doch richtig erraten, wo die Schätze verborgen sind. Ja, ich bin schlau. Nicht so dumm, wie der Jude geglaubt hat. Ja, der hätte mich gern zum Narren gemacht. Ich nehme alles heraus, besehe mir jedes Stück einzeln im Licht und stecke schön alles in die Tasche.«
»Jetzt aber teilen wir«, sagte wieder der andere Bauer.
Sara kam immer näher. Beugte sich weit vor. Um ihre Lippen spielte ein fremdes, grausames Lächeln. Sie sah unbeweglich auf den Mund des Bauern, blickte dann aufmerksam hinüber zu Andrej. Sie konnte aber sein Gesicht nicht sehen. Er stützte seinen Kopf in die Hände. Man konnte gar nicht wissen, ob er überhaupt den Bauern gehört hatte.
»Teilen wir«, rief jetzt der andere Bauer.
»Warte doch, ich habe dir schon einmal gesagt, erst will ich fertig erzählen. Du aber unterbrichst mich immer wieder.
Wie schon alles in meiner Tasche ist, hört ihr mich, erblicke ich wieder das Gesicht des Juden. Wie der mich ansieht. Sein Kinn ist auf die Brust gefallen, seine Augen sind weit hervorgequollen, man sieht nur das schmutzige Weiß. Aber da ist noch etwas ganz Neues auf dem Gesicht. Von der Nasenwurzel bis zu den Mundwinkeln laufen zwei dicke Falten, die waren früher nicht da. Ich merke, der Jude lacht mich aus. Mit den zwei Falten im Gesicht lacht er mich aus.
Ich denk mir, der hat dich sicher betrogen, er hat das Wertvollste, Gold, noch anderswo versteckt. Gut, ich bin nicht so dumm. Du wirst nicht lange lachen, wir werden schon alles finden.«
»Von mir sprichst du ja gar nicht«, sagte der andere Bauer. »Du tust ja so, als ob ich gar nichts geholfen hätte ...«
»Ich hab doch eben gesagt, daß wir weitersuchen. Du und ich. Ich sag dem Schwager«, er zeigte jetzt auf den anderen Bauern, »wir müssen weitersuchen. Schau, der Jud lacht uns nur aus. Was? Du hast es auch gesehen, Schwager, der Jud hat uns ausgelacht. Wir öffnen nun alle Schränke und die Schubladen, aber da sind nur alte Kleider, lauter dummer Kram, wir suchen und suchen, aber wir finden nichts weiter. Alles liegt schon draußen, zerstreut auf dem Boden, aber der Jud lacht weiter.
Die Jüdin aber und die Kinder, sie schreien ohrenzerreißend. Das ärgert mich, ich hab ihnen doch nichts getan, warum brüllen sie. Ich sag ihnen, sie sollen aufhören, aber da schreien sie noch immer lauter. Schreien, als ob man sie auf einen Spieß gespickt hätte. Der Jud aber auf dem Boden, der lacht.
Wart nur, denk ich. Du sollst nicht länger lachen. Wir wollen sehen, ob die Falten nicht wegkommen. Ich schlag eins auf das Gesicht eines Kindes, auf so ein warmes, weiches, nasses Gesicht. Es brüllt noch lauter. Ich seh nach dem Jud, der lacht nur, sein Mund ist wie eine schwarze Höhle. ›Gut‹, sag ich, ›gut, warte du nur, warte.‹ Und ich schlage auch die anderen Kinder und die Jüdin, und wie die schreien können, so etwas hat man noch nicht gehört. Der Schwager«, er zeigte auf den anderen Bauern, »der sucht weiter, durchsucht die Betten, geht in die Küche, aber da ist nichts weiter zu holen. Der Jud, der grinst noch immer, grinst fürchterlich. Der wollt nicht weiter bleiben«, er stieß den anderen Bauern an.
»Ich wär noch gern geblieben, aber allein wollt ich nicht. Wie wir aus der Tür treten, schreit und brüllt noch alles hinter unseren Rücken. Ich seh mich um. Der Jud, der grinst.«
Er packte den anderen Bauern bei den Schultern: »Warum nur hat der Jud uns ausgelacht, weißt du's vielleicht?« Seine Stirn legte sich grübelnd in Falten, der Mund verzog sich, die Augen traten hervor. Der andere Bauer sprang auf, näherte ihm sein Gesicht, starrte ihn reglos an, begann dann zu schreien: »Wie siehst du aus? Du siehst ja aus wie der Jud, ganz so siehst du aus!« Er schlug sich auf den Schenkel, sprang hoch, bog den Oberkörper zurück: »So was, da kann man sich ja totlachen. Du siehst ja genau aus wie der Jud, habt ihr nicht eure Gesichter vertauscht?«
Sara wich einige Schritte zurück, sah starr nach dem Bauern. Der hatte wirklich plötzlich ein anderes Gesicht bekommen. Sah aus wie jemand, der gewürgt wird, hatte eine bläulich-graue Farbe, sein Mund öffnete sich weit, die Zunge drehte sich lallend.
»Du lügst, du lügst, du willst mich uzen.«
Er sprang auf, sein Glas fiel um. Er kam auf Andrej zu, schüttelte ihn: »Wie seh ich aus? Sprich doch, seh ich aus wie der Jud, antworte mir!«
Andrej löste seine Hände von den Schultern, schob ihn weiter: »Laß mich in Ruh, ich kenn doch gar nicht den Juden, was weiß ich, wie du aussiehst.«
Der Bauer ließ ihn stehen, lief dem anderen nach, der weitersprang, sich immerfort nach ihm umdrehte, laut lachend schrie: »Seht ihn doch, bei Gott, er hat sein Gesicht mit dem Juden vertauscht!«
Der Bauer wollte ihn packen, aber der lief weiter; er vergaß ihn, blieb unschlüssig stehen, mit weitgeöffneten Augen.
Er begann zu lallen: »Ich will mein Gesicht sehen! Wo habt ihr hier einen Spiegel?«
Sara wich ihm aus.
Er lief dann schnell zum Fenster, versuchte sich in der Glasscheibe zu spiegeln.
Der andere rief hinter ihm: »Ja, der alte Jud! So sah er aus! Gerade so! Nicht anders!« Er wieherte immer lauter.
Der Bauer lief ihm nach, wollte ihn fangen, schrie: »Du lügst, du lügst! Es ist nicht wahr! Du willst mir nur Angst machen. Ich seh nicht aus wie der Jud!«
Sara folgte den beiden mit aufgeschreckten Augen.
Der Bauer sah furchtbar aus. Sein Gesicht veränderte sich von Minute zu Minute. Er sah wirklich aus wie ein Mensch, der Todesqualen erleidet, mit den rotgeäderten, hervorstehenden Augen, dem zerknüllten, verwühlten Gesicht, dem lallenden, bläulichen Mund, den tatternden Händen, den blind tappenden Füßen.
Er rannte wieder zum Fenster, aber er fand sich nicht darin. Er warf sich dagegen, die zitternde Faust zerschlug das Glas.
Seine Hand fiel blutig zu ihm zurück. Er begann zu greinen: »Sie tut weh, meine Hand.«
Er lief wieder dem anderen nach, er rutschte aus, fiel hin, blieb mit ausgestreckten Gliedern liegen, brüllte weiter: »Du lügst, du lügst. Das ist nicht wahr, was du sagst.«
Der andere näherte sich grölend, zog ihn hoch, legte die Hand auf seine Tasche: »Komm, jetzt teilen wir.«
Der Bauer sah blöde vor sich hin, wiederholte immerfort: »Du lügst, du lügst.« Und als der andere wieder in seine Tasche langen wollte: »Laß mich, du Teufel. Ich will jetzt nichts anrühren.« In seiner Tasche klirrte es. »Ich will mein Gesicht sehen.«
Er rannte wieder gegen das Fenster, kletterte hoch, wollte in der obersten Scheibe sich sehen. Auf dem Fensterbrett stellte er sich auf die Zehenspitzen, verlor sein Gleichgewicht, fiel hinaus auf die Gasse.
Er stand schwerfällig auf, begann hineinzuschreien: »Zeigt mir mein Gesicht«, lief dann hinkend weiter.
Der andere sprang ihm kreischend nach, verfolgte ihn.
Man hörte sie laufen, schreien, zanken. »Wir wollen teilen.« – »Ich will mein Gesicht sehen.«
Dann entfernten sich die Stimmen, drangen nur noch von fern herein.
Man hörte das Krächzen.
Andrej beugte sich aus dem Fenster. Sah ihnen nach, solange er sie mit den Augen verfolgen konnte. Sein Mund bewegte sich. Er murmelte vor sich hin: »Jetzt darf man ja wieder rauben und morden, ganz wie im Krieg. Da seh einer an.«
Sara näherte sich ihm, riß ihn vom Fenster. Ihr Kopf schob sich näher zu dem seinen, ihre Haare streiften seine Wange, ihr Atem wehte ihn an.
Seine Arme griffen nach ihr. Sie hielt seine Hand fest. Zog ihn fort, hinein, in die Mitte der Stube.
»Komm, bleib nicht dort stehen. Es brauchen dich nicht alle Menschen hier zu sehen.«
Dann umfing sie ihn. Drängte sich ganz nahe an ihn. Flüsterte. »Hörst du mich?«
Er nickte. Von der unerwarteten Nähe der Frau war das Blut in seinen Kopf gestiegen. Zitternd suchte seine Hand ihre Brust.
Sie hauchte leise, kaum vernehmbar: »Weißt du, was ich von dir erwarte? Was du für mich tun sollst?«
Er hob den Kopf, verstand nicht.
Sie zischte mit dünnen Lippen, kalten Augen: »Du hast es selbst gesagt. Es ist jetzt wieder wie im Krieg. Man darf morden und rauben. Es ist erlaubt. Alles ist erlaubt.« Hart warf sie jedes Wort in die Luft. Füllte mit ihnen das Zimmer, hämmerte sie in Andrejs Kopf.
Ihr Atem ging schneller, zügellos blinkten die Augen. Jetzt wußte sie endlich, was sie seit langem schon gewünscht hatte: »Hörst du?« schrie sie in Andrejs Ohr.
Andrej packte sie wieder. Seine Arme umklammerten sie. Aber Sara schob ihn mit harten Fäusten von sich.
Sie ging zu der Tür, lauschte. Alles blieb still.
Wieder kehrte sie zu Andrej zurück, legte schmeichelnd ihre Hand auf seinen Rücken, suchte seine Augen, atmete heiß in sein Ohr: »Höre du, töte sie.«
Dann wich sie einen Schritt zurück. Prüfte gespannt den Gesichtsausdruck Andrejs.
Er zog die Stirn in Falten, seine Augen wichen dem Blick Saras aus, wanderten unsicher herum, seine langen Finger griffen mit schnellen Bewegungen in die Luft, sein Kopf schob sich vor, wandte sich an Sara: »Was soll ich tun? Ich versteh nicht.«
Er kniff die Augen zusammen. Er lachte blöde, zerhackt: »Was soll ich tun. Ich soll sie töten? Wen?«
Er schien nachzudenken. Dann lachte er wieder. Sein Gesicht hellte sich plötzlich auf: »Du meinst, ich soll sie töten, ihnen die Schätze wegnehmen?« Seine Augen richteten sich fragend auf Saras Gesicht.
Ihre Nüstern blähten sich, die Augenbrauen zogen sich dunkel zusammen. Um den Mund lagen Schatten. Die Mundwinkel zogen sich voll Verachtung herab. Sie stieß kurz hervor: »Du Blödian, du bist noch dümmer, als ich dachte.«
Andrej zuckte zusammen, kam ihr ganz nahe: »Sage doch, was du willst. Warum sagst du es nicht klar?«
Sie sah sich wieder nach allen Seiten um. Ihr Kopf drehte sich lauschend. Sie schwang den Arm weit vor, zeigte gegen die Zimmertür, die nach dem Schlafraum der Schwiegereltern führte, blieb so, sah dabei unverwandt Andrej an. So blieb ihr Arm in der Luft hängen. Andrej starrte hin. Sein Mund blieb halb offen. Endlich glitt Verstehen über sein Gesicht.
Da richtete sich auch sein Arm gegen die Tür. Seine Stimme schwankte. »Ach, jetzt weiß ich. Die, du meinst die.«
Sara legte ihre Hand schnell über seinen Mund. Ihre Brust streifte ihn.
»Still, sei doch still, sei doch nicht so dumm.« Sie lauschte wieder, aber angestrengt. Aber niemand war in der Nähe.
Sie flüsterte: »Hast du endlich begriffen. Hörst. Jetzt darf man alles. Jetzt ist alles erlaubt.«
Sie wisperte kaum hörbar. Atmete in Andrejs Ohr: »Du kommst heute nacht, verstehst du, klopfst leise. Ich werde dir öffnen. Du bringst eine Axt mit, eine starke, feste Axt, hast du verstanden. Dann wirst du etwas sagen und ich um Hilfe rufen. Ich rufe, bis sie beide kommen, der Schwieger und die Schwieger. Hörst du mich auch.«
Ihre Pupillen öffneten sich weit. Dunkel glänzten ihre Augen. Sie lauschte. Sie stand so nahe bei Andrej, daß sie mit ihm verwachsen schien: »Dann verstellst du ihnen den Weg. Hast du gehört? Und dann schlägst du zu. Gegen ihre Köpfe. Schlägst feste zu. Du bist ja stark.« Ihre Hand glitt prüfend über seine Armmuskeln.
»Hörst du. Du schlägst fest zu, fest zu. Dann ist alles fertig. Dann gehört alles dir, alles. Und dann bin ich allein. Ganz allein mit dir, Andrej.«
Andrej stand vor ihr mit offenem Mund und lauschte andächtig auf jedes Wort. »Dann bin ich allein mit dir, Sara?«
»Ja, Andrej. Und du wirst reich sein. Der Schwieger ist sehr reich. Aber niemand weiß es im Dorf. Er hat Truhen voll Goldstücke. Oft zählt er in der Nacht, dann singt das Gold im ganzen Haus bis zum Morgendämmern. Ja, du weißt nicht, wie reich sie sind, die Schwieger. Und der Keller ist voll bestem Wein, und in der Speisekammer sind die besten Bissen aufgehäuft. Und alles wird dann dir gehören, Andrej.«
Er lachte kindisch vor sich hin: »Und dann, Sara?«
»Wie du reich sein wirst. Im Schrank die viele Wäsche. Sie gehört dir. Das feinste Linnen. Ich hab es selbst gewebt in den Wintertagen, weich und weiß. Die schönsten Hemden werde ich dir davon nähen. Ich selbst.« Ihre Augen lagen funkelnd in den seinen.
»Du wirst schön sein, Andrej, niemand wird dich mehr auslachen. Die Frauen werden dich lieben, Andrej.«
Er keuchte. Seine Stimme kam glucksend: »Aber du nimmst mich in dein Bett, gleich«, seine Hände rutschten in ihre Bluse, glitten ihren glatten Rücken entlang. »Gleich danach nimmst du mich.«
Sein heißer Atem überfiel ihren Nacken, sein Mund warf sich über das warme Fleisch.
Sara entzog sich ihm nicht. Hielt sich gerade und still. Sie spreizte die Hände weit ab von ihrem Leib. Ihre Lippen krümmten sich geekelt.
Sie wandte das Gesicht nicht zu ihm hin, als sie flüsterte: »Ja, Andrej, ja.«
Sie riß sich dann weg von ihm, wandte ihm ihr hartes, kaltes Antlitz zu: »Jetzt aber geh! Man könnte uns sehen. Und vergiß nicht, heute nacht. Vergiß nicht.«